Schattenspiele von Demona (Schatten der Vergangenheit fallen in die Zukunft) ================================================================================ Kapitel 3: Intermission: Weiss ------------------------------ Der junge Mann erwachte, scheinbar aus einem Alptraum, denn er schlug hektisch um sich, bis er bemerkte, dass es kein Feind war, der ihn umklammert hielt, sondern die dünne Decke. Schwer atmend setzte er sich auf und schüttelte den Kopf, um die Reste seiner Träume abzuschütteln. Er war erschöpft, fühlte sich, als hätte er sich in diesem Schlaf nicht erholt, sondern eher noch weiter verausgabt. Er lehnte sich zurück und kreuzte die Arme unter dem Kopf. Ließ die 'Ereignisse' der vergangenen Nacht Revue passieren. Vielleicht sollte er sich psychologische Betreuung suchen. Das Wort 'Unterbewusstsein' bekam einen völlig neuen Bedeutungshorizont, als er über seine Träume der vergangenen Zeit nachsann. Wer war er? Geboren als Ran Fujimiya, getötet als Aya Fujimiya. Im Namen seiner Schwester hatte er unvorstellbare Grausamkeiten vollbracht. Durfte er ihren Namen weiterhin tragen? Seine Schwester war nach Jahren des Komas wieder erwacht. Nachdem sie von einem Haufen verrückter, aber gefährlich begabter Sektenspinner beinahe dazu benutzt worden wäre, in einem 'Erweckungsritual' Menschenopfer zu spielen. Er hatte unglaubliche Ängste um sie ausgestanden. War er ein schlechter Mensch, weil er nicht damit umgehen konnte, dass sie wieder gesund war? Sie war eine konstante in seinem Leben gewesen, das einzige, wofür er noch lebte. Wie hatte er gebetet und gefleht, sie möge erwachen. Aber schon von Anfang an hatten ihn Alpträume gequält. Sie würde nicht verstehen, was er getan hatte, um sich seine Rache zu ermöglichen. Er hatte seine Strafe darin gesehen, dass Aya trotz seiner Gebete nie wieder erwachen würde. Aber nun war sie erwacht. Und seine Alpträume schlimmer denn je. War er schwach, nur weil er sich bisher geweigert hatte, mit ihr zu reden? Beinahe zwei Jahre mittlerweile. Oh, er beteiligte sich an ihrem Leben. Aber von außen, nur ein stummer Beobachter. Ging soweit, dass er sie im alten Blumenladen anrief, aber wie ein verrückter Stalker keinen Ton von sich gab, wenn er ihre Stimme hörte. Er tat ihr weh damit, dass wusste er. Er redete sich ein, dass er sie nicht hätte treffen können. Krititker hätten sie beide beseitigt, wenn er auch nur angedeutet hätte, wem er sich verpflichtet hatte, während sie schlief. Aber was war jetzt sein Motiv? Kritiker hatten längst ihren Griff um das Team Weiss gelockert, beinahe gelöst, nachdem interne Machtkämpfe fast die gesamte Organisation ausgelöscht hatten. Warum ging er nicht zu Aya und redete mit ihr? Er MUSSTE ihr nicht erzählen, dass er auf Befehl Menschen getötet hatte. Er könnte einfach da sein, sie einfach in die Arme schließen. Was hielt ihn davon ab? Angst. Angst vor ihrer Reaktion. Ihrer möglichen Ablehnung. Und noch eine andere Angst in ihm. Ein ungebetener 'Gast' in seinen Träumen, seitdem er damals bei der Explosion seines Elternhauses diesen merkwürdigen Ausländer bemerkt hatte. Mittlerweile kannte er diesen besser, als ihm lieb war. Der hochgewachsene Deutsche mit den flammenden Kupferhaaren, der seine Träume heimsuchte, war der deutsche Telepath eines gegnerischen Teams, das sich 'Schwarz' nannte. Trotzdem konnte er sich nie sicher sein, dass es wirklich der Deutsche war, der seine Träume manipulierte. Vielleicht hatte sein eigenes Unterbewusstsein sich diesen nur zum Vorbild genommen, um für ihn einen Antagonisten im Traum zu schaffen? Der ihn zu Gedanken drängte, die er sich selbst nicht eingestehen wollte? Und dieser Gedanke wurmte ihn, die Unsicherheit quälte ihn. Er konnte nicht wissen, ob es wirklich der Telepath war, der ihm Gedanken und Träume einflüsterte, oder sein eigener kranker Geist. Fragen konnte er den Deutschen mit dem merkwürdigen Namen schlecht. "Ach, Schuldig, warte doch mal kurz, eh du auf mich schießt, ich stech dich auch nicht mit meinem Katana ab, aber was ich dich noch fragen wollte..." Aya schnaubte und machte sich auf den Weg ins Badezimmer. Auch wenn sein Appartment selbst für japanische Standards winzig war, genoss er doch den Luxus, sich nicht mehr mit drei anderen Männern ein Wohnmobil zu teilen. Mittlerweile wohnten sie zwar nah beieinander, aber jeder hatte seine eigene Wohneinheit und konnte sich zurückziehen, ehe er wegen irgendeiner Kleinigkeit ausflippte und begann, seine Kollegen zu beschimpfen oder gar gewalttätig zu werden. Sie hatten wieder einen kleinen Blumenladen eröffnet. Auch wenn jeder von ihnen schon einmal über diese eigentlich lächerlich Tarnung gewitzelt hatte, war es trotzdem etwas, das sie mittlerweile gut beherrschten. Selbst der Trailer hatte zur Tarnung gleichzeitig als Blumenladen fungiert. Wobei die Blumen mehr Platz hatten als die vier jungen Männer. Und besonders Omi, ihr jüngster, hatte sich für einen neuen festen Wohnsitz ausgesprochen. Er wollte zumindest die Mittelschule fertig machen. Aya verstand dieses Motiv, glaubte aber auch zu wissen, dass es zumindest teilweise nur als Vorwand diente, die den jungen Mann in der Nähe seiner wiedergefundenen Familie hielt. Auch wenn es 'nur' ein alter Mann war, der sich nicht einmal sicher sein wollte, welcher seiner mißratenen Söhne den jungen Mamoru gezeugt hatte. Aya schalt sich gedanklich, weil er so schlecht von Omis letztem noch verbleibenden Familienmitglied dachte. Aber bei dem Namen 'Takatori' stellten sich ihm immer noch die Nackenhaare auf. Von seinem Aggressionspegel ganz zu schweigen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er schon etwas länger geschlafen hatte, als es seine eigentlich Gewohnheit war. Wenn er noch pünktlich zu seiner Schicht im Laden antreten wollte, um den armen Ken nicht gänzlich allein zu lassen, sollte er sich beeilen. Omi hatte sich zwar beschwert, dass er sich in der Schule krank melden musste, um den heutigen Überwachungsauftrag zur Vorbereitung ihres nächsten Hits zusammen mit Yohji zu übernehmen, aber der Junge fiel einfach am wenigsten auf. Ein wenig schlecht kam Aya sich vor, dass er Omi mittlerweile mit einem Blick dermaßen einschüchtern konnte, dass er sich still in sein Schicksal fügte. Andererseits würde er Freudenfeste feiern, wenn das auch mit Ken und vor allem Yohji so gut funktionieren würde. Nach einem kurzen Frühstück machte er sich auf den kurzen Weg zum Blumengeschäft. Ja, sie hatten es wieder "Kitten in the house" genannt. Ein wenig Vertrautheit in ihrem sonst so unsteten Leben. Aya und Ken arbeiteten meist gut zusammen. Aber wenn der Morgen ruhig war (so wie heute), noch dazu zwei ihrer Teammitglieder auf einer - wenn auch ungefährlichen - Mission waren (so wie heute) und Ken aus irgendwelchen Gründen generell sehr mitteilungsbedürftig war (so wie heute), musste Aya arg an sich halten, um dem Dunkelhaarigen nicht mit einem Büschel Blumen den Mund zu stopfen. Er hatte die unbestimmte Vermutung, dass Ken die Abwesenheit der anderen ganz gern nutzte, um zu testen, wie weit er ihn auf harmlosem Wege provozieren konnte. Vielleicht war das auch einfach Paranoia. Aber Kens Grinsen, wenn er glaubte, dass Aya ihn nicht beobachtete, goß Benzin auf dieses paranoide Feuer in Ayas Innerem. Als Ken gerade zu einer erneuten Wiederholung der für Aya unglaublich uninteressanten Geschichte seines Fußballtrainings mit der örtlichen Kindergruppe ansetzte und sich Ayas Hand schon gefährlich um einen kleinen Blumenstrauß ballten, erwartete ihn schon die nächste angenehme Überraschung an diesem doch so entspannt begonnen Tag. Sein Gesicht verzog sich missbilligend, als Omi und Yohji wesentlich früher als geplant von der Überwachung ihrer Zielperson zurückkehrten. Dieser Ausdruck wich allerdings schnell Sorge, denn beide sahen ziemlich blass und mitgenommen aus, Omi schlimmer noch als Yohji. Schnell hatten Aya und Ken sie an den kleinen Tisch in der Ecke verfrachtet, an dem sonst Blumengestecke gefertigt wurden und mit heißem Tee versorgt. "Warum seid ihr so früh zurück?", fragt Aya. Und biss sich im nächsten Moment gedanklich auf die Zunge, denn die neutral und sogar sorgenvoll gemeinten Worten klangen selbst für ihn ein wenig vorwurfsvoll. Omi schien nichts davon zu bemerken, denn er starrte gedankenverloren vor sich hin und umklammerte seine Teetasse wie den letzten Rettungsanker. In Yohjis Augen hingegen blitzte es kampflustig auf. "Vergebung, oh weiser Anführer, dass wir uns nicht gegen einen TELEPATHEN zur Wehr setzen konnten", ätzte er. Aya schnaufte geräuschvoll. Auch wenn ihm sein Tonfall selbst leid tat, wollte er Yohji so eine Respektlosigkeit doch nicht einfach durchgehen lassen. Da die beiden unversehrt zurückgekehrt waren, sparte er sich weitere Fragen und funkelte Yohji nur erwartungsvoll an. Ken war ein Stück vom Tisch zurückgetreten und behielt die anderen wachsam im Auge. Er wusste, wie aufbrausend Aya sein konnte, hatten dieser und er doch bei dessen Aufnahme in ihr Team den damaligen Blumenladen gründlich zerlegt. Omi schien sich immer noch nicht wirklich für seine Umwelt zu interessieren, also trat Ken vorsichtshalber näher zu ihrem Jüngsten, um ihn im Notfall aus der Gefahrenzone schleifen zu können. Aber auch Yohji schien aufgefallen zu sein, dass er sich ebenfalls ein wenig im Ton vergriffen hatte. "Entschuldige", lenkte er ein. "Aber es ist immer verdammt frustrierend, auf Schwarz zu treffen." Aya nickte nur, denn er traute seiner Stimme nicht. Dass dieser verdammte Deutsche sich aber auch überall einmischen musste! "Ihr hattet also keine Chance, irgendetwas nützliches zu erfahren?", fragte er, vorsichtiger diesmal. Alle zuckten zusammen, als Omi ein heiseres Lachen ausstieß. "Oh doch, haben wir." Er hob den Blick nicht von seiner Teetasse, als er weitersprach. "Eine kleine 'Botschaft' von Schuldig. Wenn uns unsere Haut lieb ist, greifen wir den alten Saito nicht innerhalb der nächsten zwei Wochen an, sonst..." Er schauderte merklich, und Ken trat hinter ihn, um ihm beruhigend die Hände auf die Schultern zu legen. Yohji schüttelte mitleidig den Kopf. Scheinbar war er mit einer leichten Kopfschmerzattacke noch relativ glimpflich davon gekommen. "Was wollen wir also tun?", fragte er und sah Aya schon beinahe herausfordernd an. "Lassen wir uns von Schwarz einschüchtern?" Aya schnaubte wütend, als er das beinahe automatische Nicken Omis bemerkte. "Wenn wir einen festen Termin einzuhalten hätten, würde ich sagen, keinesfalls." Er hob beruhigend die Hände, als Omi einen protestierenden Laut von sich gab. "Wir haben diesmal keinen Zeitdruck. Wir können den Alten sowieso nicht wirklich erledigen, ehe wir die Daten haben." Aya sah seine Teamkollegen abschätzend an und wartete, dass jemand protestieren würde. Omi ergriff nur sehr zaghaft das Wort. "Wir müssen davon ausgehen, dass die Daten in einem Rechner im Club gespeichert sind. In Saitos Haussystem war keine Spur davon zu entdecken." Widerwillige Anerkennung schwang in seinen Worten mit. Aya murrte leise vor sich hin. Er hasste Aufträge, bei denen es vorrangig um das bloße Ausspionieren eines Zieles ging. Immerhin konnten sie sicher sein, dass in diesem Fall die geforderten Daten automatisch die eigentliche Hinrichtung nach sich ziehen würden. Aber in letzter Zeit war es erstaunlicherweise einige Male vorgekommen, dass die Informationen von 'Rest-Kritiker', wie Aya die stark dezimierte und langsam ins Chaos abgleitende Organisation gedanklich nannte, fehlerhaft oder unvollständig gewesen waren, was einmal beinahe zu einer ungerechtfertigten Hinrichtung geführt hätte. Aya selbst war wütend gewesen damals, aber seine Wut war nichts gewesen verglichen mit Omis Zorn. Seither achteten sie peinlich genau darauf, die Schuldigkeit ihrer Opfer mit entsprechenden Daten zu belegen. Daten, die sie selbst gesammelt hatten. Es machte alles ein wenig zeitaufwendiger. Aber da sie ohnehin mehr Zeit zwischen ihren Aufträgen lag als früher, stellte dies kein Problem dar. Eher eine Art Beschäftigungstherapie. Aya schüttelte den Kopf und ging gedanklich ihre Möglichkeiten durch. "Das bedeutet also, einer von uns müsste sich in den Club einschleusen." Ken stieß ein heiseres Lachen aus. "Und wer sollte das deiner Meinung nach sein? Du bist 'hübsch' genug, Aya, dadurch gleichst du dein fortgeschrittenes Alter aus", stichelte er. "Aber du weißt, dass du genau wie ich in bestimmten und vielleicht notwendigen Situationen alles andere als... zugänglich wärst." Er grinste, als Aya errötend den Kopf senkte. "Und Omi.. nein." Ken legte dem Jüngeren beschützend die Hände auf die Schultern. Aber seine Hände spannte sich etwas, als ein leicht böses Lächeln auf Aya Zügen zu spielen begann. "Du hast vollkommen Recht, Ken. Es gibt nur einen, der dieser Situation gewachsen wäre." Immer noch ein wenig böse grinsend, trat er zu Yohji tätschelte mitleidig dessen Schultern. "Und sein gutes Aussehen sollte doch nutzbringend eingesetzt werden." Yohji schluckte trocken. Er wusste, dass Aya gereizt war, genauso wie er wusste, dass er wahrscheinlich für diese Art von Maulwurfjob am besten geeignet war. Aber musste es Aya verdammt noch mal soviel Spaß machen, ihn dafür einzusetzen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)