Fuchsherz von Arianrhod- ([NaruHina]) ================================================================================ Kapitel 6: The beggars and the thieves -------------------------------------- Am nächsten Tag fühlte Naruto sich völlig zerrissen. Sein Körper hatte sich bereits fast wieder gänzlich erholt, bis auf den Schnitt an seiner Hand, der nur sehr langsam oder gar nicht zu heilen schien. Wie sollte er Iruka das erklären? Trotzdem schienen alle seine Glieder zu schmerzen, was er nicht begründen konnte. Er erholte sich doch superschnell, oder? Seine Dämonenkräfte sorgten dafür. Vielleicht war es einfach zu viel auf einmal gewesen? Hinata würde ihm das sicher begreiflich machen können. Er würde sie fragen, wenn er sie das nächste Mal sah. Hoffentlich bald. Apropos Hinata… Am letzten Tag war es so spät geworden, dass sein Stiefvater schon geschlafen hatte, als Naruto nach Hause gekommen war. Der Junge hoffte nur, dass das kein Donnerwetter geben würde. Auf der anderen Seite hatte Iruka gewusst, dass er das Mädchen ausführte, also sollte er sich wohl eher darauf einstellen, ein paar (gut gemeinte, aber doch irgendwie peinliche) Fragen beantworten zu müssen. Mit einem Stöhnen wälzte Naruto sich aus dem Bett – besser, die Sache schnell hinter sich zu bringen, statt sich noch einmal die Decke über den Kopf zu ziehen. Das brachte sowieso nichts. Erst einmal schleppte er sich jedoch ins Badezimmer. Aus dem Spiegel starrte ihm sein eigenes Gesicht entgegen, das auf den ersten Blick so bekannt war und auf den zweiten völlig fremd schien. War es der Ausdruck in seinen Augen, dieser Schatten, der gestern noch nicht da gewesen war? Die Müdigkeit, die nicht von zu wenig Schlaf herrührte? Die Anspannung, die nichts mit einem bevorstehenden Test zu tun hatte, die er in seinem Gesicht zu lesen meinte? Wirkte er tatsächlich älter, erfahrener, abgebrühter, oder kam ihm das nur so vor? Konnte er es wagen, so seinem Ziehvater unter die Augen zu treten? Würde dieser die Veränderung erkennen? Wie konnte er die Fragen nach all dem beantworten? „Oh, tut mir leid, dass ich so fertig aussehe. Gestern sind nur ein paar wirklich seltsame Dinge passiert, ich hab Hinata ausgeführt und geküsst, wir wurden angegriffen und ich hab jemanden umgebracht, indem ich ihm den eigenen Dolch in die Brust gestoßen habe. Echt, das hätte jedem passieren können, also kein Grund zur Sorge!“ Ja. Klar. Wahrscheinlich würde Iruka ihm einen Psychiater besorgen oder so. Nicht wegen dem ersten Part – wahrscheinlich würde der Mann sich freuen, dass Naruto endlich jemand gefunden hatte, der etwas … vertrauenswürdiger war, als all die anderen Mädchen, die er davor angeschleppt hatte – sondern wegen dem zweiten. Und wenn er sich deswegen um Naruto Sorgen machte, dann war er nicht allein. Naruto … machte sich ebenfalls Sorgen um sich. Er hatte gestern jemanden umgebracht. Umgebracht! Wie in getötet. Das Leben genommen. Einfach so. So einfach. Denn das war es tatsächlich gewesen. Leicht. Er konnte sich noch an das Gefühl erinnern, als die scharfe Klinge durch das lebende Fleisch gefahren war, weiches Gewebe, das nachgab und zerriss, durchtrennt wurde, in einem einzigen Atemzug. Von der Klinge, die er in der Hand gehalten hatte. Durch Narutos Hand. Nachdem er ihm schnell und leicht die Waffe abgenommen hatte, als wäre es nichts gewesen; als wäre es nicht der Dämon, sondern Naruto, der damit aufgewachsen war Waffen zu führen und zu kämpfen. Ihm wurde plötzlich schlecht. Hastig stürzte er zur Toilette, riss die Deckel nach oben und erbrach sich. Einige Momente später stand er keuchend über die Kloschüssel gebeugt, dann gaben seine Beine nach und er sank auf den Boden, gegen den Rand der Badewanne. Am letzten Tag hatte er es nicht wirklich realisiert. Sie hatten einfach weitergemacht mit ihrem Date, so, als wäre nichts gewesen. Nur einen kurzen Abstecher in einen Waschraum hatten sie gemacht, um Narutos Wunden zu reinigen und verbinden. Das war alles. Irgendwie lächerlich, richtig? Sein Kopf dröhnte von diesen Wahrheiten und er fragte sich, was er von all dem denken sollte. Für Hinata schien es eine Selbstverständlichkeit zu sein, absolut kein großes Ding, und das war etwas, was ihm total paradox vorkam. Sie war ein sanftes, liebes Mädchen, wie geschaffen dafür, den Pflegedienst zu übernehmen, wenn man das Krankenbett hüten musste, sich um kranke und junge Tiere zu kümmern oder am Rande zu stehen und gute Ratschläge zu geben oder einfach nur den Cheerleader zu spielen. Wie konnte es für sie so … natürlich sein, jemanden zu töten?! Einige Augenblicke schien sich alles in seinem Kopf zu drehen. Dann gab er sich die Antwort auf seine Frage: es war die Neitherworld. Hinata war ein Teil davon, schon immer. Sie war darin aufgewachsen. Sie kannte sie. Und sie hatte ihn von Anfang an gewarnt. Hatte von Anfang an gesagt, dass die Neitherworld kein so lauschiges Plätzchen war wie die andere Seite der Welt, auch wenn er es zuerst nicht beachtet oder gar begriffen hatte. Hinata war es gewohnt. Wahrscheinlich war das nicht das erste Mal, dass sie getötet oder Leute sterben gesehen hatte. Und er wusste mit seltener Gewissheit, dass es nicht das letzte Mal war. Letzteres traf auch auf ihn zu. Vielleicht, dachte er halb spöttisch, halb geschockt, sollte er sich lieber schnell daran gewöhnen. Nach allem, was man ihm erzählt hatte – die Hyuuga, Sai, Isis – würde er öfter das Ziel derartiger Angriffe sein. Weil er mächtig war. Wegen seiner Eltern. Vielleicht war das der Grund, warum sie ihn weggegeben hatten; sie wollten ihn vor alle dem beschützen. Vielleicht. Er schloss die Augen und versuchte, an gar nichts zu denken. Stattdessen sah er das geschockte Gesicht des Dämons vor sich, kurz bevor sein eigener Dolch in seine Brust drang. Die geweiteten Pupillen, die feinen Schweißtropfen auf der Stirn, der halb geöffnete Mund mit den spitzen Zähnen, die feine Narbe auf der rechten Wange… Gestern hatte Naruto es nicht wirklich realisiert. Aber jetzt sah er es deutlich vor sich, als würde es eben geschehen oder, besserer Vergleich, als wäre es auf Videoband aufgezeichnet und er hätte den Film angehalten um sich jedes noch so kleine Detail einzuprägen. Das war doch verrückt. Er musste jetzt sofort damit aufhören! Sonst würde er noch anfangen zu zweifeln, sich selbst die Schuld geben oder wahnsinnig werden. Oder alles zusammen. Und er hatte sicher nicht um den Angriff gebeten und außerdem war es vollkommen richtig gewesen zu tun, was er getan hatte. Oder? Mit einem ärgerlichen Laut schlug er mit der Faust nach hinten gegen die Badewanne und stand entschlossen auf, um sein morgendliches Ritual zu vollenden. Kurz darauf tappte er in die Küche hinüber, wo Iruka am Tisch saß, die Zeitung las und dabei frühstückte. Der brünette Mann blickte von seiner Lektüre auf, als sein Ziehsohn das Zimmer betrat und begrüßte ihn mit einem Lächeln und einem viel zu fröhlichen „Guten Morgen!“, ehe er ihn erwartungsvoll anblickte. Naruto grunzte als Antwort, ließ sich auf einen der freien Stühle plumpsen und schnappte sich ein Brötchen. Es dauerte eine Weile, ehe er anerkannte, dass Iruka nicht mehr zu seiner Zeitung zurückkehrte, ehe er nicht irgendetwas aus ihm herausbekam, das einem Wort ähnelte und wenn möglich die ganze Geschichte mit Hinata. Manchmal erinnerte sein Ziehvater ihn an ein dreizehnjähriges, tratschsüchtiges Teeniegirlie. „Was?“, wollte er darum wissen, nachdem er einen großen Bissen von seinem Frühstück genommen hatte. „War dein Abend gestern erfolgreich?“, erkundigte sich Iruka auch gleich und das sogar ohne eine Ermahnung, nicht mit vollem Mund zu sprechen. Naruto gestattete sich ein heimliches Grinsen. Hatte er es doch gewusst! Er kannte Iruka eben. In was für einer seltsamen Welt lebte er überhaupt? An einem Abend brachte er Dämonen um und am nächsten Morgen fragte ihn sein Vater, wie es mit dem tollsten Mädchen gelaufen war, das er je ausgeführt hatte. Allerdings – seltsam kannte er und machte er gut, besser als alles andere. Die Neitherworld schien damit zu wachsen. Wahrscheinlich war sie doch die richtige Welt für ihn. Hinata sah Naruto weder am Samstag noch am Sonntag. Er kam nicht vorbei und sie traute sich nicht, selbst zu ihm zu gehen oder anzurufen. Der letzte Tag – vor allem das Ende, das Essen, der Spaziergang nach Hause und natürlich der Kuss, der sie noch immer in den siebten Himmel brachte, wenn sie nur daran dachte – war das Paradies gewesen. Aber jetzt schien sich ihr ganzes, neugewonnenes Selbstvertrauen in Wohlgefallen aufzulösen. Und dieses Wochenende, während dem er sich nicht meldete, machte alles nur noch schlimmer. Was, wenn Naruto das gar nicht so gemeint hatte? Wenn er nur … etwas versuchen wollte oder so? Was sollte jemand wie Naruto schon an jemandem wie ihr finden? Sie war nur das langweilige Mädchen, das in seiner Gegenwart die Zähne nicht auseinanderbekam, weil sie neben ihm nicht dumm dastehen wollte und es gerade deswegen doch immer tat. Nun gut, sie hatte ihm die Neitherworld gezeigt, sie hatte (wenn auch nur einmal) an seiner Seite gekämpft und jede Frage, die er ihr stellte (vorausgesetzt, sie war nicht zu peinlich), würde sie beantworten, so gut sie konnte. Aber gerade in der Neitherworld gab es so viele exotischere, aufregendere Mädchen als sie, die kleine graue Maus der Hyuuga. Wie konnte irgendwer ganz zu schweigen von Naruto, der doch jede haben konnte, wenn er wollte, an ihr interessiert sein? Vermutlich durfte sie am nächsten Tag in der Schule nicht zu viel von ihm erwarten. Sie verbrachte das Wochenende in ihrem Zimmer, wo sie versuchte zu lesen, CDs mit Liebesliedern anhörte und abwechselnd von Naruto träumte und sich Sorgen darüber machte, wie sie den letzten Tag zu verstehen hatte. Am Montag flog ihm ihr Herz trotz allem zu, als sie ihn auf den Schulhof kommen sah, und sie konnte die Augen nicht von ihm nehmen. Er blickte sich suchend um und als er sie entdeckte, breitete sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht aus und es war, als würde die Sonne noch einmal aufgehen. Er eilte ihr mit langen Schritten entgegen und nahm, als er bei ihr angekommen war, ihre Hand, als wäre es selbstverständlich, ehe er ihr einen leichten Kuss auf den Mundwinkel presste. Hinata wurde knallrot und schimpfte sich eine Idiotin. Sie hatte sich das ganze Wochenende (und natürlich montags die Zeit zwischen ihrem Aufwachen und seinem Auftauchen) Sorgen wegen etwas gemacht, dass nur in ihrer Phantasie existierte. Es hätte ihr klar sein müssen. Immerhin war es Naruto und er mochte manchmal etwas langsam sein, aber er würde niemals derartig mit ihr (oder irgendwem) spielen. Wie konnte sie das von ihm denken? Er mochte manchmal gedankenlos sein, aber er wusste, was wirklich wichtig war. Auch jetzt, als sie in das Schulgebäude hinübergingen, ließ er ihre Hand nicht los, als wäre es völlig selbstverständlich. Für Hinata war es das nicht (aber sie wusste, dass sie sich daran gewöhnen wollte), doch nur wenige Schüler warfen ihnen erstaunte Blicke zu. Für Naruto schien es einfach natürlich zu sein. Dennoch schien etwas mit ihm nicht zu stimmen. Zuerst war es ihr nicht aufgefallen, zu glücklich war sie darüber gewesen, ihn zu sehen, und darüber, dass sie jetzt seine Freundin war. Aber nachdem die erste Freude wieder abgeklungen war, erkannte sie es sofort. Um die Hand, dort, wo die schlimme Verletzung gewesen war, trug er einen Verband und er hatte fast gar nichts gesagt. „Hey, Hinata-chan…“, begann Naruto schließlich, nachdem sie das Schulgebäude betreten hatten. „Ich…“ Er verstummte und räusperte sich. „Tut mir leid, dass ich mich gestern nicht gemeldet habe.“ Sie erwiderte seinen Händedruck und blickte ihn an. „Aber?“, hakte sie sanft nach, nicht drängend, aber bestimmt. Er war aufgewühlt, das erkannte sie genau. Sie würde für ihn da sein. „Ich … hm…“ Er suchte nach den richtigen Worten, zuckte die Schultern und erklärte. „Ich hab nachgedacht, über vorgestern. Mir sind da einige Dinge durch den Kopf gegangen und … naja, ich musste zu einem Ergebnis kommen, ehe ich dich wiedersehen konnte, verstehst du?“ Ob seine Gedanken etwas mit ihnen zu tun hatten? Es hörte sich so an… Aber – nein, das glaubte sie nicht. Sie würde einfach zuhören, bis er seine Sätze alle beendet hatte, und dann darüber nachdenken, was es für sie selbst und für sie beide bedeutete. „Ich glaube, ich beginne zu verstehen, was die Neitherworld tatsächlich bedeutet.“, sagte er dann leise. „Gestern, als diese Schlangentypen und angegriffen haben… Ich glaube, ich begreife es jetzt. Zumindest ein bisschen.“ Er verstummte erneut und sie begann zu verstehen, dass seine Probleme nichts mit ihnen beiden zu tun hatten oder wenn, dann nur indirekt. Es war die Neitherworld, die jetzt zu ihm aufschloss und ihm zeigte, dass sie nicht die sonderbare Wunderwelt war, die die meisten Leute zuerst zu Gesicht bekamen. Nein, sie war eine grausame, kalte, glorreiche Welt, in der oft genug noch das Recht des Stärkeren zählte oder das jenes Stammes, der über das Gebiet herrschte, in dem man sich gerade befand. Tokyo war gezähmter als die meisten anderen Parts, aber trotzdem konnte hinter der nächsten Straßenecke noch immer eine tödliche Gefahr lauern. Am Freitagabend hatte Naruto eine von den Gefahren gesehen, auch wenn es nicht unbedingt eine tödliche war. Oder zumindest nicht für ihn. Der Gedanke blieb hängen. Was, wenn auch dies ein Problem war? Hinata hatte es noch nie so betrachtet, denn für sie war es selbstverständlich, aber … Naruto hatte getötet. Das erste Mal. Es war ein Dämon gewesen, aber die Familie Hyuuga hatte nie Unterschiede zwischen Dämonen und Menschen gemacht wie die Rassisten, die es auf beiden Seiten gab. Naruto machte sie auch nicht, das wusste das Mädchen. Der Dämon war eine fühlende, denkende Kreatur gewesen und Naruto hatte ihn getötet. Natürlich war es Selbstverteidigung gewesen und die Dämonen hatten angefangen, aber das machte die Sache letztendlich auch nicht besser. „Oh, Naruto…“, brach es aus ihr heraus und sie drückte seine Hand. Er blickte zu ihr hinunter und sein Gesicht wirkte für einen Moment verwirrt. Dann erwiderte er ihren Händedruck und sie hielt seine Finger ganz fest. „Mir geht es gut, Hinata-chan, glaub mir. Ich bin gestern nämlich zu einem Ergebnis gekommen. Keine Sorge.“ Sie wusste, dass es eine Lüge war oder zumindest nicht die ganze Wahrheit, aber sie beließ es dabei. Denn sie wusste ebenfalls, dass es ihm wichtig war, die Sache allein zu verarbeiten. Oder zumindest ohne ihre Hilfe. Vielleicht sollte sie ihn bitten mit Neji zu sprechen. Neji hatte einen völlig anderen Blickwinkel als sie selbst und vielleicht würde er Naruto besser verstehen? Schon allein deswegen, weil sie beide Jungen waren? Dann entschied sie, auch das bleiben zu lassen. Naruto würde zu Neji gehen, falls er dessen Hilfe brauchte, oder umgekehrt, Neji würde bemerken, dass Naruto einen Stoß in die richtige Richtung benötigte und es einfach tun, so wie es die Art ihres Cousins war. „Allerdings wurde eine andere Frage aufgeworfen.“, fuhr Naruto einfach fort ohne ihr auch nur die Chance zu geben, zu protestieren. Vielleicht befürchtete er, sie würde weiter in ihn dringen. „Oder besser, eine alte Frage hat sich wieder in den Vordergrund geschoben. Meine Eltern. Ich will sie finden. Jetzt noch mehr als vorher. Sie können mir sicher noch mehr Sachen beantworten. Hilfst du mir bei der Suche?“ Sie nickte. „Das habe ich doch schon versprochen.“ Einen Moment wirkte er verdutzt, dann rieb er sich verlegen den Hinterkopf. „Das hatte ich ganz vergessen. Es ist so viel passiert.“ Dann schlug er sich gegen die Stirn, als würde er sich daran erinnern, dass sie deswegen zu Isis gegangen waren, und er lachte verlegen. „Ich weiß allerdings immer noch nicht, wo wir anfangen sollen, aber ich hab nochmal etwas darüber nachgedacht.“, plapperte er los. „Weißt du, vielleicht weiß jemand anderes darüber Bescheid. Ich meine, irgendwer muss es doch tun, oder? Die Schwierigkeit ist, diese Person zu finden und Antworten zu kriegen. Ich hätte da aber schon ein, zwei Leute, die ich ansprechen würde. Denn da sind noch ein paar Dinge passiert, von denen ich irgendwie vergessen habe, dir zu erzählen. Ich hatte letztens nämlich Besuch mitten in der Nacht und…“ „Hinata-chan!“ Shihos Stimme unterbrach den Wortschwall des blonden Jungen. Das hellhaarige Mädchen eilte winkend auf das Paar zu und stoppte kurz, ehe sie mit dem Kopf zuerst in die beiden hineinrannte. Sie trug einen Stapel Bücher unter dem Arm, die nichts mit dem Unterricht zu tun hatten, und ihren Pollunder (wieder einmal) links, aber sie schien weder das eine noch das andere zu bemerken (oder es interessierte sie schlichtweg nicht.) „Oh, seid ihr jetzt irgendwie zusammen oder was?“, bemerkte sie mit einem Blick auf ihre noch immer verschlungenen Hände. Doch auch daran zeigte sie wenig Interesse, denn sie sprach gleich weiter: „Wusstest du schon, dass Shiratori-sensei Yamanaka nachsitzen lässt? Die ganze Woche?“ Die Dunkelhaarige, die noch immer versuchte, Narutos schnelle Sätze zu verarbeiten, starrte ihre Freundin nur sprachlos an. „Geschieht ihr recht.“, knurrte der blonde Junge neben ihr stattdessen und grinste. „Warum auch immer es passiert, es gibt genug Gründe.“ Er wandte sich ab und nur Hinata konnte den nächsten Satz hören. „Ich hätte sie doch verprügeln sollen.“ Sie beschloss, die Bemerkung einfach zu überhören. Jetzt wollte sie nicht darüber sprechen. Viel lieber würde sie ihn darüber ausfragen, über was er eben geredet hatte. Er hatte nächtlichen Besuch bekommen? So wie er es betont hatte, war es sicher kein erwünschter Besuch gewesen. Warum hatte er es nicht früher erwähnt?! Doch jetzt, mit Shiho neben ihnen, die noch immer munter vor sich hinplapperte, konnte sie nicht darauf eingehen. Heute Mittag, versprach sie sich. Dann würde er ihr alles erklären können und vielleicht hatten sie einen neuen Hinweis darauf, wo seine Eltern wohl sein mochten, oder wenn nicht, zumindest jemanden, der sie in die richtige Richtung weisen konnte. Naruto war verärgert. Eigentlich hatte er vorgehabt, sich mit Hinata zu treffen, doch Iruka hatte andere Pläne. Der Mann schickte seinen Ziehsohn zu einer bestimmten Konditorei in der Innenstadt, noch ehe er seine Schuhe ausgezogen hatte, nachdem er von der Schule nach Hause gekommen war. Und das nur, weil er diese ganz bestimmten Törtchen haben wollte. Und auch noch für die klischeehafte, nervige Tante, die wohl jeder hatte und die ausgerechnet heute ihren Besuch angemeldet hatte, weil sie gerade in der Stadt war. Natürlich würde Naruto auch den Rest des Tages nicht wegkommen, obwohl die Tante ihn nicht leiden konnte (ein Gefühl, das natürlich auf Gegenseitigkeit beruhte.) Seine Abwesenheit würde dem guten Eindruck, den er machen sollte, nicht gerade helfen. Darum musste er bleiben und sich ihr Gewäsch anhören. Naruto seufzte und schob die Hände tiefer in die Hosentaschen. Das bedeutete, er Hinata erst wieder am nächsten Tag in der Schule sehen und die war sicher nicht der richtige Ort dafür, die Neitherworld oder die Suche nach seinen Eltern zu besprechen. Wenn der Zwischenfall mit Ino, die ganz sicher nicht gewollt hatte, dass irgendwer ihr zuhörte, ihm etwas gezeigt hatte, dann, dass man in der Schule kaum etwas sagen konnte ohne belauscht zu werden. Er musste also bis nach dem Unterricht warten, wahrscheinlich sogar bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie in der Wohnung der Hyuuga waren. Und dabei war er gerade so voller Tatendrang und Ideen, was die Suche nach seinen Eltern anging! Das Wochenende hatte er damit verbracht, alle Daten zu suchen, die er bis jetzt gesammelt hatte, und dann nach dem besten Weg, sie einzusetzen. Von Kleinigkeiten wie der Tatsache, dass sie, wie auch immer sie letztendlich aussahen, nicht als reinblütige Japaner durchgehen konnten – Naruto war immerhin blond und nun auch wieder nicht so dumm, also bitte! – über sein jetziges Wissen, dass sie zur Neitherworld gehörten, bis hin zu der Tatsache, dass sie Helfer hatten, die auch dafür sorgten, dass Naruto ihnen nicht näher kam. Apropos – der Kröteneremit! Hatte er Hinata von dem Zwischenfall und dem Brief erzählt? Er runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern, aber er kam nur zu dem Ergebnis, dass sie noch gar nichts von der Sache wusste. Würde sie den Kröteneremiten überhaupt kennen? Wie wahrscheinlich war das? Nicht sonderlich, oder? Auf der anderen Seite kannte er die Neitherworld noch nicht gut genug. Wer wusste das schon, aber vielleicht waren Eremiten irgendwelche heiligen Kerle oder sowas, die überall total bekannt waren? Vielleicht konnte er ja auch einmal Glück haben. Vielleicht kannte ja jemand den Kröteneremiten. Vielleicht konnte er ihn finden. Und vielleicht würde er Naruto dann erzählen, was geschehen war und warum. Obwohl dieser sich nicht an seinen Rat gehalten und weitergeschnüffelt hatte. Naruto würde es herausfinden. Und wenn er sich dafür auf die Knie werfen und darum betteln musste. Nahezu alles würde er für anständige Antworten auf seine Fragen geben. Oder den Hinweis darauf, wo seine Eltern jetzt waren. Und dann war da der silberne Fuchs… Was für eine Rolle er wohl in der ganzen Geschichte spielte? Oder war das alles doch nur Zufall? Hing der nächtliche Besuch doch nur damit zusammen, dass er ihn am Tag zuvor zufällig auf dem Bazar entdeckt hatte? Aber auf der anderen Seite… Er musste etwas wissen. Irgendetwas hatte schließlich sein Interesse geweckt. Immerhin war er in Narutos Zimmer aufgetaucht um seinen Verdacht zu bestätigen oder mehr herauszufinden oder was auch immer. Was er bei seinem Besuch entdeckt hatte, hatte ihn definitiv bei der Stange gehalten. Sonst hätte er Naruto unter den Händen des Schlangendämons sterben lassen. Oder was auch immer. Ob er wirklich gestorben wäre, stand schließlich auf einem anderen Blatt. Aber das änderte nichts daran, dass der Fuchs eingegriffen und geholfen hatte. Er musste irgendetwas in Naruto gesehen haben. Das war sicher nicht ihre letzte Begegnung gewesen und vielleicht war der Youko das nächste Mal bereit, mit Naruto zu reden, um ihm ein paar Fragen zu beantworten. Naruto riss sich aus seinen Gedanken, als er in die Seitengasse einbog, in der sich die Konditorei befand. Sie war in einem modernen Gebäude untergebracht und ebenso zeitgemäß war die Aufmachung, alles Silber und Glas und klare Linien. Es standen keine Tische vor den großen Fenstern, dafür war es bei weitem zu kalt, doch drinnen saßen ein paar Gäste in den unbequem wirkenden Stühlen. Zwei weitere Leute standen an der verglasten Theke und ließen sich von der adrett gekleideten Frau dahinter bedienen beziehungsweise warteten, bis sie an der Reihe waren. Na, wenigstens gab es keine ellenlange Schlange hier. Vielleicht lag das einfach an der Uhrzeit. Naruto betrat das Café. Etwa zehn Minuten später reichte ihm die freundliche Frau hinter der Theke ein sauber eingepacktes Packet mit Kuchen auf zwei Papptellern. Während er vor dem Tresen gestanden und gewartet hatte, war ihm das Wasser im Munde zusammengelaufen. Der Besuch der Tante kam völlig ungelegen, aber wenigstens gab es etwas Gutes zu essen. Ein Lichtblick! Vielleicht sollte er Hinata morgen ein Stück mitbringen oder so und natürlich für sich selbst auch eins. Aus völlig uneigennützigen Gründen, er konnte sie doch schließlich nicht alleine Kuchen essen lassen… Er drehte sich um und hätte seine kostbare Fracht beinahe wieder fallen lassen. Iruka wäre nicht begeistert gewesen. Stattdessen starrte er nur den Jungen an, der völlig lautlos hinter ihm aufgetaucht war und ihn nun mit scharfem Blick aus smaragdgrünen Augen fixierte. „Woah!“, stieß Naruto erschrocken hervor. Das plötzliche Auftauchen Kuramas war ihm nicht geheuer. Und dieser Blick sowieso nicht. Und warum musste der Typ ihm eigentlich ständig über den Weg laufen? War Tokyo nicht groß genug für sie beide? „Du hast mich erschreckt!“ Für einen Moment änderte sich Kuramas harter, verschlossener Gesichtsausdruck nicht. Dann veränderte sich seine Mimik zu einem freundlichen Lächeln und Naruto wäre beinahe einen Schritt zurückgestolpert. Erst sah der Rothaarige aus, als wolle er ihm das Herz aus dem Leib reißen, dann tat er so, als wären sie die besten Freunde – oder zumindest Bekannte – die sich zufällig in einer Konditorei trafen. „Das tut mir leid.“, erklärte Kurama und klang, als meine er es wirklich so. Naruto war sich sicher, dass es nur eine gute Lüge war. Er war fest davon überzeugt, dass der Rothaarige bei weitem nicht so freundlich war, wie er zu sein vorgab. Oder überhaupt der, der er zu sein vorgab. Allerdings wusste Naruto auch nicht, wer er sonst sein sollte oder warum er diese ganze Scharade überhaupt abzog. Vielleicht machte es ihm einfach nur Spaß? Wer wusste das schon? Kurama war ein Enigma. „Ich habe auch nicht erwartet, hier auf dich zu treffen.“ Naruto hob den eben gekauften Kuchen hoch und antwortete kühl: „Mein Vater hat mich geschickt. Wir haben heute Besuch. Eine Tante.“ „Ah.“, machte der Rothaarige und diesmal konnte man sehen – wenn man scharf genug hinblickte, was Naruto definitiv tat – dass es ihm völlig egal war. „Du scheinst nicht begeistert zu sein.“, bemerkte er dann. „Darf ich dich auf einen Kaffee einladen, um dich noch etwas länger von der unangenehmen Tante fernzuhalten? Ich hab noch … ein paar Fragen an dich.“ Narutos erster Impuls war, rundheraus abzulehnen. Er konnte Kurama nicht leiden und wer dachte dieser, dass er überhaupt war?! Aber dann dachte er an die Tante. Der nächste Gedanke war, dass Kurama, ganz egal, was er vorhatte, ihm hier in der Otherworld unter all diesen Leuten nichts tun konnte. Außerdem war das eine geniale, vielleicht einzigartige Chance, etwas mehr über den geheimnisvollen Jungen herauszubekommen. Naruto schluckte. „Okay. Aber nur, wenn auch ein Stück Kuchen drin ist.“ Der Rothaarige nickte und sie wandten sich wieder der Theke zu, die im Moment wieder leer war. Nachdem die Frau dahinter ihnen ihre Wünsche gereicht und Kurama bezahlt hatte, führte letzterer seinen Gast zu einem der Tische, der weiter hinten im Café lag, unauffällig und weg von den anderen. Naruto rührte Zucker in seinen Kaffee und starrte sein Gegenüber auffordernd an, der sich jedoch Zeit ließ, einen Schluck von seinem Latte trank und in Ruhe den Kuchen probierte, den er sich ausgesucht hatte. „Und?“, wollte Naruto schließlich ungeduldig wissen. „Was ist nun? Iruka macht mir Stress, wenn ich zu lange brauche, und ich will, dass sich das wenigstens lohnt.“ Kurama lächelte, aber es wirkte nicht sonderlich freundlich wie sonst immer. Eher war es ein spöttisches Hochziehen seiner Mundwinkel; etwas, das Naruto nicht ganz deuten konnte. Er schwieg weiterhin und Naruto war kurz davor, ihn anzuschnauzen, als er endlich die Stimme erhob. „Gefällt dir die Neitherworld, Naruto-kun?“ Die Frage kam völlig unerwartet, dass der Blonde für einen Moment nur stumm den Mund auf und zu klappen konnte wie ein Fisch an Land. „Was?“, brachte er dann heraus. „Ich glaube, du hast mich schon verstanden.“ Naruto verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und legte den Kopf schief. Aber was konnte es schaden, dem anderen zu sagen, was er von der Neitherworld hielt? „Ja. Schon. Ziemlich. Sie ist … fantastisch.“ Der Enthusiasmus fehlte in seiner Stimme und er wusste nicht, ob es etwas Gutes oder etwas Schlechtes war. Einerseits verdiente die Neitherworld etwas Begeisterung. Auf der anderen Seite ging Kurama all das gar nichts an. Aber… „Sie ist der pure Wahnsinn!“, erklärte Naruto dann nachdrücklicher, eifriger. „Herrlich!“ Dann dachte er an sein Erlebnis mit den Schlangendämonen und war sich nicht mehr ganz so sicher. Kurama zog eine Augenbraue hoch, als würde ihn das wirklich interessieren. Sein Gesicht hatte längst den höflichen, neutralen, falsch-freundlichen Ausdruck verloren. Stattdessen starrte er sein Gegenüber mit einem seltsamen Mienenspiel an, einem Blick, der Naruto bekannt vorkam, und einem kalten Lächeln, das er schon irgendwo einmal gesehen hatte. Aber nicht an dem Rothaarigen, der da vor ihm saß, da war er sich sicher. Aber es war genau dasselbe. Auch Kuramas grüne Augen wirkten schmaler, kälter, härter. Es war, als würde ein völlig anderer Mensch vor ihm sitzen. Und Naruto wusste, dass er diesen anderen Kurama kannte, dass sie sich schon einmal begegnet waren. Nur – es war nicht dieses Gesicht gewesen. Nicht dieses… „Ach ja? Die gesamte Neitherworld?“, hakte Kurama nach und Naruto dachte wieder an die Schlangenyoukai und wusste, dass Kurama wusste, woran er dachte. Und auch die Probleme erkannte, die damit zusammenhingen, zumindest für Naruto. Dann verzog sich sein Mund zu einem leicht spöttischen Lächeln. „Warum machst du dir Sorgen um die Schlangendämonen?“, wollte er dann wissen und Naruto kam der Gedanke, dass der Rothaarige keine Ahnung von dieser Sache haben durfte. Niemand außer Hinata, ihm und den glücklosen Schlangenmännern, die ganz sicher nicht über eine Niederlage gegen zwei Teenager geplappert hatten, war anwesend gewesen. Niemand wusste von dem Zwischenfall in der kleinen Gasse vor dem Kabarett. Naruto hatte nichts erzählt und Hinata – das wusste er instinktiv – nur ihrer Familie und die redeten ebenfalls nicht über solche Dinge. Außer der Fuchs natürlich, aber der … Naruto hatte keine Ahnung, was der dachte, dazu war er zu rätselhaft, aber er kam ihm nicht vor wie ein Klatschweib. Woher also wusste Kurama von der Sache? Mit gerunzelter Stirn schob der Blonde den verwirrenden Gedankengang für später beiseite und lehnte sich etwas nach vorn um leise die Frage zu beantworten. „Weil ich es nun mal nicht gewohnt bin, Leute umzubringen.“, zischte er. Kuramas Gesichtsausdruck veränderte sich schlichtweg nicht. „Du denkst noch viel zu sehr wie ein Otherworldler. Lass es sein und du wirst ein paar Dinge verstehen.“ Naruto fuhr zurück. „Was soll das denn bedeuten?!“ Diesmal war es an Kurama, sich vorzubeugen. Sein Gesicht war völlig ernst. „Das bedeutet, dass die Otherworld und die Neitherworld sich in mehr Dingen unterscheiden als nur durch die Magie und ihre Auswirkungen. Ich bin sicher, Hinata hat dir gesagt, dass die Neitherworld gefährlich ist. Aber hast du es wirklich verstanden?“ Naruto starrte den anderen Jungen an und begriff erst jetzt wirklich, wie recht dieser mit seinen Aussagen hatte. Hinata hatte es ihm gesagt. An dem Tag, an dem er sie ausgeführt hatte, hatte er begonnen zu verstehen. Das Verständnis aber ging einen langen Weg. Er hatte das gesamte Wochenende darüber verbracht, aber es brauchte einen Schubs von außen – von Kurama, von allen Leuten! – dass er wirklich begann zu begreifen. Die Neitherworld war weit mehr als nur eine buntere, aufregendere Version der Otherworld. Die Neitherworld war wunderschön und sonderbar und herrlich. Die Neitherworld war hart und gewalttätig und unbezähmbar. Sie verschlang jeden, der es nicht schaffte, sie zu erkennen und sich ihr anzupassen, sie fraß sie mit Haut und Haaren, schneller, als man schauen konnte. Sie verspürte keine Reue, kein Bedauern, keine Schuld. Sie war gierig und ursprünglich und roh und grausam und erbarmungslos. Sie hatte kein Mitleid übrig für die Schwachen. Oder für die, die sie einfach nicht verstehen konnten oder wollten. Sie war unmenschlich, übermenschlich. Aber viele der Bewohner der Neitherworld waren auch nicht menschlich und daher sollte es Naruto kaum verwundern. Weil all dies zusammenkam, sollte es Naruto auch nicht erstaunen, dass es Kämpfe gab wie Hinatas und seinen gegen diese Schlangendämonen. Selbst wenn sie in großen Städten wie Tokyo oder zumindest Nischen wie dem Bazar nicht an der Tagesordnung waren. Und darum musste er sich auch, das begriff er jetzt, nicht schuldig fühlen, weil er getötet hatte. Denn Tod und Mord und Kampf lagen in der Natur der Neitherworld, ebenso wie Leben und Liebe und Hoffnung. Dennoch konnte er sich des leichten, bitteren Gefühls der Schuld und der Verantwortung nicht entbehren. Vielleicht würde er es niemals loswerden, aber genau dieser Gedanke machte ihn froh. Wo käme er hin, wenn er nichts mehr fühlte, wenn er tötete? Und auf Kuramas Gesicht breitete sich wieder dieses Lächeln aus. Es wurde breiter, je mehr Naruto verstand und – da war er sich ganz sicher – dieses Verstehen zeichnete sich auch auf seinem Gesicht ab. Kuramas Augen entging nichts und er gestattete seinem Gegenüber, dies auch zu sehen, in dem er sich das Grinsen gestattete. Dieses Grinsen, das Naruto kannte und das nicht in dieses Gesicht gehörte. Und dann wusste er, woher es ihm so bekannt vorkam. Er wäre beinahe aufgesprungen wie von einem Skorpion gestochen, wild und heftig und mit dem Krach eines umgerissenen Stuhles. Stattdessen konnte er sich fangen und blieb wie angenagelt sitzen, Erkennen im Blick und Verwirrung in den Gedanken. „Ich weiß, wer du bist.“, sagte er dann. „Du bist der Fuchs. Der silberne Youko, der in mein Zimmer eingebrochen ist!“ Kuramas Lächeln wurde breiter. „Und der dir das Leben gerettet hat, nicht wahr?“ Dann lehnte der rothaarige Junge – der silberne Fuchsdämon, der nicht aussah wie ein Fuchsdämon, sondern wie ein Mensch, ein harmloser noch dazu – sich im Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich hätte nicht gedacht, dass du mich erkennst. Oder zumindest nicht so schnell.“ Naruto schnaubte. „Es war kaum zu übersehen.“, schnappte er dann. „Oh?“ Kurama schenkte ihm erneut ein teuflisches, grausames Lächeln und einige Strähnen seiner Haare färbten sich silbern, wie um Narutos Aussage zu untermauern, ehe sie wieder den blutigen Rotton annahmen. „Glaub mir, es gibt nicht viele Leute, die es gesehen haben. Und schon gar nicht so unerfahrene wie du, in diesem Tempo. Junge, wer glaubst du, dass ich bin?“ „Was willst du von mir?“, fragte Naruto statt einer Antwort, der Zorn in seiner Stimme unverkennbar. Er war wütend auf den anderen – der war einfach in seine Wohnung eingebrochen, hatte ihn geärgert und erschreckt und ihm dann geholfen und alles ohne sich vorzustellen oder irgendwie anders erkennen zu geben. Aber der Youko – Kurama – hatte ihm das Leben gerettet und außerdem war Naruto nicht dumm. Er wusste, dass der andere ihm weit überlegen war. Wahrscheinlich könnte er ihn zerquetschen wie eine Fliege, wenn er es wirklich wollte. Doch Kurama hob nur einmal kurz die Schultern. „Ich bin nur neugierig.“, erklärte er dann. „Du bist ein Youko, Naruto. Als du mit Hinata das erste Mal über meinen Weg gestolpert bist, habe ich es gesehen. Es war ziemlich deutlich, auch wenn du offensichtlich wie ein neugeborenes Kätzchen warst – ahnungs- und hilflos. Aber ich hatte keine Ahnung, wer du bist. Ich hatte noch nie von dir gehört und du … du bist nicht einfach nur ein Kitsune. Du bist ein Youko. Also habe ich dich besucht um mir ein paar Fragen zu beantworten. Wer du bist. Zu wem du gehörst. Ob du vielleicht Minatos Junge bist. Oder aus welchem Loch du sonst gekrochen bist.“ „Und?!“, schnappte Naruto, der über die lange Erklärung nicht nachdachte. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. „Das beantwortet meine Frage nicht!“ „Ich sagte doch, ich war neugierig.“ Kurama trank den letzten Schluck seines Getränks. „Hier.“ Er reicht dem verwirrten Blonden einen von einem größeren Blatt abgerissenen Zettel. Dieser starrte verständnislos darauf, registrierte am Rande, dass die eleganten Schriftzeichen darauf eine Adresse bildeten, und blickte wieder auf. „Dort hatten die Schlangendämonen ihren Unterschlupf. Sie sind jetzt sicher schon ausgeflogen, aber vielleicht haben sie etwas zurückgelassen. Hinata weiß, wo das ist. Frag sie.“ Wieder schlich sich ein spöttisches Lächeln auf Kuramas hübsche Züge. „Wir sehen uns, Naruto-kun. Viel Spaß mit deiner Tante.“ Damit verschwand er aus dem Café und ließ einen völlig perplexen Jungen zurück, der einfach nicht mehr wusste, was er denken sollte. Dann starrte Naruto auf den Zettel und dachte an Hinata und fand, dass er zu ihr gehen sollte. Sie würde schon wissen, was zu tun war. Am Donnerstag fiel der Nachmittagsunterricht aus, weil die Lehrer eine Besprechung hatten. Iruka war (natürlich) auch dort und deswegen (und aus offensichtlichen anderen Gründen) kam Naruto mit Hinata nach Hause. Das Mädchen freute sich darüber. So schön es auch war, einfach mit ihm zusammen zu sein, auch in Gegenwart von anderen, es war doch etwas völlig anderes, wenn niemand sonst anwesend war. (Außer den Passanten auf der Straße und den Leuten, die mit ihnen auf die nächste Bahn warteten, und all jene, aber die zählten nicht.) Naruto küsste sie das erste Mal an diesem Tag auf dem Bahnsteig, legte ihr einen Arm um die Schultern und ließ sie dann nicht mehr los, bis sie in Hinatas Küche angekommen waren und begannen, das Mittagessen zu machen. Neji würde nicht kommen, weil er Vorlesungen hatte, aber Hanabi rauschte kurz nach ihnen in die Wohnung. Erst verschwand sie in ihrem Zimmer und gesellt sich dann zu ihnen in die Küche, um sich breit über Konohamaru, blöde Lehrer und die idiotische Schule im Allgemeinen auszulassen und über Narutos dumme Witze dazu zu lachen. Hinata genoss es, selbst wenn Naruto dadurch abgelenkt war, und seine Hilfe beim Kochen teilweise eher hinderlich war als etwas anderes. Aber das machte nichts. Narutos Stimme zu lauschen, ihn zu sehen, ihn und sein blondes Haar und seine Sommerhimmelaugen, wenn sie nur den Kopf drehte, seine Präsenz zu spüren und ihn und Hanabi gemeinsam lachen zu hören – das war etwas, was eine Saite tief in ihr zum Klingen brachte. Es war beruhigend und stark und versprach Geborgenheit und Frieden. Es machte sie glücklich. Sie wusste, dass Naruto von einigen Gedanken und womöglich Erlebnissen geplagt, die ihn aus dem Konzept gebracht hatten. Es war offensichtlich, zumindest für sie, so offensichtlich wie der Verband an seiner Hand. Sie würden sich nachher darüber unterhalten. Eigentlich hatte sie vorgehabt, ihn schon früher zu fragen, aber sie ahnte, dass es mit der Neitherworld zusammenhing und in der Schule sollte sie wirklich nicht danach fragen. Das Problem war nur gewesen, sich außerhalb der Schule, hier bei den Hyuuga, zu treffen. Iruka hatte Naruto die letzten Tage wegen des überraschenden Besuches der Tante, über die Naruto sich so aufregen konnte, eingespannt, darum hatten sie sich nicht treffen können. Da kam ihnen dieser freie Nachmittag gerade recht. Hanabi würde irgendwann verschwinden, entweder in ihr Zimmer um Hausaufgaben zu erledigen oder (was wahrscheinlicher war) nach draußen um sich entweder alleine zu beschäftigen oder eine ihrer Freundinnen aufzusuchen. (Oder um Konohamaru auf die Nerven zu gehen.) Da Kiba Dienst im Laden hatte, brauchte sich Hinata keine Sorgen darum zu machen, dass sie dafür eingespannt wurde. Sie konnte ganz in Ruhe Naruto all seine Gedanken und Probleme, die ihn gerade beschäftigten, aus der Nase ziehen, damit sie eine Chance hatte, ihm zu helfen. Sie hoffte nur, dass Naruto nicht allzu viel Widerstand leisten würde. Aber nach allem, was er in den letzten Tagen gesagt hatte, würde er das nicht tun, da auch er Antworten wollte und sich zumindest ein paar von der mit der Neitherworld erfahreneren Hinata erwünschte. Und wirklich, kaum war Hanabi nach dem Essen und dem Abwasch mit einem gebrüllten „Bis heute Abend!“ aus dem Haus verschwunden, änderte sich sein fröhlicher, spielerischer Gesichtsausdruck in einen ernsteren. Er zog einen Fetzen Papier aus der Tasche, knallte ihn auf den Tisch und schob ihn zu Hinata hinüber. „Was ist das?“, wollte sie wissen und nahm den Schnipsel auf. Er war nicht sonderlich groß, aber er reichte gut aus, um deutlich eine Adresse darauf zu schreiben. Sie kannte sie. Verwirrt blickte sie zu Naruto aus – dieser durfte von der Adresse eigentlich nichts wissen, da die Nische, in der sie sich befand, Naruto noch unbekannt war. Es war eine selten aus Spaß besuchte Gegend, da sie völlig uninteressant war. Im Grunde bestand sie nur aus Lagerhäusern. Nur Leute, die dort etwas zu erledigen hatten, gingen dort hin, weil es dort einfach nichts gab, weswegen man es sonst tun sollte. „Ich weiß, wo das ist.“, erklärte sie ihm. „Aber … was ist das? Woher hast du es?“ Naruto ließ sich neben sie auf einen Stuhl fallen. „Kurama hat es mir gegeben. Er sagt, die Schlangendämonen hätten dort Unterschlupf gesucht. Und dass sie vermutlich bereits wieder weg wären.“ Erstaunt starrte Hinata ihn an. Warum sollte der Youko Naruto unter die Arme greifen? Soweit sie wusste, tat Kurama nichts, was ihm nicht ebenfalls etwas brachte. Und dies hier… Es machte einfach keinen Sinn. „Er … hat mich besucht, in der Nacht nach meinem ersten Ausflug in die Neitherworld.“ Sie legte den Kopf schief, dachte daran, dass er bereits etwas dieser Art erwähnt hatte – oder doch nicht? – und fragte: „Warum hast du nichts gesagt?“ „Ich wusste doch nicht, dass er es war!“ Narutos frustrierter Ausbruch ließ sie zusammenzucken und einige Zentimeter auf der Bank zurückrutschen. Warum war er wütend mit ihr? Aber Naruto schien seinen Zorn nicht auf sie zu projizieren, denn seine Stimme wurde wieder sanfter, als er hastig hinzufügte: „‘tschuldigung. Er war … naja, er war ein ausgewachsener Youko und wie soll ich Kurama mit dem Youko verbinden?“ „Kuramas Fall ist … kompliziert.“, bemerkte Hinata leise. „Er ist sehr alt, aber irgendwann wurde sein Geist in einen menschlichen Fötus transferiert. Ich weiß nicht, warum oder wieso, aber …“ Sie hob die Schulter. „Beide Gestalten sind seine eigenen und es heißt, auf diese Weise ist er weitaus stärker als er nur als Dämon je hätte werden können. Aber ich weiß keine Details und es sind alles kaum mehr als Gerüchte, also würde ich da nichts als bare Münze nehmen. Nur nimm eins als Warnung, Naruto. Kurama ist ein gefährlicher Mann. Er kennt keine Skrupel und tut nichts, was ihm nicht auf die eine oder andere Art zugute kommt.“ „Das verstehe ich nicht.“, bemerkte Naruto. „Also – ich meine, Kurama und Youko und das ganze.“ Sie lächelte leicht. „Das tue ich auch nicht. Vielleicht tut nicht einmal Kurama selbst es. Aber es spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass du weißt, dass Kurama und der silberne Youko ein und dieselbe Person sind.“ Naruto dachte für einen Moment darüber nach. Er schien schließlich zu einem Ergebnis zu kommen und pflückte den Zettel aus ihrer Hand. „Dann kann ich dieser Information nicht trauen?“, wollte er wissen. „Ich weiß es nicht. Vielleicht stimmt sie.“ „Aber du sagtest doch gerade, dass Kurama…“ „Vielleicht ist sein Gewinn aus dieser Sache, dass es ihm einfach Spaß macht, dich herumzuscheuchen, Naruto.“, erklärte Hinata. „Ich werde nicht vorgeben, ihn zu verstehen, aber Kurama ist ein Youko und Fuchsdämonen sind im Allgemeinen sehr spielerisch, auch wenn sie sehr oft Grausamkeit dazu zu mischen. Ein bisschen wie die Feen, die Menschen aus purem Vergnügen in die Irre locken.“ „Hm. Also können wir es nicht wissen?“ Hinata schüttelte den Kopf und griff nach seinen Händen und ließ ihre Finger sich mit Narutos verschränken. „Kurama sagte, er findet mich interessant. Darum ist er in dieser Nacht bei uns eingebrochen und hat mir in dem Kampf gegen die Schlangen geholfen und mir die Adresse gegeben. Außerdem hat er gesagt, ich wäre auch ein Youko.“ Hinata braucht einen Moment, die Information einsickern und auch sich wirken zu lassen. Dann riss sie erstaunt die Augen auf. Naruto, ein Youko?! Einer dieser wirklich mächtigen Fuchsdämonen, aus der Linie von dem mächtigen Kyuubi? Einer dieser diabolischen Spaßvögel, deren Scherze gern mal in Mord und Totschlag endeten oder einfach nur in Grausamkeit? Einer dieser leichtlebigen Abenteurer und Glücksritter, die nach ihrem eigenen Willen und Gewissen handelten und völlig frei waren? Einer dieser Verwandlungs- und Illusionskünstler, die zu gerne auf gegenständliche Gewalt und körperliche Präsenz zurückgriffen? Konnte das sein? Denn – es passte. Nejis Überlegungen über Naruto, ihre eigenen Gedanken, die Taten von Narutos Eltern, Naruto selbst… Und vielleicht konnten sie darum Kuramas Information über den Unterschlupf der Schlangen tatsächlich trauen. Nein, nicht vielleicht – wahrscheinlich sogar. Youko mochten oft Einzelgänger sein, aber sie gingen anderen ihrer Art eher aus dem Weg, als dass sie sich auf einen Kampf einließen. Es gab nicht viele von ihnen und ein seltsamer Sinn von Verbundenheit und Gemeinsamkeitsgefühl hielt sie zusammen. Alles in allem griffen sie sich gegenseitig recht häufig unter die Arme, wenn ihnen keine Gefahr von dem jeweils anderen drohte. Und jemand wie Kurama hatte von jemandem wie Naruto nichts zu befürchten. Es würde keinen Sinn machen, dass die Information sie in eine Falle führte. Vielleicht war sie falsch, aber dann hatten sie nur einen sinnlosen, aber ungefährlichen Ausflug in eine der trostloseren Gegenden der Neitherworld gemacht. Und irgendwann musste Naruto auch die sehen. Sie blickte ihn an, sah die Anspannung und Erwartung in seinem Gesicht. Er wartete auf ihre Einschätzung, ihre Bemerkung dazu. Er vertraute ihr. Dieses Wissen senkte sich wie eine warme Decke über ihn und sie versprach im Stillen, ihn niemals darin zu enttäuschen. „Das kann sein, Naruto.“, sagte sie dann und lächelte. Naruto schien ein riesiger Stein vom Herzen genommen worden zu sein, denn er sackte erleichtert in sich zusammen. Sie bestärkte ihre Aussage noch einmal, ganz sicher diesmal. „Das ist sogar sehr möglich.“ Sie drückte seine Hand. „Ich denke, dass es stimmt.“ Sie nahm ihm vorsichtig den Zettel ab. „Und jetzt lass uns gehen, Neji abholen und diese Adresse aufsuchen. Vielleicht bringt uns das etwas weiter. Oder auch nicht. Diese Schlangendämonen sind doch nur Bettler und Diebe.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)