Warum hört dich keiner... von Giluli (außer mir? »Neues in Gilulis Laberecke *hust*<<) ================================================================================ Kapitel 1: Schatten des Tages ----------------------------- Also erst mal vielen Dank, dass ihr überhaupt so weit guckt und euch das hier vielleicht sogar noch durchlest >.< Ist für meinen Geschmack bisschen zu viel geworden, leeeeeeeeeeeeeeest aber trotzdem xD -------------------------------------------------------------------------------- Kapitel 1: Ein grauenvoller Tag Der Busfahrer drückte noch einmal auf das Gaspedal und raste nun in einem Affentempo ohne Rücksicht auf Verluste durch die Straßen. Es war kurz vor acht und wie so oft viel zu spät, als dass er erst jetzt die Brücke zu den Parkplätzen des Gymnasiums passierte. Der Junge neben mir fluchte verärgert. »Ich krieg gleich einen Raster! Der Richter erschlägt mich, wenn ich schon wieder zu spät komme. Er hasst mich!« Er ließ gekränkt den Kopf hängen und verschränkte die Arme vor der Brust. Eine seiner honigblonden Haarsträhnen, die ansonsten perfekt nach hinten gestylt und mit Gel befestigt waren, fiel ihm ins Gesicht. »Du wirst es schon überleben,« gähnte ich müde. Ich hatte nicht wirklich Lust mich mit den Problemchen des anderen zu befassen. Ich wusste ohnehin, dass dies gleich jemand anderes für mich übernehmen würde. »Glaub mir Chris! Er hasst dich nicht, weil du vielleicht mal zu spät gekommen bist.« Chris wandte sich um und funkelte das Mädchen wütend an. »Und was geht’s dich an, Zicke?« Der Name des eben so liebevoll angesprochenen Mädchens war Thi Xiun Nguyen, kurz Xiu. Sie war Vietnamesin und bildhübsch. Von der Statur her wirkte sie fast elfenhaft, so schmal und zierlich wie sie war und ihr ungewöhnlich hübsches Äußeres wurde zusätzlich noch von den langen typisch asiatisch schwarzen Haare noch unterstrichen. Sie war, wie auch Chris, einer meiner besten Freunde. Jedoch konnte ich sie um einiges mehr leiden, als den großen durchtrainierten Jungen. Der war mir ein klein wenig zu....übertrieben. Ja das war das richtige Wort und zwar in allem was er tat. Verdammtes affektiertes Gehabe! Es war nervig! Und es dummerweise zeigte seine Art auch noch Wirkung! Warum auch immer, er war furchtbar beliebt! Wie eigentlich meine ganze Clique und somit auch ich! »Ich meine doch nur, wenn du vielleicht ab und zu mal deine Hausaufgaben machen würdest, anstatt stundenlang vor dem Spiegel zu stehen und deine Haare mit Gel voll zu kleistern, hättest du auch kein Problem mehr mit den Lehrern!« Recht hatte sie, aber es würde mir nicht im Traum einfallen das nun laut Kund zu tun, ganz davon abgesehen, dass mir das überhaupt nicht möglich gewesen wäre, da augenblicklich eine weitere Welle von wilden Beschimpfungen und Beleidigungen Chris´ Mund verließen, sodass wohl bereits der ganze Bus an der Unterhaltung teilhaben konnte. Es war der Moment, in dem ich mich wie gewöhnlich ausklinkte und dem Gespräch gar nicht weiter zuhörte. Ich hatte ohnehin schon eine geradezu unterirdisch schlechte Laune, da brauchte ich die der beiden anderen nicht auch noch über mich ergehen lassen. So starrte ich genervt aus dem Fenster und hoffte der Morgen möge so schnell wie möglich vorüber gehen. Als wir das Schulgelände dann, nach einem unglaublichen Rennen mit der Zeit, tatsächlich erreichten, überspannte den Himmel eine dichte Wolkendecke. Leichter Nieselregen setzte sich von ihm ab und durchnässte nach einiger Zeit alles, was nicht das Glück hatte im Besitz eines Regenschirms zu sein. Ich seufzte betrübt und zog meinen Schal enger. Es war Herbst geworden und dieser schien es in diesem Jahr mit der Pünktlichkeit äußerst ernst zu nehmen, denn seit genau einer Woche schickte er uns seine liebsten Grüße zur Erde und beglückte alles und jeden mit Dauerregen, Kälte und Stürmen; sehr zu meinem Bedauern. Dicht gefolgt von zwei weiteren Jungen, die ebenfalls das Missvergnügen gehabt hatten mit dem verspäteten Bus eingetroffen zu sein, beeilten wir uns so schnell wie möglich zum Unterricht zu kommen, um unserem Lehrer nicht doch noch einen Grund zu geben einen Mord an Chris zu begehen. So stürmten wir durch die Gänge und traten gerade noch rechtzeitig zum Läuten der Schulglocke in unserem Klassenzimmer ein. »Glück gehabt, meine Herren!« Herr Richters Blick überflog kurz unsere Gruppe und blieb dann an mir hängen. Ein süffisantes Lächeln umspielte seine Lippen. »Lassen sie mich raten, Leon! Der Bus hatte Verspätung.« Er schnaubte verächtlich. »Vielleicht sollten sie sich lieber mit der Limousine umherkutschieren lassen, dann würden sie womöglich auch mal rechtzeitig zu meinem Unterricht erscheinen. Ich zog empört die Augenbrauen zusammen. »Aber sie haben doch eben noch gesagt, dass wir rechtzeitig waren!« »Nun,« er wandte seinen Blick ab und begann einige Namen in dem grünen Tagebuch zu vermerken. »Ich kann mich erinnern, dass es bereits geläutet hat und sie immer noch nicht auf ihrem Platz sitzen. « Ich rollte kopfschüttelnd die Augen, sagte aber nichts mehr und machte mich auf den Weg zu dem hintersten Platz im Raum. Woah! Wie ich diesen Kerl hasste! Alles an ihm! Die Art wie er redete. Die Art wie er mit mir redete! Seine stechenden grauen Augen, das kurze fettige Haar und dieses verdammte rosa T-Shirt, dass er sich, so oft wie er es trug, sicherlich im Fünferpack gekauft hatte! Nicht zuletzt hasste ich ihn dafür, dass er das Fach Mathematik unterrichtete, was meiner Meinung nach eines seiner größten Vergehen an der Menschheit war. Zusätzlich machte mir dieser Mistkerl immer wieder nur zu gern klar, was er von mir hielt, was leider nicht sehr viel war. Meine Familie war sehr wohlhabend. Mein Vater war der Bürgermeister und wie es schien hatte der Richter ein absolutes Problem damit und somit auch mit mir. Wie er mich doch aufregte! Als ich an meinem Platz ankam wurde ich sofort von meinem Nebensitzer und besten Freund Flo begrüßt. Er hatte halblanges schwarzes Haar, dunkelgrüne Augen und eine sportliche Statur. Um seinen Hals hatte er sich einen roten Schal gebunden und er trug eine graue Jacke. Flo war ein richtiger Sunnyboy und schaffte es selbst in Momenten wie diesen mich aufzuheitern (welche es zu seinem und meinem Pech leider viel zu häufig gab). »Hi Leo!« »Hey,« brummte ich und setzte mich auf meinen Suhl. Mürrisch begann ich meine Sachen auszupacken. Der Braunhaarige grinste noch breiter und rutschte näher, um nicht so laut reden zu müssen. »War der böse reiche Junge etwa unpünktlich?« »Halt die Klappe, Flo!« Eigentlich wollte ich ihn nicht anfahren, aber er provozierte es. Außerdem musste ich an irgendjemandem meine Laune rauslassen und mein Freund würde es mir ohnehin nicht übel nehmen; das tat er nie. Er musterte mich einen Augenblick. »Jetzt zieh doch nicht so eine Fresse hin!« Ich schnaubte. »Dieses Arschloch regt mich schon wieder auf!« Ich starrte düster zu dem Lehrer, der gerade dabei war die Hausaufgaben von letzter Woche abzufragen und Chris einen Vortrag zu halten, da dem diese wie üblich fehlten. »Lass den Idiot doch reden,« flüsterte Flo aufmunternd. »Hör einfach nicht hin und ignorier ihn!« »Wie denn, wenn der doch schon mit der festen Absicht hier herkommt mich fertig zumachen?« Flo lachte leise. »Ach komm schon!« Er knuffte mich leicht in die Seite. Ich sagte nichts. »Hör endlich auf zu schmollen!« Er begann etwas an mir zu rütteln und lachte solange, bis ich doch wieder mitlachen musste. »Leon. Florian. Sind sie beide schon so gut mit dem Stoff vertraut, dass sie es nicht mehr nötig haben meinem Unterricht zu folgen, oder warum belästigen sie uns mit einer derart lauten Geräuschkulisse?« Herr Richter sah uns mit einer Augenbraue nach oben gezogen forschend an. »Klar doch,« antwortete Flo leise und musste sich ebenso wie ich ein weiteres Lachen verkneifen. »Wie bitte?« »Öhm ... ich meinte Nein! Natürlich nicht!« sagte Flo schnell lauter. Ich boxte ihm leicht in die Rippen. »Dann würde ich ihnen raten in Zukunft mit der nötigen Aufmerksamkeit meinem Unterricht bei zuwohnen. Es würde ihnen beiden nicht schaden...besonders ihnen, Leon.« War irgendwie klar, dass da noch so ein Spruch kommen musste. »Nun gut,« machte Richter weiter. »Dann würde ich sagen Leon lässt uns jetzt an seiner neu gewonnenen Aufmerksamkeit teilhaben und verrät uns seine Lösung der 5b.« Er lächelte böse. Natürlich hatte ich die Hausaufgaben. Ich konnte es mir bei diesem Lehrer bei Gott nicht leisten sie nicht zu haben. Also las ich sie missmutig vor und stellte anschließend zu meiner Verwunderung fest, dass mein Ergebnis sogar richtig war. Den Rest der Mathestunde verbrachte ich dann damit mich so gut wie möglich unauffällig zu verhalten, da ich Richter unter keinen Umständen eine weitere Möglichkeit geben wollte mich vor der Klasse bloß zustellen, was mir glücklicherweise auch gelang. Nach Mathe hatten wir erst mal Pause. So trotteten Flo, Chris, Xiu und ich zur Cafeteria, wo sich kurz bevor wir ankamen ein weiterer Junge und ein Mädchen zu uns gesellten. Sie waren im selben Jahrgang wie wir, jedoch in anderen Kursen. Ihre Namen waren Cem und Lydia und sie vervollständigten unsere Gruppe. Cem war Türke und sehr groß gewachsen. Er spielte zusammen mit Chris Fußball und hatte ebenso wie dieser einen sehr hohen Beliebtheitsgrad unter den Schülern. Ich mochte ihn. Im Gegensatz zu seinem Teamkollegen war er eher ruhig und hatte nicht immer den ständigen Drang im Mittelpunkt zu stehen, wofür ich sehr dankbar war. Zweimal Chris wäre wohl auch zu viel des Guten gewesen. Lydia war das absolute Gegenteil von Xiu. Sie war das It-Girl unserer Schule. Blond, groß, schlank und sexy. Auch sie stammte aus einer wohlhabenden Familie und war dementsprechend auch gekleidet. Als wir in der Cafeteria ankamen suchten wir uns erst einmal einen Platz, was in unserem Fall gar nicht schwer war, da viele meinten sich einschleimen zu müssen und uns ihren anboten. Hach ich liebte meine Freunde! Daraufhin holten wir uns alle etwas zu essen und versuchten erst einmal zu identifizieren, was der Matsch darstellen sollte, der sich da auf unseren Tellern befand. Dann ging das übliche Getratsche los und ich durfte mir anhören, was sich Lydia alles auf ihrer letztes Shoppingtour gekauft hatte (und das war nicht wenig!) Spannend. Für ein solches Weibergespräch hatte ich jetzt mal echt gar keinen Kopf. Gelangweilt kehrte ich der Damenrunde den Rücken zu (was hatte ich hier überhaupt gemacht?) und wandte mich Chris, Flo und Cem zu, die sich, allen voran Chris, wieder mal fürchterlich über Richter aufregten. »Meiner Meinung nach hat der Kerl ein viel zu großes Ego!« plusterte Chris sich auf. »Oder ein zu kleines!« lachte Flo, der die ganze Sache wieder mal nur halb so tragisch sah wie die anderen. »Mir egal, ob es zu groß oder zu klein ist! Er soll mich damit in Ruhe lassen!« mischte ich mich jetzt in das Gespräch ein. »Wieso hat er wieder auf dir rumgehackt?« sagte Cem an mich gewandt und biss in sein Brötchen. »Aber hallo!« Wütend verschränkte ich die Arme. »Wir sind nur ein kleines bisschen- was rede ich da? Wir sind NICHT zu spät gekommen! Außerdem hatte der Busfahrer Schuld! – und dann hat mir dieser Kerl einen Vortrag gehalten von wegen ich soll doch mit der Limo kommen, um auch ja rechtzeitig zu seinem tollen Unterricht zu erscheinen! Ist euch aufgefallen wie oft er heute „mein Unterricht“ gesagt hat? So toll ist sein Unterricht auch wieder nicht!« Ich zog einen Schmollmund und trank einen Schluck Kaffee. Chris hatte während meiner Ansprache einige Male zustimmend genickt. »Was hat der denn eigentlich gegen dich?« fragte Cem ruhig. »Ach der ist nur eifersüchtig,« antwortete Flo amüsiert. »Der hat ei Problem damit, dass Leos Familie Geld hat und er nicht.« »Kann er meinetwegen gerne haben,« murrte ich und hob kurz die Augenbrauen. »Aber er soll mich damit nicht nerven!« »Frag doch mal deinen Vater, ob er irgendetwas wegen ihm machen kann,« begann Cem, ehe er von Chris unterbrochen wurde und dieser stürmisch fortfuhr. »Gute Idee! Der hat doch sicher die nötigen Mittel und Wege den Richter von der Schule werfen zu lassen!« Der Blonde grinste böse. »Ja klar und wenn es nicht klappt hasst er mich noch mehr und ich kann mir mein Abi sonst wo hinstecken! Herzlichen Dank! Darauf kann ich liebend gern verzichten. Außerdem hat mein Vater im Moment wahrscheinlich sowieso besseres zu tun, als sich um meine kleinen Problemchen zu kümmern. Wegen der Arbeit und der Wiederwahl und so.« »Na ja,« murmelte Chris. »Meine Stimme hätte er!« Wir lachten. Auf einmal begann Flo mir heftig auf die Schulter zu klopfen. »Leo! Leo! Leo! Guck mal, wer da kommt!« Er zeigte zum Eingang der Cafeteria. Und da stand sie! Der Traum meiner schlaflosen Nächte, einer griechischen Göttin gleich wie sie nur von einem anderen Gott in all ihrer Schönheit und Perfektion hatte erschaffen werden können. Emily. Ich bekam augenblicklich Gänsehaut und begann sie wie ein Trottel anzustarren, nicht imstande irgendetwas zu sagen. Sie hatte schwarze Engelslocken, die sanft die schmalen Züge ihres geradezu makellosen Gesichtes umspielten. Ihre Haut war blass, wirkte aber vornehm und die dunklen großen Augen bildeten einen perfekten Kontrast ihr. Ein dunkelbrauner Rollkragenpullover fügte sich sanft an die Konturen ihres zierlichen Körpers und unter dem kurzen Rock erkannte man ihre langen schmalen Beinen. Emily war in jeder Hinsicht perfekt, bis auf die Tatsache, dass sie mir aus irgendeinem Grund so unerreichbar schien, was allerdings weniger an ihr, als vielmehr an mir selbst lag. Warum auch immer ich hatte es das ganze Jahr, in dem ich sie nun kannte, kein einziges Mal geschafft sie wirklich anzusprechen. Selbst als Xiu, mit der sie ziemlich gut befreundet war, versucht hatte uns irgendwie näher zu bringen hatte ich es vermasselt. Ich war nicht schüchtern oder so, aber....doch ich war es! Aber nur bei ihr! Sie war einfach so toll und... »Hey Alter, wenn du sie weiter versuchst mit deinen Blicken auszuziehen, bin ich leider gezwungen dich noch wegen sexueller Belästigung anzuzeigen!« Flo lachte amüsiert und auch die anderen beiden stimmten mit ein. »Ach lass mich doch in Ruhe!« zischte ich und stocherte verlegen mit der Gabel und der brauen Pampe, die wohl Schokopudding darstellen sollte. »Mann seit einem Jahr schleichst du der jetzt hinterher,« sagte Chris grinsend. »Wann sprichst du sie endlich mal an?« »Wenn der richtige Zeitpunkt kommt,« stellte ich ernst fest. Chris verdrehte die Augen. »Scheiß Romantiker immer! Darf ich sie wenigstens schon mal warm laufen lassen, bis du kommst?« »Untersteh dich du Wichser!« fuhr ich ihn an und beäugte ihn mit einem Blick der Kategorie >Wenn Blicke töten könnten<. »Du machst ja aber nichts!« »Sie ist nicht eine von deinen kleinen Schlampen!« Flo und Cem kicherten vergnügt vor sich hin. »Wie auch immer...« Chris gähnte und streckte die Arme. »Ich hoffe der richtige Zeitpunkt kommt bald, damit wir uns nicht mehr ständig dein dummes Gesicht ansehen müssen, wenn die kleine den Saal betritt.« Mit diesen Worten läutete es und die Schülermassen verließen nach und nach die Cafeteria, um sich auf den Weg zu den Fachräumen zu machen. Wir trennten uns. Flo, Xiu, Chris und Lydia gingen in Richtung der Zeichensäle, während Cem und ich den Weg zu den Musik räumen einschlugen. Musik gehörte so ziemlich zu meine Lieblingsfächern, was nicht etwa daran lag, dass ich besonders musikalisch oder in der Lage war irgendwelche Pünktchen in eine Melodie umzuwandeln. Nein. Das einzig tolle an Musik war, dass man hier absolut überhaupt gar nichts tun musste. Cem und ich saßen in der letzten Reihe und Herr Bauer, unser Lehrer, hatte es schon längst aufgegeben uns dazu zu bringen aufzupassen. Die Stunde war bereits zur Hälfte vorüber und ich malte seit einiger Zeit irgendwelche Smileys auf den Tisch. Vorne hielt ein Junge ein Referat über eine Rockband; Linkin Park oder so. Ich passte nicht wirklich auf. Eine Weile lang musterte ich ihn gelangweilt. Sein Name war Seiji; glaubte ich zumindest. Für gewöhnlich merkte ich mir die Namen solcher Personen nicht. Er hatte sein pechschwarzes Haar nach oben gestylt, sodass es wirr in alle Himmelsrichtungen ragte, ohne dass ich eine wirkliche Frisur darin erkennen konnten. Hier und da entdeckte ich einige bunte Strähnchen. Er trug zu beiden Seiten seiner Unterlippe einen Piercing und eine Sonnenbrille auf dem Kopf. Freak! So viel ich wusste war er der Schlagzeuger der Schulband, deren Musik- na ja- nicht ganz meinen Geschmack traf. Einige sahen das, was sie da verpraktizierten, vielleicht doch als eine Art Kunst an oder fanden es am Ende tatsächlich noch toll!!....Ich persönlich nannte es einfach nur Krach. Ich hatte sie nur einmal gehört und wenn ich ehrlich war, war ich auf ein weiteres mal nicht wirklich aus! Ich gähnte und widmete mich wieder meiner Tischmalerei, als sich plötzlich Cem zu mir rüber beugte. Er wirkte verschlafen und schien seiner Langeweile nun ein Ende bereiten zu wollen. »In zwei Monaten ist Weihnachten.« Ich zögerte kurz und sah ihn verwirrt an. »Jaaaaa...Gut erkannt.« »Nein. Nein,« machte er schnell weiter, als er meinen irritierten Gesichtsausdruck bemerkte. »Du hast doch vorhin von dem richtigen Zeitpunkt geredet.« »Ja schon...Und?« Ich verstand kein Wort. »Na ja, kurz vor den Weihnachtsferien wird wieder ein Abiball organisiert.« Er lächelte verheißungsvoll. »Du meinst ich soll Emily fragen, ob...!« platzte es aus mir leider etwas zu laut heraus. Ich schlug die Hand vor den Mund. Herr Bauer funkelte mich warnend an. Im Hintergrund lief gerade „Shadow of the Day“ als Musikbeispiel für Linkin Park. Ich warf dem Lehrer einen entschuldigenden Blick zu und er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf das Referat. Wieder Cem zugewandt sprach ich flüsternd weiter. »Ich soll Emily fragen, ob sie mit mir auf den Ball geht?« »Einen noch richtigeren Zeitpunkt wirst du wohl kaum bekommen.« Er grinste breit und entblößte seine weißen Zähne. Ich überlegte kurz, während Cem noch etwas hinzufügte. »Stell dir nur vor wie romantisch das wäre: Ihr beide, du und Emily, eng umschlungen auf der Tanzfläche, in einem leichten Dämmerlicht und dann sagst du es ihr.« »Das hört sich so schön an,« sagte ich in einer fast schon weinerlich gerührten Stimme, die, wie mir auffiel, schon wieder lauter wurde. »Und das beste ist: Alle kriegen es mit! Damit stiehlst du sogar Chris die Show.« Ich ignorierte seinen letzten Satz. Mir war klar gewesen, dass es Cem ohnehin nur darum ging Chris eins auszuwischen. Nette Freundschaft, aber wen interessierte das? Der Türke hatte ja in gewisser Hinsicht Recht. Es wäre wirklich der perfekte Zeitpunkt. In meinem Bauch begannen schon wieder tausende von Schmetterlingen wild umher zuflattern, wie sie es immer taten, wenn ich an Emily dachte. »Aber ich trau mich nicht.« sagte ich schließlich. »Wie du traust dich nicht?« »Du weißt genau was ich meine!« »Junge du bist so eine Memme!« Cem schüttelte verständnislos den Kopf. »Hilf mir bitte!« »Tzz.. Vergiss es! Was soll ich denn machen? Händchenhalten?« »Bitte!« »Nein!« »Bitte!« »Nein!« »Cem! Leon!« fauchte Herr Bauer von vorn. »Zeigen sie gefälligst etwas mehr Respekt und hören sie ihrem Mitschüler zu! Sonst komme ich noch auf die dumme Idee sie beide in der nächsten Stunde ein kleines Ständchen singen zu lassen! Was würden sie davon halten?« Ich schluckte. »Eigentlich gar nichts.« »Dann reißen sie sich jetzt endlich zusammen!« Er drehte sich wieder um. Angespannt blies ich die Luft aus und wendete mich von Cem ab. Dieser schien allerdings noch nicht fertig zu sein und begann nach einer Weile erneut zu sprechen. »Also, wirst du sie fragen?« »Wenn du mitkommst,« murmelte ich leise zurück. »Ist doch lächerlich!« »Ich schaff das nicht allein!« quengelte ich. »Sag mal wie alt sind wir eigentlich? 12?« »Das hat doch nichts mit dem Alter zu tun!« »Stimmt! Du bist einfach nur ein rießen Schisser! Aber eins sag ich dir!« seine Stimme nahm einen fast schon drohenden Unterton an. »An deiner Stelle würde ich mich beeilen, weil es dauert bestimmt nicht lang bis jemand anderes sie fragt.« Ich sah ihn zuerst an, als würde ich ihn nicht verstehen, dann weitete ich entsetzt die Augen. »Wer?« »Keine Ahnung! Ich habs nur irgendwo gehört.« »Sag schon!« »Alter, ich hab doch gesagt, dass ich es nicht weiß!« sagte er genervt. »Natürlich weißt du es, sonst würdest du doch nicht...!« »Sie scheinen ja geradezu darum zu betteln, dass ich meine Drohung wahr mache.» Wir erschraken. Herr Bauer stand plötzlich direkt vor uns. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass er nach hinten gekommen war. Die anderen Schüler sahen uns teils mitleidig, teils schadenfroh an. Ich biss ertappt die Zähne aufeinander. »Tja, dann werde ich mal nicht so sein und komme euerer Bitte nach. Meldet euch nach der Stunde bei mir!« »Aber wir waren doch gar nicht so laut,« flehte ich entsetzt. »Ach, dann habe ich wahrscheinlich nur so gute Ohren oder warum konnte ich jede Einzelheit ihres Gesprächs über Emily und sie so gut mithören?« Einige der Mädchen kicherten. Ich konnte ein paar von Emilys Freundinnen erkennen. Augenblicklich schoss mir das Blut in den Kopf. »Also. Nach der Stunde. Bei mir vorne am Pult. Und bis dahin: HALTEN SIE DEN MUND!« Ich nickte ergeben und lies missmutig den Kopf hängen. Was war denn jetzt los? Seit wann bekam man Strafarbeiten in Musik? Mathe? Klar. Konnte ich verstehen, aber Musik! Hatte sich jetzt etwa wirklich die ganze Welt gegen mich verschworen? Und dann auch noch singen! Vor der ganzen Klasse! Geht’s noch peinlicher? Das war pure Demütigung! Und zu allem Überfluss hatte anscheinend auch noch jeder der Anwesenden unser Gespräch mitgehört! »Ich denk mal, es wird nicht mehr so lange ein Geheimnis bleiben, dass du was von Emily willst,« murmelte Cem schmunzelnd, als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich vergrub das Gesicht in meinen Händen und atmete tief durch. Wäre mal ganz nett, wenn ich mich auch einmal zusammenreißen könnte, wenn es um Emily ging. Das war ja schon krankhaft! Den Rest des Unterrichts verbrachten wir dann tatsächlich in Schweigen. Nach der Stunde gab uns Herr Bauer dann jedem einen Songtext: Linkin Park- Shadow of the Day. »Damit ihr wenigstens etwas von diesem Referat hattet,« meinte er grinsend. Arschloch! Nach unseren zwei unerwartet grauenvollen Musikstunden, warteten Cem und ich vor dem Vertretungsplan auf die anderen. Zu unserem Entsetzen hatten wir feststellen müssen, dass Gmk am nächsten Tag ausfallen und dafür von Herr Bauer vertreten werden würde, was unseren Gesangstermin um genau eine Woche verfrühte. Ich fragte mich, ob dieser Tag eigentlich noch schlimmer werden konnte... Er konnte! Eine kleine Gruppen von Mädchen aus der 11. ging an mir vorüber und begann heftig zu tuscheln und zu kichern, als sie mich sah. Der Vorfall aus Musik hatte sich anscheinend schneller rumgesprochen, als mir lieb war und ich hatte plötzlich das ungute Gefühl von jedem beobachtet zu werden. Hatte wohl auch seine Schattenseiten beliebt zu sein. Wer hätte das gedacht? Die letzten beiden Stunden hatten wir alle zusammen Englisch. Unsere Lehrerin, Miss Grace, gab uns gleich zu Beginn die Aufgabe einen ´Comment´ zu schreiben, was ich, nachdem was an diesem Tag schon alles geschehen war, auch dankend hinnahm. Beim Schreiben konnte mir ja hoffentlich nichts schlimmes oder Peinliches geschehen. Ich vermied es also mich besonders auffällig zu verhalten, um nicht auch noch den Zorn der Englischlehrerin auf mich zu ziehen, und schaffte es tatsächlich bis zum Ende der Stunde ungeschoren davon zu kommen. Danach war endlich Schluss und ich war gottfroh diesen morgen überstanden zu haben. Draußen hatte sich das Wetter nicht gebessert. Die Wolken hingen tief, doch es hatte wenigstens aufgehört zu regnen. Wir überquerten tratschend den Schulhof und folgten dem schmalen Weg zur Bushaltestelle. Die vielen Bäume standen dicht an dicht beieinander und durch ihre Kronen wurde selbst das wenige Licht verborgen, welches die Sonne noch im Stande war uns zu schenken. Ich hatte das Gefühl es würde bereits dämmern, dabei war es noch am frühen Nachmittag. Als wir wenige Minuten später unser Ziel erreichten, war es kurz vor zwei. Wir warteten noch mit Chris und Xiu auf ihren Bus. Über den Zwischenfall in Musik hatten Cem und ich die anderen natürlich schon längst informiert und sind dabei auf für meinen Geschmack etwas zu viel Schadenfreude gestoßen. Tolle Freunde! Wirklich ganz toll! »Ganz im Ernst Leo,« lachte Chris und wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Du bist ja sonst kein schlechter Kerl und so, aber was Frauen angeht bist du echt der größte Loser, den ich kenne!« Er begann erneut heftig zu lachen. »Das ist überhaupt nicht wahr!« Ich verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. »Sag was Xiu!« Dass ich gerade die Vietnamesin um Hilfe in dieser Situation bat lag nicht nur daran, dass sie meine beste Freundin, sondern auch meine Exfreundin war! Ja. Xiu und ich waren mal ein Paar gewesen. Seit wir 12 waren, um genau zu sein. Und wir waren das perfekte Paar gewesen. Niemals gab es Streit oder dergleichen. Nie. Da fragt man sich auch mit Recht warum wir überhaupt Schluss gemacht hatten. Tja. Die gute Frau hatte ja nach vier Jahren gemeint sich in meinen besten Freund verlieben zu müssen und da war ich weg vom Fenster! Die brauchten sich gar nicht wundern warum ich solche Minderwertigkeitskomplexe hatte. Na ja. Wenn ich ehrlich war, war ich mit der jetzigen Situation auch zufriedener. Sollte sie doch bei ihrem Flo bleiben -.-° Die Vietnamesin lächelte mitfühlend. »Na ja Leo, du musst schon zugeben, dass du dich was Emily betrifft vielleicht doch ein klein wenig ungeschickt anstellst.« »Ungeschickt?« empörte ich mich. »Nur weil ich sie nicht frage, ob sie auf der Stelle mit mir in die Kiste hüpfen will, so wie dieser Idiot es tun würde,« ich zeigte auf Chris, » heißt das noch lange nicht, dass ich es nicht tun könnte.« »Genau,« stimmte mir Flo gespielt ernst zu und legte mir einen Arm um den Hals. »Unser Leon hat eben eine sehr ausgeprägte romantische Ader. Das müsst ihr respektieren!« »Nenn mich nicht so!« Ich schubste ihn genervt weg von mir. Ich hasste es, wenn man das „n“ an meinem Namen aussprach. »Ich meine... Ich will doch nur...« Ich machte eine Pause und suchte nach den richtigen Worten. »Also ich finde Emily wirklich toll!! So allgemein. Alles an ihr! Sie ist wundervoll! Und ich will sie nicht nur so für eine Nacht sondern...« Wieder zögerte ich. »Keine Ahnung. Ihr wisst was ich meine!« Ich spürte wie mir das Blut in den Kopf schoss und ich starrte verlegen auf den Boden. »Och ist das nicht süß wie unser Leo rot wird?« Lydia kniff mir sanft in die Wange. Die anderen grinsten mich nur an, jedoch konnte ich dieses mal keine Häme in ihren Gesichtern erkennen. »Also ich finde es ja toll wie du dich um sie bemühst...oder es mehr oder weniger versuchst,« sagte Xiu und umarmte mich. Ihr Bus war gekommen. »Also dann. Bis morgen!« Sie ging noch schnell zu Flo, um ihn zu küssen und stieg dann ein. »Kommst du nicht?« fragte Chris im Vorbeigehen. »Nein. Ich muss noch in Nachhilfe,« murmelte ich und nahm langsam wieder meine normal Gesichtsfarbe an. Er klopfte mir grinsend auf die Schulter und folgte Xiu. Nachdem der Bus verschwunden war verabschiedete ich mich auch noch von Lydia und Cem, da die in die andere Richtung gehen mussten, und begleitete Flo noch ein Stück mit nach Hause. Wir hatten einen ganz schönen Marsch vor uns, da wir erst mal die Hauptstraße und dann noch den riesigen Park hinter uns bringen mussten. Wir alberten mal wieder nur rum, sprachen über Herr Richter, machten uns über Chris lustig und ich erzählte ihm bestimmt schon zum hundertsten mal, was in Musik geschehen war. Ich fand es plötzlich gar nicht mehr so schrecklich. Ich konnte sogar fast darüber lachen. Es war schwer in Gegenwart des Braunhaarigen nicht fröhlich zu sein; zumindest für mich. Er hatte so einen ganz merkwürdigen Humor, von dem ich befürchtete der einzige zu sein, der ihn verstand. Doch genau das war es wahrscheinlich auch, was ihn so liebenswert machte und ich war froh ihn meinen besten Freund nennen zu können. Auch wenn man manchmal meinen könnte er würde nichts, aber auch gar nichts wirklich ernst nehmen, so war mir im Klaren, dass ich mit über alles reden konnte. Wir folgten einer langen breiten Straße, bis wir zu einer Erhebung kamen, die direkt an einer Kreuzung lag. Hier musste ich mich auch von Flo trennen. Wir blieben jedoch noch einen kurzen Augenblick stehen, um uns zu verabschieden. »Wo wohnt dein komischer Nachhilfelehrer eigentlich?« erkundigte sich Flo und nahm einen Zug seiner Zigarette. »Blumenstraße. Irgendwo da oben.« Ich starrte grimmig den Berg hinauf und stöhnte. »Alter, ich hab ja mal so was von keinen Bock auf die Scheiße!« »Ach was! Mathe ist toll!« Der andere grinste eines seiner unschuldigen Grinsen, wofür er von mir allerdings nur einen feindseligen Blick erntete. »Wenn du es so toll findest, warum bringst du es mir dann nicht bei?« »Tut mir Leid. Ich bin die nächsten Monate ausgebucht.« »Bestimmt.« Ich schüttelte ungläubig den Kopf und schaute dann kurz auf meine Uhr. »Also,« seufzte ich. »Ich würd mich ja noch liebendgerne mit dir weiterkloppen, aber ich bin spät dran. Wir wollen Mathe ja nicht warten lassen.!« »Aber bloß nicht!« stimmte der andere mir mit gespielter Empörung zu und ich gab ihm einen leichten Klabs gegen den Kopf. Dann machte ich mich daran den >Berg< zu besteigen und beeilte mich, da ich jetzt bereits schon viel zu spät war. Fünf Minuten und einige Ecken später stand ich dann vor der Nummer 17. Dass kleine Haus war das höchstgelegenste von allen. Es sah schon recht alt aus. Der Eingang lag irgendwo versteckt hinter einem dichten Dschungel aus Bäumen, Büschen und anderen Pflanzen, die mir hartnäckig den Weg versperrten. Um den Garten war ein morscher Holzzaun gespannt, den sich die Natur allerdings schon längst wieder zu eigen gemacht hatte. Missmutig schlich ich mich auf dem engen Trampelpfad- es war nicht mehr als einer- zu der kleinen Holztür und klingelte. Es dauerte eine Weile, bis ich von innen Schritte hörte und mir eine ältere Frau öffnete. Sie trug eine große Brille, mit scheinbar viel zu dicken Gläsern. Ihr langes graues Haar hatte sie sich zu einem Dutt gebunden und das rote zerschlissene Kleid schien ihr zu kurz. »Ja bitte?« fragte sie mit hoher Stimme. Ihre Hand zitterte leicht. Lag wohl am Alter. »Ähm, Frau Weber, ich würde gerne zu Alex. Er gibt mir Nachhilfeunterricht.« Sie stellte mir die Frage jede Woche und ich gab auch jede Woche die selbe Antwort. Sie war schon etwas vergesslich und musterte mich nun abschätzend. »Aha ja, ich erinnere mich! Leon, richtig?« Ich bejahte und sie bat mich herein. Das Haus war an sich sehr düster. Es gab nur wenige Fenster und dementsprechend auch wenig Licht. Die Wände waren mit Bildern und sogar einem Wandteppich behangen. Es war genau so wie man sich das Haus einer älteren Dame vorstellte. Dass auch ein Junge meines Alters hier wohnen sollte erschien einem irgendwie abwegig. »Alex ist noch nicht da,« erklärte Frau Weber. »Er müsste aber bald kommen. Warte einfach in seinem Zimmer!« Ich nickte stumm und sie verschwand in irgendeinem der hinteren Räume. Langsam stieg ich die Treppe hinauf und betrat das kleine schmuddelige Zimmer, in dem ich mich seit nun mehr einem Monat wöchentlich einfand, um meinen dringend nötigen Mathematikstudien nachzugehen. Es war der einzige Raum im Haus, der nicht irgendwie altmodisch wirkte. Es war ziemlich unaufgeräumt. Das Fenster war mit einem Paar vergilbter Gardienen behangen und unter ihm stand ein Schreibtisch, überlagert mit leeren Blöcken, Büchern und Heften. Über dem ganzen thronte ein alter Windows 2000. Dass das Ding überhaupt noch lief... Die Tür des großen Kiefernholzkleiderschrankes war halb geöffnet und offenbarte einen Haufen unsauber zusammengelegter Kleidung. Auf dem Bett lag eine Akustik-Gitarre und allerlei Müll. Ich lies meine Tasche unachtsam auf den Boden fallen und setzte mich, schon wieder missgelaunt, auf das Bett. Jetzt kam dieser Kerl auch noch zu spät! Unverschämtheit! Einmal in meinem Leben kam ich pünktlich zu einem Termin (okay... fast pünktlich) und dann kam dieser Kerl zu spät! Ach was wunderte ich mich überhaupt. An einem Tag wie diesem musste das doch so kommen. Ich seufzte und dachte wieder an Emily. Ob sie mich wirklich zum Ball begleiten würde? Vielleicht hatte sie ja schon einen anderen Partner. Ach Quatsch hatte sie schon einen! Nicht zwei Monate vorher! Immer schön optimistisch denken! Das fehlte mir in diesen Tagen aus irgendeinem Grund vollkommen. Und selbst wenn sie einen hatte... wen juckte es? Den würde sie doch sofort sitzen lassen, wenn sie erfahren würde, dass sie MICH haben könnte. Bitte! Was sind den das für Gedanken? Ich war einer der begehrtesten Singles der Schule. Ich war cool, beliebt, hatte Geld und schlecht aussehen tat ich ja wohl auch nicht. Ich betrachtete mich einen Augenblick in dem Spiegel an der Wand. Dunkle braune Augen blickten mir aus einem Gesicht mit schmalen feinen Zügen und hohen Wangenknochen entgegen. Es wurde eingerahmt von dem fast kurzem wasserstoffblonden Haar. An meinem rechten Ohr steckte ein kleiner silberner Ring. Durch das enge schwarze T-Shirt konnte ich die Konturen meiner doch vorhandenen Bauchmuskeln erkennen. Auch wenn es vielleicht ein wenig eingebildet klag, aber ja ich sah gut aus! Plötzlich hörte ich von draußen Motorgeräusche und ging zum Fenster. Ein dunkelroter Golf parkte am Hauseingang. Es war Alex, der hektisch aus dem Auto stieg und eilig zur Tür rannte. Es dauerte einen Moment bis ich das Trampel auf der Treppe hörte und der junge Mann völlig entnervt in das Zimmer stürzte. »Tut mir Leid!« schnaufte er und hob die Hände entschuldigend. »Auf den Straßen war die Hölle los!« Ich nickte wissend und zog die Augenbrauen zusammen. Alex war in der 13., also ein Jahr älter als ich, und ein richtiges Mathegenie. Dunkelblondes Haar mit einigen hellen Strähnchen zierten seinen Kopf und fiel ihm zerzaust ins Gesicht, welches mit Pickeln übersäht war. An seiner alten schlapprigen Jeans konnte ich einige Flicken erdecken. Er schien sich nicht gerade viel aus seinem Aussehen zu machen. Alles in allem wirkte er chaotisch und sehr verpeilt. »Puh,« atmete er aus. »Ich hoffe du musstest nicht so lange warten.« »Etwa 20 Minuten!« Eigentlich nur fünf, aber das brauchte der nicht zu wissen! »Oh.« Er wuschelte sich kurz durch die Haare. »Es wird nicht wieder vorkommen...hoffe ich!« Er lächelte verlegen und rieb sich die Nase. Wie mich dieser Kerl doch aufregte. »Also. Hast du die Aufgaben gemacht, die ich dir letztes mal gegeben habe?« Er nahm Platz an dem Schreibtisch und versuchte ein wenig das Chaos zu beseitigen. Ich setzte mich auf den kleinen Holzstuhl neben ihm, der seit unserem ersten Treffen hier stand, und packte meinen Block aus. »Wir haben sie im Unterricht durchgenommen.« »Und hast du sie verstanden?« »Einigermaßen.« »Also nicht?« »Überhaupt nicht,« murrte ich. Er sollte aufhören meine Gedanken zu lesen. »Und was hast du nicht verstanden?« Ich packte das Blatt mit der Aufgabe aus und zeigte es ihm. Er warf einen kurzen Blick darauf und begann dann irgendwas von wegen Ausklammern und Wurzelziehen zu labern. Nach einiger Zeit verstand ich es sogar ansatzweise und rechnete mit seiner Hilfe eine weitere Aufgabe. Für das, dass wir nur doofes Mathe machten vergingen die zwei Stunden eigentlich recht schnell und am Ende stand ich mit einigen Antworten, leider jedoch mit noch mehr Fragen da. Ich seufzte betrübt. »Na na! Nicht den Kopf hängen lassen!« versuchte Alex mich aufzumuntern. Erfolglos wie er sofort feststellen musste. »Ich werde das nie checken! Machen wir uns nichts vor! Ich bin 100 % talentfrei.« Ich legte den Kopf auf den Tisch. »Niemand ist hier talentfrei. Nächste Woche versuchen wir noch mal das mit den Schaubildern, okay? Wann schreibt ihr denn euere Arbeit?« >In zwei Wochen!« heulte ich. »Ach das packen wir bis dahin.« Er klopfte mich sacht auf die Schulter, doch ich ignorierte es. Dann begann er seine Sachen wegzuräumen. Ein Klappern auf dem Boden war zu hören und ich wusste was geschehen war. Gott der Typ war so schusselig! »Ich glaubs einfach nicht,« murmelte ich genervt, ohne dass er es hörte. In seiner alt wiedergekehrten Hektik versuchte er sowohl meine, als auch seine Sachen aufzuheben und von einander zu trennen. Ich half ihm nicht. Das war mir doch grad zu blöde! »Was ist das denn?« fragte er plötzlich interessiert. Ich richtete mich müde auf und erkannte, dass er den Songtext aus Musik in den Händen hielt. Er musste wohl aus dem Block gefallen sein. »Ach shit!« platzte es aus mir heraus. »Das hab ich ja total vergessen!« »Wie so? Was ist das?« »Ach nur eine Strafarbeit in Musik.« Ich nahm ihm mürrisch das Blatt ab. »Mein Freund und ich müssen das morgen vorsingen, weil wir ein wenig zu laut waren.« Alex schmunzelte. »Und? Kannst du singen?« »Klar! Unter der Dusche« »Hört sich ja bezaubernd an« »Ja total! Das wird die größte Blamage meines Lebens!« Ich lachte freudlos. Alex schien kurz zu überlegen. »Willst du, dass ich es mit dir übe?« Ich starrte ihn perplex an. »Wie üben?« »Na ja...ich kann den Song spielen...auf der Gitarre. Also wenn du willst...« »Du meinst ich soll es dir vorsingen?« »Nur, wenn du willst. Mir ist das egal.« »Ich glaube, dass wäre keine so gute Idee.« Irgendwie war mir die Situation unangenehm. »Hast du Angst?« Er grinste. »Soll das ein Witz sein? Natürlich nicht!« »Na dann.« Er stand auf und ging zum Bett, wo er seine Gitarre aufnahm. »Zeigs mir!« Ich sah ihm empör hinterher. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Und vor allem: Was sollte ich jetzt machen? Ein Rückzieher kam ja wohl kaum in Frage. Sonst dachte dieser Loser auch noch ich wäre ein Feigling. Ich hatte also keine andere Wahl. Meine Ehre stand schließlich auf dem Spiel. Ich folgte Alex vorsichtig zu dem Bett und setzte mich mit einem gewissen Sicherheitsabstand neben ihn. Er begann bereits gedankenverloren einige Akkorde zu spielen und ich erkannte darin den Song. Er spielte gut. »Wollen wir?« Er blickte mich erwartungsvoll an. Ich nickte lustlos und er wiederholte den Anfang. Gott wie mich das alles nervte! Ich las die beiden ersten beiden Worte des Textes, den ich noch lange nicht auswendig konnte, und begann kleinlaut einige Töne von mir zu geben. »I close both locks below the window. I close both blinds and turn away. Sometimes solutions aren’t so simple. Sometimes goodbye’s the only way.« Ich spürte den Blick des anderen auf mir und brach ab. »Was?« »Nichts, nichts! Mach weiter!« Er lächelte. »Du machst dich lustig über mich!« Ich funkelte ihn wütend an. »Aber nicht im geringsten! Das würd ich mich doch gar nicht trauen. Komm schon!« Sein Lächeln wurde breiter. »Bitte!« »Ich warn dich! Wenn du lachst...!« »Wird ich schon nicht.« Zum dritten mal begann er den Song von vorn zu spielen. Ich seufzte leise und schüttelte genervt den Kopf. Dann begann ich erneut zu singen. Lauter und kräftiger, als zuvor und ich erschrak, als ich mich selbst hörte. »And the sun will set for you, The sun will set for you. And the shadow of the day, Will embrace the world in grey, And the sun will set for you. In cards and flowers on your window, Your friends all plead for you to stay. Sometimes beginnings aren’t so simple. Sometimes goodbye’s the only way.« Wieder sah mich Alex an. Ich wagte nur einen kurzen Blick auf ihn. Zu meinem Erstauen wirkte er nicht, wie ich erst vermutet hatte, belustigt oder gar schadenfroh, sondern eher verwundert. Ich versuchte es zu ignorieren. And the sun will set for you, The sun will set for you. And the shadow of the day, Will embrace the world in grey, And the sun will set for you.. And the shadow of the day, Will embrace the world in grey, And the sun will set for you.. And the shadow of the day, Will embrace the world in grey, And the sun will set for you. Ich verstummte. Irgendwas war komisch. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in mir breit. Ich konnte es jedoch noch nicht so richtig einordnen. Ich schüttelte schnell den Kopf und wieder klare Gedanken zu bekommen. Auch Alex hatte geendet und musterte mich nun eindringlich. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. »Na ja. Hab ja gesagt, dass...« »Das war ja genial! Warum hast du nicht gleich gesagt, dass du so gut singen kannst?« Alex strahlte, während ich ihn entgeistert ansah. »Ich hab doch gesagt du sollst dich nicht über mich lustig machen!« »Aber ich meins ernst! Du hast eine hammer Stimme! Machst du das öfters?« »Natürlich nicht!« Ich spürte wie ich rot wurde. Jetzt war er es, der mich verblüfft ansah. »Ist dir nie aufgefallen, dass du singen kannst?« »Nein,« antwortete ich schnippisch. »Weil ich es nicht kann!« Er grinste schon wieder. In gewisser Weise erinnerte er mich an Flo. »Hats dir Spass gemacht?« »Was?« »Zu singen!« »Nein!« »Nicht mal ein kleines bisschen?« »Nein verdammt!« Ich wurde wütend. Mehr auf ich selbst, als auf Alex, da ich merkte, dass ich log. »Ich meine...selbst wenn...ach ist doch auch egal! Ich muss jetzt gehen!« Er musste wissen, dass das nichts weiter als ein Fluchtversuch war, doch er sagte nichts. Ohne ihn anzusehen ging ich zum Schreibtisch und warf achtlos meine Sachen in den Rucksack. Dann holte ich meinen Geldbeutel heraus. »Reichen 20?« Schweigend nickte er. Er wirkte nachdenklich. Ich lies das Geld auf dem Tisch liegen und marschierte angespannt zur Tür. Mit einem leisen »Tschüss« öffnete ich sie und wollte gerade rausgehen, als ich Alex noch mal etwas sagen hörte. Seine Stimme klang ruhig. »Sag mal! Hättest du Lust morgen vielleicht zu den Proben zu kommen?« »Häh?« machte ich erstaunt. »Die Bandproben...in der Schule.« Stimmt ja! Alex gehörte ja auch zu >denen