Mosaik von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 6: Pervers ------------------ Hey Leute :-)! So, hier ist endlich das nächste Kapitel. Sorry, dass es wieder so lange gedauert hat, aber zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich 1. alles noch mal umgeschrieben und 2. gestern mit meiner herzallerliebsten Paperflower in Münster war und mir WGs angeschaut habe. So, ich hoffe, Ihr habt Spaß und amüsiert Euch über Sascha, den Volltrottel^^. Liebe Grüße, BlueMoon ____________________________________________________________________ Der nächste Morgen kam für Davids Geschmack viel zu schnell. Kaum war er eingeschlafen, war es auch schon wieder halb acht und sein Wecker meldete sich mit einem nervenzerfetzenden Klingelton zu Wort. David, der sich wie eine Katze zu einer Kugel zusammen gerollt hatte, erwachte sofort, als hätte ihm jemand ins Gesicht geschlagen. Er ächzte verzweifelt und zog sich seine Bettdecke über den Kopf, im Bestreben das grässliche Geräusch auszublenden. Doch es klappte nicht. Mit nach wie vor geschlossenen Augen streckte er einen Arm aus seiner weichen Bettfestung und tastete am Boden hektisch nach dem Ursprung allen Unheils. Als er ihn fand, begann er planlos auf ihn einzuschlagen, bis er endlich verstummte. David seufzte erlöst, atmete dreimal ein und aus und schlug dann die Bettdecke zurück. Gedämpftes Sonnenlicht fiel hellblau durch die Vorhänge ins Zimmer. „Verdammte Scheiße...,“ fluchte er leise und richtete sich mühsam auf. Er fühlte sich wie gerädert. Seine Lockenpracht stand ihm wie eine Afromähne vom Kopf ab und unter seinen Augen wirkte die Haut leicht gräulich. David gähnte wie ein Scheunentor, rieb sich die Augen und sah sich matt blinzelnd im Zimmer um. Als erstes fiel sein Blick auf Harry Potter und der Orden des Phönix, das in der Bücherreihe weiter vorne als alle anderen stand. Er musste schlucken. Das Buch stand unbeteiligt zwischen seinen Kollegen, als wolle es sagen: Ich bin völlig unschuldig! Doch David wusste es besser. Mit diesem Schinken hatte er Ben beinahe den Kopf eingeschlagen. Er dachte an Leopold und fragte sich, ob er seine Mathilda wohl noch gefunden hatte. Dann dachte er an Sascha. Sein Magen machte einen spontanen Salto, als er sich an die eigentümliche Stimmung in der Zivi-Küche erinnerte. Himmel, was genau war gestern Nacht eigentlich mit ihm los gewesen? Mit ihnen beiden? Am Abend hatte Dings sich noch wie ein perverser Irrer gebärdet und ein paar Stunden später hatte er in der Küche gestanden und sich benommen, wie... Ja, wie was eigentlich? Wie ein normaler Mensch? Oder gar ein Kumpel? Aber dazu hatten seine eigenen Gefühlsanwandlungen nicht gepasst. David stöhnte und raufte sich die Haare. Das musste am Wodka gelegen haben! Niemals, unter gar keinen Umständen hätte er sich nüchtern gewünscht, dass Sascha ihn küsste und ihn auf seinem Zimmer besuchte. Niemals! Nicht der! Er strich sich eine widerspenstige Locke aus der Stirn und fühlte in sich hinein. Er konnte es drehen und wenden wie er wollte, doch die Wut und die Empörung, die der letzte, haarsträubende Abend in ihm geschürt hatte, waren verschwunden. Stattdessen fühlte er jetzt so etwas wie Neugier und Sympathie. Konnte eine einzige Stunde in gemeinschaftlicher Aufregung und anschließender Entspannung das bewirken? Was war denn bitte passiert, dass sich seine Abneigung so rasch gelegen haben könnte? Nichts. War es vielleicht das? Die Tatsache, dass nichts passiert war, außer einem kleinen, netten Gespräch und einem Schluck Wodka? Kein einziges Mal hatte Dings auf diese grässliche Weise gegrinst, die David schon zu fürchten gelernt hatte. Alles sehr merkwürdig. Wie auch immer. David hatte keine Lust sich wegen so einer Nichtigkeit verrückt zu machen. Es war Dienstagmorgen und umso länger er hier saß, desto weniger Zeit würde ihm zum Frühstücken bleiben. Außerdem...wo war das Problem? Richtig, es gab keins. Nach ihrem unglückseligen Start würde es jetzt bestimmt besser werden. Mr. Plemplem hatte sich ihm von einer anderen Seite gezeigt, einer Seite, die David sympathisch fand. Wenn er jetzt nicht wieder in seine Rolle als Drecksack zurückfiel, dann würden sie sogar Freunde – und die Betonung lag auf Freunde – werden können. Ganz sicher. David zwang sich aufzustehen, zum Fenster zu trotten und die Vorhänge beiseite zu ziehen. Draußen strahlte bereits die Sonne und blendete ihn fröhlich. Der Himmel war blau und wolkenlos. In den Bäumen begrüßten einige Vögel zwitschernd den neuen Morgen. Es schien ein schöner Tag zu werden. David wandte sich vom Fenster ab und begann seine Arbeitsklamotten zusammen zu suchen. Fünf Minuten später steckte er in einer alten und löchrigen Jeans, seinen grünen Gummistiefeln und einem ausgeblichenen grauen Poloshirt, das einmal seinem älteren Bruder Julian gehört hatte. Zum Schluss schnappte er sich noch seinen alten, dunkelblauen Kapuzenpulli und seine gestreifte Strickmütze, unter der er mit einiger Anstrengung seine wilde Haarmähne versteckte, sodass nur noch ein paar vorwitzige Blondsträhnen zu sehen waren. Dann verließ er sein Zimmer. Auf dem Treppenabsatz blieb er kurz stehen, um zu lauschen. Noch drang nicht der geringste Laut aus dem Raum. Vermutlich verschlief der Idiot wieder und er, David, durfte dann wieder loseiern, um ihn zu holen. Wenn er ihm erneut nackt die Tür öffnete, würde er ihm zur Begrüßung wortlos in die Säcke treten. So machte man das unter Freunden. Grinsend trabte er die Treppe runter und in die Zivi-Küche. Sie war verlassen und außer einem kleinen Tomatenfleck auf den Fliesen wies nichts auf die merkwürdigen Geschehnisse der letzten Nacht hin. Die Tür zum Seminarraum war noch immer offen und aus den Büroräumen drang leises Klappern zu ihm hinunter. Luise, die halbtags im Büro half, war wohl schon da. David warf seinen Pulli auf die Sitzbank, wischte die Soße vom Boden auf und schlurfte ins Bad, um sich das Gesicht zu waschen und die Zähne zu putzen. Anschließend kochte er Kaffee und begann sich aus pappigem Müsli und labbrigem Toast ein Frühstück zu zubereiten. Um kurz vor Acht – David schenkte sich gerade Kaffee nach – hörte er die typischen Schlüsselgeräusche an der Tür zum Hof und einen Moment später stand Heiko in der Zivi-Küche. „Morgen, Lockenkopf!“, begrüßte er David barsch und warf die Bildzeitung so kunstvoll auf den Tisch, dass sie in Davids Müsli klatschte. „Morgen...,“ gähnte David zurück und angelte die Zeitung aus ihrem milchigen Landeplatz. Heiko war in seiner ewigen Hast schon wieder in Richtung Büros verschwunden. Eine halbe Stunde später saß David neben Linda auf der Eckbank am Esstisch und schlürfte seinen zweiten Kaffee. Inzwischen waren alle da. Na ja, fast alle. „Wo is’n Sascha?“, fragte die kleine Praktikantin mit gedämpfter Stimme an ihn gewandt. In ihrem knallroten Schulpullover passte der Spitzname Zwerg noch besser zu ihr. „Keine Ahnung, hat vermutlich wieder verpennt,“ zischte David zurück. Linda verdrehte die Augen. „So ein Trottel...,“ flüsterte sie und kicherte. „Allerdings...,“ David grinste zurück und trank einen Schluck Kaffee. Ja, er war wirklich ein Trottel. Die Chefin würde jede Minute auftauchen. Cindy, ihre wuschelige Mischlingshündin, hatte ihre Nase verbotenerweise schon in die Zivi-Küche gesteckt. Dementsprechend war Bettina schon da und Neffe oder nicht, sie bestand auf die Pünktlichkeit ihrer Mitarbeiter und würde über die neuerliche Verspätung garantiert nicht sonderlich begeistert sein. Aber bitte. Wenn er zu blöd war, um sich einen Wecker zu stellen, dann war das sein eigenes Problem. „Ich habe einen Witz für dich, Zwerg,“ sagte Heiko zu Linda und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, „Rotkäppchen geht im Wald spazieren und geht in ein Gebüsch, um zu pinkeln. Da sieht sie den Wolf. `Oh, Wolf, warum hast du denn so große Augen?´, fragt sie ihn. Der Wolf dreht sich um und sagt: `Was’n los? Kann man hier nicht mal in Ruhe kacken?´“ Gemeinsam mit Miriam und David brüllte Linda vor Lachen. Freddy stand wie immer am geöffneten Fenster und verstummte in seinem Gespräch mit Sebastian, der auf dem Sofa saß, um ihnen einen kritisch amüsierten Blick zu zuwerfen. Beide rauchten und der Qualm ihrer Zigaretten waberte elegant über ihren Köpfen umher. Eric saß neben Sebastian und lachte ebenfalls. Halb neun. Die Chefin kam die Treppe von den Büroräumen hinab getrappelt und erschien einen Augenblick später in die Zivi-Küche. Tja, Dings. Das war’s dann wohl. „Guten Morgen!“, begrüßte sie ihre Mitarbeiter freundlich, „Also, wie jeden Morgen: Wer will was machen?“ Drei Minuten später hatte jeder der Anwesenden seine Aufgabe und David war mit seiner nicht besonders zufrieden. Er hatte Pech gehabt. Bevor er noch eine Entscheidung getroffen hatte, nach welcher Arbeit ihm heute der Sinn stand, waren auch schon alle guten Sachen verteilt gewesen und er hatte folgenden Genickschlag gehört: „Und du, David, kannst schon mal damit anfangen, die Äpfel auf dem Gelände einzusammeln. Für die Papageien.“ Na, großartig. Aber immerhin war das Wetter gut. Gemeinsam mit den Anderen ging David aus der Zivi-Küche, über den Hof und in die Futterküche. Ben stand an einer der Arbeitsflächen und zerschnitt ein totes Küken. „Morgen...,“ murrte er, als die Mitarbeitertraube eintrat. Er sah müde und grimmig aus. „Bäh!“, machte Linda, als ihr Blick auf das blutige Küken fiel. Allen voran kritzelte sie ihren Namen in das Tagesprotokoll, verabschiedete sich trällernd und verschwand zu ihren geliebten Papageien. Nachdem David sich ebenfalls eingetragen hatte, verließ er die Futterküche wieder und überquerte den Hof in Richtung Müllhütte. In diese Holzbude wurden alle Restmüllsäcke geworfen, wodurch es in ihrem Umkreis immerzu durchdringend stank. An ihrer einen Seite lehnten fünf Schubkarren. Die ersten drei von ihnen hatten einen Platten, die Vierte war über und über mit getrocknetem Schlamm überkrustet. David wählte die Fünfte. Während er die Karre über den Hof und auf den gekiesten Rundweg für die Besucher schob, pfiff er fröhlich vor sich hin. Die Oktobersonne stand hell am Morgenhimmel und schien ihm warm auf die nackten Arme. Die Luft war erfüllt vom Zwitschern der Vögel und dem Gesumme von Insekten, die noch an den Sommer glaubten. Es war ein herrlicher Herbsttag und vermutlich auch einer der letzten. Gegenüber den drei Ostvolieren, in denen zur Zeit fünf Schleiereulen, zwei Waldkäuze und ein Mäusebussard wohnten, stand der erste Apfelbaum. David stellte die Schubkarre ab und begann die am Boden liegenden Äpfel aufzulesen. Die frischen, guten warf er mittelmäßig behutsam in die Karre, die faulen schmiss er rücksichtslos ins Gesträuch. Gleich hinter den Ostvolieren begannen die Außengehege der Papageien. Linda hüpfte in ihnen umher, öffnete die Klappen in den Türen, sodass die exotischen Vögel nach draußen gelangen konnten, um die Sonne zu genießen, schrubbte Dreck weg und sang dabei, wie sie es immer bei der Arbeit zu tun pflegte. David lauschte ihrem Gesang, der hell und klar zu ihm hinüber wehte, während er pflichtbewusst Äpfel sammelte. „I have a dream, a song to sing, To help me cope with anything. If you see the wonder of a fairytail, You can take the future, Even if you fail. I believe in angels, Something good in anything I see, I believe in angels, When I know the time is right for me, I’ll cross the stream, I have a dream.” Langsam aber sicher arbeitete David sich voran und nach einer Stunde schob er die bereits zu zwei Dritteln gefüllte Schubkarre über den Kiesweg an den Westvolieren vorbei und parkte sie vor einem der großen Freilandterrarien. Der Boden des Terrariums war dick mit Sand bestreut und mehrere Steine und Äste bildeten die Inneneinrichtung. Hier wohnte Caspar, der allzeit schlecht gelaunte Nilwaran. Er war knapp über einen Meter lang, seine Schuppen waren gelb und grün gefleckt und wenn er ärgerlich war – was er, wie gesagt, immer war –, dann schlug er vorzugsweise mit seinem Schwanz gegen die Glasscheibe. So auch an diesem Dienstag, als David mit den Fingerknöcheln leicht gegen das Glas pochte. Es knallte, als Caspar sich zornig aufrichtete und seinen Schwanz peitschen ließ. David lachte. „Guten Morgen, Caspar. Freut mich, dass du gute Laune hast. Dein Frühstück kommt bestimmt bald. Sebastian und Miri machen heute draußen,“ informierte er den fauchenden Waran. Dann wandte er sich dem nächsten Apfelbaum zu. Hier konnte er Linda leider nicht mehr singen hören. Er würde sich also selbst etwas vorsingen müssen. Mhm... Nee, eher nicht. Eine halbe Stunde später streckte David sich laut ächzend. Sein Rücken und sein Nacken schmerzten vom ewigen Beugen. Die Schubkarre war bis oben hin voll mit rotgelben, glänzenden Äpfeln. Er setzte sich auf den Rand der Karre, die inzwischen schwer genug war, um ihn zu tragen, suchte sich den schönsten Apfel aus und biss genüsslich hinein. Eine leichte Brise sang mit den restlichen, gefärbten Blättern im Wind und zauberten ihr Schattenspiel auf den Kiesboden und auf Davids Haut. Gemeinsam mit ein paar Wolken segelte ein Schwarm Vögel über den türkisen Himmel. David nuckelte an dem saftigen, süßsauren Fruchtfleisch, starrte in die Luft und hatte sich gerade entschlossen, dass es sich bei dem weit entfernten Vogelschwarm um Tauben handelte, als ein Ruf seine Ohren erreichte: „HUHU, DAVID!“ David fuhr zusammen und fahndete mit den Augen nach dem Urheber des Rufes. Sein Blick fiel auf den Waschplatz, den man von seinem Platz aus zwischen ein paar Bäumen hindurch gut sehen konnte. Und da stand er. Mit einem Wasserschlauch in der Hand, zwischen dreckigen Eimern und verschmierten Tierboxen: Dings. Grinsend und winkend. Unvermittelt breitete sich auf Davids Gesicht ebenfalls ein Lächeln aus. Er winkte zurück. Sascha warf einen Blick über seine Schulter, zurück zur Tür, die in die Futterküche führte. Dann ließ er den Schlauch zu Boden fallen und setzte sich in Bewegung. Richtung David. Der Kies knirschte unter den gelben Gummistiefeln, die er trug, als er näher kam. „Hey...,“ begrüßte er David fröhlich. Sein weinrotes, übertrieben enges T-Shirt und seine Jeans waren an mehreren Stellen nass und seine muskulösen Unterarme waren übersät von Wassertropfen, die in der Sonne glitzerten. „Guten Morgen,“ erwiderte David schmunzelnd, „Wer hat dir erlaubt, meine Gummistiefel zu tragen?“ Sascha grinste schuldbewusst und setzte sich auf einen kniehohen Stein, der neben dem Apfelbaum im Blumenbeet stand. „Entschuldige bitte. Ich hätte dich fragen sollen, aber durch meine Verspätung, hatte ich dazu keine Zeit mehr. Wenn es dich stört, dann zieh ich meine eigenen Schuhe an.“ „Red keinen Unsinn,“ winkte David ab und griff in die Schubkarre hinter ihm, „Magst du auch einen? Wie du siehst, habe ich genug davon.“ Dings lachte. Es klang angenehm und unbeschwert. So hatte David ihn noch nie lachen gehört. „Ja, sehr gern. Du warst anscheinend schon sehr fleißig.“ „Das kannst du laut sagen, mir tut alles weh,“ klagte David und reichte Mr. Ich-Klaue-Gummistiefel den zweitschönsten Apfel seiner Sammlung. „Danke...,“ machte Sascha, nahm den Apfel entgegen und biss hinein. Es knackte, als seine weißen Zähne sich durch die Schale, in das feste Fruchtfleisch bohrten. An seinem Kinn lief ein Tropfen Saft entlang. Geistesabwesend wischte er ihn fort. „Sag mal...,“ schmatzte er und schluckte den ersten Bissen hinunter, „Kann es sein, dass Freddy manchmal ziemlich...grimmig ist?“ David musste lachen. „Ja, das kann man schon so sagen... Wenn Freddy schlechte Laune hat, kann er ganz schön...böse werden. Dann sollte man sich von ihm fern halten. Wieso?“ „Er hat mich ganz schön angefahren, nach meiner erneuten Verspätung,“ erzählte Mr. Ich-Habe-Ärger-Mit-Freddy zerknirscht, „Und dann meinte er, ich müsse zur Strafe die Wannen auf dem Waschplatz schrubben.“ David gluckste. „Nimm’s nicht persönlich. So ist er manchmal. Am besten du bist ab jetzt einfach pünktlich.“ „Danke für den Tipp.“ „Gern geschehen.“ Sie lächelten sich an und bissen in ihre Äpfel. In der Ferne verlangte Krähenboss Corvus krächzend nach seinem Frühstück. David fühlte sich entspannt. Die Pause tat ihm gut und gemeinsam mit einem Freund konnte er sie noch mehr genießen. Er fühlte sich sicher. Vielleicht stellte er deshalb diese Frage, die zum wiederholten Mal etwas ändern sollte. „Wieso bist du eigentlich schon wieder zu spät gekommen? Hast du verschlafen?“ „Nö, eigentlich nicht...,“ antwortete Dings unbekümmert und saugte kurz an der saftigen Wunde, die er seinem Apfel beigebracht hatte, „Ich hatte nur einen feuchten Traum und war nach dem Aufwachen so geladen, dass ich erst mal onanieren musste.“ David verschluckte sich an seinem Apfel. Er hustete und prustete und seine Augen tränten. Sascha stand mit besorgtem Gesicht auf, um ihm auf den Rücken zu klopfen. „Geht’s wieder?“ „Ja...,“ krächzte David und wischte sich über die Augen, „Was erschreckst du mich auch so...?“ „Du hast mich doch gefragt,“ erwiderte Mr. Ich-Onaniere-Vor-Der-Arbeit unschuldig, grinste dazu aber breit. „Hätte ich mal nicht...,“ murmelte David. Er verspürte plötzlich keine Lust mehr auf seinen Apfel und er warf ihn ins unkrautverseuchte Beet. Dann sah er das Schmunzeln auf Dings Gesicht. Ihm wurde ganz anders. Oh nee, nicht jetzt. Nicht schon wieder so was. Bitte nicht! Doch jetzt gab es kein Zurück mehr... „Soll ich dir verraten, von wem ich geträumt habe?“, erkundigte Sascha sich heiter lächelnd und biss in seinen Apfel. David sah ihn voller Misstrauen an. „Nee, lass mal...,” antwortete er und erhob sich vom Schubkarrenrand, „Ich muss jetzt auch weiter sammeln. Hier liegen noch eine Menge–,“ „Ich habe von dir geträumt!“, unterbrach Mr. Ich-Hatte-Einen-Feuchten-Traum ihn strahlend und gab sich gar keine Mühe, seine Freude darüber zu verbergen. David fühlte einen fetten Knoten in seiner Kehle und den Wunsch, Äpfel Schubkarre sein zu lassen und schnell das Weite zu suchen. „Hör mal, Sascha...,“ begann er kühl und mit zusammen gezogenen Augenbrauen, „Du kannst träumen, was du willst und dir einen runterholen, wann immer du den Drang dazu verspürst. Aber bitte, lass mich damit in Ruhe. Ich will nämlich wirklich nicht wissen, was–,“ „Schade!“, schnitt Dings ihm erneut das Wort ab und schmiss seinen Apfel lässig ebenfalls ins Blumenbeet, „Dabei war es so geil... Wir waren wieder in deinem Zimmer... Wie gestern Abend, weißt du?“, seine Stimme klang so unbekümmert und munter, als würde er David von der schicken Designerjacke erzählen, die er sich neu gekauft hatte, und nicht von einem sexuellen Traum, den er ausgerechnet mit ihm genossen hatte. „Sascha!“, knurrte David eindringlich und packte die Griffe der Schubkarre – er hatte sich spontan entschlossen, die Schubkarre erst auszuladen, bevor er weiter sammelte, „Ich will es nicht hören!“ Er versuchte die Schubkarre anzuheben, aber sie war schon viel zu schwer. Er fluchte unterdrückt. Seine Hände wurden feucht und sein Herz begann schneller zu klopfen. „Ich habe dich langsam, Stück für Stück ausgezogen und deinen ganzen Körper mit Küssen übersät...,“ schnurrte Mr. Ich-habe-Von-Dir-Geträumt weiter, als hätte er David nicht gehört. Dem war inzwischen entschieden schlecht. Er überlegte, sich die Ohren zu zuhalten und laut schreiend davon zu rennen, „...und du hast leise gewimmert und immer wieder meinen Namen gekeucht, das war so scharf...,“ „Halt endlich deine Klappe!“, sagte David laut. Hinter seiner Stirn klingelte es. Wenn er noch ein Wort hören musste, dann würde er die Beherrschung verlieren. „Ich denke, es wäre jetzt besser, wenn du verschwindest!“ Er legte so viel Drohung in seine Stimme wie er konnte. Mit zusammen gebissenen Zähnen blickte er Dings ins Gesicht. Der grinste so breit, dass David sich am liebsten hier und jetzt übergeben hätte. „Oh, menno...,“ jammerte Mr. Es-War-So-Geil in gespieltem Kummer, „Willst du nicht wissen, wie ich dich von hinten genommen habe und du die ganze Zeit Fick mich, Sascha, fick mich! gerufen hast?“ „NEIN, WILL ICH NICHT!“, brüllte David. Ihm war speiübel und er war zornig. Zornig auf Sascha, der ihn schon wieder hereingelegt hatte, der ihn nicht ernst nahm und mit ihm spielte. Und auf sich selbst. Weil er seine Lektion einfach nicht lernen wollte. Mit bebenden Fingern langte er in die Schubkarre, die noch immer hinter ihm stand, packte das Erste, was er fand – selbstverständlich einen Apfel – und holte aus. Seine Augen sprühten Funken. „Ein Wort mehr und ich schmeiße dir das Ding an die Birne. Ich schwör’s dir. Verpiss dich jetzt oder du wirst es bereuen...,“ Sascha sah ihn übertrieben überrascht an. In falschem Entsetzen schüttelte er den Kopf. „Ich weiß nicht, was du plötzlich hast. Gestern Nacht warst du doch noch so zutraulich–,“ David erstarrte. Das war’s. Das hätte er nicht sagen sollen. Irgendetwas in Davids Kopf klinkte sich aus und er verlor den Kopf. „HALT DEINE SCHNAUZE!“, brüllte er und schleuderte den Apfel mit aller Kraft in Dings Richtung. „Wau...,“ machte der erschrocken und wich dem harten Geschoss aus, „Hey, hey... Nicht übertreiben...,“ Doch nun war es zu spät für einen Rückzug. David griff wahllos immer und immer wieder in die Schubkarre und feuerte die Äpfel wie von Sinnen nach Sascha. „Verpiss dich! Lass mich in Ruhe, du perverser Mistkerl! Hau ab! Verschwinde! Hau ab!“ „Autsch, aua... Hey, hör auf! Au...,“ rief Sascha halb lachend, halb flehentlich. Er hatte sein Gesicht abgewandt und bemühte sich mit den Armen vergeblich, die nicht abreißende Apfelflut von sich fern zu halten, die schmerzhaft auf ihn ein trommelte, „Es tut mir Leid, es tut mir Leid! Au, bitte David! Es tut mir Leid!“ Aber das war David egal, er wollte nur, dass er endlich verschwand. Seine Empörung verlieh ihm Kraft und die Munition in der Schubkarre war zahlreich. „Hau ab! Verschwinde! Verpiss dich, du Perversling!“ „Okay, okay, okay! Ich geh ja schon!“, rief Sascha endlich und setzte sich hastig in Bewegung, „Mach’s gut, David. Bis Später!“ „HAU ENDLICH AB!“, brüllte David noch und warf ihm einen letzten Apfel nach, der ihn verfehlte und raschelnd ins Unterholz flog. Dann war Mr. Perversling in der Futterküche verschwunden und David atmete beruhigend ein und aus. „So ein Arschloch...,“ zischte er, ließ sich erschöpft auf den Stein sinken, auf dem eben noch Sascha gesessen hatte, und besah sich das Malheur. Er saß mitten in einem Schlachtfeld. Überall um ihn herum lagen die Äpfel, die er in den letzten Stunden mühselig gesammelt hatte und die vermutlich jetzt alle eine Macke hatten. Er würde ganz von vorne anfangen müssen. So ein Mistkerl! Trotzdem... Er stutzte. So wütend war er eigentlich gar nicht. Er war verärgert, ja, empört auch, aber vor allem enttäuscht. Und ein bisschen verletzt. Aber wieso? Was hatte ihn so getroffen? `Gestern Nacht warst du doch noch so zutraulich...´ Das war es gewesen. Er hatte gedacht, dass es überstanden sei, dass sie jetzt Kollegen, vielleicht sogar Kumpel waren. Er hatte Dings die Hand gereicht. Und was hatte er zurück bekommen? Einen Tritt in die Magenkuhle. Oder...na ja...ans Schienbein vielleicht. Vermutlich hatte Sascha das gar nicht so empfunden. Vermutlich fand er es einfach nur witzig, mit David seinen Schabernack zu treiben. Aber David fand das überhaupt nicht witzig. Was hatte er sich an diesem Morgen noch gedacht? Ach ja, wenn Sascha nicht wieder in seine Rolle als Drecksack zurückfallen würde, dann würden sie ganz sicher Freunde werden können. Nun ja, leider war eben dies passiert. Es würde wohl noch etwas länger dauern, bis sie tatsächlich Freunde würden. Etwas viel länger. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)