Mondfinsternis von moonlight_005 ([SasuSaku]) ================================================================================ Kapitel 4: Etwas, das die Welt verändert ---------------------------------------- ~ - ♥ ~ - »Was muss man tun um die Welt zu verändern? Was, um etwas von sich selbst zurückzulassen? War es nun wahrhaft mein Schicksal geworden eine Geisha zu sein? Gab es nichts anderes mehr? Etwas, das ich noch nicht entdeckt hatte… Oder übersehen? Ich verlor mich so sehr in meinen Fragen, dass ich es erst bemerkte, als es schon da war. So unscheinbar wie ein zarter Geruch im Wind. So unbemerkt wie ein Blick, den niemand sah. Etwas war anders geworden, doch es machte mir Angst…« - ~ ♥ ~ - Sakura fand den Schirm vor der Tür ihres Zimmers. Er sah noch genauso aus wie sie ihn zuletzt gesehen hatte. Das Papier war von der Sonne ein wenig ausgebleicht, doch trotzdem waren die aufgemalten Muster – Sakurablüten – noch genauso schön wie zuvor. Nichts deutete daraufhin, dass es derselbe Schirm war, den sie vor wenigen Tagen dabei gehabt hatte an jenem Tag, an dem sie Zeugin eines grauenvollen Mordes geworden war. Das Material war nicht einmal mit Blut besudelt, doch gerade diese Reinheit erschreckte sie bis ins Mark. Und es gab nur eine Sache, die noch schlimmer war: Es gab nur einen einzigen Menschen, der von diesem Schirm gewusst hatte, nur einen, der wusste, dass sie ihn verloren hatte. Nur einen einzigen, der ihn hätte zurückbringen können. Warum hatte er das getan? Den ganzen Tag stellte sie sich diese Frage. Es gab keinen Grund für ihn, keinerlei Motiv. Welches Interesse könnte er schon daran haben, dass sie einen verlorenen Schirm zurück erhielt? Doch trotz allem war er da. Es verwirrte und ängstigte sie gleichermaßen – und es machte Sasuke Uchiha noch unheimlicher als er ohnehin schon war. Wieso war ein Mörder zu einer solch zärtlichen Geste fähig? Warum kümmerte es ihn überhaupt? Es gab nur eine mögliche Erklärung… Wider Willen erinnerte sich Sakura an ihr letztes Treffen zurück und an den Blick mit dem er sie angesehen hatte. War das etwa seine Art ihr den Hof zu machen? Oder machte es ihm einfach nur Spaß sie zu erschrecken? Aber selbst, wenn es so war – er hatte sie unterschätzt. Sie war eine Maiko, so mysteriös und geheimnisvoll und nichtssagend, sodass er ihre Fassade nie durchschauen würde. Der Tag verging schleppend langsam. Gemächlich wie eine alte Frau, die auf ihrem Krückstock humpelnd nur langsam vorankam. Sakura und Yugao verbrachten den Nachmittag in vier verschiedenen Teehäusern. Die junge Maiko trug einen blassgrünen Kimono mit einem Muster aus verschiedenen Ranken und Frühlingsknospen. Der Stoff war so schwer, dass sie nur langsam gehen und auf ihren Getas Yugao kaum folgen konnte, die ihren Kimono genauso leichtfertig trug wie ein leichtes Gewand. Die Geisha schien das zusätzliche Gewicht in keinerlei Hinsicht zu beeinträchtigen. Womit Sakura noch Probleme hatte, war für Yugao längst zum Alltag geworden. Der Unterschied zwischen ihr und Yugao war kleiner geworden, doch Sakura wusste auch, dass sie bei weitem noch nicht an die wunderschöne Geisha heranreichte. War ihre Mutter genauso gewesen? Die Frage kam so plötzlich, dass Sakura fast über ihre eigenen Gedanken erschrak. Sie hatte lange nicht mehr an ihre Mutter gedacht. Chiyo hatte ihr nicht viel von ihrer Mutter erzählt und Yugao schien um dieses Thema immer einen großen Bogen zu machen, aber sie, Sakura, stellte sich trotzdem die Fragen. War sie so wie Yugao gewesen? Schön und unwiderstehlich wie keine zweite Frau? Oder hatte sie ihr etwas von sich mitgegeben, das sich ab und zu in ihrem Handeln, in ihrem Denken widerspiegelte? Sakura wusste nicht warum niemand sie je erwähnte, aber sie ahnte es. Ihre Mutter war eine Geisha gewesen -und eine liebende Frau. Eine Geisha durfte nicht lieben, eine Geisha durfte nicht empfinden, sie sollte einfach nur da sein und andere glücklich machen. Aber wo war dann ihr Glück? Hatte sie keinerlei Anrecht darauf? War es richtig, dass sie so dachte? War es falsch? Das einzige, das sie tun konnte war den alten Strukturen zu folgen, die man ihr vorgezeichnet hatte… „Sakura-onee-san!“, Yugaos Stimme war glockenhell. Sakura sah auf und begegnete dem leicht ungeduldigen Blick ihrer älteren Schwester. Augenblicklich fand sie in die Gegenwart der kleinen Teestube mit ihren vielen aromatischen Düften zurück. Innerlich kurz orientierungslos war Sakura nach außen die Ruhe selbst. „Es tut mir leid“, murmelte sie und verbeugte sich leicht. Die übrigen Gäste betrachteten sie nachsichtig und setzten dann ihre Gespräche fort. Kurz spürte Sakura, wie Yugao sie wütend anfunkelte. „Sakura-san, ich frage mich, ob Ihr uns vielleicht etwas vorsingen könntet.“, verwickelte sie auf einmal Minoru Aburame auf ihrer linken Seite in ein Gespräch. Der ältere Mann strahlte sie an, als wenn er sich die Erlösung selbst von ihr versprach. Er war hingerissen von ihr, das hatte Yugao ihr erzählt und die Geisha hatte es mit so einer Genugtuung gesagt, dass Sakura wusste, dass noch mehr dahinter steckte. Wenn Shibi Aburames Verwandter in solch hohen Tönen von ihr sprach, würde er auch den Daimyo selbst in die Gespräche dazugezogen haben. Und mit ihm Shino. Und der hatte seinem Vater von dem Ikubo erzählen müssen. Alles lief nach Yugaos sorgfältig ausgeklügelten Plan. „Es wird gesagt Eure Stimme käme der einer Göttin gleich…“, fuhr Minoru fort, „aber ich will mich lieber selbst davon überzeugen.“ Er klang aufgeregt und erwartungsvoll. Er betrachtete sie mit einer Mischung aus Ungeduld und Erregtheit und etwas, das sie auf eine eigenartige Weise gefangen nahm. Zaghaft lächelte sie ihn an. „Es wird viel gesagt, Aburame-san.“ „Unsinn“, er klatschte einmal in die Hände und verkündete: „Bis jetzt habt Ihr meine Erwartungen bei weitem übertroffen. Was meinst du, Shibi? Es wäre doch sehr erfrischend, wenn Sakura-san für uns singen würde.“ Der Daimyo wandte sich von seinem Gesprächspartner ab und sah sie eindringlich an, dann wandte er sich an seinen Sohn: „Was meinst du, Shino?“ Sakuras Blick huschte zu dem jungen Samurai, der für sein Alter ungewöhnlich verschlossen war. Warum machte Shibi Aburame eine solche Entscheidung von seinem Sohn abhängig? Wenn er wünschte, dass sie ihm etwas vorsang, dann könnte er dies einfach verlangen. Für jeden anderen hätte dieses Gespräch einfach nur einen belanglosen Inhalt gehabt, doch Sakura sah ihren Verdacht bestätigt. Shino hatte den Daimyo von ihrem Angebot unterrichtet und er sah sie mit diesem berechnenden Blick an, als wolle er abwägen, was ihn eine solche Investition kosten würde. „Ich würde Euch gerne singen hören“, riss Shinos Stimme sie aus den Gedanken. Für einen kurzen Moment konnte sie ihren Unglauben nicht so richtig verdrängen. Der Samurai hatte noch nie nach ihren Diensten verlangt. Hatte er ihrem stillen Angebot bereits zugestimmt, oder interessierte es ihn einfach nur so? Aber, wenn sie eins gelernt hatte, dann war es, dass ein Angehöriger der Kriegerklasse so etwas nie nur so sagte. Das Netz zog sich immer dichter um sie zu und obwohl sie eigentlich über den Verlauf der Ereignisse glücklich sein sollte, erschreckte es sie immer noch. Nicht, weil sie es nicht tun konnte, sondern, weil wieder über ihren Kopf entschieden wurde und sie, Sakura, keinerlei Mitsprachrecht hatte. „Sakura würde liebend gern für Euch singen, Aburame-san.“ Yugao schenkte Shino einen so koketten Augenaufschlag, dass Sakura sich wunderte wie er dabei immer noch unbeeindruckt blieb. „Warten sie, meine Herren, ich hole schnell meine Fue –ein wunderbares Einzelstück, das den Fürst selbst schon erfreut hat.“ Yugao verschwand. „Es wird von nicht vielen Geishas gesagt, dass sie singen wie eine Göttin“, sprach der Daimyo sie unvermutet an, „Ihr müsst Yugao-san sehr viel bedeuten, Sakura-san.“ Sakura senkte den Blick. „Yugao-onee-san verdanke ich mehr als ich sagen kann.“ „Vergesst das nie“, unterbrach sie der Daimyo, „nichts ist vergesslicher als Dankbarkeit.“ Er sah sie auf eine Weise an, die sie zu durchleuchten schien. Sein Blick war stark, durchdringend und selbstbewusst. Alles Eigenschaften, die einen wahren Anführer auszeichneten. Shibi Aburame war ohne Zweifel eine der beeindruckensten Personen, denen Sakura je begegnet war. Im Stillen fragte sie sich, ob Shino irgendwann wohl auch einmal so sein würde: Einer der mächtigsten Daimyos des ganzen Landes über denen nur noch der Fürst Konohas, Mao-Chéng, stand. „Wir können beginnen, Sakura-san“, unterbrach Yugao Sakuras Gedanken. Sie trat in den Raum und augenblicklich breitete sich eine ungewohnte Leichtigkeit aus. Yugao hatte die Macht die Menschen mitzureißen, eine Gabe, die viel zu selten gewürdigt wurde, und die der Grund für ihr außergewöhnliches Ansehen als Geisha war. Sie hatte im Augenblick ihres Eintretens die gesamte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Geisha lächelte geheimnisvoll, kniete sich dann neben Shibi Aburame, der ihr ein schlichtes Lächeln schenkte und sie wohlwollend betrachtete. Dann legte sie ein Kästchen neben sich, öffnete es und holte eine mit schwarzem Lack polierte Fue – eine japanische Flöte – heraus. Yugao setzte sie an die Lippen, sah Sakura einmal an und begann zu spielen. Der Klang war glasklar und drang bis ins Mark. Die Melodie begann leise, fast vorsichtig, doch von solcher Bestimmtheit, dass kein Zweifel am Können Yugaos blieb. Die Anwesenden lauschten verzückt und eine Aura vollkommener Zufriedenheit breitete sich aus. Es waren diese Momente, die Sakura zeigten, was es bedeutete eine Geisha zu sein. Eine Geisha erschuf ihre eigene Welt, in der es keine Gewalt, keine Sorgen mehr gab. Nur Geheimnisse, die sich leicht vergessen ließen, doch gleichzeitig den Reiz ausmachten. Die Musik schwoll an und Sakura stand unbemerkt auf. Niemand schien etwas bemerkt zu haben, da noch immer alle nur Yugao ansahen und so keiner ihre Bewegung wahrgenommen hatte. Sakura blickte einmal nervös in die Runde und dann entwich ihr der erste Ton. Der Raum verschwand vor ihren Augen. Es gab nur noch die leise Flötenmusik wie aus weiter Ferne und ihre eigene Stimme, die eine Geschichte erzählte. Sie war so alt, wie die Welt selbst. Aus einer Zeit in der noch die Götter regierten und die Welt der Menschen noch nicht existiert hatte. Es war die Geschichte, wie sich Amaterasu, die Sonnengöttin, tief verletzt über das Verhalten ihres Bruders Susano-O, des Sturmgottes, in eine Höhle zurückzieht. Durch diesen Schritt verdunkelt sich das Universum und alles verschwindet in tiefster Finsternis. Sakuras Stimme verdunkelte sich eine Oktave während auch Yugaos Flöte für einen Augenblick dunkel klang. Irgendwo am Rande ihres Bewusstseins merkte Sakura, dass ihre Hände auf einmal merkwürdig ruhig waren … und, dass Shino Aburame sie ansah. Auf eine eigenartige, fast abschätzende Weise mit einem winzigen Gefühl von Unsicherheit. Die Musik frischte auf, die Töne der Flöte wurden heller und Sakura hob ihre Stimme an. Die übrigen Götter jedoch wollen nicht immer in ewiger Finsternis leben und so denken sie sich allerlei Dinge aus um die trotzige Göttin aus ihrem Versteck zu locken: Sie lassen Hähne krähen, obwohl es noch nicht Morgen ist, sie hängen Spiegel an heilige Bäume und feiern letztlich ein Fest bei dem sich die attraktive Göttin des Theaters, Ame-no-uzume, komplett entkleidet, was den Effekt auf die übrigen Götter nicht verliert. Durch den Tumult neugierig geworden riskiert Amaterasu einen Blick und erblickt schließlich ihr selbst in den Spiegeln der heiligen Bäume. Sie kommt noch mehr heraus. Da nimmt einer der Götter sie bei der Hand und führt sie ganz hinaus. Die Götter verschließen die Höhle damit Amaterasu nicht zurückkehren kann und die Welt hat wieder Licht. Der letzte Ton verebbte und Sakura fand langsam wieder in die Realität zurück. Es herrschte vollkommene Stimme und zu ihrer Unsicherheit starrten sie alle an. Noch nie hatte sich Sakura so eingeschüchtert gefühlt. Schon als kleines Mädchen hatte sie gerne gesungen und mit der Zeit war sie sehr gut darin geworden. Selbst Yugao fand selten einen Fehler, doch vor so vielen mächtigen Persönlichkeiten zu singen ging ihr auf eine eigenartige Weise viel tiefer als es sonst ein Gespräch je gekonnt hätte. Dies war für ihre Mizuage, es war ihre Pflicht es perfekt zu machen, aber… Jemand klatschte. Sakura schrak augenblicklich aus ihrer Trance. Keiner der Anwesenden hatte sich gerührt. Die Geräusche kamen von der Tür und als sie ihren Blick hob, sah sie sich einem lächelnden Kakashi Hatake gegenüber. Mit einem Mal fielen die anderen mit ein. Yugao legte die Flöte in das Kästchen zurück und nickte ihr zu. Doch Sakura achtete nicht auf den Applaus, nicht mal, als der Daimyo lauter als alle anderen einstimmte. Hinter Kakashi Hatake stand jemand, den zu treffen sie mit all ihren Möglichkeiten vermieden hatte. Und wieder dachte sie an den Schirm, der mysteriös vor ihrer Tür gelehnt hatte. Er erwiderte ihren Blick und hielt ihm mit so einer Leichtigkeit stand, die Sakura an noch keinem anderen Menschen gesehen hatte. Noch immer hatte sich nichts geändert – es war ihr unmöglich irgendeine Emotion in den Augen Sasuke Uchihas zu lesen. „Das war einfach großartig, Sakura-san“, gratulierte Minoru Aburame ihr umgehend, während sie den Daimyo murmeln hörte: „Eine Stimme wie die einer Göttin … in der Tat.“ Kakashi Hatake trat vollständig in den Raum, Sasuke Uchiha folgte ihm. Beide trugen keine Waffen, wie immer, wenn Samurai ein Teehaus besuchten. Yugao erhob sich und Kakashi verbeugte sich als Zeichen des Respekts zuerst vor ihr. Die Geisha tat es ihm nach. „Möchtet Ihr uns Gesellschaft leisten, Kakashi-san?“, fragte Yugao und zwinkerte ihm einmal kokett zu. „Eigentlich hatten Sasuke und ich nur vor einige Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, aber dann haben wir die Musik gehört. Ich wusste, dass nur ihr etwas damit zu tun haben konntet.“ „Nicht mit mir“, sie drehte sich zu ihr um und lächelte Sakura an. Kakashi schenkte nun wieder ihr seine Aufmerksamkeit. „Yugao-san hat nicht untertrieben, als sie mir von Euch erzählt hat, Sakura-san.“, sagte Kakashi. Sakura lächelte vorsichtig, nickte ihm dann zu und ließ sich wieder auf ihren Platz gleiten. „Nun, was ist jetzt? Wollt ihr euch uns anschließen? Ich bin sicher, dass sich die Herren eine Menge zu erzählen haben.“ Die Geisha machte eine Handbewegung zu den übrigen Gästen. „Ich bin mir sicher Ihr kennt Shibi Aburame.“ Der Samurai nickte und verbeugte sich tief von der dem Daimyo. „Es ist mir eine Ehre, Aburame-sama“, murmelte Kakashi. „Ich habe von Euch gehört, Kakashi Hatake“, erwiderte der Daimyo, „Ihr seid ein meisterhafter Schwertkämpfer und Stratege, wenn meine Informationen korrekt sind?“ Er ließ es wie eine Frage klingen, die Kakashi sofort beantwortete. „Im Augenblick stehe ich in den Diensten des Fürsten Mao-Chéngs und momentan bilde ich meinen Schüler aus.“ Shibi Aburames Augen huschten zu dem jungen Samurai, der bis dahin nur still hinter Kakashi gestanden hatte. „Sasuke Uchiha“, stellte er sich vor, verbeugte sich leicht und richtete sich dann wieder auf. „Ein Uchiha? Ich dachte sie bilden ihre Kinder selbst aus.“ Ein leichtes Lächeln breitete sich auf Kakashis Gesicht aus. „Sasuke ist Fugaku Uchihas jüngerer Sohn, der Fürst persönlich hat mir den Auftrag gegeben seine Fähigkeiten zu schärfen.“ „Fugakus Sohn!“, entfuhr es Minoru. Sasuke nahm die Unterhaltung ohne mit der Wimper zu zucken hin, doch etwas fing Sakuras Aufmerksamkeit. Der jüngere Sohn? Sobald sie wusste war Fugaku Uchiha gegenwärtig Daimyo der nördlichen Provinzen und er führte eine der mächtigsten Samuraifamilien, was ihm fast uneingeschränkte Macht verlieh. Wenn Sasuke einen älteren Bruder hatte, bedeutete das, dass er wohl die Ehre erhielt, die seinem Status gebührte, aber niemals Erbe werden würde. „Wir sollten diese Unterhaltung im Sitzen führen, nicht?“, unterbrach Yugao auf einmal das Gespräch der beiden Männer. Jede andere hätte für diese Unverfrorenheit, sie zu unterbrechen, bezahlt, doch bei Yugao lagen die Dinge anders. Shibi Aburame lächelte nachsichtig und Kakashi folgte sogleich Yugaos Aufforderung und setzte sich neben Minoru. Yugao ließ sich auf ihren Platz zurück gleiten, sodass Sasuke Uchiha der einzige war, der noch stand. Er ließ seinen Blick einmal über die Gesellschaft schweifen und dann geschah etwas, womit sie nicht gerechnet hatte. Der junge Samurai sah sie an und setzte sich dann neben sie. Sakura wusste nicht, was sie tun sollte. Zu ihrer Linken saß Sasuke Uchiha, zu ihrer Rechten Shino Aburame. Beides Samurai, die zwei der mächtigsten Clans des ganzen Landes. Wie sollte sie sich verhalten? Yugao hatte ihr genaue Anweisungen bezüglich ihrer Mizuage gegeben, aber es war schlicht unhöflich sich nur dem einen zuzuwenden. Sie konnte nicht einfach so tun, als würde nichts zwischen Sasuke Uchiha und ihr vorgefallen sein. „Shino Aburame“, riss sie plötzlich eine ruhige Stimme aus ihren Gedanken. Dann realisierte Sakura, dass Shino selbst gesprochen hatte. Niemand anderes als Sasuke Uchiha erwiderte seinen Blick nickte ihm kurz zu und stellte sich ebenfalls vor. Doch es war kein einfaches Kennenlernen. Die beiden Samurai fixierten einander und schienen in dem jeweils anderen ein Zeichen von Schwäche zu suchen. Auf einmal wurde sich Sakura bewusst wie schwer die Luft wog, langsam auf ihre Lungen drückte und sie sich aufgrund von der Elektrizität, die sie plötzlich umgab, kaum mehr rühren konnte. „Ich habe nicht erwartet hier jemals einen Uchiha zu treffen. Den Gerüchten nach ist zuletzt Euer Großvater hier in Tanzakugai gewesen. Anscheinend mögt ihr keine Vergnügungen.“ Sasuke Uchiha nippte an seiner Teeschale, die man ihm unverzüglich bereit gestellt hatte. „Wer sagt Euch, dass die Uchihas nie hierher kommen? Mein Bruder Itachi war letzten Sommer hier. Vielleicht mögen die Aburames auch einfach nur andere Vergnügungen als mein Clan…“ Aus den Augenwinkeln warf er Sakura einen Blick zu, bei dem ihr ein kalter Schauer den Rücken herunter rann. Spielte er mit ihr? „Nicht mehr als ihr auch“, parierte Shino geschickt, „mich würde interessieren, welchen der drei Wege der Samurai Ihr gewählt habt.“ Für einen Moment schien Sasuke irritiert. Vielleicht hatte er nicht mit einer solchen Direktheit des Aburame gerechnet. Shino hatte in diesem Gespräch ohnehin schon mehr gesagt, als sie ihn je hatte reden hören. Oder er nutzte die Gelegenheit um seinerseits Informationen über die Uchiha zu sammeln. Die drei Wege, auf die Shino anspielte, waren die drei Arten, die drei Philosophien nach denen sich ein Samurai zeit seines Lebens richtete. Die Aburame ihrerseits waren berühmt dafür Kyudo, den Weg des Bogens zu wählen, während der Clan der Nara seit geraumer Zeit eine Mischung zwischen Kyudo und Kendo – dem Weg des Schwertes – bevorzugte. Die Uchiha hatten in den letzten Generationen allesamt den Weg des Schwertes gewählt, was ihnen in der Bevölkerung als die kriegerischste Samuraifamilie den Respekt des Volkes, zugleich aber auch dessen Furcht, eingetragen hatte. Früher hatte es noch drei andere mächtige Clans gegeben: Die Sabakunos, die Hyugas und einen letzten, dessen Name niemand mehr kannte. Die Familie der Sabakuno gab es schon lange nicht mehr. Einst waren sie bei einer blutigen Schlacht untergegangen, wusste Sakura, sie waren ihres Landes, ihres Status und ihrer Macht beraubt worden und die wenigen, die heute noch existieren mochten, lebten in immer währender Furcht. Die Hyugas… waren ein anderes Thema. Als einzige hatten sie immer nur den Weg des Judo, den Weg der Sanftheit, gewählt, der besagte, dass sie niemals selbst angriffen, sondern die Energie ihres Gegners gegen ihn wendeten. Sie alle waren meisterliche Kämpfer gewesen, doch seit ein paar Jahren, nach jenem schrecklichen Vorfall, der das Land ins Chaos gestürzt hatte, waren sie vollständig vernichtet worden. Niemand blieb mehr übrig, der ihre Traditionen hätte fortsetzen können. „Ich habe mich noch nicht entschieden“, sagte Sasuke gerade und veranlasste Sakura ihm erneute seine Aufmerksamkeit zu schenken. Der Samurai lehnte sich leicht vor und zum ersten Mal wurde Sakura bewusst, dass sie sich fast berührten. Das Gefühl kam so plötzlich, dass es sie vollkommen bewegungslos machte. In ihr keimte etwas auf, das Angst und Erstarren zugleich hätte sein können und sie hasste es, dass sie sich nicht aus dieser Situation befreien konnte. Sie atmete tief durch und erschrak bis ins Mark, als sie Yugaos Blick auf sich spürte, der ihr deutlicher als je zuvor zeigte, dass sie sich an dem Gespräch beteiligen sollte. Sakura war solcherlei Mahnungen nicht gewöhnt, war sie doch gewohnt immer alles richtig zu machen. „Seid Ihr denn so ein talentierter Bogenschütze, Aburame-san?“, mischte sie sich endlich ein und sicherte sich damit die ungeteilte Aufmerksamkeit der beiden Männer. Shino schien ein wenig verlegen, als hätte sie ihn in seiner eigenen Falle gefangen. Ein feines Grinsen schlich sich auf das ansonsten emotionslose Gesicht des Uchiha. Shino betrachtete sie verunsichert, bevor er schließlich zu einer neutralen Erklärung ansetzte: „Mein Vater lehrt mich alles, was ich wissen muss: Kendo, Kyudo und Judo.“ Damit hatte er sich geschickt aus der Affäre gezogen ohne etwas preiszugeben, doch Sakura wusste, dass sich zwischen den beiden Männern erste Anzeichen von Misstrauen regten. Es war, als würde die Luft vor der Intensität ihrer Ausstrahlung knistern und auf einmal wusste Sakura, dass zwischen den beiden Samurai eine nicht zu erklärende Abneigung aufkeimte. „Ihr habt schön gesungen, Sakura-san“, sagte Shino plötzlich. Sakura hatte mit so einer Aussage nicht gerechnet. Natürlich hatte auch Shino applaudiert, als sie geendet hatte, aber es war nicht nötig, das noch mal zu erwähnen, wenn selbst sein Vater, der Daimyo, schon ihr Talent gewürdigt hatte. Beinahe schien es so, als wollte er vor dem Uchiha etwas klären… Etwas, das zeigte, dass er kein Anrecht auf ihre Gesellschaft hatte… Sasuke hob lediglich eine Augenbraue und das schwarze Haar fiel ihm lässig ins Gesicht. „Vielen Dank, Shino-san“, murmelte Sakura verspätet, „ich bin froh, dass es Euch gefallen hat und ich-“ „Die Herren müssen entschuldigen“, vernahm sie plötzlich Yugaos Stimme, „Sakura-san und ich haben noch ein anderes Treffen zu dem wir uns nicht verspäten dürfen.“ Die Geisha erhob sich geschmeidig und Sakura tat es ihr erleichtert nach. Yugao hatte ihr soeben eine äußerst unschöne Situation erspart… Die Maiko glitt in einer fließenden Bewegung von ihrem Platz, verbeugte sich einmal vor den Gästen und folgte Yugao aus dem Teehaus. Doch kaum, dass sie den Raum verlassen hatte, spürte sie zwei Blicke in ihrem Rücken. In diesem Moment wusste Sakura, dass sie Feindschaft zwischen Shino Aburame und Sasuke Uchiha gesät hatte… - ~ ♥ ~ - Sakura spielte die Shamisen ohne nachzudenken. Ihre Finger schienen ihren eigenen Willen zu haben und die Musik war klar, ohne Fehler. Sie war das was eine Geisha sein sollte. Schön anzusehen, wie jemand aus einer anderen Welt. Ohne Gefühle. Nicht mehr. Doch Sakuras Inneres entsprach nicht dem Bild einer Geisha. Sie war viel zu abgelenkt, um einen Gedanken daran verschwenden zu können. Die Sonne war gesunken und berührte fast den Horizont. Zumindest soweit sie es von der kleinen Terrasse erkennen konnte. Aber so viel sie auch versuchte sich abzulenken, Sakura konnte die Ereignisse im Teehaus nicht aus ihrem Kopf verdrängen. War es wirklich erst ein paar Tage her, seitdem sie hier gesessen hatte und nichts gefühlt hatte als Leere und Freude über die wenige Zeit, die ihr gehörte? Die letzten Tage hatten all das zunichte gemachte. Die Maiko hatte keinen Blick mehr für den hübschen Garten draußen, die komplizierte Fertigung der Tatamimatten interessierte sie nicht und die Musik, die sie spielte, klang nur hohl. Nichts weiter. Da war etwas und sie konnte nicht sagen was es war. Etwas bahnte sich an und sie fürchtete es… Alles war ganz still und trotzdem wusste sie, dass ihre Intuition sie nicht täuschte. Eine Saite der Shamisen erzeugte einen schrillen Ton, der ihr in den Ohren klirrte. Sakura ließ das Instrument fallen, das polternd auf dem Holz auf kam. Sie konnte von Glück reden, dass niemand da war, der ihr Missgeschick beobachtet hatte. Als sie die Shamisen näher untersuchte, stellte sie fest, dass eine Saite gerissen war. Es würde schwer werden, das Yugao zu erklären. Sie verspielte sich nicht. Sie hatte sich nicht zu verspielen. Die Schatten wanderten an den Wänden entlang und Sakura gab es auf sich ihrer Gedanken zu wehren. Irgendetwas in ihr war ruhelos geworden und so starrte sie nur abwesend vor sich hin. Das Geräusch von Holz auf Holz brachte sie wieder in die Realität zurück. Jemand schob die Tür auf und schloss sie wieder. Plötzlich begann ihr Herz zu rasen. Dieser jemand wollte nicht bemerkt werden. Und er war nah. Die Atmosphäre wandelte sich schlagartig. Was vorher ruhig und ausgelassen gewesen war, erschien ihr auf einmal schnell und angespannt. Was ihr vorher Frieden gegeben hatte, verwandelte sich in Angst. Dann spürte sie seine Anwesenheit, hörte den leisen Atem und nahm die Bewegungen hinter sich wahr. „Ich habe nicht erwartet hier jemanden zu treffen“, sagte Sasuke Uchiha ohne den Blick von ihr zu nehmen. Sakura hatte sich noch immer nicht gerührt. Was tat er hier? Warum schien er sie zu verfolgen. „Ich kannte die Geschichte, die du gesungen hast“, sagte er dann, „ich habe sie nie in Frage gestellt, aber vorhin habe ich mich gefragt, was gewesen wäre, wenn Amaterasu nicht zurück gekehrt wäre. Was, wenn es dunkel geblieben wäre?“ Es schien eine Ewigkeit zu dauern bis sie ihre Stimme wieder fand. Als sie es tat, klang sie eigenartig dünn und verletzlich… „Es kann selbst dunkel für jemanden sein, obwohl die Sonne scheint“, erwiderte Sakura. Der Samurai trat einen Schritt auf sie zu. Sakura stand auf, drehte sich aber nicht zu ihm um. Seine Augen schienen all ihre Reaktionen zu lesen, zu analysieren. Es war merkwürdig. So sehr sie diesen Augenblick gefürchtet hatte, so gelassen war sie jetzt… „Für jemanden wie Euch?“, unterbrach Sasuke die Stille. „Ich habe keinerlei Recht darüber zu urteilen was hell und was dunkel ist“, antwortete Sakura, „keine Geisha hat dies.“ „Warum seid Ihr dann eine, wenn ihr Euch doch wünscht im Licht zu sein? Ihr könnt mich nicht täuschen, Sakura. Dies ist nicht das, was Ihr wollt.“ Sakura wirbelte herum. Was bildete er sich ein! Als, wenn er sie kennen würde! „Ihr habt kein Recht über mich zu urteilen! Ich hatte nie eine Wahl! Es gab nie etwas anderes, das ich hätte werden können! Meine Mutter hat mich hier zurückgelassen gerade als ich geboren war!“ Der Samurai zuckte nicht mal mit der Wimper. Sasuke Uchiha schien ihre Wut vollkommen kalt zu machen, was sie nur noch wütender werden ließ. Wann hatte sie sich das letzte Mal so lebendig gefühlt? Doch das war nicht die Art und Weise, wie sie sich verhalten sollte. Sie hatte kein Recht darauf wütend zu sein, sie hatte keinerlei Recht irgendwas zu fühlen. „Ihr habt mich gerade nur noch mehr bestätigt. Ihr würdet Euch nicht dagegen auflehnen, wenn es Euch wirklich egal wäre.“ Seine Stimme war kalt, fast teilnahmslos und es fühlte sich so an, als würde er nur wieder Fakten auflisten. Vielleicht war es das oder ihre momentane Verwirrtheit, vielleicht aber auch, weil sie insgeheim wusste, dass er Recht hatte und es nur nicht wahrhaben wollte. „Was ist dann der Unterschied zwischen uns?“, flüsterte Sakura, „Ihr wart Euer ganzes Leben lang dazu bestimmt ein Uchiha zu sein, ein Mitglied eines mächtigen Samuraiclans. Habt Ihr Euch für etwas anderes entschieden, als das was Ihr seid?“ Sasuke machte eine ruckartige Bewegung und für einen Augenblick dachte sie, dass er die Fassung verlieren würde. Doch als er ihr antwortete, war seine Stimme noch genauso ruhig wie zuvor. „Eine Wahl zu treffen bedeutet nicht, alles grundlegend zu ändern. Mit jedem Schritt, den man tut verändert sich das Leben. Jede Entscheidung hat Auswirkungen auf die Zukunft. Selbst ein einziger Gedanke kann einen Krieg auslösen - oder Frieden bringen. Verändert man die Sicht der Dinge, verändert man auch die Dinge selbst. Diejenigen, die das nicht begreifen, werden sich nie selbst verstehen. Sie werden so leben, wie andere es wollen ohne einen Gedanken daran zu verschwenden was hätte sein können. Es gibt viele solcher Menschen. Und sie alle vergessen eins: Man hat immer eine Wahl.“ „Ein Mensch kann die Welt nicht verändern“, unterbrach sie ihn, „was kann ein einzelner tun, wenn alle dagegen sind.“ „Dann hätte dieser einzelne die Welt der übrigen verändert, weil er sich aufgelehnt hat.“ „Glaubt Ihr das wirklich?“ Sakura klang skeptisch. Die Unterhaltung mit Sasuke Uchiha verwirrte sie immer mehr. Warum ging er nicht einfach? Warum war es ihm nicht einfach egal, was sie dachte? Nie war ihr jemand wie er begegnet. Niemand stellte Pflicht und Ehre und Tradition so sehr in Frage wie er. „Wenn ich das nicht tun würde, dann wäre ich kein Samurai geworden. Ich fälle meine eigenen Entscheidungen, nicht meine Familie. Ich bin ein Krieger geworden, weil ich es so wollte und niemand anderes.“ Er sah sie an und Sakura wurde sich das erste Mal bewusst, was für einen Intensität seine Augen besaßen. Ihre Dunkelheit wirkte nicht länger nur gefährlich, sondern auch einvernehmend. Diese Art von Charisma, die nur wenige Menschen besaßen. Sie konnte nur einen aufzählen: Yugao. „Eure Mutter wusste es“, setzte der Samurai plötzlich hinzu, „sie hätte Euch in die Obhut dieses Hauses geben können oder Euch dem Tod ausliefern, wenn sie gedacht hätte, dass es besser gewesen wäre.“ Auf einmal huschte ein schmales Grinsen über sein Gesicht. „Die Tatsache, dass sie Euch überhaupt geboren hat, spricht schon für sich.“ „Aber ich habe keine andere Möglichkeit als eine Geisha zu werden.“ – „Ihr habt sie nicht, weil Ihr sie nicht ergreift.“ Er hatte Recht. Sie hasste es, aber er hatte Recht. Sie hatte dies lange gewusst, doch ihre eigene Feigheit hatte davon abgehalten jemals näher darüber nachzudenken. Sakura konnte sich seinem Blick nicht entziehen. Wo war ihre Zuversicht geblieben? Hatte sie nicht darauf vertraut, dass die jahrelange Übung ihn nicht tiefer in sie hineinsehen lassen würde als sie wollte? Jetzt war sie nur noch verwirrter. Sie war ihm ausgeliefert und er wusste es. Sie hatte keine Antwort auf seine Frage und er wusste es. Er wusste es. Sasuke Uchiha hatte es schon vom ersten Augenblick an gewusst. „Warum interessiert Ihr Euch dafür, Uchiha-san?“, brachte sie schließlich geschlagen hervor. „Sasuke.“ „Was?“ „Nicht Uchiha-san, Sasuke. Ich habe genug Leute, die um mich herum kriechen und mich als das behandeln, als das sie mich sehen wollen.“ Der Samurai drehte sich um und war fast an der Tür, als er sich noch mal umwandte. „Kommt heute Abend wieder hierher, Sakura, ich möchte Euch etwas zeigen.“ „Warum?“, setzte sie an, aber Sasuke Uchiha fuhr abermals dazwischen: „Ihr werdet sehen…“, er schob die Tür auf und trat aus dem Raum. Sakura starrte ihm nach. Der Ort, an dem sie einst nur für sich sein konnte, hatte plötzlich eine andere Bedeutung gekommen. Ihr Blick fiel auf die gerissene Saite der Shamisen. War sie wirklich das, was er beschrieben hatte? Einer dieser Menschen, die einfach nur lebten. Nichts weiter. Die keine Entscheidungen trafen und ihr Leben von anderen bestimmen ließen? Es war dieser Moment, in dem sie merkte, dass sie plötzlich keinerlei Angst mehr vor ihm verspürte. „Sasuke“, flüsterte sie leise. ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * Sie war zerrissen. Es gab kein Wort, das es treffender beschrieben hatte. Sakura hatte Zweifel gehegt, Gedanken gedacht, die unverzeihlich waren und sie war dabei immer tiefer in den Strudel hinein zu geraten. Sie hatte es so einfach für ihn gemacht. Ein paar Worte und sie vergaß wer sie war. Aber wer war sie? Was verbarg sich hinter ihrem Gesicht? Das, was man erwartete, oder das was sie war? Und nur sie… Mit ein paar Worten hatte er eine Macht über sie erlangt, die nicht da sein durfte. Sie war eine Maiko, beinahe eine Geisha. Es hatte nichts zu geben, dass Macht über sie erlangte. Schon gar nicht jemanden. Macht über jemanden zu haben, bedeutete, dass man seine Schwäche kannte. Und eine Schwäche zu haben, bedeutete, dass man immer noch verletzlich war und, dass es etwas gab, das einen nicht kalt ließ. Er hatte es so schnell herausgefunden. Warum war sie dann hier? Hatte sie sich von ihm mitreißen lassen? War es schlicht Neugier, was es war, dass er ihr zeigen wollte? Oder war es, weil sie es vielleicht selbst wollte… An diesem Abend war sie alles andere als eine Geisha. Sie trug keine Schminke, keinen aufwendigen Kimono, sie hatte sich nicht mal die Mühe gemacht ihre Haare hochzustecken. Sakura fühlte sich nackt und dann auch wieder nicht. Seit so langer Zeit nahm sie ihre Umgebung mit all ihren Sinnen wahr, sie konnte wieder atmen. Frei atmen und es gab nichts, dass es ihr in diesem Moment nehmen konnte. Nach so langer Zeit war sie das geworden, was man ihr stets verboten hatte zu sein: Sie war sie selbst. Ein Geräusch, das aus dem Garten kam, ließ sie zusammenzucken. Hätte sie nicht auf ihn gewartet, hätte sie dem kaum Bedeutung beigemessen. Doch jetzt nahm sie die Silhouette wahr, die sich geschmeidig durch die Dunkelheit bewegte. Dann flammte ein Licht auf. Sakura blinzelte. Eine Laterne. Eine Gestalt löste sich aus der Dämmerung, jetzt vom Licht angestrahlt. „Ich wusste, dass Ihr kommen würdet, Sakura.“, sagte er. „Warum wolltest Ihr, dass ich komme, Sasuke?“ Sie erhielt keine Antwort. Sasuke schien sich viel mehr bereits wieder zu entfernen. Sie konnte die Schritte auf dem Gras hören, die rasch leiser wurden. Sakura rappelte sich auf, sprang von der Terrasse und folgte dem Licht der Laterne, das durch die Dunkelheit zu schweben schien. Nach ein paar Metern holte sie auf. Schweigend ging sie neben ihm. Selbst das war unschicklich. Eine Frau hatte immer hinter dem Mann zu gehen, aber die ganze Situation war unschicklich. Machte da so ein kleiner Verstoß überhaupt noch etwas? Längst hatten sie die Gaststätte hinter sich gelassen, aber Sasuke sprach erst wieder mit ihr, als sie sich bereits auf der Hauptstraße befanden. Aus der Ferne schwoll Musik an und je weiter sie gingen, desto mehr Menschen kamen ihnen entgegen. Kleine Stände säumten die Straßenseiten, Lampions in verschiedensten Farben waren aufgehängt worden und je näher sie dem Zentrum des Treibens kamen, desto lauter wurde das Gelächter. Auf einmal spürte sie eine Hand an ihrem Oberarm und dann war ihr der Samurai auf einmal so nah, dass seine Haare fast ihre Stirn streiften. Vor Schreck fiel sie beinahe hin, aber Sasuke Griff bewahrte sie vor einem Sturz. Er machte eine Kopfbewegung in Richtung des Getümmels und Sakura merkte zum ersten Mal, dass er nur ein wenig größer war als sie. Vielleicht einen halben Kopf. Seine Haut war blass, bleich beinahe und obwohl sein Gesicht kaum Gefühle preisgab, wirkte es auf seine eigene Weise plötzlich lebendig. „Kommt“, sagte er und zog sie mit sich. Sakura konnte sich keinen Reim auf sein Verhalten machen. Warum wollte er mit ihr zu dem Fest gehen. Sie war so sehr mit ihrer Mizuage beschäftigt gewesen, dass sie ganz vergessen hatte, dass eines stattfinden sollte. Jetzt aus dem Nichts heraus in das Getümmel hineingeworfen zu werden, war das letzte, das sie erwartet hatte. Aber vielleicht entsprach auch gerade das Sasukes Charakter. Sie hatte niemals gewusst, was er dachte. Im Gegensatz zu ihr hatte seine Maske keinen Sprung. Wenn er andere nicht sehen lassen wollte, was er fühlte, würde dieser es nie zu Gesicht bekommen. Sie kamen an dem Zelt einer Wahrsagerin vorbei, mehreren Ständen, die etwas zu essen verkauften, einer Gruppe von Jongleuren und Feuerspuckern und einem kleinen Stand, an dem man versuchen konnte Goldfische mit einem Papierkescher zu fangen. Da war eine Tanzfläche und eine Frau, die kleinen Mädchen Blumen in die Haare flocht. Sie hielten hier und da an und mit der Zeit brauchte keiner von ihnen mehr sagen, wohin er wollte. Sasuke ließ sie die ganze Zeit über nicht los und Sakura wusste noch immer nicht, was er mit all dem bezwecken wollte. Doch irgendwann kümmerte sie auch das nicht mehr. Es war so merkwürdig, so falsch und fühlte sich doch so richtig an. Sie hatte - und sie konnte kaum glauben, dass es so war – Spaß. Sie war glücklich und inmitten der Menschenmenge blühte sie auf. Auf einmal sah sie nicht mehr nur die schwarzweiße Welt der Geishas, das Leben holte sie farbenfroh, so laut, so unabwendbar ein, dass sie sich fragte, wo plötzlich die Zeit geblieben war. Die Leute erkannten sie nicht, niemand grüßte sie. Sie war nicht der strahlende Stern, dem jeder dieser Menschen zuvor mit Respekt und Ehrerbietung begegnet war. „Ich hatte Recht“, sagte Sasuke auf einmal. Sakura sah ihn fragend an. „Da ist noch etwas … in Euch…“ „Was meinst Ihr?“ Sie hatte sich so schnell an ihn gewöhnt. Viel zu schnell… „Es lässt sich einfach erklären.“, sagte der Uchiha, „Ich habe Euch eine Wahl gelassen. Ihr hättet kommen können, oder nicht, Sakura.“, er hielt inne, wie um ihre Reaktion zu lesen, „aber Ihr seid gekommen. Ihr habt eine Entscheidung gefällt und hättet Ihr das nicht getan, wärt Ihr jetzt nicht hier.“ Sakura sagte nichts. Da war es wieder… Dieses Etwas, das sie an ihm irritierte. Er sagte etwas und schien damit noch etwas ganz anderes zu sagen. Sie verstand ihn nicht. Er mit dem Herzen aus Eis und dem Blick aus Stahl. Sasuke, von dem sie nie wusste, was er dachte. Von dem sie nicht eine einzige seiner Handlungen deuten konnte. Sie befanden sich leicht abseits des Festes, in der Nähe musste irgendwo ein Teehaus sein, wusste sie. Das Fest hatte etwas Magisches… Es hatte sie aus ihren grauen Gedanken gelockt und etwas ans Licht geführt von dem sie geglaubt hatte, es vor langer Zeit begraben zu haben. „Warum zeigt Ihr mir das?“, fragte sie in die Stille hinein. Der Samurai drehte den Kopf, doch seine Augen schienen sie nicht direkt anzublicken. „Ich weiß es nicht“, sagte er. Und weiter erklärte er ihr nichts. Sie schwiegen. Sie waren stehen geblieben und standen nun auf einer kleinen Brücke. Sakura lehnte sich leicht über das Geländer um die Wasseroberfläche anzusehen, die sich kräuselte und nie zum Stillstand kam. Das Wasser wahr übersäht mit Seerosen und sie ,Sakura, konnte sich keinen größeren Kontrast zu dem Samurai und der schlichten Reinheit des kleinen Baches unter ihnen vorstellen. Es war lange her gewesen, dass sie Zeit gehabt hatte, sich die Seerosen richtig anzusehen. Das Rosé war in der langsam ansteigenden Dunkelheit eine Farbnuance tiefer und die dunkelgrünen Blätter wirkten fast schwarz. Ab und an huschte ein Lichtschein über das Wasser, spiegelte sich kurz darin und verschwand. Sasuke hatte die Laterne auf das Geländer gestellt und war an ihre Seite getreten. Er trug einen dunkelblauen, schlichten Kimono, der nicht offenbarte welchem Stand er angehörte. Er hätte ein Kaufmann sein können, ein Schneider, ein Artist, ein Mönch, ein Adliger… Die Liste war endlos und Sakura begann sich zu fragen, ob er auf diese Art und Weise gewissermaßen mit ihr harmonierte. Sie beide waren mit der Wahl ihrer Kleidung gesichtslos geworden. Sie waren in eine Welt eingetaucht in der sie sich nichts verschwiegen, in der alles so offen lag. „Mein Vater hat mir einmal eine ungewöhnliche Aufgabe gestellt“, sagte der Samurai plötzlich, „ich war noch jung und unerfahren. Ich hatte gerade von ihm meine ersten Kendostunden erhalten und ich war ungeduldig.“ Ein feines Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Sakura konnte sich nicht helfen: Sie sah ihn neugierig an und bat still, dass er weitererzählen möge. Der Blick des Samurai wanderte wieder nach unten zur Wasseroberfläche. „Er verlangte von mir Wasser zu schneiden. Eine Unmöglichkeit, aber ich war mir sicher, dass ich selbst das fertig bringen würde. Wasser fließt, Wasser ist immer in Bewegung, Wasser ist das Leben selbst, es steht nie still und trotzdem schlug ich immer und immer wieder mit einem Stock darauf ein.“ „Warum hat er das verlangt?“, fragte Sakura, „er wusste doch, dass es nicht möglich war.“ „Oh ja, er wusste es“, sagte Sasuke Uchiha, „Vater wollte lediglich meinen Geist schärfen und mich mit der Vorstellung vertraut machen, dass es etwas gab, das ich nicht tun konnte.“ „Was ist dann passiert?“, wollte sie wissen. Die Kerze in der Laterne flackerte ein Mal und erlosch dann. „Dann nahm mein Vater einen Eimer, schöpfte das Wasser, das er mir zum Üben gegeben hatte, in zwei Löcher und nach einer Weile lief wieder alles zusammen. Er zeigte mir, dass man etwas wohl trennen, es aber nie wirklich auseinander reißen kann, wenn der Zusammenhang so stark ist. Ich werde nie nur Sasuke Uchiha sein, oder ein Samurai. Man ist immer beides, ob man will oder nicht. Aber man ist auch das eine, wenn man gleichzeitig das andere ist.“ Jetzt war es stockfinster, die Musik und die Geräusche aus der Ferne waren leiser geworden. Viel leiser. Sakura versuchte in der Dunkelheit die Konturen Sasukes’ Gesichts auszumachen, scheiterte aber kläglich. Das rabenschwarze Haar fiel ihm leicht ins Gesicht, aber einen Gesichtsausdruck erkannte sie nicht. Nur seine Augen, die keinerlei Probleme zu haben schienen in der Nacht zu sehen, stachen heraus. Sakura konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie sich zuletzt so frei gefühlt hatte. So leicht. An diesem Abend konnte sie die Tatsache des Mordes so einfach beiseite legen. Der Samurai wirkte ruhig, gelassen, aber er hatte nichts von seiner Gefährlichkeit eingebüßt. War sie wirklich so naiv, dass sie ihm so bedingungslos vertraute? So plötzlich, nach einem oder zwei Gesprächen? Es war schlecht, was hier passierte, sie wusste es, aber Sakura konnte sich auch nicht davon losreißen. Sasuke Uchiha hatte ihre eigenen Fähigkeiten gegen sie selbst gewendet. „Man sagt eine Geisha besitzt einen zweiten Namen“, durchbrach er abermals die Stille, „einen geheimen Namen, der in Vergessenheit geraten soll, damit niemand sich je wieder daran erinnert.“ Er sah sie nicht an, aber Sakura verstand trotzdem die stille Frage dahinter. Konnte sie es wagen ihm ihren Namen zu sagen? Wenn Yugao es herausfand, würde sie die Strafe zu spüren bekommen. Und ihre Wut. Aber war es nicht auch an der Zeit sich zu entscheiden? Wer war sie selbst? Was blieb von ihr nach diesem Wandel. Sie sah den Samurai an und dachte an die Geschichte mit dem Wasser. Etwas, das unwiderruflich zusammen gehörte. Sie war Sakura und Naoko. Sie war ein und dieselbe und mit der Entscheidung, die sie traf, würde sich auch etwas in ihr verändern. Etwas Wichtiges. Es würde einen Menschen geben, der sie als beides kannte. „Naoko“, flüsterte sie, „mein Name ist Naoko.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)