Erdbeereis von abgemeldet ================================================================================ The Last Goodbye ---------------- Mit zehn Jahren war Shaye das erste Mal in der fünften Klasse sitzen geblieben. Kurz nach seinem elften Geburtstag saß er mit seiner Mutter und seinem Vater im Flugzeug nach Oklahoma, denn sie wollten zu Onkel Perry und Tante Kat und Sam. Sam war Shayes bester Freund. Er war etwas älter als Shaye und deshalb auch etwas größer. Aber nur ein paar Monate. Eigentlich waren sie beide elf. Und elf zu sein hieß, sehr alt zu sein. Es war später Abend, als sie im blassblauem, amerikanischen Vorstadthaus seines Onkels ankamen und Shaye war viel zu müde, um Tante Kats Kekse zu essen, oder Onkel Perrys Fragen zu beantworten. Doch er fand, dass er mit elf schon alt genug war, um allein ins Bett zu gehen. So sagte er seiner Familie „Gute Nacht“, und stieg die Treppe hinauf. Es war dunkel. Doch unter Sams Zimmertür her kam Licht. Und zog Shaye an wie eine Motte. Er ging zu der Tür, legte die Hand auf die Türklinke und drückte sie runter. Die Tür schob sich auf. Das Licht kam vom Bett aus, die Nachttischlampe brannte. Doch Sam schlief. Sein Gesicht lag auf einem roteingeschlagenem Buch. Seine Lippen waren etwas geöffnet und sein Atem sog und blies eine seiner Haarstähnen an und weg. Shayes Herz hüpfte, er lächelte, schloss die Tür und ging zu Sam. Setzte sich zu ihm aufs Bett. Nahm das Buch und legte es neben die Lampe, welche er dann ausschaltete. Er legte sich neben seinen Freund, seufzte zufrieden und schlief ein. „Nein!“ Schrie der Junge und lief die Treppe hinauf, hinter seinem Cousin her, der in seinem Zimmer am Ende des Flures verschwand. Sie schlugen die Tür zu, Sam drehte den Schlüssel in seinem Schloss, sodass die Tür verschlossen war, und sie liefen weiter, durch das Zimmer, hinein in Sams Kleiderschrank. Er zog die Tür zu und hockte sich zu Shaye, der schon zusammen gekauert in der hintersten Ecke, versteckt unter herumliegender Kleidung und Kissen saß und von der Anstrengung, hier her gerannt zu sein, zitterte. „Ich werde das nicht zulassen.“ sagte Sam und tätschelte Shayes Kopf. Er setzte vor ihn und war bereit, Shaye vor alles zu beschützen. „Ich werd' dich vor ihnen beschützen. Sie werden dich nicht mitnehmen.“ Ein Klopfen ließ ihre Atem gefrieren. „Sam! Shaye!“ Kats Stimme war streng und genervt, als sie gegen die Kinderzimmertür hämmerte. „Mach die Tür auf. Shaye, komm jetzt her!“ „Shaye, hier ist Mama“, sagte nun auch Shannon, viel gutmütiger und mitfühlender und die Anspannung in den Kindern nahm ein wenig ab. „Wir müssen jetzt wirklich los gehen, Shaye, sonst verpassen wir das Flugzeug.“ „Dann bleiben wir!“ Rief Shaye in ihre Richtung und klammerte sich an eines der Kissen. Er wollte nicht nach Hause fliegen. Er wollte nicht weg von hier. Shaye wollte bei seinem Cousin bleiben. Bei Sam. Die Frauen verstummten und es schien so, als seien sie gegangen. Beredeten sie, ob Shaye hier bleiben dürfe? Er war sowieso nicht gut in der Schule. Er könnte ja hier anfangen, mit Sam zusammen auf die Junior High School gehen. Er lächelte. Unbemerkt. Und sah zu Sam. Der lauschte an der Tür, sah dann zu Shaye hinab und lächelte auch: „Ich glaub', sie sind weg.“ Er ließ sich zu Shaye auf den Boden fallen und rückte näher an ihn heran, so nah, dass sie sich berührten. Shaye durchzog ein Schauer. Sein Herz wurde schneller. Sam legte seinen Kopf auf Shayes Schulter. Shaye wurde warm. „Dann können wir fürimmer zusammen sein“, flüsterte Shaye und legte seine Hand auf Shayes Arm. Mit einem Mal fühlte der sich sehr unwohl. Es war warm, er war verunsichert, zitterte und wusste nicht, was er erwidern sollte, was er denken sollte und wie er Sam ansehen sollte. Der lächelte. Und rückte vor Shaye, ohne Distanz zwischen ihnen zu bringen. Seine Augen waren braun, aber so offen, sie leuchteten und Shaye meinte, Hoffnung in ihnen lesen zu können. Hoffnung, die mit einem Mal erschlagen werden würde. Als Sam sich vorbeugte. Und Shayes Gesicht so nah kam. Als Sam die Augen schloss, seine Lippen spitze und sie auf Shayes drückte. Ein Beben durchdrang Shayes Körper. Sein Herz schlug so schnell, dass er es in seinem Kopf hörte und ein seltsam aufregendes Gefühl floss in seine Beine und Arme. Er hob die und drückte Sam von sich. Den Blick abgewandt stand er auf, verließ den Kleiderschrank, öffnete die Kinderzimmertür und ging zu seinen Eltern. Ohne ihn anzusehen. Ohne Tschüss zu sagen. Er verließ das blassblaue amerikanische Vororthaus und würde sieben Jahre nicht wieder kommen. Shaye erwachte. Er lag am äußersten Rand des großen Bettes, die warme Decke um sich geschlungen. Er drehte sich zu Sam um, der schlief, sehr tief, auf der anderen Seite, das Gesicht zu ihm gewandt. Die Wangen waren leicht gerötet, blonde Haarsträhnen verdeckten die geschlossenen Augen und der Mund war leicht geöffnet. Und ebenfalls etwas rot. Shaye schluckte hart. Das tat weh. So leise und vorsichtig er konnte, stieg er aus dem Bett, den Blick nicht von Sam abgewandt. Er nahm sich seinen rosafarbenen Rucksack, griff nach Sams Kreditkarte und seinen Schuhen und verließ leise das Zimmer. Als die Tür geschlossen war, atmete er tief durch, zog sich schnell die schwarzen Stoffschuhe über die kleinen Füße, dann lief er los. Durch den Flur, die Treppe hinunter, verließ das Hotel und lief drei Blocks weit weg, eher er anhielt, weil er sich merkwürdig schwindelig fühlte. Adrenalin schoss durch seine Venen und er hatte noch immer das Gefühl, soweit weg wie nur möglich zu müssen. Als er wieder etwas bei Atem war, sah er auf. Schaute sich um. Erkannte nichts. Und war hoffentlich weit genug weg vom Hotel. Von Sam. Von seinem Cousin. Er konnte ihn nicht sehen. Ihn nicht anfassen. Er wollte nicht einmal an ihn denken. Diesen Jungen. Und ihm wurde schlecht, als er an den Abend dachte. An Anson Ace und die Gefühle, die ihn einfach übermannt hatten, denen er sich hingegeben hatte. Und schmerzhaft erinnerte er sich an seinen Traum. An die Vergangenheit. An den Tag, an dem er das Letzte mal in Coldwater gewesen war. Shaye schüttelte sich, versuchte, die Gänsehaut und das schmerzende Gefühl in seiner Brust loszuwerden und ging dann weiter; den Rucksack in seiner Hand, die Haare im Gesicht und dem ewigen Rufen in seinem Kopf. Nach Hause. Er wollte nach Hause. Und der Schock der Erkenntnis saß noch tief in seinen Knochen. Er ließ sich vom nächstbesten Taxi zum örtlichen Flughafen bringen, zahlte die offene Rechnung mit Sams Kreditkarte und am Will Rogers Airport in Oklahoma hatte er das Glück, einen der letzten freien Plätze des Fluges 755 über New York Richtung nach Hause zu bekommen. „Nach Deutschland“, waren seine einzigen Worte. Die junge, hübsche Lady tippte. Sie lächelte. Unhöflichkeit war sie gewöhnt, doch selbst stets darauf bedacht, höflich zu Kunden zu sein. „Continental Airlines, Flug 755 zum Frankfurt International Airport um 7:55 von Terminal 4, Economy Class für Eintausendeinhuntertundeinundsiebzig Dollar und siebenundvierzig cent?“ Shaye starrte die Blonde Frau an. Müde noch von der kurzen Nacht, angeschlagen vom Ausnüchtern und unklar im Kopf von den ganzen Gefühlen, die Überhand hatten, verarbeitete er die Informationen langsam und stellte letztendlich fest, dass er mit den meisten davon nichts anfangen konnte. Nur die wichtigsten Fakten spulte er drei mal in seinem Kopf ab, bevor er nickte und der Lady Sams Kreditkarte hinlegte. Die halbe Stunde bis zum Abflug verging schnell und als er letztendlich Terminal 4 erreichte und sein Flugticket vorzeigte, ertönte hinter ihm sein Name. „Shaye!“ Rief Sam in der Hoffnung, er würde ihn hören. In dem Moment nahm die Frau am Gate sein Ticket entgegen. „Shaye!!“ Rief er noch mal laut und lief weiter. Der Dunkelhaarige stutzte. Er hielt kurz inne, bevor er, ohne sich um zudrehen weiter ging. „SHAYE!“, brüllte Sam schon und erreichte die Absperrung, welche er nicht passieren konnte. Gestörte Geschäftsmagnate und eine Gruppe junger Frauen sahen ihn verwirrt an und spähten dann in die Richtung, in welche er so gebannt starrte. „Shaye.“ sagte er noch einmal, und seine Stimme klang so brüchig und verzweifelt, dass es selbst sein eigenes Herz zerriss. Und auch ihn rührte es. Er blieb stehen. Sank den Kopf. Dann drehte er sich um. Sein Gesicht war blass, und wunderhübsch, seine Schultern hingen herab, die dünnen Arme hielten sich kraftlos am Rucksack fest und die Hände zitterten. Die schwarzen Strähnen in seinem Gesicht glänzten genauso wie seine großen, feuchten Augen, die ihn erwartend anstarrten. Er war unsicher. Er wusste nicht, wie er sich benehmen sollte. Doch Sam war sich seiner selbst noch niemals so sicher gewesen. Er hatte soviel Mut mitgebracht, wie er hatte finden können, nachdem er im Hotelzimmer aufgewacht war und keine Spur von seinem Cousin zu finden gewesen war. Er hatte gewusst, wo Shaye hingegangen war. Denn er kannte Shaye. Er kannte diesen Jungen, obwohl sie erwachsen geworden waren. Obwohl sie sich Jahre lang nicht gesehen hatten. Nicht ein Wort miteinander gewechselt hatten. Nicht einmal Briefe geschrieben oder bekommen hatten. Sieben Jahre des gänzlichen Ignorierens lagen hinter ihnen, sieben Jahre, die jeden hätten auseinander gebracht, aber die nicht Sam von Shaye getrennt hatten. Sam trat an die Absperrung heran, um ihn näher zu sein. „Shaye, ich liebe dich!“ Eine Träne bahnte sich ihren Weg über Sams Wange und seine Unterlippe begann, zu zittern. „Ich liebe dich“, wiederholte er leise, und nichts um sie herum war mehr da. Nur Shaye. Shaye, der sich nicht rührte. Der ihn einfach nur ansah, mit seinen feuchten, grünen Augen. Und sich dann umdrehte. Und davon ging. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)