Studenten unter sich von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ~ Ein unschönes Erwachen ----------------------------------- Mein Wecker klingelte lautstark und riss mich aus dem Schlaf. Ich, ein Morgenmuffel wie ich war, haute ungeduldig so lange auf den Wecker ein, bis er endlich Ruhe gab, ohne jedoch meinen Kopf aus dem Kissen zu heben. Seufzend drehte ich mich auf die andere Seite und wickelte mich mehr in die Decke ein. Heute war Samstag und ich hatte vergessen, die Weckfunktion auszustellen. Das passierte mir nicht oft, aber natürlich gerade dann, wenn ich einen schönen Traum hatte. Das war in letzter Zeit nicht häufig vorgekommen, oft hatte ich einen traumlosen Schlaf. Ich versuchte mich daran zu erinnern, was ich geträumt hatte, doch es gelang mir nicht- der Traum war weg. Ich versuchte wieder einzuschlafen, als es an meiner Zimmertür klopfte und Strify, mein Mitbewohner, verschlafen dreinblickend und mit zerzausten Haaren mein Zimmer betrat. „Hast du schon wieder vergessen, die Weckfunktion auszustellen?“, fragte er genervt. „Was heißt hier schon wieder?!“, grummelte ich zurück und vergrub mein Gesicht in meinem Kissen. Ich wollte endlich weiterschlafen. Ich hatte gestern viel zu lange ferngesehen, ich konnte mich einfach nicht von meinem Lieblingsfilm ’Titanic’ losreißen. Strify war eher zu Bett gegangen, er mochte solche „Schnulzgeschichten“ nicht. Doch jetzt, wo er nun mal wach war, konnte er nicht mehr schlafen, war aber immer noch leicht angesäuert. Schlurfend ging er in sein Zimmer zurück, zog sich an und verließ die Wohnung, um beim Bäcker gegenüber frische Brötchen für uns zu holen. Ja, der liebe Strify. Das mit den Brötchen machte er aber mehr für sich als für mich, erst recht nach dieser Aktion eben, das war mir klar. Doch als Strify die Tür hinter sich zugezogen hatte, rührte ich mich nicht. Ich hatte schlechte Laune; wie gesagt, Morgenmuffel. Samstags schlief ich für gewöhnlich gerne bis 11 Uhr, doch jetzt war es halb sieben und dem Frühlingshimmel konnte man das ansehen- es war ohne Licht doch recht dunkel im Zimmer. Vor etwa drei Monaten waren Strify und ich hier in diese Studentenwohnung gezogen, da wir da unser erstes Semester an der Berliner Universität begonnen hatten. Strify studierte Englisch um später einmal eventuell nach Australien zu ziehen und dort etwas Neues zu beginnen, während ich mich mit Jura befasste. Klingt für andere nicht sonderlich spannend, aber mir gefiel es. Was ich danach machen wollte, stand noch in den Sternen. Doch ich hatte noch Zeit, schließlich lagen noch fast zwei Semester vor mir. Jedenfalls waren wir beide hier in dieses Studentenwohnheim gezogen und verstanden uns immer noch prächtig- meistens jedenfalls. Einen richtig heftigen Streit hatte es bei uns erst einmal gegeben. Wir hatten tagelang nicht mehr miteinander geredet und wir waren total sauer aufeinander gewesen, doch letztendlich haben wir uns wieder versöhnt. Sonst gab es nur kleine Auseinandersetzungen, nichts Ernstes. Und das sollte etwas heißen, denn wir kannten uns schon lange. Kennen gelernt hatten wir uns in der Schule, in der 7. Klasse, als wir wegen der Fremdsprachen neu zusammengewürfelt wurden. Wir beide hatten Französisch gewählt, kamen also in eine Klasse, gemeinsam mit Yu, ebenfalls einem Kumpel von uns. Etwas später, etwa Anfang der 9. Klasse stieß dann Kiro zu uns, der in eine Klasse über uns ging. Ihn lernten wir aufgrund unseres Stylings kennen, wir alle fingen nämlich an, uns mit 15 etwas anders zu kleiden als der Rest in unserer Schule. Wir bevorzugten ausgefallene Sachen, hoben uns gerne von der Menge ab. Doch es war nicht extrem, es war eben nur ein wenig... anders. Erinnerte entfernt an Visual Key. Als unsere Klasse einmal einen Ausflug mit einer Klasse der Jahrgangsstufe über uns gemacht hatte, hatten Striyf und Yu Kiro angesprochen. Ich war nur mitgegangen und hatte danebengestanden. Jedenfalls gesellte er sich seitdem in den Pausen häufig zu uns und wir freundeten uns mit ihm an. Er war sehr nett und passte gut zu uns. Mit ihm zusammen war es noch lustiger. Leider studierte Kiro nicht, ebenso wenig wie Yu, der gerade eine Lehre als Masseur machte. Erst kürzlich hatten wir unser Abitur bestanden, das hatten wir so richtig gefeiert. Doch obwohl wir seit der Schule getrennte Wege gingen, waren sie doch nicht so getrennt. Wir trafen uns oft mit unseren anderen Freunden und Kiro und Yu verbrachten schon mal das ein oder andere Wochenende mit uns in unserer Studenten- WG. Wir waren Freunde fürs Leben. Kapitel 2: ~ Strify und der Piekse- Stock ----------------------------------------- Ich hörte einen Schlüssel in unserem Türschloss klackern und die Wohnungstür wurde geöffnet. Strify war mit den Brötchen zurück. Ich lag immer noch im Bett, doch geschlafen hatte ich nicht. Eine Weile lag ich nur so da und lauschte den Geräuschen, die aus der Küche kamen. Strify war nicht gerade das, was man leise nennen konnte. Das Klappern des Geschirrs war in meinen noch müden Ohren wie Bombeneinschläge, ebenso wie das Klirren des Besteckes, das Strify achtlos auf den Tisch zu werfen schien. Stöhnend schälte ich mich aus meiner warmen Bettdecke und tapste ins Bad. Es nützte ja doch nichts. Und bevor ich mir von meinem Mitbewohner die Decke wegreißen ließ, stand ich lieber freiwillig auf. Als ich die Küche betrat, duftete es nach Kaffe und frischen Brötchen. Strify war gerade mit dem Vorbereiten fertig geworden. „Ich wollte dich gerade wecken.“, meinte er und setzte sich an seinen Platz. „Ich weiß, was meinst du, warum ich hier bin?“, muffelte ich vor mich hin und setzte mich ebenfalls. Wir aßen und ich ließ mich von Strify zulabern. Die Brötchen waren lecker und der warme Kaffe fühlte sich gut an in meinem Bauch. Er wärmte mich von innen und etwas wacher war ich auch schon. Je später es wurde, desto gut gelaunter wurde ich, das war bei mir immer so. Morgens war ich unausstehlich, doch abends war ich immer eine Stimmungskanone. Strify biss in sein Brötchen und erzählte weiter. Er hatte sich an meine morgendlichen Launen schon längst gewöhnt und es störte ihn nicht weiter. Besonders lustig wurde es allerdings, wenn Kiro hier übernachtete. Er war ein noch viel schlimmerer Morgenmuffel als ich, deshalb war die Atmosphäre dann auch immer so geladen, wenn wir aufwachten. Yu und Strify waren daher immer sehr vorsichtig was das morgendliche Unterhaltungsprogramm anging. Doch wenn Kiro erst mal sein Frühstück im Magen hatte, war er der reine Sonnenschein. Er rannte grinsend durch die Gegend und war Dauerfröhlich. Bei mir war es da nicht viel anders. Kaum spürte ich ein leichtes Sättigungsgefühl in meinem Magen und den warmen Kaffee, der seine Wirkung zeigte, war ich fröhlich- insofern ich nicht einen schlechten Tag erwischt hatte. Eigentlich war ich ein ziemlich fröhlicher Mensch und nicht minder quirlig. Ich war gut im Aufheitern, wenn es anderen nicht so gut ging. Mein Nebenjob war ja nicht umsonst Sonnenschein gegen schlechte Laune. Zufrieden legte ich das Besteck neben meinen Teller und bedankte mich bei Strify für die Brötchen, was für ihn eine Entwarnung von meiner miesen Stimmung war. Zusammen räumten wir den Tisch ab und gingen ins Wohnzimmer. Nachher würden wir in den Park gehen und uns mit unseren Freunden treffen. Solange vertrieben wir uns die Zeit mit fernsehen und reden. Auf dem Weg zum Bus wehte ein frischer Wind, der uns merken lies, dass es noch nicht ganz Sommer war. Der Himmel war trügerisch blau und die Sonne strahlte von ihm herab und sonst war es eigentlich auch ganz mild. Die Vögel zwitscherten munter in den Bäumen, deren Blätter bereits grün waren und sachte im Wind schaukelten. Der Bus war nicht so voll gestopft wie sonst jeden Morgen. Einen Sitzplatz fanden wir zwar nicht mehr, aber ich stand sowieso lieber. Draußen zogen Häuser und Straßen an uns vorbei, wir hielten an Haltestellen, fuhren wieder los, Leute stiegen ein, stiegen aus. Eine ganze Weile ging das so, bis wir schließlich in der Nähe des Parks ausstiegen. Während wir so dahinschlenderten und nach den anderen Ausschau hielten, hatte Strify mal wieder eine ganze Menge zu erzählen. Ich hörte ihm zu und warf ab und zu mal ein paar Kommentare ein, wenn Strify gerade Luft holte. Er war die reinste Labertasche, aber deswegen mochte ich ihn. Mit ihm war es nie langweilig und man fühlte sich in seiner Gegenwart nie einsam. Schließlich, als wir schon den halben Park durchforstet hatten, entdeckten wir ein Grüppchen von Jugendlichen, die es sich auf der Wiese bequem gemacht hatten. Wir gingen zu ihnen und begrüßten unsere Freunde. Wir setzten uns zu ihnen und unterhielten uns eine ganze Weile. Es wurde viel gelacht und gerade war Kiro dabei, einen neuen Witz zu erzählen als Yu angeschlendert kam und sich ebenfalls zu uns setzte. Er war etwas später gekommen, weil er noch im Massagestudio war. Gerade setzte Kiro wieder zu reden an, als ich merkte, dass etwas, das sich hinter meinem Rücken befand und ich deshalb nicht sehen konnte, Strifys Aufmerksamkeit auf sich zog. Und schon war er aufgesprungen und lief in die Richtung hinter mir. Der Rest lachte gerade über Kiros Witz, den ich wegen Strify eben nicht mitbekommen hatte und ich versuchte mir anhand dessen, was ich vorher von Kiros Worten mitbekommen hatte, mir den Sinn des Witzes zusammenzureimen, als mich etwas in den Rücken piekste. Ich drehte mich ruckartig um und sah Strify, der etwa zwei Meter von mir entfernt stand und mir grinsend mit einem ebenso langen Stock in den Rücken piekste. „Hey“, rief ich und drückte den Stock weg. Doch schon piekste er mich wieder und diesmal versuchte ich, ihm den Stock aus der Hand zu reißen, was sich sitzend als ziemlich schwer erwies, da Strify sowieso stärker war als ich, obwohl der Größenunterschied zwischen uns nicht gerade die Welt war. Er war gerade mal drei cm größer als ich. Trotzdem gelang es mir nicht und als ich es noch mal versuchte, rannte er schreiend mit einem lauten „Neeeeeiiiiiin!!!!!“ davon, den Stock hinter sich herschleifend. Mit seiner Aktion hatte Strify die Aufmerksamkeit der anderen auf sich gelenkt und lachte im Wegrennen genauso wie sie. Kopfschüttelnd und mit einem Schmunzeln auf dem Gesicht, das ich nicht unterdrücken konnte, wandte ich mich wieder den anderen zu. Doch ein paar Sekunden später piekste mich Strify wieder mit dem Stock, diesmal von der Seite. Lachend drehte ich mich zu ihm um und versuchte, mir den Stock vom Leibe zu halten. „Pieks!“ rief er dabei und lachte ebenfalls. Nun ging er zu Kiro und fing an, ihn zu belästigen. Ständig piekste er ihn mit dem Stock, und zwar so lange, bis er den armen Kiro bis zur Weißglut gebracht hatte. „Poke“ rief Strify und Kiro stöhnte genervt auf. Kiro ließ sich leicht ärgern, deshalb war er auch Strifys Lieblingsfreund. Während wir Strify beim Spielen zusahen, konnten wir anderen uns vor Lachen gar nicht mehr einkriegen. Kiro hätte das auch lustig gefunden, wäre nicht gerade er das heutige Mobbingopfer von Strify gewesen. Yu holte gerade seine Digitalkamera aus seinem Rucksack und Strify posierte, den Stock neben sich. Er hatte seinen schwarzen Hut tief ins Gesicht gezogen, sodass es fast gar nicht mehr zu erkennen war. Yu schoss ein Foto. „Strify und der Piekse- Stock!“, rief er und Strify bog sich schon vor Lachen; auch Kiro musste nun lachen. Etwas später waren wir aufgestanden und sind im Park herumgelaufen. Wir gingen gerade über eine von Bäumen geschützte Wiese, als wir ein kleines steinernes Podest entdeckten, das vor ein paar Wochen noch nicht da gestanden hatte. Neugierig gingen wir darauf zu und betrachteten die eingemeißelten Zeichen. Yu zog die Augenbrauen hoch und fragte direkt laut heraus, was wir alle dachten: „Was zum Teufel ist das für ein Mist?“. Auch ich betrachtete dieses Etwas skeptisch und versuchte eine Antwort auf Yus Frage zu finden. Kiro deutete auf einen weißen Fleck, der sich auf der runden Platte des ...Denkmales? - befand, und konnte sich vor Lachen gar nicht mehr einkriegen. „Die Vögel mögen es wohl nicht besonders!“, brachte er hervor und musste noch mehr lachen. Auch ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Strify fand das Ding langweilig und wollte nicht mehr an diesem steinernen Etwas stehen bleiben, er zog ungeduldig wie ein kleines Kind an uns herum. Als keiner reagierte, seufzte er genervt auf und fing an, auf der Wiese rum zu tanzen. Er schlenkerte seine Arme und hüpfte wie ein überfröhliches Kind in einem großen Kreis um uns herum. „Strify?“, rief ich lachend, „alles in Ordnung?“. Auch die anderen lachten und fingen an, diesen künstlerischen Ausdruckstanz zu filmen. Ich stand hinter meiner Freundin, sah ihr über die Schulter auf den Display ihrer Digitalkamera, auf dem Strify herumtanzte. Vor lauter Lachen krampfte sich mein Magen langsam zusammen und ich hatte schon Lachtränen in den Augen. Strify war ein geborener Entertainer, das hatten wir schon lange bemerkt. Denn im Gegensatz zu Kiro fühlte sich Strify vor einer Kamera pudelwohl und sobald er eine Linse sah, die auf ihn gerichtet war, lief er zu Hochtouren auf. Dann konnte man ihn nur schwer stoppen und wer das versuchte, musste damit rechnen, dass alles in einem Chaos endete. In einem ziemlich lustigen, versteht sich. Als Strify sich ausgetobt hatte und sich wieder zu uns gesellte, liefen wir weiter. Wie so oft merkte ich, dass die meisten Leute, die uns entgegenkamen, uns neugierig ansahen. Das lag zum Teil an unseren ungewöhnlichen Styling, zum Anderen aber auch daran, dass Kiro, Yu und Strify so ungewöhnlich gut aussahen. Kiro war zwar klein, etwa 1.65 m, aber seine blond-schwarz gefärbten Haare, die er nach einer Eigenkreation hinten hochgegelt hatte, zogen Blicke auf sich. Er hatte ein hübsches Gesicht und sein Lächeln war umwerfend. Obwohl er von uns der Älteste war, sah man es ihm nicht an, eher würde man Yu diesen Ruf zuschreiben, da er ziemlich groß war, der Größte von uns. Außerdem war er ziemlich muskulös und seine schwarz gefärbten Haare, deren knallrote Strähnen sie zu einem echten Blickfang machten, ließen ihn cool wirken. Lag vielleicht daran, dass er einfach cool war- Yu war Yu. Und gerade er zog die meisten Blicke der Mädchen auf sich, da er von den Jungs am männlichsten und- zugegebenermaßen- ziemlich sexy aussah. Strify war dafür aber nicht minder gut aussehend und sein hochnäsiger Blick, den man manchmal auf seinem Gesicht wiederfand, stand ihm ausgezeichnet. Dieser Blick war zwar arrogant, zog aber ebenfalls viele Blicke auf sich, da er damit einfach nur verboten gut aussah. Als ich unsere drei Blickfänger mal darauf angesprochen hatte, wie die anderen Leute sie immer ansahen, meinten sie nur, dass die Leute auch mich ansahen, besonders zog ich Blicke des männlichen Geschlechts auf mich, meinte Yu mit einem prüfenden Blick zu mir. Und natürlich sah man mich an, weil sie neidisch waren, dass ich mit drei so unglaublich wunderbaren und sagenhaft gutaussehenden Typen im begehrenswerten Modelmaß herumlief, wie er- selbstsicher wie er nun mal war- grinsend hinzufügte. Da hatte auch ich gegrinst. Es kamen uns viele Spaziergänger, einige davon auch mit Hunden, entgegen. Kiro war ein totaler Hunde- Fan und sehr tiervernarrt. Deshalb drehte er sich auch nach jedem Hund um, der nur halbwegs süß aussah, und sagte zu uns „Boah, ist der niedlich!“ oder „Hast du den gesehen? Der hatte so süße Knopfaugen!“, als hätten wir nicht selbst eine Netzhaut, die alle Lichtspiegelungen reflektierte und Bilder vor unserem Auge erscheinen ließe. Aber wir ließen ihm den Spaß und da ich neben ihm lief, antwortete ich immer brav mit „Ja.“, wenn er wieder einen niedlichen Klops auf vier Pfoten gesehen hatte. Eigentlich hätte jemand Kiro mal sagen sollen, was für niedliche Knopfaugen er hat, aber ich wollte nicht diejenige sein, da es sich so anhören könnte, als sei ich in Kiro verliebt, und das war ich definitiv nicht, und ich wollte keine unnötigen Gerüchte oder Spekulationen in die Welt setzen, also hielt ich meine Klappe und lief weiter brav mit „Ja.“ antwortend neben Kiro her. Erst als es schon dämmerte, stiegen Strify, Kiro, Yu und ich in den Bus nach Hause. Die beiden sollten noch zu uns kommen, wir wollten den Tag mit einem gemeinsamen Abend ausklingen lassen. Diesmal hatten wir nicht so viel Glück, der Bus war voll bis obenhin. Wir konnten froh sein, überhaupt noch reinzupassen, denn wir hatten definitiv keine Lust, ewig lange auf den nächsten Bus zu warten, der erstens bestimmt auch nicht viel leerer sein würde und zweitens hatte sich der Himmel verdunkelt und schon fielen die ersten Regentropfen. Typisch Frühling eben. Der Bus ruckelte über die an einigen Stellen etwas uneben geratene Straße, wir hielten an Haltestellen und fuhren wieder los, aber es wurde einfach nicht leerer. Seufzend stand ich, ohne Festhaltemöglichkeit, zwischen Leuten eingequetscht, ich konnte aufgrund der regennassen Fenster nur vage die Umrisse von draußen erkennen, die an uns vorbeizogen. Als wir an die Haltestelle kamen, an der wir rausmussten, kämpften wir uns mit aller Mühe zur Tür, da die Leute einfach nicht dazu zu bewegen waren, mal für einen kurzen Moment auszusteigen um uns herauszulassen. Als wir schließlich auf dem regennassen Bürgersteig standen, mussten wir erst mal Luft holen. Mittlerweile hatte es richtig angefangen zu regnen, also beeilten wir uns, in unsere Wohnung zu kommen. Triefnass und bis auf die Knochen durchgefroren betraten wir endlich unseren Flur. Es war schön warm hier drinnen und es tat gut, die nassen Jacken abzulegen. Ich ging in mein Zimmer, streifte meine feuchten Klamotten ab und zog mir trockene an. Ich kuschelte mich in meinen Pullover und ging dann in die Küche um für uns warmen Tee zu kochen. Derweil hatten auch die Jungs ihre nassen Sachen ausgezogen, Kiro hatte sich etwas von Strify geliehen, Yu hingegen saß nur mit seiner Hose bekleidet auf dem Sofa. Ein Pulli von Strify hätte ihm nicht gepasst, er hatte wesentlich mehr Muskeln. Dennoch genierte er sich nicht, so vor uns zu sitzen, er war eben unser Macho. Es gab aber auch keinen Grund, warum er sich hätte genieren sollen, denn sein durchtrainierter Bauch war durchaus ansehnlich. Trotzdem hatte ich ein etwas mulmiges Gefühl, ihn so halb nackt vor mir sitzen zu sehen. Doch schon pfiff der Wasserkocher und eilig goss ich das heiße Wasser in vier Teetassen und trug sie ins Wohnzimmer, wo ich sie auf dem Couchtisch abstellte. Die Jungs nahmen sie dankbar und tranken mit kleinen Schlucken den warmen Tee. Ich pflanzte mich zu Kiro und Strify aufs Sofa, Yu hatte es sich in dem Sessel gemütlich gemacht. Ich genoss es, als ich den himmlischen Geschmack von Kirschtee in meinem Mund vernahm und als die heiße Flüssigkeit meinen Rachen hinabfloss, wurde mir leicht schwummrig. Es tat mir richtig gut. Schon nach den ersten Schlucken zeigte der Tee seine Wirkung- in meinem Bauch breitete sich eine wohlige Wärme aus, die sich im ganzen Körper auszudehnen schien. Zufrieden lehnte ich mich zurück und sah auf den Bildschirm des Fernsehers, den Yu, der sich hier wie zu Hause fühlte, angeschaltet hatte. Er zappte durch die Kanäle, verweilte mal länger, mal kürzer bei Programmen. Eine ganze Weile schwiegen wir, tranken unseren Tee und sahen zum Fernseher. Doch irgendwann fing Strify an zu reden und die anderen beteiligten sich daran. Nur ich sah stumm zu dem Mädchen, dass weinend auf einem Bett lag und sich unruhig darauf hin und her wälzte. Irgendwas schien mit ihr nicht zu stimmen, doch noch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, ging die Zimmertür auf und eine Frau, die ein Tablett mit Essen trug, betrat den Raum. Ruckartig setzte sich das Mädchen auf und sah die Frau böse an. Die Frau, die ihre Mutter war, zumindest wurde sie so von dem Mädchen genannt, hatte einen sanften, bittenden Blick. Sie schien ängstlich zu sein und ihr Gesicht war voll von Sorge. Als die Kamera näher an das Gesicht der Frau heranzoomte, waren dunkle Schatten unter ihren Augen zu erkennen. „Iss, bitte. So kann das nicht weitergehen. Ich bitte dich, übertreib nicht.“. Mit traurigem, fast flehentlichem Blick wandte sie sich ab und verließ das Zimmer. Das Mädchen saß nun alleine auf dem Bett und starrte eine Weile regungslos auf das Tablett. Sie schien innerlich mit sich zu kämpfen, stand aber schließlich auf und stopfte das Essen in eine Plastiktüte, die sie aus einer Schreibtischschublade hervorgeholt hatte. Eilig versteckte sie die Tüte in ihrem Kleiderschrank und setzte sich wieder auf ihr Bett. Sie hielt sich den Bauch- ihr schien nicht gut zu sein. „Bald werde ich endlich dünn sein.“, murmelte sie vor sich hin und plötzlich erkannte ich die Geschichte wieder. Es war die Verfilmung eines Romans, in dem es um ein Mädchen geht, dass unbedingt abnehmen will, dabei aber die Kontrolle verliert und magersüchtig wird. Ich wandte meinen Blick schnell vom Fernseher ab. Das Buch hatte mich sehr berührt, als ich es gelesen hatte. Vielleicht, weil ich ähnliches durchgemacht hatte? Bei mir war es zwar nie so weit gekommen, dass ich in eine Klinik musste, aber es war schlimm gewesen. Ich sah zu den anderen. Sie unterhielten sich immer noch. Yu schien wieder eingefallen zu sein, dass er eine Fernbedienung in der hand hielt, denn er sah zum Bildschirm und schaltete um. Das Mädchen verschwand. Kapitel 3: ~ Geselliger Abend und schmerzliche Erinnerungen ----------------------------------------------------------- In schnellen Zügen trank ich den Tee aus und zwang mich, die dunklen Erinnerungen aus meinem Kopf zu verscheuchen. Yu hatte auf MTV geschaltet und die Fernbedienung aus der Hand gelegt. Immer noch unterhielten sich die Jungs, im Hintergrund war leise die Melodie von Hillary Duff’s neuem Lied ’Fly’ zu hören. Plötzlich fühlte ich, wie mich jemand leicht in die Seite stupste. Ich drehte den Kopf und sah geradewegs in Kiros Knopfaugen. Er legte den Kopf schief und fragte, was los sei, ich sei so schweigsam. Ich fand es rührend, wie er sich um mich sorgte und albernerweise fühlte ich, wie Tränen in meine Augen zu steigen drohten. Mit aller Gewalt unterdrückte ich sie und schüttelte den Kopf. „Nein, es ist nichts. Der Tee tat nur gerade so gut.“, sagte ich mit einem Grinsen, das allerdings eher gequält wirkte. Er merkte jedoch nichts und drehte sich wieder zu den anderen, nachdem er mir leicht zugelächelt hatte. Ich war eben eine gute Schauspielerin, schon immer gewesen. Wie sonst hätte es damals so weit kommen können? Auch die anderen hatten ihren Tee ausgetrunken, also stand ich auf und räumte die Tassen weg. Ich wollte etwas zu tun haben, nicht immer mit meinen Gedanken kämpfen müssen. Anstatt die Tassen in die Spülmaschine zu tun, stellte ich mich an die Spüle und wusch sie per Hand ab. Ich ließ meine Hände in das schön warme Wasser getaucht und schloss die Augen. So warm war das Wasser gewesen, als ich mit meinen Eltern am Meer im Urlaub war. Fische sind im klaren Wasser um mich herum geschwommen. Ich habe gelacht damals. Ich meinte, von weit weg, ganz leise, dann immer lauter werdend, die schreienden Möwen zu hören und den salzigen Wind, der durch die Luft wehte, in meinem Gesicht zu spüren. Ich sah, wie meine Mutter, die im Wasser mir gegenüber stand, mich mit Wasser bespritzte. Es glänzte im Sonnenlicht. Die Tropfen benetzten mein von der Sonne gebräuntes Gesicht... Ich schlug die Augen auf. Lautes Gelächter drang vom Wohnzimmer her in die Küche. Eilig nahm ich meine Hände aus dem Wasser, sie sind schrumpelig geworden, und ließ es ablaufen. Ich fasste mir an mein Gesicht, wo ich eben noch die Wasserspritzer gespürt hatte, doch da war nichts. Ich stapfte zurück ins Wohnzimmer, wo die anderen gerade über lustige Videoclips lachten. Ich setzte mich wieder zu ihnen und als ich sah, wie ein Mann, der auf einem Baumstamm über einem Teich balancierte, das Gleichgewicht verlor und versuchte, sich hampelnd aufrecht zu halten, schließlich aber doch ins Wasser fiel, musste ich lachen. Es tat gut, aus vollem Herzen zu lachen. Und wie der Mann dort herumgehüpft ist, das sah wirklich komisch aus. Schon folgte der nächste Videoclip und wir lachten die ganze Sendung durch. Ein Glück war sie 10 Minuten später fertig, ich wäre sonst gestorben vor lachen. Während Werbung lief und Yu wieder einen Musiksender ausfindig machte, fragte Strify, wer mit ihm ’Mensch-ärgere-dich-nicht-extreme’ spielen wollte. Begeistert willigten wir alle ein und schon war Strify aufgestanden um das Spiel zu holen. Eigentlich unterschied sich unsere Extreme- Version nicht sonderlich von der normalen Version von ’Mensch-ärgere-dich-nicht’. Der einzige Unterschied war, dass wir uns alle gegenseitig aufeinander aufhetzten und es immer eine Verfolgungsjagd wurde, die sich sehen lassen konnte. Mal war einer dein Verbündeter, im nächsten Zug dein schlimmster Feind. Während Strify alles aufbaute, hatte Kiro sich auf den Weg nach etwas Essbarem gemacht. In der Küche hatte er eine Tüte Erdnussflips gefunden, sie in eine Schüssel gefüllt und kam nun damit zurück. Sofort war Yu bei ihm, der sich eine Hand voll aus der Schüssel nahm und sich wieder in seinen Sessel zurücklehnte. Auch ich griff vorsichtig nach einem Erdnussflip und nagte daran. Endlich setzte sich Strify und gab die Würfel zum Spiel frei. Es wurde gewürfelt, gekickt, gelacht, gejubelt und geflucht, gedroht und aufgehetzt. Die Partie zog sich ewig in die Länge, immer schafften wir es, jemanden, der kurz vor dem Haus war, zu schlagen, sodass dieser den Weg noch mal von vorne bestreiten musste, ein gefährlicher Weg, auf dem wir alle wie bissige Raubtiere auf sein Vorbeikommen warteten, aber selbst nicht sicher waren. Schließlich gewann Kiro, der sich still und heimlich Stück für Stück und ganz unbemerkt zu seinem Haus geschlichen hatte, während Strify und ich dabei waren, Yus Spielfigürchen das Leben zur Hölle zu machen. Kiro war voller Schadenfreude, als wir viel zu spät bemerkten, dass er schon gewonnen hatte. Gerade hatte ich Strify angestachelt, dass er unbedingt eine 2 würfeln müsse, um Yus Spielfigur vom Brett zu fegen, in seine Anfangsfelder, wo es auch hingehörte, ohne groß auf Kiro zu achten, der seinen letzten Wurf machte, und gemächlich mit einem Schritt sein Haus betrat, in dem sich nun alle vier Figürchen befanden. Als Zweite gewann ich und Yu und Strify lieferten sich ein Kopf an Kopf Rennen, das Strify schließlich gewann. Gespielt beleidigt ließ sich Yu mit einem „Manno!“ zurück in den Sessel fallen und setzte einen Schmollblick auf. Wir alle fingen an zu lachen und er stimmte mit ein. Draußen prasselte der Regen heftig gegen die Fensterscheiben. Ich konnte den Wind heulen hören und den Donner grummeln. Ab und zu erhellte ein greller Blitz den dunklen Nachthimmel. In meinem Zimmer war es dunkel und bis auf das Gewitter, dessen Geräusche die Wohnung erfüllte, still. Na ja, fast, dachte ich und lauschte auf Yus Schnarchen, das leise aus dem Wohnzimmer an mein Ohr drang. Er und Kiro waren über Nacht geblieben, draußen hatte es nämlich so zu stürmen angefangen, dass wir sie nicht vor die Tür lassen konnten. Bei so einem Wetter schickte man noch nicht mal einen Hund vors Haus. Kiro hatte es sich, nachdem wir noch bis in die späten Nachtstunden hinein geredet und witziges Zeug gemacht hatten, auf einer Gästematratze, die sonst immer unter Strifys Bett lag, gemütlich gemacht und Yu schlief auf dem Sofa, tief und fest, wie man anhand des Schnarchens vermuten konnte. Vorher hatten sie natürlich noch bei sich zu Hause angerufen, dass sie bei uns übernachteten. Brave Jungs. Bevor ich mich ins Bett gelegt hatte, hatte ich die Weckfunktion des Weckers ausgeschaltet, schließlich wollte ich keinen Ärger mit Kiro. Der konnte nämlich zu einem richtigen Kampfzwerg mutieren und da wollte ich lieber nicht in seinem Visier sein. Stumm drehte ich mich auf den Rücken und starrte an die Decke. Wieder erhellte ein Blitz mein Zimmer für eine Sekunde, in der sich Schatten an den Wänden abzeichneten. Dann war ein Krachen zu hören, der Donner war heute sehr laut, und dann wieder nur das gleichmäßige Rauschen des Regens. Ich war hellwach, warum wusste ich nicht. Vielleicht war ja Vollmond oder kurz davor. Seufzend stand ich auf und schlich aus meinem Zimmer. Ich tapste vorsichtig durch das Wohnzimmer um Yu nicht zu wecken, der im Schlaf leise vor sich hin brabbelte. Ich betrat die Küche, schloss vorsichtig die Tür und öffnete den Kühlschrank, sodass etwas Licht in den düsteren Raum fiel. Das große Deckenlicht wollte ich nicht anmachen, es wäre zu hell gewesen und hätte Yu sicherlich aufgeweckt. Ich nahm ein Glas aus dem Küchenschrank und goss mir lauwarmes Wasser ein. Damit setze ich mich an den Küchentisch und stierte vor mich hin. Als ich eine Weile so da saß, merkte ich, wie es langsam kühl im Zimmer wurde. Kein Wunder, die Kühlschranktür stand ja auch die ganze Zeit offen. Schnell trank ich mein Glas leer, die Kälte würde mich nur noch wacher machen. Eilig schloss ich den Kühlschrank und in der Küche war es wieder dunkel. Es dauerte eine Weile, bis sich meine Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten, doch dann schlich ich wieder zu meinem Zimmer zurück. Auf dem Weg dorthin ging ich an der Tür zu Strifys Zimmer vorbei. Ich blieb stehen und öffnete sie langsam mit angehaltenem Atem. Man wusste nie genau, was sich hinter Strifys Tür befand, denn manchmal herrschte in seinem Zimmer so ein Chaos, dass es kaum zu glauben war. Doch nachdem ich die Tür einen Spalt weit geöffnet hatte, war kein Geräusch zu hören. Ich spähte in das dunkle Zimmer und erkannte Kiro, der neben Strifys Bett auf der Matratze lag und schlief. Das gleichmäßige Atmen der beiden war zu hören, ansonsten war es vollkommen still. Beide schliefen friedlich wie kleine Babys. Noch eine Weile beobachtete ich die beiden, ihre Körper, die sich sachte auf und nieder bewegten beim Atmen, dann zog ich mich wieder zurück und schloss leise die Tür. Kapitel 4: ~ Achtung, Morgenmuffel! ----------------------------------- Das Klackern des Türschlosses weckte mich am nächsten Morgen. Strify war auf dem Weg zum Bäcker. Ich rollte mich auf den Bauch und sah aus dem Fenster. Der Himmel war blassblau und die Sonne schien, es war keine Wolke mehr am Himmel zu sehen. Ich kämpfte mich aus dem Bett, bevor Strify auf die Idee kommen könnte, mich zu wecken und schlurfte ins Bad. Yu lag noch immer auf der Couch und schlief. Gerade als ich aus dem Bad kam, öffnete Strify unsere Wohnungstür und kam herein. Erstaunt, mich schon auf den Beinen zu sehen, wünschte er mir einen guten Morgen. „Ich wollte nicht, dass du mich wecken kommst.“, erklärte ich auf seine ungestellte Frage und tappte in die Küche, wo ich Strify half, den Küchentisch zu decken. Yu war mittlerweile aufgewacht und wir hörten ihn aus dem Wohnzimmer „Guten Morgen, ihr Süßen!“ rufen. Das Zuschlagen der Badtür war zu hören, danach das Rauschen von Wasser. Strify ging frohen Mutes in sein Zimmer zurück um Kiro zu wecken, in vollem Bewusstsein darüber, was ihn erwarten würde. Schon bald war Kiros Rumgemotze zu hören und Strifys fröhliche Rufe erfüllten die Luft. Ich ging ebenfalls zu Strifys Zimmer, blieb aber vorsichtshalber im Türrahmen stehen und beobachtete ruhig, was sich da vor mir abspielte: Kiro lag, unter einem Berg von Decke vergraben, sodass man ihn kaum erkennen konnte. Sein Kopf lag noch immer in seinem Kissen, mit seinen Händen klammerte er sich an die Matratze, während Strify versuchte, ihn mit aller Macht aus seinem gemütlichen Schlafplätzchen zu ziehen. „Steh auf, das Frühstück ist fertig!“, rief Strify dem sich windenden Kiro zu. Unverständliches Murmeln seinerseits. „Ach komm schon, der Tag ist schön!“, versuchte er Kiro zu ermuntern. „Na und, das Bett ist schöner!“, murrte Kiro sichtlich angenervt. Nun wurde es Strify langsam zu viel. „Du kannst nicht ewig in dem Bett liegen bleiben, es ist nämlich meins!“, rief Strify und zerrte unaufhörlich an Kiros Beinen. Kiro ließ sich ziehen, ihn störte es nicht mehr, hauptsache Strify hatte aufgehört zu Rufen. Stur klammerte er sich an die Matratze, die Decke noch immer auf sich. Kopfschüttelnd betrachtete ich das Geschehen vor mir. Gerade wurde Kiro von Strify gekitzelt, sodass er sich nicht mehr an der Matratze festhalten konnte und aus dem Bett gezogen wurde. Murrend und mies gelaunt stapfte er ins Bad und schmiss Yu raus, der noch nicht fertig war, sodass er sich, um des Friedens Willen, mit der Zahnbürste im Mund im Flur wiederfand. Yu brauchte immer ewig im Bad, dementsprechend mies gelaunt war er immer, wenn er sich nicht in Ruhe fertig machen konnte. Doch heute schien er einfach nur froh zu sein, der wandelnden Zeitbombe namens Kiro so glimpflich davongekommen zu sein. Da sollte sich mal niemand über mich beschweren. Den Becher noch in der Hand putzte Yu sich die Zähne auf dem Balkon weiter. Angewidert dachte ich an die Leute, die gerade ihren morgendlichen Spaziergang machten. Wer auch immer jetzt unter unserem Balkon vorbeikam, würde eine ziemlich ekelhafte Überraschung erleben, dachte ich und wandte den Blick ab, als Yu sein Spülwasser über den Rand unseres Balkons spuckte. Beim Frühstück war die Stimmung leicht angespannt, jeder saß vor seinem Frühstück und kaute schweigend. Sogar Strify hütete sich, etwas zu sagen. Heute hatte ich einen guten Tag, das hatte ich schon gemerkt, als ich meine Aufstehprozedur beendet hatte, ohne jemanden anzuschnauzen. Ich trank meinen Kaffee, und spürte, wie die warme Flüssigkeit in meinen Magen floss. Als wir etwa zur Hälfte mit dem Frühstück fertig waren, entspannten sich Kiros böse Gesichtszüge und seine Laune besserte sich mit jedem Bissen und jedem Schluck Kaffee. Die Spannung in der Luft löste sich auf und ich fragte, ob irgendjemand das starke Gewitter in der Nacht gehört hatte. Alle schüttelten den Kopf und sahen mich an. Ich zuckte mit den Schultern und meinte, dass es ziemlich laut war. Schweigend aßen wir weiter, bis Strify anfing zu reden. Es war ein normales Gespräch, alltägliche Themen. „Und, was macht ihr heute noch so?“, „Ich muss heut noch mal zum Massagestudio, arbeiten.“, „Ich muss meiner Schwester helfen, für Mathe zu lernen.“, sagte Kiro und verzog das Gesicht. „Meine Mutter hat mich so sehr damit genervt, bis ich es nicht mehr hören konnte und eingewilligt hab.“, fügte er erklärend hinzu. Nach dem Frühstück machten wir alle zusammen noch einen kleinen Spaziergang in der morgendlichen Frühlingsluft, die wie frisch gewaschen schien. Es war etwas kühler als am Tag zuvor, aber richtig kalt war es nicht. Die Vögel zwitscherten munter in den Bäumen über uns und die Sonne schien warm auf uns herab. Nach einer Weile, als wir an eine Bushaltestelle kamen, trennte sich Yu von uns, er wollte den nächsten Bus in die Stadt und zur Arbeit nehmen. Zu dritt kehrten wir in unsere WG zurück, vor der Tür verabschiedeten wir uns von Kiro. Gemächlich stapften Strify und ich die Treppen hoch, wir hatten keine Lust zu warten, bis der Aufzug kam, und betraten unsere Wohnung. Wir öffneten die Fenster um etwas frische Luft hereinzulassen, so wie jeden Morgen, und machten uns daran, unsere Aufgaben für die Uni morgen fertig zu stellen. Gemeinsam setzten wir uns an den Tisch und widmeten uns unseren Büchern. Das dauerte bis zum Abend, und viel mehr passierte an dem Tag auch nicht mehr. Wir waren schließlich auch nur Studenten. Kapitel 5: ~ Studentenalltag ---------------------------- Mein Wecker klingelte lautstark und riss mich aus dem Schlaf. Ich, ein Morgenmuffel wie ich war, haute ungeduldig so lange auf den Wecker ein, bis er endlich Ruhe gab, ohne jedoch meinen Kopf aus dem Kissen zu heben. Seufzend drehte ich mich auf die andere Seite und wickelte mich mehr in die Decke ein. Ich war müde, so wie fast jeden Morgen, aber ich musste aufstehen, denn heute stand eine wichtige Klausur an, für die ich glücklicherweise eifrig gelernt hatte. Also schälte ich mich aus meiner Decke und tapste ins Bad. Auch Strify war von dem Weckerklingeln wach geworden und lief in der Wohnung hin und her, auf der Suche nach seinem Mäppchen. Das erste, was Strify morgens machte, war, all sein Schulzeug, das auf seinem Schreibtisch lag, von dort in seine Schultasche zu kippen, besser gesagt, mit einer einzigen Handbewegung alles von der Tischplatte hineinzufegen. Anscheinend war ihm aufgefallen, dass sein Mäppchen wohl nicht unter den Sachen auf seinem Tisch dabei war und er lief nun eilig durch die Wohnung auf der Suche danach. „In der Küche auf deinem Stuhl.“, sagte ich im Vorbeigehen. Er rannte in die Küche, rief „Gefunden!“ und ich hörte, wie er in sein Zimmer zurücklief. Ich schloss die Badtür ab, stellte mich unter die Dusche und kurz darauf prasselte heißes Wasser auf mich nieder. Ich genoss es und stand eine ganze Weile so da, das warme Wasser lief über meine Haut. Ich könnte Stunden so unter der Dusche verbringen, einfach nur dem gleichmäßigen Rauschen des Wassers lauschend. Dann stellte ich das Wasser ab und kletterte aus der Wanne. Der Spiegel war beschlagen, hastig rubbelte ich mich mit dem Handtuch trocken und zog mich an. Ich hatte schon wieder getrödelt, beim Duschen machte ich das gerne. Dann ging ich in die Küche, machte mir mein Frühstück und packte es, in Alufolie gewickelt, in meine Schultasche, denn ich hatte keine Zeit, hier zu frühstücken. Im Flur streifte ich mir meine Jacke über und wartete ungeduldig auf Strify, der ein paar Augenblicke später ebenfalls seine Jacke anzog und zusammen verließen wir das Haus. Der Bus war mal wieder randvoll, ich hasste es. Nach etwa einer Viertelstunde Fahrt gingen wir über den Campus hinüber zum Hauptgebäude. Dort trennten sich unsere Wege und Strify wünschte mir viel Glück für die Klausur. Ich schritt die langen Korridore der Universität entlang, hin zum Hörsaal, in dem ich gleich meine Prüfung schreiben würde. Während ich ging, las ich mir noch einmal alles durch. Wenig später betrat ich den Hörsaal, in dem schon viele aufgeregte Studenten saßen, die ebenfalls die Prüfung schreiben sollten. Ich vernahm panische Stimmen, hektisches Getue am Tisch ganz hinten in der letzten Reihe, während ich mich, die anderen begrüßend, zu meinem Platz begab, an dem meine Freundin schon auf mich wartete. „Morgen.“, begrüßte sie mich lächelnd und ich ließ mich auf den Stuhl neben sie fallen. „Gelernt?“. „Klar, was denkst du denn?“, gab ich grinsend zurück. Wie oft hatten wir nicht schon gespickt? „Nein, jetzt im Ernst, ich hab gestern den ganzen Tag daran gesessen.“, sagte ich dann, ohne Grinsen. Noch bevor sie etwas erwidern konnte, und an ihrem Blick konnte ich sehen, dass sie mit einem erschöpften Stöhnen ’Ich auch.’ sagen wollte, so wie sie es manchmal gerne macht, denn sie machte alles gerne dramatischer als es war, betrat die Dozentin den Raum und augenblicklich wurde es still. Sie begrüßte uns und wir fingen gleich an. Sie mochte es nicht, um den heißen Brei herum zu reden. Jeder kannte die Regeln, kein Spicken, kein Abschreiben, kein Reden, wer erwischt wird, kriegt die Klausur abgenommen und die Note ’Ungenügend’. So, wie man es aus der Schule kennt. Ihrer Meinung nach waren wir mittlerweile alt genug, sodass diese Regeln als selbstverständlich galten und nicht extra wie bei Schulanfängern wiederholt werden müssten. Sie teilte die Klausur aus und bis auf das Rascheln der Blätter war es vollkommen still im Saal. Als alle ihre Blätter bekommen hatten, sagte sie mit lauter Stimme: „Fangen Sie nun an.“ Und alle Blätter wurden umgedreht. Es klingelte zur vierten Stunde, die Klausur war nun beendet. Die Dozentin sammelte sie ein, niemand sprach. Bei dieser Frau herrschte eiserne Disziplin. Erst als sie den Raum verlassen hatte, war erleichtertes Aufstöhnen zu hören und die Spannung in den Luft begann sich allmählich zu lösen. Manche freuten sich, dass es so gut gelaufen war, andere waren total niedergeschlagen. Doch nachdem ein paar Worte gewechselt wurden, wollte niemand mehr darüber reden; ändern konnten wir es schließlich sowieso nicht mehr. Jeder war erleichtert und atmete auf, als ein Klingeln die nächste Pause verkündete. Alle strömten hinaus auf den Campus, meine Freundin und ich setzten uns auf die Wiese. Ich streckte mich auf dem Gras aus und schloss die Augen, während die Sonne warm auf mein Gesicht schien. Da verdunkelte es sich plötzlich vor meinen Augen und als ich sie wieder öffnete, stand Strify vor mir. „Hey.“, begrüßte ich ihn und setzte mich auf. Auch meine Freundin begrüßte ihn. „Na, wie lief es?“, fragte er uns. „War ganz okay.“, antworteten wir wie aus einem Mund. Strify grinste. „Verstehe.“. Doch solange wir auch versuchten, ihm klarzumachen, dass wir nicht geschummelt hatte, er glaubte uns nicht. Doch wir wussten, dass es nur Spaß war. Kapitel 6: ~ Raus aufs Land! ---------------------------- Mein Wecker klingelte lautstark und riss mich aus dem Schlaf. Ich, ein Morgenmuffel wie ich war, haute ungeduldig so lange auf den Wecker ein, bis er endlich Ruhe gab, ohne jedoch meinen Kopf aus dem Kissen zu heben. Seufzend drehte ich mich auf die andere Seite und wickelte mich mehr in die Decke ein. Heute war Samstag und ich hatte schon wieder vergessen, die Weckfunktion auszustellen. Ich rieb mir den Schlaf aus dem Augen und legte mich auf den Rücken. Heute ging es übers Wochenende raus aus Berlin, in einen kleinen Vorort, in dem Yus Oma wohnte und wo wir die nächsten zwei Tage verbringen sollten. Yu wollte demnächst mal sowieso dahin und seine Oma hatte uns mit eingeladen. Ich war dort schon lange nicht mehr gewesen und freute mich, wieder dorthin zu fahren. Als wir noch zur Schule gegangen sind, haben wir dort viel Zeit unserer Sommerferien verbracht, das war nun aber bestimmt schon ein paar Jahre her. Das erste Mal, daran konnte ich mich noch genau erinnern, waren wir in den Sommerferien nach der 7. Klasse dort, nach dem Schuljahr, in dem wir uns kennen gelernt hatten. Yus Eltern waren zu Besuch bei seiner Oma eingeladen und damit er sich nicht so langweilte auf dem Land, durften Strify und ich mitkommen. Als ich zum ersten Mal das Anwesen sah, groß und schön und von der Großstadt abseits gelegt, wie eine alte Villa in einem Schauerroman, war ich überwältigt. Alles war wie verzaubert gewesen, so ruhig, man hat nur den Wind in den Blättern und das Zwitschern der Vögel gehört. Wir waren viel draußen gewesen, es war sehr interessant, die neue Umgebung zu erkunden und über verborgene Schätze zu spekulieren. In den darauffolgenden Jahren war dann auch Kiro mitgekommen, doch die letzten beiden Jahre hatten wir zu viel um die Ohren gehabt, mit Abi und so. Was sich dort alles verändert haben mochte? Ich hoffte, dass noch alles so war, wie ich es vom letzten Mal in Erinnerung hatte. Das Wochenende würde sicher lustig werden. Ich schälte mich aus der Decke und warf meinem Koffer, der gepackt in der Ecke meines Zimmers stand, einen prüfenden Blick zu. Hoffentlich war er nicht zu groß...ach was! Ich hatte gute Laune, also drehte ich die Musikanlage auf und dröhnende Musik erfüllte die Wohnung. Heute war nix mit Morgenmuffel, ich war viel zu aufgedreht. Strifys verwuschelter Kopf, dessen Frisur wie explodiert aussah, lugte aus seinem Zimmer und er sah mich verschlafen an. „Morgen.“, nuschelte er und verkrümelte sich ins Bad. Ich tanzte durch die Wohnung und deckte den Frühstückstisch. Ich glaube, ich war vielleicht etwas zu übereifrig, denn bei einem etwas sehr gewagten Tanzschritt fiel mir fast das gesamte Geschirr aus den Händen. Wie gesagt, vielleicht. Als Strify in die Küche kam, hatte er seine Haare zum Glück schon in Form gebracht, jetzt sahen sie wenigstens nicht mehr aus, als hätte er in die Steckdose gegriffen. Was trieb der Junge da immer in seinem Zimmer? Okay, ich wollte es gar nicht wissen. Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg zu Kiro, der uns mit seinem hammergeilen BMW zu Yus Omi kutschieren würde. Ich liebte seinen Fahrstil: schnell, riskant und dennoch voll gechillt. Während Strify immer mit einer Kotztüte halb tot am Fenster hing und Yu scheinbar ohne jegliches Interesse vor sich hingammelte, genoss ich jede Fahrt in diesem Schlitten in vollen Zügen. Wie oft hatte man schließlich 600 PS unterm Hintern? Schon bald waren wir auf der Autobahn, mit etwa 200 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit, auf dem Weg zu Yus Oma. Die Landschaft zog an uns vorbei, während Strify kreidebleich im Sitz lag. Der Ärmste. Yu wippte mit seinem Kopf im Takt zur Musik, die aus dem Radio kam, und sah verträumt aus dem Fenster. Wir überholten LKWs, große Autos, kleine Autos und Reisebusse, die ganze Rentnerscharen durch sie Gegend kutschierten. Ich konnte mich noch gut erinnern, wie ich einmal gezwungen wurde, in einem solchen Bus mit einer Schar von Leuten zu fahren, die ihre besten Tage eindeutig schon hinter sich hatten. Und zwar schon ziemlich lange. Laute Schlagermusik der Hitparade schallte durch die Lautsprecher des Radios und die Omis wippten mit breitem Grinsen im Takt auf ihren Sitzen hin und her. Ich hatte einen Schock als ich da raus kam und hatte gar nicht realisiert, dass ich noch lebte. Ich war gezeichnet fürs Leben. Doch zum Glück hatten wir dank Kiros rasantem Fahrstil den Bus nun hinter uns gelassen und rasten weiter die Autobahn entlang. Gesprochen wurde nur wenig auf der ganzen Fahrt und Strify war sichtlich erleichtert, als wir in die Einfahrt des Anwesens fuhren, in der Yus Oma schon auf uns wartete. „Da seid ihr ja schon!“, rief sie fröhlich und kam mit kleinen schnellen Schritten auf uns zugetrippelt. „Ihr seid die Ersten, die beiden Erwachsenen sind noch nicht da.“, was mich ehrlich gesagt auch nicht wunderte bei dem Tempo, das wir draufhatten. Sie begrüßte zuerst Yu, den sie übermütig mit „Hannes, mein Schnukiputz!“ in die Arme schloss und ihm fast die Luft abdrückte, obwohl sie ihm gerade mal bis zur Brust ging. Danach begrüßte sie auch uns- „Hach, seid ihr alle groß geworden!“ - und beäugte Strify kritisch, der blass und noch etwas wackelig auf den Beinen war. „Du siehst aber gar nicht gut aus, Junge.“, meinte sie tadelnd und führte und in die Eingangshalle der großen Villa. Wir stellten unsere Koffer ab und wurden in die große gemütliche Küche geschoben, in der sich ein Tisch befand, der schon mit Kaffeegedeck bestellt war. Wir nahmen auf den Stühlen platz, während Yus Oma den Tee kochte. „Hach, es ist schön, euch endlich mal wieder zu sehen! Und wie groß ihr geworden seid! Es ist schön, mal wieder ein volles Haus zu haben!“, plapperte sie munter drauf los und wuselte aufgeregt um ums herum. Sie machte Strify echt Konkurrenz, doch dem war momentan gar nicht nach Reden zumute. Immer noch etwas kränklich, aber schon mit etwas mehr Farbe im Gesicht, saß er auf seinem Platz und wartete artig auf seinen Tee. Gerade als sie diesen noch brühwarm in die Tassen goss, hörten wir draußen auf dem Kiesweg einen Wagen vorfahren- Yus Eltern. „Oh!“, quiekte Yus Oma vergnügt und schon trippelte sie hinaus um die neuen Gäste zu begrüßen. Wir hörten Begrüßungsfetzen, die mit der warmen Brise von draußen durch das offen stehende Fenster der Küche hereingeweht wurden. Kurz darauf betrat Yus Oma erneut die Küche, diesmal mit seinen Eltern im Schlepptau. Wir begrüßten uns und schon saßen wir alle mit Tee und Gebäck am Tisch und unterhielten uns. Strify ging es mittlerweile besser und er hatte seine Sprache wiedergefunden. Wie eh und je sprudelten Worte aus ihm heraus, Yus Oma war ganz entzückt, dass etwas Leben in ihr Haus kam. Nur ich war mal wieder etwas schweigsam, da sich mein Blick in den Bäumen des angrenzenden Waldes verfangen hatten. Ich betrachtete die Bäume, durch deren Blätter vereinzelte Sonnenstrahlen vom blauen Himmel hindurch zu uns fielen. Man muss sich die Umgebung etwa so vorstellen, dass ein großes Anwesen, fast schon eine alte Villa aus Stein und schon von der Zeit mit Efeu bewachsen, auf einer Lichtung steht, die durch ein Feld von der Hauptstraße abgegrenzt ist. Dieses Anwesen umgibt ein lichter Wald, dessen Ende man nicht ausmachen konnte. Dennoch musste man schon ziemlich tief in den Wald hineingehen, um das Haus nicht mehr erkennen zu können, da die Bäume nicht allzu dicht aneinander stehen. Vor dem Haus ist eine Einfahrt mit Kies ausgelegt, die um einen Springbrunnen herum führt. Die Sicht auf das Feld ist allerdings vom Haus aus nicht vorhanden, da der Weg, der auf die Hauptstraße führt, von einer Allee umringt ist und er sich in einer Kurve verliert. Es war also ziemlich abgeschieden und ruhig hier- fast wie in freier Natur. Hier waren die Geräusche der Stadt nicht mehr vernehmbar, umso deutlicher aber das Rascheln der Bäume und das Singen der Vögel. Früher, als wir hier im Sommer waren, haben wir oft hinten im kleinen Garten gesessen und Yus Oma beim Geschichtenerzählen zugehört. Sie kannte immer viele spannende Erzählungen, die aus dieser Gegend hier stammten- die meisten handelten vom Haus oder dem Wald. Ich wurde jedoch aus meinen Gedanken gerissen, als mich Yus Oma mit besorgtem Blick ansah und ich bemerkte, dass das Stück Kuchen, das sie vor kurzem verteilt hatte, noch unberührt auf meinem Teller lag. Die anderen hatten aufgehört zu reden und sahen mich ebenfalls an. Hastig entschuldigte ich mich und meinte, dass ich nur in Erinnerungen schwelgte und spießte hastig ein Stück Kuchen auf und schob es mir in den Mund. „Mhh, köstlich.“, sagte ich zu Yus Oma, die wie immer einen hervorragenden Kuchen gebacken hatte. Ich lächelte sie an und sie lächelte zurück, dieses typische liebe Oma- Lächeln. Die anderen fingen wieder an zu reden und diesmal zwang ich mich, nicht mit meinen Gedanken abzuschweifen. Es wurde eine lustige Unterhaltung und nach dem Tee brachten wir unsere Koffer hoch. Alles sah noch genau wie damals aus; die Einrichtung war groß und klobig, altmodisch und reichlich verziert mit kunstvollen Mustern. In der Eingangshalle stand noch immer die alte Porzellanvase, die, wie Yus Oma meinte, ein Erbstück ihrer Großmutter war. Mühsam und mit schweren Koffern bepackt stapften wir die großen Stufen der Treppe hinauf in das Obergeschoss, in dem sich viele leer stehende Räume befanden, die extra für uns hergerichtet wurden. Yus Oma lebte schon seit Jahren- seit dem Tod ihres Mannes- allein in diesem Haus und obwohl es viel zu groß für sie war, wollte sie es doch unter keinen Umständen verlassen oder gar verkaufen. Sie mochte es, in den Erinnerungen zu leben, das Haus war ein Teil ihres Lebens, das sie nicht einfach so fortgeben konnte. Sie hing zu sehr daran. Außerdem war sie noch recht fit und hielt sich gern mit dem Putzen des Hauses auf trab. „Sonst hätte ich ja nichts zu tun und würde mich schrecklich langweilen!“, hatte sie auf den Vorschlag ihres Sohnes hin geantwortet, als er gemeint hatte, wenigstens einen Teil des Hauses zu vermieten. Sie wollte dort bleiben, bis sie starb. Das Haus besaß noch eine zweite Etage, die aber weitgehend mit Brettern vernagelt war und deshalb auch den Weg zum Dachboden versperrte. Ich sagte ja, das Anwesen ist groß. Wir bekamen unsere üblichen Zimmer: Yu, Strify und Kiro teilten sich eines, ich bekam eines alleine. Auch Yus Eltern wurden zusammen in einem Zimmer untergebracht. Da Yus Oma sich daran machte, alles abzuräumen und von uns partout keine Hilfe annehmen wollte, so oft wir es ihr auch angeboten haben, gingen Yu, Kiro, Strify und ich hinaus. „Ich brauche keine Hilfe, geht ruhig hinaus und amüsiert euch gut! Das ist schließlich ein Erholungswochenende für euch.“, meinte sie lächelnd und hatte sich wieder ihrer Arbeit zugewandt. Als wir in die Einfahrt traten, wehte uns eine sanfte Brise entgegen. Eine Weile liefen wir durch die Allee und kamen schon bald zum Feld. Wir bogen von der Landstraße ab und gingen quer durch das Feld, das von Gräsern hoch bewachsen war. Die Sonne schien warm und freundlich auf uns herab und wir genossen es, den Duft der Gräser einzuatmen. Vor uns entdeckte ich ein paar Pferde, die friedlich grasten. Ich ging auf sie zu und die Jungs folgten mir. Vorsichtig näherte ich mich ihnen und schon streichelte ich ein Fuchsbraunes an der Mähne. Es war recht zahm, ließ sich also problemlos von mir verhätscheln. „Wenn es morgen noch hier steht, bringe ich ihm ein Stück Zucker mit.“, meinte ich und es war wie ein kleines Versprechen für das Pferd. Doch auf einmal stupste mich Yu von hinten an und deutete stumm auf eine Gestalt, die langsam näher kam. Beim genauen Hinsehen erkannte ich den Bauern des Nachbargestüts, das sich hier in der Nähe befand. Früher waren wir vier einmal dort gewesen um es uns mal anzusehen, doch war er damals sehr unfreundlich zu uns gewesen und hatte uns nur missbilligend angesehen. Als wir etwas gefragt hatten, hatte er nur grummelnd geantwortet. An die Tiere durften wir nicht zu nah herangehen, niemand durfte seine Pferde auch nur berühren, bis auf ihn, seinen Stalljungen und die Reitschüler des Hofes. In dieser Sache war er besonders streng gewesen. Als wir ein Pferd am Weidenzaun dennoch einmal gestreichelt hatten, als wir dachten, er sei nicht in der Nähe gewesen, hatte es großen Ärger gegeben und er hatte uns angedroht uns anzuklagen, sollte er uns noch einmal in der Nähe eines seiner Tiere erwischen. Wir waren uns sicher, dass er uns nun sicherlich wiedererkennen würde, also gingen wir in die Hocke, sodass er uns in diesem hohen Gras nicht mehr sehen konnte. Wir krochen von den Pferden weg, konnten uns vor lauter Kichern aber kaum geradehalten, da Kiro es verstand, ihn täuschend echt nachzuahmen. „Ihr schon wieder, ich habe euch doch gesagt, dass ihr die Finger von meinen Pferden lassen sollt, ihr frechen Gören!“, äffte ihn Kiro mit verzerrter Stimme nach und machte einen Gesichtsausdruck, der den alten Bauern voll und ganz traf und einfach nur zum Wegschmeißen war. Der Bauer selbst schien uns jedoch nicht bemerkt zu haben, da er uns nicht hinterherkam. Er hätte nicht einmal eine Ameise ungestraft davon kommen lassen, wenn er sie hätte durch seine halb blinden Augen erkennen können. Noch immer kichernd richteten wir uns auf, als wir uns außer Sichtweite von ihm fühlten. „Ihr bösen Gören, ihr!“, schimpfte uns Kiro gerade tadelnd und hatte ein Auge zusammengekniffen, während er mit einem Finger auf uns deutete. „Der hat echt zu viel Freizeit.“, meinte er dann grinsend. Mit einem zustimmenden „Oooh ja!“ unsererseits ging es dann weiter. Während wir den Feldweg entlang liefen, auf den wir gerade gekommen waren, betrachteten wir die Obstbäume neben uns, die schon zu blühen begonnen hatten. Diesen Weg waren wir schon oft gegangen, wenn wir zum Bach wollten. Als Kinder haben wir dort gebadet und mit den Fischen gespielt und auf dem Nachhauseweg hatten wir immer die Früchte von den Bäumen gegessen um die Bauern zu ärgern. Und natürlich, weil wir Hunger hatten, denn unser ganzes Brot hatten wir meistens an die Vögel und Fische verfüttert. Noch eine Weile gingen wir lachend und quatschend den Weg entlang, bis wir am Bach angelangten. Er glitzerte im Sonnenlicht und das Wasser war so klar, dass wir die Fische vom Ufer erkennen konnten. Ich bückte mich und spritzte den drei Jungs etwas Wasser entgegen. Das kühle Wasser fühlte sich gut an, man konnte meinen, dass man direkt an der Quelle war. Doch die befand sich viel weiter oben, in den Bergen. Ich hatte nicht erwartet, nach meinem Angriff auf Kiro, Strify und Yu ungerächt zu bleiben, und ich behielt Recht. Schon trafen mich die ersten Wasserspritzer und es wurden immer mehr. Drei gegen einen war definitiv unfair, also versteckte ich mich hinter Yu, der prompt von einem Wasserschwall getroffen wurde, der von Strify kam und eigentlich für mich vorgesehen war. Als dieser sah, wen er da gerade getroffen hatte, breitete sich ein überraschter Ausdruck auf seinem Gesicht aus, sein Mund formte sich langsam zu einen O und er sagte, reichlich verblüfft: “Ups...“. Doch schon traf ihn ein Schwall Wasser der von Yu kam. Na, wenigstens waren sie jetzt nicht alle gegen mich. Von seitlich kam eine Flut Wasser von Kiro und ich stand nun ganz alleine da, da Yu gerade dabei war, Strify hinterher zu jagen. Die Haare klebten mir schon im Gesicht, aber Kiro sah noch recht trocken aus. Das sollte sich schnell ändern! Lachend jagte ich auf ihn zu und bespritzte ihn mit Wasser. Mittlerweile hatte Yu es geschafft, Strify halb zu ertränken. Um ihn zu retten, stürmte ich als sein Held auf Yu zu und entlud eine ganze Ladung Wasser über ihm. Wie ein begossener Pudel stand er nun da, seine Frisur komplett ruiniert, wie die von uns allen, und hatte von Strify abgelassen. Mit einem „Dankeschön!“, lief Strify davon, da Kiro jetzt hinter ihm her war. Plötzlich blieb er stehen, da er beschloss, sich nicht von einem Kampfzwerg tyrannisieren zu lassen. Nun war er es, der zum Angriff ausholte und Kiro eine ordentliche Dusche verpasste. Mit Yu war das etwas anderes gewesen, da war Strify lieber in der Defensive geblieben. Doch nun hatte ich ihn am Hals und lachend liefen wir umher. Ich war schon fast komplett durchnässt, aber das störte Yu herzlich wenig. Ständig schaufelte er mir Wasser zu und wenn ich dazu kam, erwiderte ich diese Angriffe. Wenig später lagen wir erschöpft und vollkommen nass auf der Wiese neben dem Bach. Wir sahen in den Himmel und ließen uns von der Sonne trocknen. Zum Glück war es warm, sodass wir nicht froren und unsere Kleidung allmählich trocken wurde. Als wir alle ein Grummeln in der Magengegend verspürten, das uns sagte, dass es Zeit zum Essen war, erhoben wir uns und schlenderten gemütlich zurück zum Anwesen. Man sah uns kaum noch an, dass wir eine Wasserschlacht hinter uns hatten, als wir die Eingangshalle der Villa betraten. Aus der Küche kam fröhliches Summen von Yus Oma, die uns begrüßte, ohne jedoch den Blick vom halb fertigen Abendessen zu wenden. Wir gingen in unsere Zimmer hoch und zogen uns etwas Frisches an, unterdessen wir die noch immer leicht feuchten Klamotten ans Fenster zum Trocknen hingen. Ich war überrascht, als ich auf die Uhr sah, die auf dem Nachttisch stand und feststellte, dass wir über drei Stunden weggewesen waren. So lange war es mir gar nicht vorgekommen. Aber mit Freunden vergeht die Zeit ja bekanntlich wie im Flug. Draußen färbte sich der Himmel allmählich orange, es war schon später Nachmittag, kein Wunder also, dass mir der Magen knurrte. Gut gelaunt hüpfte ich die Treppe hinunter in die Küche und fragte Yus Oma, ob ich nun etwas helfen könnte. Lächelnd wies sie auf einen Stapel Geschirr, den ich dann sogleich auf dem Tisch verteilte, während ich ihr erzählte, dass wir im Feld und am Bach gewesen waren. Unsere kleine Wasserschlacht verschwieg ich jedoch. Ich wusste selbst nicht genau warum, vielleicht weil mir meine Oma eine Standpauke darüber gehalten hätte, dass es doch noch viel zu kalt für solche Spielchen sei und dass das schlimm enden könnte. ’Jaja’, dachte ich dann immer und stellte bei solchen Predigten immer auf Durchzug. Ich war schließlich noch jung, da durfte ich so was. Meistens waren Großeltern zu ihrer Zeit selbst nicht anders, dann sollten sie uns mal nicht den Spaß nehmen. Gerade verteilte ich das Besteck, als die Jungs die Küche betraten; auch sie hatten sich umgezogen. Yu kümmerte sich um die Gläser, die er fein säuberlich neben den Tellern platzierte und als es schließlich nichts mehr zu tun gab, gingen wir hinaus in den Garten und machten es uns auf der Hollywoodschaukel bequem. Während wir leicht vor und zurück schaukelten, quietschte die Schaukel leise- sie war seit unserem letzten Besuch sicher nicht mehr so oft benutzt worden. Am anderen Ende des Rasens, unter einem Baum, stand ein eiserner Gartentisch mit dazu passenden Stühlen. Auf dem Tisch lag ein Buch und daneben ein Etui mit Lesebrille. Yu stand auf und besah sich das Buch genauer. Dann kam er damit wieder zurück und quetschte sich in unsere Mitte, wo Strify sich gerade ausgebreitet hatte. „Und?“, fragte ich ihn und versuchte den Titel des Buches zu erkennen. „Total altmodisch- die Schatzinsel.“, sagte Yu. Er drehte das Buch um und überflog den Buchrücken, schlug das Buch dann auf und begann schließlich, uns eine Passage daraus vorzulesen. Wir saßen eine ganze Weile so da, ließen uns von Yu vorlesen und versuchten uns die Welt, die er schilderte, vor unserem inneren Auge aufzubauen. Die Geräusche der Natur halfen uns dabei. Das Zwitschern der Vögel war das Kreischen der Möwen, die rauschenden Blätter waren die Wellen des Meeres. Doch dann wurden wir von Yus Oma zum Essen nach Drinnen gerufen und begaben uns in die Küche. Das Abendessen verlief recht schweigsam, das lag aber wohl daran, dass es so gut schmeckte und wir so einen Hunger hatten, dass wir zu sehr mit kauen beschäftigt waren, als dass wir zum Reden kämen. Nach dem Essen- es war schon recht dunkel draußen- gingen wir nach oben in unsere Zimmer. Ich ging noch zu den Jungs mit hinüber, es war ja schließlich erst früher Abend. Strify hatte Karten mitgenommen, so saßen wir den ganzen restlichen Abend da, spielten Karten und redeten über alles Mögliche. Als es schon auf die 24 Uhr zuging, verließ ich das Zimmer um mich fertig zu machen und dann unter meine Bettdecke zu legen. Es dauerte auch nicht lange, da schlief ich ein, da ich doch ein wenig erschöpft war vom heutigen Tag und der etwas ländlichen Luft hier außerhalb der Stadt. Auch sonst regte sich im Haus nichts, als ich lauschte. Es hatte jeder seinen Ruheschlaf verdient. Kapitel 7: ~ FraViT Race ------------------------ Den Namen dieses Kapitels habe ich einem Video auf Youtube zu verdanken, das auch so heißt. Ich habe es mal per Zufall entdeckt und ich hab mir so einen weggelacht, da dachte ich, das könnte ich doch mal in meiner FF bringen. Und das ist daraus geworden xD Und hier noch mal der Link, falls ihr euch das Video mal ansehen wollt: http://www.youtube.com/watch?v=K5-OTbOPbms (Der Typ mir dem grauen T-Shirt is übrigens Yu xDD) Ach ja! An dieser Stelle möchte ich euch noch mal für die vielen lieben Kommis danken und dafür, dass ihr meine FF lest. Ich hoffe, ihr werdet auch weiterhin Spaß daran haben. Ich werde mir ganz viel Mühe geben! ^^ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Am nächsten Morgen erwachte ich schon früh. Als ich aufstand und den Vorhang zur Seite schob, sah ich, wie die Sonne aufging. Leuchtendes Orange durchflutete mein Zimmer und blendete mich. Ich wandte mich ab, schloss den Vorhang jedoch nicht. Als ich mich anzog, beschloss ich noch einmal nach den Pferden zu sehen. Ich wusste zwar nicht, ob sie schon so früh da waren, aber ein kleiner Spaziergang würde mir gut tun. Leise tapste ich aus meinem Zimmer und lauschte- nichts rührte sich. Sie schienen alle noch zu schlafen. Ich schlich die Treppen runter, machte noch einen kurzen Abstecher in die Küche, wo ich ein paar Stücke Zucker aus der Zuckerdose nahm und sie mir in die Jackentasche steckte. Leise öffnete ich die Haustür und trat hinaus in die Einfahrt. Es war noch recht kühl und ich zog meine Jacke enger um mich. Als ich durch die Allee in Richtung Feld spazierte, sah ich noch den Tau auf den Bäumen und Gräsern im Licht glitzern. Die Sonne war schon fast vollständig aufgegangen als ich zum Feld kam. Die Pferde standen tatsächlich wieder da. Das Fuchsbraune konnte ich sofort erkennen. Vorsichtig spähte ich nach dem Bauern, der nirgends zu sehen war. Ich hörte ein Rascheln hinter mir und sofort drehte ich mich um, doch es war nur ein Vogel, der auf der Suche nach Nahrung durch die Gräser hüpfte. Dennoch ging ich ein wenig in die Hocke und pirschte vorsichtig an die Pferde heran. Als ich mich aufrichtete, war von dem Bauern noch immer noch nichts zu sehen, also ging ich zu dem fuchsbraunen Pferd und tätschelte es. „Da bin ich wieder.“, flüsterte ich ihm lächelnd zu und es ließ sich diese Sonderbehandlung wohl gefallen. In meiner Jackentasche kramte ich nach den Zuckerstücken und gab ihm eines nach dem anderen. Das Pferd schien sehr erfreut über dieses kleine Geschenk. Zufrieden beobachtete ich es, doch zeitweise wandte ich doch den Kopf um nach dem Bauern Ausschau zu halten, doch er war nirgends zu sehen. Als ich eine Weile bei dem Pferd geblieben war, musste ich wieder zurück, die anderen waren sicher schon wach und heute wollten wir einen Ausflug in einen Naturpark machen, da mussten wir etwas früher raus. Ich verabschiedete mich von dem Pferd, ging los und als ich mich umdrehte, sah ich, dass es mir die ganze Zeit nachgeschaut hatte. Lächelnd winkte ich noch einmal, dann versperrten mir die Bäume der Allee die Sicht auf das Feld. Ich lief etwas schneller, denn am Feld hatte ich lang genug getrödelt, und als ich schließlich das Haus betrat, hörte ich schon das Klappern von Geschirr. Ich hängte meine Jacke an den Garderobenständer und betrat die Küche. Die Jungs waren schon wach, zumindest Yu und Strify, und deckten den Tisch. „Guten Morgen.“, sagte ich lächelnd und die anderen erwiderten es. „Du hast ja so rosige Wangen, Kind. Warst du draußen auf einen kleinen Morgenspaziergang?“, fragte Yus Oma mit einem Lächeln. Ich nickte und nachdem ich mir die Hände gewaschen hatte, half ich, den Tee zu kochen. „Wir haben uns schon gewundert, wo du auf einmal herkommst. Als wir an deine Zimmertür geklopft haben, hast du nicht geantwortet und im Bad warst du auch nicht.“, meinte Strify. „Wo warst du denn?“, fragte er mit neugierigem Blick. „Hab einen kleinen Spaziergang gemacht.“, antwortete ich. Strify sah mich eindringlich an. „Jaah, okay, ich war bei den Pferden im Feld.“, gab ich stöhnend zu. „Wusste ich’s doch.“, grinste mich Strify an und deckte den Tisch weiter. „Hat dich der alte Kauz erwischt?“, fragte er mit gesenkter Stimme. „Nein, er war nicht da. Komisch, will nicht, dass irgendjemand sein Pferde anfasst und lässt die einfach so im Feld stehen.“, überlegte ich nachdenklich, ebenfalls mit gesenkter Stimme. „Ach, der is einfach nur verwirrt.“, beendete Strify die Diskussion. Wenig später ging Strify hoch um Kiro zu wecken. Es wunderte mich nicht, dass schon bald Rufe und Krach nach unten drangen. „AAAAAUUUUU!“, kam es dann von Strify und der Schmerzensschrei hallte durch das ganze Haus. Gleich darauf kam Strify mit finsterem Gesicht wieder runter und rieb sich den Arm. „Kiro hat mich gebissen.“, murrte er und ließ sich auf den Stuhl fallen. „Was hast du mit ihm gemacht?“, fragte ich. Er sah mich böse an. „Ich hab ihn gekitzelt, aber...“. Ich unterbrach ihn. „Du weißt, dass er das nicht leiden kann. Du bist selbst schuld.“, meinte ich, während ich die Teekanne auf den Tisch platzierte. Yu hielt sich bei solchen Gesprächen immer raus, er saß schweigend am Tisch und blätterte gelangweilt in der Tageszeitung. Strify murmelte etwas unverständliches, ließ es dann aber auch gut sein. Sein Blick war zwar immer noch finster, doch er sagte nichts mehr. Wenige Minuten später tapste Kiro in die Küche, mit zerzausten Haaren und verschlafenem Blick, der genauso böse war wie Strifys. „Mann, mit deinem Rumgebrülle kannst du ja eine ganze Stadt aufwecken...“, grummelte Kiro und ließ sich ebenfalls auf einen Stuhl plumpsen. „Du hast mich gebissen!“, jammerte Strify. „Und du hast mich gekitzelt!“, blaffte Kiro ihn an. „Strify wollte gerade den Mund aufmachen um etwas zu erwidern, doch ich ging dazwischen. „Jungs!“, ermahnte ich sie und beide verstummten sofort. Just in dem Moment kamen Yus Eltern in die Küche. „Was war denn das für ein Lärm?“, fragte Yus Vater grinsend und nahm neben seiner Frau am Tisch platz. Als keiner von uns antwortete, ergriff Yus Oma das Wort. „Kleine Auseinandersetzung der Kinder, nichts weiter.“, meinte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung. ’Kinder!’, dachte ich. Das war ja mal wieder typisch Oma. Für die war man immer ein Kind. Beim Frühstück redeten nur Yus Eltern und seine Oma, die allesamt bester Laune waren. Wir selbst aßen schweigend, bis man uns aufforderte, unsere Sachen von oben zu holen, damit wir los könnten. Wie auf Kommando standen wir alle gleichzeitig auf und stiegen die Treppe ins obere Stockwerk hinauf. Noch immer redete niemand. Ich holte meinen Rucksack und schloss die Tür zu meinem Zimmer. Strify stand im Flur vor seinem Zimmer, hatte die Ellbogen auf das Geländer gestützt und sah trübsalblasend in die Eingangshalle. Ich stellte mich neben ihn solange wir auf die anderen beiden warteten, die in letzter Minute ihre Sachen zusammensuchten. „Jetzt guck doch nicht so miesepetrig.“, sagte ich zu ihm und knuffte ihn in den Arm. „Es ist doch nichts passiert, also macht nicht so einen Aufstand darum.“. „Aber was soll ich denn machen, wenn alle so schweigsam sind und mit beleidigten Gesichtern rumlaufen?“, fragte er und sah mich an. Gott, was hatte der Junge für blaue Augen! Eilig wandte ich den Blick ab und meinte, dass er doch mit mir und Yu reden könnte. Außerdem sollte er sich bei Kiro entschuldigen. „Aber er hat mich gebissen!“, fing Strify wieder an und jammerte wie ein kleines Kind. „Und du hast ihn gewaltsam aus dem Bett geholt, kein Wunder, dass er schlechte Laune hat. Du weißt doch, dass er ein Morgenmuffel ist.“. Ich sah ihn an. „Wir wollten doch ein schönes Wochenende verbringen, also versaut uns das nicht mit so einer Kleinigkeit.“, sagte ich mit gespielt vorwurfsvollem Blick. Auf Strifys Gesicht zeichnete sich die Andeutung eines kleinen Lächelns ab. „Du hast Recht.“, sagte er dann und fragte, was ich geträumt hätte. Ich sah ihn erstaunt an. Das war ja mal wieder typisch Strify, kann einfach so das Thema wechseln und sich echt über alles unterhalten. „Keine Ahnung.“, meinte ich schulterzuckend und da begann Strify mir von seinem Traum zu erzählen. „Der war total komisch, ich war im Wald und überall waren Süßigkeiten. Die sahen sehr lecker aus und ich...“. „Hast du letztens irgendwann wieder ’Charlie und die Schokoladenfabrik’ geguckt oder so?“, fragte ich und zog die Augenbrauen hoch. Strify war ein Kinderfilmliebhaber, auch wenn es sein Stolz nicht zuließ, es zuzugeben. „Nö, eigentlich nicht.“, meinte er mit einem nachdenklichen Blick. Dann sah er mich an. „Zählst du zu letztens auch Mittwochabend?“, fragte er grinsend. Ich musste lachen. Strify konnte so süß sein. Hinter uns wurde die Tür aufgemacht und Yu und Kiro traten auf den Flur. Kiro sah noch immer etwas mürrisch drein. Ich warf Strify noch einen Blick zu und ging dann mit Yu voran die Treppen runter. Ich konnte hören, wie Kiro und Strify leise redeten, sie waren noch immer auf dem Treppenabsatz. Ich zog meine Jacke an und schnürte meine Schuhe zu. Dann verließen wir das Haus und stiegen ins Auto. Als wir schon drinnen saßen, eilten dann auch Kiro und Strify hinterher und zwängten sich zu uns. Yus Oma stand an der Tür und winkte, sie würde zu Hause bleiben. Dann fuhren wir auch schon los. „Los geht’s!“, rief Strify und Kiro grinste ihm zu. Sie schienen sich wieder vertragen zu haben. Ein Glück! Ich hatte ja so was von keine Lust, mit zwei beleidigten Jungs herumzulaufen, die einen selbst mit ihrer schlechten Laune ansteckten. Auf der Autobahn war nicht allzu viel los, wir kamen früher als geplant beim Naturpark an. An der Kasse holten wir unsere Tickets und sahen uns erst mal die Karte an, um zu schauen, wo wir als erstes hingehen sollten. Mittlerweile war es ziemlich warm geworden, man konnte förmlich spüren, wie sich der Frühling zum Sommer wandelte. Nach einem Blick auf die Karte beschlossen wir, den Park nach der Reihe abzuklappern. Wir wollten zuerst mit dem Tropenhaus anfangen, das uns am nächsten lag, von dort aus dann weiter zum Aquarium. Das Tropenhaus lag nicht weit von unserem Ausgangspunkt entfernt, wir brauchten also nicht lange zu laufen. Die Wege waren entweder mit Wiesen umgeben oder von Bäumen umringt. Dem Weg zum Tropenhaus folgte uns eine Wiese, auf der Blumen wuchsen. Die Pracht war wunderschön anzusehen. Besser wurde es allerdings noch, als wir das Tropenhaus betraten; feuchtwarme Luft schlug uns entgegen, an die wir uns erst mal gewöhnen mussten. Hier wuchsen Palmen, Bananenbäume und andere tropische Pflanzen. Um uns herum flogen frei in der Luft Schmetterlinge, in allen Farben und Kombinationen. Ich fühlte mich wie im Paradies. Als ich eine Hand ausstreckte und ruhig stehen blieb, setzte sich nach einer Weile ein kleiner gelber Schmetterling auf meinen Finger. Fasziniert beobachtete ich ihn und auch die anderen hingen mit ihren Blicken an meinem Finger. Als ich diesen dann leicht bewegte, damit wir weitergehen konnten, flog der Schmetterling weg und wir erwachten aus unserer Starre. Das Aquarium war riesig. Wir gingen hinein und kamen erst mal zu den kleineren Meeresbewohnern. Seesterne, Muscheln und mehr wurden in mit Wasser und Meerespflanzen ausgelegten offenen Glasschalen ausgestellt und wenn man vorsichtig war, durfte man sie auch streicheln. Yu war sofort Feuer und Flamme, als er das hörte und widmete sich einem kleinen Seestern, den er vorsichtig anfasste. Er strich sanft auf seiner Oberfläche hin und her und meinte, dass er sich diese ganz anders vorgestellt hätte. Wir gingen weiter und um uns herum in großen Aquarien schwammen viele bunte Fische, große wie auch kleine. Ich blieb vor der Glasscheibe stehen, hinter denen man Clownfische bewundern konnte. ’Nemo!’, schoss es mir durch den Kopf und beobachtete einen besonders Kleinen seiner Art, der aufgeregt hin und her schwamm. Kiro musste meine Gedanken erraten haben, denn als er sich neben mich stellte und ebenfalls hinter die Scheibe spähte, sagte er: „Guck mal, da ist Dori.“, und zeigte auf einen blauen Fisch, den ich erst jetzt bemerkte. Wir grinsten uns an. „Uuuui, guck mal, Seepferdchen!“, kam es von Strify, der ein paar Aquarien neben uns stand und hineingaffte. Wir gesellten uns zu ihm und tatsächlich trieben im Wasser hinter der Scheibe kleine Seepferdchen hin und her. Strify war von ihnen ganz angetan. „Moah, die sind ja voll süß!“, meinte er und ich nickte zustimmend. Als wir weiterschlenderten, kamen wir nach einiger Zeit zu einem Aquarium, das viel größer war, als die, an denen wir bisher vorbeigekommen waren. Die Oberfläche konnte man von dort unten kaum erkennen, sie lag weit über unseren Köpfen. Innen wurde alles so dekoriert, wie im echten Meer und die Wände waren dunkelblau gestrichen, wie in den dunklen Tiefen des Meeres. Drinnen schwammen Haie umher und am Boden, der unter uns lag, war ein Imitat eines Schiffswrackes aufgebaut. Als kleiner Spielplatz für die Haie, sozusagen. Als ich zu der Oberfläche zu spähen versuchte, fühlte ich mich wie eine Meerjungfrau, die unten im Meer schwamm. Denn für einen selbst sah es tatsächlich so aus, als sei man mitten im Aquarium drin, umgeben von Haien, Meerespflanzen und einem Schiffswrack, wenn man den Kopf nur tief genug in das große Guckloch steckte. Ich konnte mich kaum von diesem atemberaubenden Blick losreißen, doch schließlich gingen wir weiter und kamen zu den Rochen. Diese schwammen recht nah an der Wasseroberfläche und das Glasaquarium war hüfthoch und oben geöffnet. Man konnte sie berühren, wenn man vorsichtig war. Einer spritzte mich sogar einmal nass; das fanden die anderen und ich so lustig, dass wir noch darüber lachten, als wir das Gebäude wieder verließen. „Ich glaube, mit dem würdest du dich gut verstehen!“, meinte Kiro, als er sich einigermaßen von seinem Lachanfall erholt hatte. Als wir noch ein wenig weitergewandert waren, beschlossen Yus Eltern und wir vier uns zu trennen und machten eine bestimmte Uhrzeit aus, zu der wir uns am Eingang wieder treffen sollten. Sie wollten nämlich zu den Vögeln gehen, unterdessen wir uns zum Chinesischen Garten aufmachten. Als wir dort ankamen, kramte Kiro in seinem Rucksack nach seiner Cam und begann zu filmen. Ich Idiot checkte das zuerst natürlich nicht, weil ich zu beschäftigt war, mich umzusehen. Er filmte und sagte kein Wort, erst als ich mich umdrehte und direkt in die Linse sah, mich dabei so erschreckte, dass ich zusammenzuckte und ein überraschtes „Woah!“ von mir gab und mir dabei ans Herz fasste und Kiro, Strify uns Yu deswegen voll den Lachflash hatten, merkte ich, was er da machte. Ich wollte nicht wissen, wie verpeilt ich auf dem Video aussah. Aber ich musste trotzdem lachen. „Ups, das war nicht gewollt!“, sprach Kiro ins Mikro der Cam und lachte immer noch. Im Hintergrund war unser Lachen zu hören und er filmte uns. „Jetzt hör doch mal auf!“, sagte ich kichernd und hielt meine Hand vor die Linse. Kiro grinste. „Da ist wohl jemand kamerascheu. Dabei machst du dich doch so gut.“. „Musst du gerade sagen!“, rief ich und wollte ihm die Cam aus der Hand schnappen, doch er war schneller. „Also, bevor der ganze Akku verbraucht ist: Wir sind hier im Chinesischen Garten in einem Naturpark. Und da sind Yu,“- Yu winkte-„Strify“- Strify grinste und zog eine Augenbraue hoch, der hammergeile Blick, -„Und...“. Doch zu mir kam er nicht mehr, denn ich hatte ihm von hinten die Kamera aus der Hand genommen und filmte jetzt. „Und Kiro!“, beendete ich Kiros Satz. „Och Mann!“, jammerte er, kehrte mir den Rücken zu und hielt sich die Hände vors Gesicht. Dann filmte ich noch ein bisschen in der Gegend rum und stoppte dann die Aufnahme. „Okay, Kiro, du bist außer Gefahr.“, meinte ich und gab ihm die Kamera wieder. Immer noch etwas misstrauisch drehte er sich langsam um und nahm mir dann die Kamera ab, die ich ihm entgegenhielt. „Was haltet ihr von einem kleinen Wettrennen?“, fragte Yu und deutete auf den Weg, der durch den ersten Gartenteil führte und der bis auf uns momentan menschenleer war. Der Weg war kurvig und führte im Kreis herum. Die Fläche, die er umkreiste, war groß, in seiner Mitte befanden sich ein See und Bambussträucher. Wenn man diesen Weg gemütlich entlangspazierte, bräuchte man sicherlich um die 10 Minuten. Kiro sah etwas misstrauisch drein, doch Strify und ich waren sofort Feuer und Flamme. „Gut, dann filme ich!“, meinte Kiro und wir waren gnädig und erlaubten es ihm. Wir begaben uns in Position, Kiro fing an zu filmen und rief: „Drei, Zwei, Eins...und LOS!“. Und schon waren wir losgestürmt, ich führte, mir dicht auf den Fersen raste Yu Kopf an Kopf mit Strify. Kiro stand nur an unserem Startplatz und lachte sich einen weg. In der Kurve überholte mich Yu fast, doch ich legte noch einen Zahn zu und wäre dabei fast aus der Kurve gekommen. Strify war dicht hinter uns und schon hatte er mich und Yu auf einem kurzen geraden Wegstück überholt. In rasantem Tempo jagten wir den Weg entlang, doch in der nächsten Kurve sprang ich über einen kleinen Bordstein, der die Kurve verkürzte und lag wieder vorn. „Hey!“, kam es protestierend von hinten und die beiden holten auf. In der nächsten Kurve verlor ich die Führung an Yu und neben mir rannte Strify. In einer Kurve überholte ich Strify und haftete mich an Yus Fersen. Doch da vorne war schon das Ziel und da Yu die längsten Beine von uns hatte, kam er auch als Erster am Ziel an. Dicht gefolgt von mir und Strify, dem ich dann aber doch noch eine Nasenlänge voraus war. Das war verdammt knapp gewesen, wir alle waren nur Zehntelsekunden nacheinander im Ziel angekommen. „Gewonnen!“, rief Yu und jubelte. Nun standen wir außer Atem da und mussten erst mal Luft holen. „Was für ein Rennen!“, sagte Kiro, der die Cam mit diesen Worten ausmachte. „Das Video ist voll lustig, ihr hättet euch mal sehen sollen. Ihr seid abgegangen wie Raketen.“. Wir grinsten. Da kam ein älteres Ehepaar den Weg entlang und schlenderte gemütlich dahin. Wir sahen uns an. Ja, ein kleiner erholsamer Spaziergang würde uns allen gut tun. Kapitel 8: ~ Tollpatsch voraus! ------------------------------- Ich sah aus dem Fenster. Wälder, die im Dämmerlicht lagen, zogen schnell an uns vorbei. Wir saßen gerade wieder in Kiros BMW und waren auf dem Weg nach Hause. Die Verabschiedung von Yus Oma war herzlich ausgefallen, sie wollte uns gar nicht gehen lassen. Aber wir versprachen, bald wieder zu kommen. Sie hatte uns nachgewinkt, bis wir aus ihrem Blickfeld verschwunden waren. Und nun saßen wir schon eine Weile im Auto und rasten die Autobahn entlang. Musik dröhnte in meinen Ohren und vorne saß Yu, den Blick halb schlafend nach außen gerichtet. Strify schlief neben mir, wenigstens war ihm jetzt nicht schlecht. Auch ich war ziemlich müde, lag wohl an dem gemächlichen sanften Ruckeln des Autos. Wieder zogen viele LKWs an uns vorbei und es dämmerte bereits. Strifys Hand zuckte neben mir auf dem Sitz und er brabbelte leise vor sich hin, dann war er wieder ruhig. Was er wohl träumen mochte? Vielleicht würde er es mir zu Hause erzählen, wenn wir ausgepackt hatten und gemütlich vor dem Fernseher saßen. Doch es sollte anders kommen. Es war schon fast dunkel, als Kiro vor unserer Wohnung hielt. Ich schüttelte Strify leicht, sodass er aufwachte und im Halbschlaf aus dem Wagen stieg. Wir bedankten uns bei Kiro und wünschten den beiden Jungs noch einen schönen Abend, dann nahmen wir unser Gepäck aus dem Kofferraum und trotteten zur Eingangstür. Ich kramte in meiner Jackentasche, doch ich konnte den Schlüssel nicht finden. Strify sah mich schief an. „Was ist?“, fragte er und als ich begann, meine Tasche hektischer zu durchwühlen, fragte er: „Du hast doch den Schlüssel nicht etwa verloren?“, und seine Stimme klang ziemlich argwöhnisch. „Ach was!“, murmelte ich und machte mich daran, nun meine andere Jackentasche zu durchforsten. Nichts. Ich öffnete meine Handtasche, kramte darin herum, fand nichts, schüttete fast den gesamten Inhalt auf den Boden und wühlte und wühlte. „Hast du ihn nicht? Du musst ihn haben, sonst hätte ich ihn, aber ich hab ihn nicht, also hast du ihn!“, laberte ich Strify voll, der begann, ebenfalls seine Jackentaschen zu erkunden. „Nee, ich hab nichts.“, meinte er dann. „Dann such im Koffer oder sonst wo. Ich hab ihn nicht!“, sagte ich und schaufelte meinen ganzen Kram wieder in meine Handtasche, dabei untersuchte ich alles so genau wie möglich. Strify suchte nun in seinen Hosentaschen, bückte sich und öffnete seinen Koffer, wo er dann rumzustöbern begann. Nun öffnete auch ich meinen Koffer, durchwühlte ihn komplett, doch nichts. Ich stöhnte auf. „Das darf ja wohl nicht wahr sein!“. Ich fasste mir an die Stirn. Strify suchte weiter, gab es dann aber auch auf und zog den Reißverschluss seines Gepäcks wieder zu. „Mann!“, murrte er und ging in die Hocke, wo er den Kopf auf seinen Knien abstützte. „Und du hast ihn sicher nicht?“, fragte er hoffnungsvoll und sah mich mit einem Dackelblick an. Aber ich konnte ja schließlich auch nicht zaubern. „Ich such ja schon!“, antwortete ich und durchwühlte hektisch alles, was mir in die Finger kam. Verzweifelt ließ ich mich dann neben Strify auf den Boden sinken. „Du hast deinen in der Wohnung gelassen, stimmt’s ?“, fragte ich ihn, ohne ihn dabei anzusehen. „Hmhm...“, machte er und lehnte sich gegen die gläserne Eingangstür. „Wann hast du ihn denn das letzte Mal gesehen?“, fragte er. Ich, ganz in Gedanken versunken, schreckte auf und fragte: „Wen?“. „Den Nikolaus!“, sagte er mit genervtem Sarkasmus. „Deinen Schlüssel, was denn sonst?!“. „Ach so.“, meinte ich und dachte nach. Als wir von hier losgefahren waren, hatte ich die Wohnung abgeschlossen. Dann hatte ich ihn in die Hosentasche meiner Jeans gesteckt, die ich gestern aber nicht trug, sondern erst heute Morgen wieder angezogen hatte. In der Zwischenzeit hatte ich ihn nicht rausgenommen, ich hatte gar nicht an ihn gedacht...das hieß...! Ich sprang auf und wühlte in meinen Hosentaschen. Strify sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen von unten an. „Hat dich ne Wespe in den Arsch gestochen, oder was is los?“, fragte er. Ich ließ mich nicht zu einer Antwort herab, sondern durchkämmte nun meine andere Hosentasche. Bingo! Ich holte ihn heraus und schon hatte ich den silbernen Schlüsselbund in der Hand, der munter klimperte als ich ihn schüttelte. Strify sah ungläubig zwischen dem Schlüssel und mir hin und her. „Neee...“, sagte er dann langsam. „Das glaub ich jetzt nicht!“. Noch immer sah er den Schlüssel mit großen Augen an. Ich war allerdings schon dabei, die Eingangstür auf zu schließen. Da kam auch wieder Leben in Strify. Er erhob sich und schüttelte den Kopf. „Ich fass das jetzt nicht. Wir machen hier Panik, du scheuchst alles auf, entlädst unseren gesamten Haushalt auf die Straße und dann is das Ding in deiner Hosentasche!“, rief er und schlug mit der Hand gegen seine Stirn. „’tschuldigung.“, murmelte ich kleinlaut, konnte ein Kichern aber doch nicht unterdrücken. „Maaann, du bist ja vielleicht eine!“, seufzte er und gab mir grinsend einen leichten Klaps auf die Schulter, als er an mir vorbei in Richtung Aufzug marschierte, seinen Koffer hinter sich herziehend. Ich eilte hinter ihm her, um den Aufzug nicht zu verpassen, stolperte über eine kleine Unebenheit im Boden und hätte mich fast auf die Nase gelegt. Strify schüttelte nur den Kopf und fasste sich an die Stirn. „Chaoskind.“, murmelte er. „Das hab ich gehört!“, rief ich protestierend und kam auf den Aufzug zu, als dieser direkt vor meiner Nase die Türen schloss. Erst mal war Stille. Verblüfft stand ich da und gaffte die geschlossenen Türen an. „Heyyy!“, jammerte ich dann und stand da, wie bestellt und nicht abgeholt. Augenblicke später hörte ich Strify von oben durchs Treppenhaus rufen: „Lebst du noch?“. „Möp!“, rief ich nach oben und er erwiderte: „Okay, bei dir kann man ja nie wissen!“. Grummelnd ließ ich den Koffer stehen und trat noch mal vor die Eingangstür, um meine Handtasche zu holen. Hinter mir öffneten sich die Aufzugtüren und ich hörte, wie Strify heraustrat um die Koffer in den Aufzug zu laden. Ich drehte mich um und wollte ihm sagen, dass er den Aufzug diesmal für mich offen halten sollte, als ich eine Stufe übersah und zu Boden stürzte. Sofort spürte ich einen stechenden Schmerz in meinem linken Knöchel, auf dem ich unglücklicherweise gelandet war. Nun saß ich auf dem Boden, fluchte leise vor mich hin und hörte Strify lachend zu mir kommen. Ich wollte auch lachen, aber der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen. „Alles okay?“, fragte er grinsend und reichte mir seine Hand. „Jaja.“, meinte ich und versuchte mir möglichst nichts anmerken zu lassen und einen beiläufigen Ton anzuschlagen. Ich wollte aufstehen, doch meinen linken Fuß konnte ich nicht aufstellen. So eine Scheiße, was hatte ich denn da verbockt?! Strify schien was bemerkt zu haben und fragte: „Kannst du aufstehen?“. Er griff mit seinen Armen unter meine Schultern und zog mich auf die Beine- oder besser gesagt auf eins, denn nur das Rechte konnte mich momentan tragen. Strify sah das und blickte zu meinem Fuß hinunter. „Kannst nicht laufen, was?“, meinte er und sein Grinsen war verschwunden. Er sah ziemlich ernst aus. Das gefiel mir gar nicht. „Ach was!“, meinte ich lächelnd und winkte ab. „Halb so schlimm!“. Dennoch stützte er mich, als wir zum Aufzug gingen und er ließ mich nicht los, bis wir unsere Wohnung betraten und er mich auf unser Sofa setzte. „Warte hier.“, meinte er und hing unsere Jacken an der Garderobe auf. Als ich so saß und wartete, war mir noch immer etwas schwummrig. Strifys ernster Gesichtsausdruck ging mir nicht mehr aus dem Sinn und ich versuchte, meinen Fuß zu bewegen. Ich zuckte zusammen. Der Schmerz durchfuhr mich wie ein Stromschlag. Doch noch immer spürte ich Strifys stützende Arme um mich und dachte mir, jetzt sei doch nicht so eine Memme! Vorsichtig versuchte ich aufzustehen und meinen Fuß aufzusetzen. Da trat Strify ins Wohnzimmer und meinte: „Setz dich wieder hin, du machst es ja nur noch schlimmer.“. Ich gehorchte und lies mich wieder aus die Couch fallen. Während er dann im Bad verschwand, zog ich meine Schuhe aus und betrachtete meinen Knöchel. Er war minimal angeschwollen, etwas dicker im Vergleich zum Anderen, doch wirklich nur kaum. Strify kam mit einem Waschlappen zurück. Vorsichtig hob er mein linkes Bein leicht an und streifte die Hose etwas nach oben, damit er einen Blick auf meinen Knöchel werfen konnte. „Hm, sieht nicht gut aus“. Dann wickelte er den Waschlappen, den er vorher in eiskaltem Wasser getränkt hatte, um mein Gelenk und sofort spürte ich, wie die Kälte meinem wundem Fuß gut tat. „So. Besser, nicht wahr?“, fragte Strify und sah mich lächelnd an. „Mhmh. Viel besser. Danke.“, antwortete ich und lächelte zurück. „Was du aber auch immer für Sachen machst.“, meinte er und ging dann in die Küche, wo er uns was zu Trinken holte. Mit Zwei Gläsern und einer Flasche Cola kam er wieder und machte den Fernseher an. Er setzte sich in den Sessel und schaltete durch die Kanäle, doch was Besonderes lief nicht. Nicht an einem Sonntag Abend. Er schaltete auf Viva und ließ die Clips laufen. Dann sah er zu mir. „Tut’s noch weh?“, fragte er und ich, den Mund noch voller Cola, schüttelte den Kopf. „Gut.“, meinte er dann lächelnd und wandte sich wieder dem Fernseher zu. Ich sah zu ihm. Sein Gesicht war dem Bildschirm zugewandt, ich sah also nur einen Teil seines Profils. Mein Blick hatte sich an ihm verfangen, gespannt beobachtete ich jede seiner Bewegungen. Zum ersten Mal, seit ich Strify kannte, fühlte ich ein wirkliches Begehren ihm gegenüber, es war aufgeflammt von einer Sekunde auf die andere. Tief in mir spürte ich, dass es eine Gefahr darstellte, aber zu meinem Schrecken hatte ich nicht die Kraft und den Willen, mich ihr zu widersetzen. Ich legte den Kopf schief. Strify blinzelte. Und nieste. Ich lachte und sagte: „Gesundheit.“. „Danke“, meinte er und grinsend fügte er hinzu: „Da denkt wohl gerade jemand an mich.“. Wie ertappt senkte ich meinen Blick rasch zu Boden und errötete leicht, doch zum Glück hatte er sich wieder dem Fernseher zugewandt. Ich nahm mein Glas vom Tisch und nippte daran. Was war bloß los? Mir war auf einmal so warm und meine Wangen schienen zu glühen. Eine Weile saßen wir schweigend da und sahen fern. Auf einmal fragte Strify, ob ich morgen denn zur Uni fahren wollte, ich konnte ja schließlich nicht laufen. „Ach, das geht schon. Von so einer Kleinigkeit lasse ich mich nicht aus der Bahn werfen!“, meinte ich und er sah mich mit seinen unglaublich blauen Augen direkt an. „Bist du sicher?“. „Ja.“, beeilte ich mich zu sagen und sah rasch weg. „Okay. Dann sollten wir vielleicht langsam mal schlafen gehen.“, sagte er und schaltete den Fernseher aus. Ich richtete meinen Blick auf die Uhr- es war schon fast Zwölf. Schon so spät!, stellte ich verwundert fest. Langsam erhob ich mich und stützte mich an der Sofalehne ab. Ich humpelte auf einem Bein in mein Zimmer und stützte mich an allen ab, was mir auf meinem Weg dorthin begegnete. Ich schloss die Tür und begann mich umzuziehen, war aber vorsichtig, nicht den Wickel um meinem Knöchel zu verlieren. Als ich schließlich im Schlafanzug aus meinem Zimmer trat, um ins Bad zu gehen, stieß ich fast mit Strify zusammen, der gerade ebenfalls meine Tür öffnen wollte. „Oh, tut mir leid.“, nuschelte ich und schob mich an ihm vorbei in Richtung Bad. „Geht’s?“, fragte er und ich nickte. Er trat an mich heran und stützte mich auf dem Weg ins Badezimmer. „So geht’s doch leichter.“, meinte er und sah mich lieb an. Ich sah in seine Augen und musste mich dann zwingen, den Blick möglichst schnell wieder abzuwenden. Mir wurde ganz schwindelig und meine Beine drohten nachzugeben, so weich waren meine Knie. Ich war froh, als ich mich endlich an der Tür abstützen und das Bad betreten konnte. „Danke.“, sagte ich und warf Strify einen Blick zu, der schon auf dem Weg in sein Zimmer war. „No Problem!“, meinte er und winkte mir zu. Ich schloss die Tür und lehnte mich dagegen. Nach ein paar tiefen Atemzügen ging es mir etwas besser. Ich machte mich fertig und schlich dann in mein Zimmer. Auf keinen Fall wollte ich noch einmal weiche Knie riskieren. Ständig hämmerte mir die Frage im Kopf, was denn los war. Vielleicht der Schock, dachte ich und hoffte, dass das morgen vorüber wäre. Ich knipste das Licht an und humpelte auf mein Bett zu. Auf meinem Nachttisch herrschte das totale Chaos, ich hatte für unser Wochenende in letzter Minute überstürzt gepackt, deshalb sah alles auch etwas durcheinander aus. Etwas war gut, denn bei der Unordnung kam es, wie es kommen musste: Mein rechter Fuß verfing sich im von meinem Nachttisch herunterhängenden Handykabel, ich stolperte und knallte mit meiner Stirn gegen die Bettkante. Das Kabel riss ich dabei zu vom Tisch und mit ihm fast alles andere, unter dem es heimtückisch und unsichtbar wie eine perfekte Falle begraben lag. Alles rasselte zu Boden, ein Buch fiel herunter und traf eine Wasserflasche, die zum Glück verschlossen war, sich aber im Kabel meiner Schreibtischlampe verfing und diese krachend zu Boden riss. Das verursachte einen ziemlichen Lärm, und kaum hatte ich mich aufgesetzt um mir mit schmerzender Stirn die Bescherung anzusehen, die ich da angerichtet hatte, kam Strify auch schon ins Zimmer gestürzt. „Was ist passiert?“, fragte er und blickte dann verdutzt auf das Chaos auf meinem Boden und dann auf mich. Ich rieb mir die Stirn, die immer noch etwas wehtat und als Strify meinen Fuß im Handykabel sah, begriff er und fing an zu lachen. Ich konnte nicht anders, ich lachte mit. Ich war so unglaublich schusselig! Er kam auf mich zu und half mir aufstehen. Ich lehnte mich an ihn, spürte seine Wärme und seine Haare, die kurz mein Gesicht streiften. Sofort wurde mir wieder schwummrig und musste mich an ihn klammern, um nicht umzufallen. „Du musst echt mal wieder aufräumen!“, meinte er lachend und schob die Unordnung erst mal halbherzig beiseite. Dann setzte er mich im Bett ab und deckte mich zu. „So! Und bleib ja da liegen, für heute hast du schon genug angestellt!“, meinte er gespielt tadelnd und grinste. Ich nickte artig und er richtete sich auf. „Wenn du was brauchst, ruf mich einfach!“, sagte er und machte das Licht aus. „Gute Nacht.“, fügte er dann hinzu und schloss die Tür. Mein Zimmer lag im Dunkeln und meine Augen mussten sich erst mal daran gewöhnen. Langsam erkannte ich die Umrisse meines Kleiderschrankes und meiner Tür, durch deren Türspalt das Mondlicht vom Wohnzimmer hineinfiel. Nachdenklich betrachtete ich die Schatten an meiner Wand. Eine ganze Weile saß ich so da und meine Gedanken kreisten ständig um den heutigen Abend. Es kam mir vor, als säße ich gar nicht in meinem Bett, sondern wäre immer noch mit Strify im Wohnzimmer. Wenn ich die Augen schloss, sah ich ihn fernsehen. Hastig öffnete ich die Augen und wollte aufhören nachzudenken. Diese ständigen Gedanken quälten meinen Kopf und dieser begann auch schon zu Schmerzen. Von innen hämmerte es an meine Stirn und ich rieb mir die Schläfen. Dann ließ ich mich in meine Kissen zurückfallen und stieß mit meinem Hinterkopf an die Bettkante. ’Autsch!’, war das letzte, das ich an diesem Abend mit einem entnervten Stöhnen denken konnte, bevor ich einschlief. Kapitel 9: ~ Neuland in Sachen Gefühlen --------------------------------------- Ich wachte auf, als der Wecker klingelte- diesmal jedoch aus Strifys Zimmer. Er hatte sich erbarmt und ihn für diese Nacht zu sich genommen. Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen. Noch immer war ich ganz benommen, nur vage erinnerte ich mich an meinen Traum. Alles, was ich mir ins Gedächtnis zurück rufen konnte, waren verschwommene Bilder ohne Zusammenhang. Ich wusste nur, dass Strify in dem Traum vorgekommen war. Er war ungeheuer nett zu mir gewesen und alles war total kitschig und romantisch gewesen, wie in einem dieser typischen Mädchenfilmen. Ich konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass es eine Tatsache war, an die ich mich erinnerte- nein, es war mehr so ein Gefühl. So ein wohliges Schmetterlingsflattern im Bauch. Langsam setzte ich mich im Bett auf und streckte mich. Ich fasste mir an den Hinterkopf, auf den ich kurz vor dem Einschlafen geknallt war, doch zum Glück war da keine Beule. Vorne an meiner Stirn war sie glücklicherweise nicht zu sehen, doch wen ich die Stelle berührte, spürte ich ein leichtes Ziepen. Ich wollte aufstehen und merkte, dass mein Knöchel bei dieser Bewegung nicht schmerzte. Übermütig wollte ich mit Schwung aus dem Bett springen , als der Schmerz mich zusammenzucken ließ. Mein Gelenk war wohl doch noch nicht verheilt. Seufzend ließ ich mich wieder auf die Bettkante sinken und betrachtete meinen geschwollenen und leicht blau angelaufenen Knöchel, nachdem ich den über die Nacht warm gewordenen Wickel abnahm. ‚Na super’, dachte ich ärgerlich, als ich mit grimmigen Blick meinen demolierten Fuß untersuchte. Bewegen konnte ich ihn kaum ohne dass es schmerzte. Langsam stand ich wieder auf und humpelte zur Tür. Ich öffnete die Tür einen Spaltbreit. Aus dem Nebenzimmer hörte ich Strify kramen und leise schlich ich ins Bad, wo ich vorsichtig die Tür ranzog und abschloss. Ich duschte eilig und wollte dann, nur mit einem Handtuch um den Körper, in mein Zimmer zurück, als ich an der Tür direkt Strify in die Arme lief. „Oh!“, gab er überrascht von sich und sah mich verwundert an. Prompt wechselte meine Gesichtsfarbe zu kirschrot und ich presste das Handtuch enger an mich. Auch Strifys Wangen bekamen einen Hauch von Rosa, als er seinen Blick verlegen abwandte. „Wie geht’s deinem Knöchel?“, fragte er und stierte an mir vorbei ins Bad. „Ähm, okay.“, log ich und sah beschämt zu Boden. „Gut, dann...“, doch dann brach er ab, als er meinen Knöchel sah. „Das nennst du ‚Okay’?“, fragte er und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich zuckte mit den Schultern und humpelte in mein Zimmer zurück. Ich zog mich an und schulterte meine Tasche. Im Flur wartete schon Strify auf mich- mit Krücken in der Hand. Ich deutete auf sie und sah Strify skeptisch an. „Was willst du denn damit?“, fragte ich mit zweifelndem Unterton. „Ich nichts, aber dir werden sie sicher helfen.“, meinte er und drückte mit die beiden Teile in die Hand. Ich stützte mich darauf und es erleichterte mir das Stehen sofort. „Danke.“, sagte ich mit einem zaghaften Lächeln und sah Strify an. Auch er lächelte. „Wo hast du die denn aufgetrieben, so auf die Schnelle?“, fragte ich, während er die Tür abschloss. „Hab sie noch von damals, als ich mir das Bein gebrochen hatte, weißt du noch?“. „Oh jaah“, erinnerte ich mich. Es war Jahre her und damals hatte Strify Fußball gespielt. Doch er stürzte unglücklich, brach sich ein Bein und hatte Yu, Kiro und mich tagelang zugeheult, weil er wegen seiner Verletzung nicht an einem Spiel teilnehmen konnte. Kaum zu glauben, dass er sie bis heute aufgehoben hatte. „Man kann ja nie wissen.“, meinte er grinsend und schob mich in den Aufzug. Als sich die Türen schlossen und der Aufzug nach unten fuhr, war nur gemächliches Rattern zu hören. Ich vernahm Strifys Atem, obwohl ich extra darauf geachtet hatte, Abstand zu halten. Zumindest solange, bis mit mir wieder alles in Ordnung kam, denn seit gestern war mir in Strifys Nähe immer so komisch. Nicht negativ, es war eher ein angenehmes Gefühl, eine Art Kribbeln im Bauch, doch es war mir unheimlich. Ihm gegenüber hatte ich es noch nie verspürt. Und obwohl es ein schönes Gefühl war, wollte ich, dass es verschwindet. Die Aufzugtüren öffneten sich wieder und wir gingen zur Bushaltestelle. Es war recht mild, der Wind strich mir sanft die Haare aus dem Gesicht und ließ es leicht flattern. Der Himmel war blassblau und die Sonne schien. Der Bus war gerammelt voll wie jeden Morgen und mit den Krücken war es schwer, sich irgendwo festzuhalten. Die ganze Fahrt war ein einziger Balanceakt. Als wir dann an der Uni rausmussten und ein Typ sich vordrängelte und mich dabei fast ungeworfen hätte, ergriff Strify für mich Partei. „Hey, du Idiot, siehst du nicht, dass sie auf Krücken läuft? Pass besser auf!“, rief er dem Typ nach, der sich eilig aus dem Staub machte. Strify half mir aus dem Bus zu steigen und wir schlenderten über den Campus. Doch recht überrascht über diesen Auftritt und mit leicht schwirrendem Kopf bedankte ich mich nuschelnd bei ihm und er meinte, dass das kein Thema sei, als er mich anlächelte. Im Gebäude trennten sich unsere Wege. „Ich warte dann hier auf dich, dann fahren wir zusammen nach Hause.“, rief er mir zum Abschied zu und verschwand in der Menschen- menge. Ich sah ihm nach. Ich fand es rührend, wie hilfsbereit er war. Er war schon immer für seine Freunde da gewesen, immer war er da, wenn man ihn brauchte. Dann wandte ich meinen Blick ab und begab mich zum Hörsaal, wo ich nun geschlagene zwei Stunden einer Vorlesung lauschen würde- oder auch nicht. Als dieser- wie mir schien- ewig langer Vormittag endlich vorbei war und ich zur Eingangshalle lief, dröhnte mir noch immer der Kopf. Mitten in der Vorlesung hatte ich Kopfschmerzen bekommen und nun warf ich mir ein Aspirin ein, während ich meinen Blick suchend durch den Raum gleiten ließ. Strify war nirgends zu sehen, also lehnte ich mich an die Wand und wartete. Während des gesamten Vormittages hatte ich taggeträumt, ich konnte mich die ganze Zeit über nicht konzentrieren. Meine Gedanken kreisten ständig um Strify, besonders um den gestrigen Abend. Notizen von dem Vortrag heute waren also auch nicht vorhanden, ich würde sie mir von irgendwem abschreiben müssen. An mir vorbei schlenderten alle möglichen Studenten, manche winkten mir zu oder begrüßten mich im Vorbeigehen mit einem Kopfnicken oder einem „Hallo!“, zumindest die, die ich kannte. Und das waren Einige. Nach geraumer Zeit, ich hatte mich etwa eine halbe Stunde dumm und dämlich gewartet, sah ich dann auch Strify vom anderen Ende des Raumes auf mich zukommen. Etwas aus der Puste geraten entschuldigte er sich für seine Verspätung. Froh, dass er überhaupt noch aufgetaucht war, winkte ich ab und gemeinsam verließen wir den Campus. Ein Redeschwall nach dem anderen ergoss sich über mich, als Strify mir von seinem Tag erzählte. Ich hörte aufmerksam zu, meine Kopfschmerzen waren wie weggeblasen. Der Bus tuckerte in dem Berufsverkehr auf den zugestauten Straßen vor sich hin und es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis wir wieder zu Hause waren. Sobald ich meine Jacke abgelegt und mir die Hände gewaschen hatte, stellte ich mich in die Küche und begann für uns zu kochen. Da wir zur Zeit nicht mehr im Haus hatten als eine Tüte Spaghetti mit Soße, mussten wir uns damit zufrieden geben. Summend stand ich in der Küche, während das Wasser im Topf vor sich hin köchelte. Keine Ahnung, woher meine gute Laune auf einmal herkam. Als das Wasser kochte, gab ich die Nudeln hinein und schüttete etwas Salz dazu und ließ alles unter geschlossenem Deckel kochen. Dann füllte ich die Soße in einen Topf und begann auch diesen zu erhitzen, unterdessen Strify Teller und Besteck holte und damit den Tisch deckte. Während ich darauf wartete, dass die Nudeln oder die Soße ein Lebenszeichen von sich gaben, wippte ich munter vor dem Herd hin und her. Ich hatte ’Bang Bang Boom’ im Kopf, ein absolutes Gute- Laune- Lied und summte die Melodie heiter vor mich hin. Strify erkannte das Lied und begann es mitzuträllern. Ich muss zugeben, er kann echt toll singen. Gerade waren wir total vertieft in unser Duett mit Tanzeinlage, dass ich gar nicht bemerkte, wie die Soße langsam zu blubbern begann. Erst als ich ein lautes ’Poff!!’ aus der Küche vernahm, jumpte ich zum Herd und fand einen Topf vor, dessen Inhalt gerade am explodieren war und sich wie ein Bombenanschlag durch viele ’Blubbs’ in der Küche verteilte. Ich stürzte zum Herd und Strify mir hinterher, doch wieder blubbte es und es spritzte gewaltig. „In Deckung!“, rief Strify und ich tauchte Schutz suchend vor dem Herd unter. Dabei stellte ich die Feuerstelle aus und schob den Topf mit der Soße, die immer noch vor sich hin ploppte, vorsichtig von der warmen Herdplatte weg, jedoch ohne meine Schutzmauer zu verlassen. Als ich meinte, dass das Blubbern sich beruhigt hätte, spähte ich über den Rand des Herdes und stellte vorsichtshalber auch mal die Nudeln kleiner. „Woah, Mission Impossible!“, meinte Strify und sah sich die Bescherung an: die gekachelte Wand hinter der Kochplatte war versehen mit roten Soßenspritzern und auch die Herdplatte selbst war nicht verschont geblieben. Das musste fast die gesamte Soße gewesen sein, die sich da selbstständig gemacht hatte, doch zum Glück war es dann doch nicht so heftig gewesen und die Soße reichte für uns beide. Und das, obwohl Strify so ein Vielfraß war. Was man ihm aber nicht ansah, wie ich immer wieder mit neidischem Blick auf seine schmale Gestalt feststellen musste. Wie machte der Junge das bloß?! Jedenfalls waren dann auch die Nudeln fertig und nicht viel später saßen wir kauend am Tisch. Gerade lud sich Strify eine neue Portion Nudeln auf den Teller und kratzte den Topf nach den letzten Resten der Soße aus. „Frauen und Kochen! Schon mal was davon gehört, dass man den warmen Herd nie unbeaufsichtigt lassen soll?“, meinte Strify, den Kopf halb in den Topf getaucht. „Machs besser.“, erwiderte ich kauend, ohne mich groß um seine Kritisierung zu kümmern. Ich wusste, dass er es nicht ernst meinte. „Du warst heute mit kochen dran.“. Er stellte den Topf ab. Ich musste mir das Lachen verkneifen, denn Strify hatte einen kleinen Tupfer Soße auf der Nase. Gespielt seriös diskutierte ich weiter. „Das hindert dich nicht daran, die Küche vor der Apokalypse zu bewahren.“, konterte ich, während eine weitere Gabel mit Nudeln in meinen Mund wanderte. „Ja und, ich kann doch nicht riechen, was du da in der Küche veranstaltest. Und wenn du mal auf mich hören würdest, hätten wir jetzt mehr Soße!“, motzte Strify halb gespielt, halb ernst und zog eine Schnute. Dabei sah er mich mit vorwurfsvollem Hundeblick an. Ich musste lachen. „Ist ja schon gut, nächstes Mal zeigt du mir, wie’s richtig geht!“, lachte ich und beugte mich zu ihm, um ihm mit einer Serviette den Soßenfleck von seiner Nase zu wischen. Er blinzelte. „Ja, dann kannst du was vom Meister lernen!“, antwortete er grinsend und aß weiter. Nachdem wir die Mahlzeit beendet hatten, begannen wir, die Küche zu säubern- was nach dem Angriff der Killersoße auch dringend von Nöten war. Wir schrubbten hier und da und nach ein paar Minuten waren alle Spuren beseitigt. Dann verkrümelten wir uns ins Wohnzimmer und machten uns an unsere Aufgaben. Gegen Abend schalteten wir dann den Fernseher an und verbrachten den Abend damit, uns die neuesten Musikvideos auf Viva anzusehen. Strify saß neben mir auf dem Sofa und nippte an seiner Cola, während er den Fernseher fixierte. Die Krücken standen neben mir und ich bewegte meinen Knöchel leicht. Verdammt, er schmerzte immer noch. Da hatte ich ja was angestellt. Als dann ein neues Lied anfing, sang Strify mit und ich schielte unauffällig aus dem Augenwinkel zu ihm herüber. Er wippte leicht mit dem Kopf und verfolgte interessiert das Geschehen im Video. Strify hatte echt Talent, was das Singen anging. In seiner Stimme konnte ich mich verlieren, sie war voller Gefühle und Emotionen. Und dabei so ruhig aber gleichzeitig auch selbstsicher und stark. Sein Gesang beruhigte mich und konnte mich weit weg vom Hier und Jetzt forttragen. Es kostete mich einiges an Selbstbeherrschung, mich nicht an seinen Hals zu werfen. Gott, was ich da dachte! Ich verscheuchte den Gedanken sofort. Schon wieder hatte sich dieses leichte Kribbeln in meinem Magen breit gemacht und ich verschränkte die Arme vor der Brust, um dieses Gefühl zu verdrängen. Mit festem Blick sah ich zum Fernseher. Das Lied, das Strify da gerade mitsang hieß ’Apologize’. Das totale Depri- Lied. In der deutschen Version gab es Ausschnitte aus einem Liebesfilm. Das Lied rührte mich immer wieder, das lag wohl daran, dass der Text so traurig war und ich den Film gesehen hatte. Ich schniefte. Och nö, dachte ich und mein Rücken versteifte sich. Jetzt bloß nicht heulen!, war das einzige, das ich jetzt denken konnte. Strify sah zu mir und bemerkte, dass meine Augen verdächtig glitzerten. Wie peinlich!!!!, schoss es mir durch den Kopf und stur schaute ich weiterhin auf den Bildschirm als hätte ich Strifys Blick nicht bemerkt. Vor ein paar Wochen war er zusammen mit mir in den Film gegangen, es hatte mich sehr viel Überzeugungskraft und Betteln gekostet, denn solche Liebesfilme waren überhaupt nicht seine Kategorie, was Kinounterhaltung anging. Dennoch hatte ich es irgendwie geschafft und im Kino konnte ich an einer besonders dramatischen Stelle die Tränen nicht länger zurückhalten und habe Strify den Arm vollgeheult. Dieser hatte nur die Augen verdreht aber glücklicherweise nichts gesagt. Ich betete, dass er dieses Lied nun endlich wegschalten möge, denn es brachte einen wirklich noch an die Grenzen der Depression. In diesen Dingen war ich sehr nah am Wasser gebaut. „Du weinst doch nicht etwa?“, fragte mich Strify grinsend und knuffte mir in den Arm. „Quatsch!“, stritt ich ab und rang mit den Tränen, während ich weiterhin den Bildschirm fixierte, als wollte ich ihn hypnotisieren. „Gut, dann hol ich mal was zu knabbern.“, meinte er nüchtern und ging summend in die Küche. Gerade noch rechtzeitig, denn die Tränen konnte ich jetzt nicht mehr zurückhalten und sie rannen mir nun in Strömen über das Gesicht. Ich vergrub mein Gesicht in das Sofakissen, ohne einen Mucks von mir zu geben. Wie konnte man nur so unromantisch sein?!, fragte ich mich. Aber das war mal wieder typisch. Ich saß einfach nur da, lauschte dem Lied und weinte still in das Kissen. Aber nicht nur, weil der Film und das Lied so traurig waren, das wusste ich, und dafür hasste ich mich. Noch über eine ganze Woche lang musste ich mit den Krücken rumlaufen, ehe ich wieder normal laufen konnte, da ich mich strikt weigerte, einen Arzt aufzusuchen. Erst danach war die Schwellung zurückgegangen und der Schmerz hatte nachgelassen, bis er letztendlich ganz verschwand und ich schließlich wieder munter wie ein junges Reh durch die Gegend hüpfen konnte. An diesem Morgen wartete ich wie gewöhnlich auf Strify im Flur, der total entspannt angeschlendert kam. „Kein Stress, heute fahren wir mit dem Fahrrad!“, meinte er mit einem Augenzwinkern und tatsächlich fuhren wir mit dem Aufzug in den Keller, wo Strify sein Fahrrad hervorholte. Ich wollte meins auch schon zur Hand nehmen, obgleich auch ein wenig überrascht über diesen spontanen Entschluss, als Strify mir die Kellertür vor der Nase zuschlug. „Nix da, du fährst mit mir! Mit einem Fahrrad kann man dich der Welt da draußen doch nicht zumuten!“, erklärte er und grinste fies. „Aber du sollst es ja nicht gleich übertreiben mit deinem Knöchel. Lass es dir gut gehen, solange du noch kannst!“, sagte er und schob sein Fahrrad in den Hof hinaus. „Ach was, meinem Knöchel geht’s gut, ich kann auch mit dem Fahrrad fahren. Oder ich fahr mit dem Bus, dann brauchst du den Keller nicht noch mal auf zu schließen.“, meinte ich doch Strify unterbrach mich. „Nix da, du fährst bei mir mit.“. „Wie denn?“, fragte ich mit zweifelndem Blick auf das Rad. „Das ist kein Tandem.“. „Du setzt dich auf den Gepäckträger, wo liegt das Problem? Und jetzt komm, sonst sind wir zu spät in der Uni.“, sagte er als er mein Handgelenk packte und mich auf den Gepäckträger zog. Ich wollte abwehren und meinte, ich könnte doch genauso gut mit dem Bus fahren, doch Strify antwortete nur, dass er doch auf mich aufpassen müsse. Gerührt setzte ich mich also auf den Gepäckträger und hielt mich an Strifys Oberkörper fest. Er fuhr los und der warme Frühlingswind wehte uns entgegen. „Bin ich dir zu schwer?“, fragte ich Strify, doch der lachte nur. „Quatsch! Das sollten wir öfter machen, ist doch viel schöner so als mit dem Bus!“. Dem konnte ich nur zustimmen. Die Sonne schien warm vom strahlend blauen Himmel auf uns herab, während wir durch die Straßen kurvten. Dazu befuhren wir hauptsächlich Waldwege und ich genoss die Fahrt in vollen Zügen. Ich lehnte meinen Kopf an Strifys Rücken und hatte seinen Oberkörper noch immer mit meinen Armen umschlungen. Diese Position gefiel mir, ich wünschte, wir könnten für immer so durch die Wälder fahren und ich müsste ihn nie mehr loslassen. Die ganze Fahrt über spürte ich wieder dieses wohlige Kribbeln in meinem Bauch, das durch mein Glücksempfinden stärker zu sein schien. Doch diesmal war es angenehm und ich versuchte nicht, es zu verdrängen. Ich fühlte mich so glücklich in diesem Moment. Doch alles hört auf, wenn’s am schönsten ist. So auch diese Fahrt. Viel zu früh schon kamen wir am Tor der Uni an und Strify stieg ab um sein Rad anzuschließen. Ich löste mich von ihm, meine Wangen waren noch immer leicht gerötet, was aber nicht nur am Fahrtwind lag. Nachdem er das Schloss am Fahrrad befestigt hatte, eilten wir über das Gelände, wir waren ziemlich spät dran. Unsere Wege trennten sich und wir verabredeten uns in der Pause in der Cafeteria. Die Zeit bis zur Pause wollte gar nicht vergehen, jeder Augenblick zog sich wie Kaugummi. In der Nacht hatte ich nicht besonders gut geschlafen, ich hatte wieder von Strify geträumt, doch wieder einmal war die Erinnerung nur getrübt. Auf die Vorlesung konnte ich mich überhaupt nicht konzentrieren, meine Gedanken waren ständig weit weg. Bei einer gewissen Person, ein paar Hörsäle weiter. Dieses ewige Nachdenken und Gefühlschaos musste endlich aufhören. Ich war ständig nur noch verwirrt, seit ich mir meinen Knöchel verstaucht hatte, stand ich durchgehend neben mir und war nicht ganz bei Bewusstsein, wie mir schien. Das machte mir Angst, doch noch immer sah ich nicht, was da eigentlich in mir vorging. Ich sah nicht, in welches Desaster mein Herz mich führte. Doch eines war mir klar. Ich musste mich zügeln, nicht mehr ständig Strifys Nähe suchen. Ich musste wieder lernen, auch mal ohne ihn auszukommen. Wahrscheinlich hatte ich ein brüderliches Gefühl für Strify entwickelt, als er sich so lieb um mich gekümmert hatte und ich eine Zeit lang der Mittelpunkt unseres Lebens war. Ich hatte mich an ihn als Beschützer gewöhnt, und daran, dass er da war, wann immer ich ihn brauchte. Er war ständig in meiner Nähe, ich hatte mich anscheinend so an seine Aufmerksamkeit gewöhnt, dass er nun die ganze Zeit meine Gedanken einnahm. Mehr und mehr waren wir füreinander der Mittelpunkt unseres Lebens geworden. Doch ich musste lernen, loszulassen und wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Dann würde auch dieses Gefühl verschwinden und alles würde sein wie vorher. Und das war es, was ich wollte. Glaubte ich. Als es endlich zur Pause klingelte, zügelte ich mein Tempo was das Einpacken betraf und verließ in angemessenem Tempo den Hörsaal. Ich wusste, dass es nicht einfach sein würde, mich zu bremsen, aber das es so schwer werden würde, hätte ich nicht gedacht. Gemeinsam mit meiner Freundin schlenderte ich in die Cafeteria und wir suchten uns einen Platz, der relativ weit hinten in der Ecke lag. Als wir uns gesetzt hatten, ließ ich meinen Blick suchend durch den großen Raum hinweg über die Tische und Köpfe der Studenten schweifen, auf der Suche nach Strify. Doch dann wandte ich meinen Blick ab und stützte meine Ellbogen auf dem Tisch ab. Ich lauschte meiner Freundin, ohne wirklich zu verstehen, was sie sagte. Zum Glück saß ich mit dem Rücken zum Raum, sodass ich meinen Blick nicht suchend umherirren lassen konnte. Wir warteten eine Weile und ich zwang meine Gedanken, nicht abzuschweifen, als ich fühlte, wie sich plötzlich zwei Hände auf meinen Schultern abstützten. Jemand war von hinten an mich herangetreten und als ich mich umdrehte, sah ich, dass dieser Jemand Strify war. Mein Herz begann heftiger zu pochen als ich in sein strahlendes Gesicht sah. „Hallo!“, begrüßte er uns überschwänglich, die Hände noch immer auf meinen Schultern. Ich spürte sein Gewicht auf mir, er stützte sich ab. Als wäre er sonst fortgeflogen. „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was ich für tolle Neuigkeiten habe!“, rief er und setzte sich gegenüber von mir an den Tisch. Die Stellen, an denen er meine Schultern berührt hatte, brannten. „Warum so fröhlich?“, fragte meine Freundin lachend. Ich brachte keinen Ton heraus und hoffte, er würde es nicht merken. Ich starrte auf die Tischplatte. „Ihr werdet es nicht glauben, aber soeben wurde mir von meinem Dozenten angeboten, dass ich an einem Austausch nach Australien teilnehmen darf!“. Strify strahlte uns an. Ich zuckte bei den Worten zusammen. Australien war verdammt weit weg. „Ist das nicht großartig? Natürlich müsste man erst die formalen Sachen besprechen und es steht auch noch gar nicht fest, dass der Austausch stattfinden soll, es ist alles noch in Planung, aber sollte es klappen, wäre ich einer der Glücklichen, die mitmachen könnten!“, jubelte er und sein Grinsen wurde immer breiter. Er platzte fast vor Freude. Meine Freundin jubelte mit ihm, ich rang mir ein gezwungenes Lächeln und ein leises „Toll!“, ab. Strify sah aus, als könne er die ganze Welt umarmen, mir jedoch war gar nicht danach zumute. Ich weiß, es ist unfair Strify gegenüber, aber deshalb hoffte ich, dass er nichts merken würde. Meine Schauspielkünste dürften mich nicht ausgerechnet jetzt im Stich lassen. Ich hatte Schlimmeres erlebt und jede Situation gemeistert, jede Lüge war mir problemlos über die Lippen gekommen. Oder bildete ich es mir nur ein und man wollte mir meine Lügen damals glauben? Aus Angst vor dem, was wirklich dahinter steckte? Sicherlich war es einfacher zu glauben, was man glauben wollte, nur das zu sehen, was man sehen wollte. Ich war nicht anders. Erst als es schon fast zu spät war, hatte ich bemerkt, was ich mir da angetan hatte. Doch zum Glück war Strify geblendet von seiner eigenen Freude, sodass er nichts zu bemerken schien. Dennoch versuchte ich, so gut es ging, Freude zu heucheln, auch wenn ich nicht das geringste Bisschen davon empfand. Aber ich wollte Strify die Stimmung nicht verderben, gerade weil er es sich so sehr zu wünschen schien. Es brach mir fast das Herz: er wollte weg von hier. Es war ein Schock für mich. Strify nach Australien! Er würde mich hier zurücklassen, ganz alleine. Er konnte doch nicht verlangen, dass ich das einfach so hinnahm. Ich hatte niemals gelernt, loszulassen. Und eben diese fehlende Option sollte mir mein Leben zur Hölle machen. Langsam nippte ich an meinem Wasser, das ich mir, wie es schien, vor einer Ewigkeit an der Theke gekauft hatte. Ich wollte zu diesem Moment zurück, ich wollte nicht jetzt hier sitzen. Strify plapperte weiterhin fröhlich auf uns ein und hatte meine Freundin mit seiner guten Laune angesteckt. Mir aber war nach Heulen zumute. Dieses Gefühl versuchte ich zu unterdrücken, setzte ein strahlendes Lächeln auf und fragte ihn die alles entscheidende Frage: „Für wie lange würdest du denn nach Australien fliegen?“. Strify sah mich an, froh darüber, dass mich diese Neuigkeit zu interessieren schien. „Wahrscheinlich für einen Monat oder länger.“. Es traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Einen Monat, wenn nicht länger! Langsam, wie in Zeitlupe, stellte ich mein Wasser auf den Tisch. Meine Hand zitterte. Ich zitterte. Meine Freundin sah mich schief an, als ich nichts erwiderte und auch Strify schien etwas bemerkt zu haben. Er sah mich eindringlich an. „Ist alles okay?“, fragte er. Ich nickte. „Ich freu mich so für dich.“, sagte ich mit einem perfekten Zahnpastalächeln, meine Stimme klang erstickt. Das war die größte Lüge meines Lebens. Ich musste die Tränen zurückhalten. Nein, nicht hier, das wollte ich Strify nicht antun. Es war jetzt nicht an der Zeit, an mich zu denken, jetzt galt es, Strify glücklich zu machen und ihn bei seinem Traum zu unterstützen. Wie konnte ich all die Zeit nur so naiv gewesen sein?! Was hatte ich erwartet? Er war doch nicht umsonst hier und studierte Englisch. Schon von Anfang an stand fest, dass er fortgehen würde. Er stand auf, kam um den Tisch zu mir herüber und legte wieder seine Hände auf meine Schultern. Von hinten umarmte er mich. „Ich habe schon so lange davon geträumt, du weißt gar nicht, wie glücklich ich gerade bin!“, sagte er. „Und ich bin froh, solche Freunde wie euch zu haben, mit denen ich meine Freude teilen kann!“, bekannte er strahlend und richtete sich wieder auf, die Hände noch immer auf meinen Schultern. Mein Hals schnürte sich zu, das war zu viel. Wie konnte er mich eine Freundin nennen, ich war lediglich ein verlogenes kleines Biest, gönnte Strify noch nicht einmal seinen größten Traum, wollte ihn nicht unterstützen, ihn nicht fortgehen lassen. Wenn das so weiterging, würde ich seine Träume und seine Freude daran zerstören, alles, worauf er sein Leben lang hingearbeitet hatte, wäre umsonst. Ich hätte mich mit ihm freuen sollen, ihn unterstützen sollen, wo es nur ging, stattdessen dachte ich nur an mich und verdarb Strify alles. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so gehasst, mich so sehr verabscheut. Ich war eine falsche Schlange, ein Miststück, wie konnte ich es wagen, noch hier zu sitzen? Ich hatte es nicht verdient, hier bei ihm zu sein. Ich wollte mich mit ihm freuen, doch es ging nicht. Der Schmerz, mit dem er mein Herz durchlöcherte, war stärker und ich schämte mich für diese Schwäche. Ich geriet in Panik. Was, wenn er etwas merken und deshalb nicht mehr gehen würde? Das wollte ich nicht. Gott, bloß das nicht. Ich wollte Strify nicht unglücklich sehen, dass könnte ich nicht ertragen, dafür bedeutete er mir zu viel. Mehr, als jeder andere Mensch. Er sollte seinen Traum nicht aufgeben, für nichts in der Welt! Ich sprang auf, stieß dabei das Wasser um und steuerte den Ausgang der Cafeteria an, ohne überhaupt zu merken, was ich tat. Meine Beine hatten sich selbstständig gemacht, ich sah nur noch, wie alles an mir vorbeirauschte. Alles war verschwommen, Tränen rannen über mein Gesicht. „Hey, was hast du?”, hörte ich Strify hinter mir rufen, ich hörte Schritte. Ich fing an zu laufen, mein Ziel war die Damentoilette. Endlich erreichte ich sie. Geschafft. Ich schloss mich in eine Kabine ein und wartete, bis sich alles nicht mehr so schnell drehte. Bis das Dröhnen in meinem Kopf nachließ und bis ich aufhören konnte zu zittern, mich so sehr nach ihm zu sehen. Es klingelte erneut, diesmal wurde das Ende des Vormittagsunterrichtes angekündigt. Es war die Zeit, in der die Studenten entweder die Hörsäle wechselten oder sich auf den Nachhauseweg machten. Ich war zum Glück eine derjenigen, die nun nach Hause gehen konnten. Länger hätte ich es hier auch nicht aushalten können. Ich hatte die letzten Stunden geschwänzt, war die ganze Zeit hier in der Damentoilette herumgelungert. Erstens, weil ich lange geweint hatte und meine Augen sehr gerötet waren, zweitens hätte ich mich sowieso nicht konzentrieren können. Ich wartete einen Moment, dann öffnete ich die Toilettentür und spähte hinaus. Die erste Menschenschar hatte sich bereits hinausbegeben, der Gang war nur spärlich belebt. Mit einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel sah ich zu meiner Erleichterung, dass ich wieder einigermaßen normal aussah, wenn auch etwas neben der Spur. Schließlich trat ich hinaus und versuchte so unauffällig wie möglich das Gebäude zu verlassen. Mit hochgezogenen Schultern eilte ich hinaus und hastete über den Campus. Erst als ich diesen hinter mir gelassen und den Wald erreicht hatte, blieb ich stehen. Dabei war ich besonders darauf bedacht, niemanden zu begegnen, den ich kannte. Strify hatte ich zum Glück nirgendwo entdecken können, nach dieser Aktion konnte ich ihm nicht mehr unter die Augen treten. So wollte ich auch meine Heimkehr hinauszögern und bevorzugte daher den langen Spaziergang durch den Wald anstelle des Busfahrens. Ich ließ mir Zeit und wanderte nach Hause. Dabei sah ich mich um und atmete die frische Waldluft ein. Um mich herum grünte es, soweit das Auge reichte, und ich vernahm das leise Singen der Vögel. Es klang so unbeschwert. So unbeschwert, wie ich mich heute morgen gefühlt hatte. Nun war ich nur noch bedrückt und beschämt. Innerhalb so weniger Stunden kann sich so viel verändern, es wurde mir in diesem Augenblick bewusst. Seufzend lief ich weiter, es brachte doch nichts, alles hinaus zu zögern. Irgendwann würde ich Strify wieder begegnen, zweifellos. Dennoch wollte ich es hinausschieben, es war wie ein Zwang, nicht mehr zurückkehren und ihm unter die Augen treten zu müssen. Der Scham war viel zu groß. In mir begann sich ein Gedanke zu regen, ich spann ihn weiter, er wurde zu einem fast übermächtigen Verlangen, einfach wegzulaufen, egal wohin. Das Ziel war in diesem Moment unwichtig, es zählte nur noch das Gefühl der Freiheit. Dennoch lenkte ich meine Schritte gewaltsam in Richtung nach Hause. Es dauerte fast eine Stunde bis ich zu unserer Wohnung kam. Ich war geschlendert und bedacht darauf gewesen, nicht in eine zu schnelle Schrittfolge zu verfallen. Doch es nützte nichts, nun war ich hier. Im Aufzug schon überkam mich Übelkeit und ich bekam langsam Bammel. Als ich dann den Schlüssel in unsere Wohnungstür steckte, war ich fast soweit gewesen, wieder fortzugehen. Doch bevor ich umkehren konnte, hatte es geklackert und die Tür war aufgegangen. Zu spät. Vorsichtig in den Flur spähend betrat ich die Wohnung. Leise schloss ich die Tür hinter mir. Es war kein Laut zu hören, alles war still. Ich atmete auf. Er schien noch nicht da zu sein. So hängte ich meine Jacke an die Garderobe und ging ins Wohnzimmer. Als ich Strify am Tisch über seine Bücher und Hefte gebeugt sitzend sah, erschrak ich so, dass ich fast über meine eigenen Füße gestolpert wäre. Strify sah auf. Als er mich erblickte, lächelte er. „Hallo.“, sagte er und räumte seine Tasche vom Stuhl, der ihm gegenüber stand. Ich rührte mich nicht. War das jetzt sein Ernst? Als Strify weiterhin lächelte, fasste ich mir ein Herz und setzte mich auf den Stuhl, besser gesagt, auf die äußerste Kante. Den Rücken kerzengerade und den Blick auf die Tischplatte geheftet, hörte ich ihn sagen: „Wo warst du denn? Ich habe nach dem Klingeln auf dich gewartet, aber du bist nicht gekommen. Da bin ich schon mal los gefahren. Ich hoffe, du bist nicht böse.“. Ich sah auf. Langsam dämmerte mir, dass er nichts von meinem Gefühlsausbruch mitbekommen hatte, sonst würde er jetzt nicht so reden. Ich war zwar etwas verwundert, aber na gut, mein Glück, ich spielte dieses Spiel also mit. „Nein, ich bin nicht böse.“, sagte ich und wand meinen Blick diesmal nicht ab. Das war nicht gelogen, ich hoffte, er würde es sehen. „Tut mir Leid, ich hatte noch etwas zu erledigen und habe vergessen dir Bescheid zu sagen.“. Ich machte eine kurze Pause. „Und es tut mir Leid, dass ich in der Pause so einfach davon gestürmt bin, mir war schlecht, schon den ganzen Vormittag über. Ich hoffe, du hast das nicht falsch verstanden.“, fügte ich erklärend hinzu. „Natürlich freue ich mich für dich, dass du die Möglichkeit bekommst, nach Australien zu reisen und dir deinen größten Traum zu erfüllen.“. ’Deinen größten Traum’. Ich lächelte. Ich sah endlich ein, was es ihm bedeutete, vielleicht war das der Grund, warum ich diese Lüge erneut aussprechen konnte. Dennoch war es eine Lüge, und die Wahrheit, diese Einsicht, tat mir im Herzen weh. „Ich werde dich unterstützen, wo es nur geht, und wenn du wiederkommst, bereite ich für dich die bombastischste Welcome- Home- Party vor, die du je gesehen hast!“, schloss ich in feierlichem Ton. Strify strahlte. „Und ich dachte schon, es würde dich nicht freuen. Ich hatte Angst, dass ich dich verletzt hätte. Zum Glück war es nicht so.“, meinte er erleichtert. Doch, es war so. Dennoch ließ ich mir nichts anmerken, mein Lächeln aber fühlte sich an, als sei es an meinem Gesicht festgefroren. Strify erhob sich. „Ich hab Hunger. Wie wär’s mit Pizza?“, fragte er grinsend. In unserem Kühlschrank herrschte noch immer gähnende Leere. Halbherzig nickte ich. Strify verzog sich zum Telefon. Etwa eine halbe Stunde später saß ich vor meiner Pizza Margherita, ohne wirklich Appetit zu verspüren. Ich nahm nur kleine Bissen, kaute ewig auf diesen herum, bekam sie einfach nicht hinunter. Mein Hals fühlte sich eng und staubig an. Strify jedoch plapperte munter drauf los, wie eh und je, und war ganz mit seiner eigenen Pizza beschäftig als zu merken, wie ich mich benahm. Ich war froh, als ich ihm meine geben konnte, mit der Erklärung, mir schlüge es noch immer auf den Magen. Zwar schaute er etwas besorgt, nickte aber verstehend und nahm meine Pizza dankend an. Während wir so dasaßen, wurde ich auf einmal schrecklich müde, so verzog ich mich in mein Zimmer und verkroch mich unter meine Bettdecke. Strify sah zwar mal zwischendurch besorgt nach mir, doch ich tat, als würde ich schlafen. In mir breitete sich auf einmal so eine Hoffnungslosigkeit aus. Wenn ich nicht bald aus dieser Misere herauskam, würde ich das Semester wiederholen müssen. Doch was sollte das alles, ich hatte jegliche Konzentration verloren und jedes Bewusstseinsgefühl schien von mir abgefallen zu sein. In mir drinnen fühlte es sich so leer und ausgebrannt an, als hätte sich ein Teil von mir abgespalten. Ich sah an die Decke und schlief irgendwann ein. Kapitel 10: ~ Ich lasse ihn gehen, ich lasse ihn nicht gehen... --------------------------------------------------------------- Zu Beginn noch etwas kurzes vorweg: während ich dieses Kapitel geschrieben habe, habe ich 'Our Farewell' von Within Temptation gehört. Es passt gut dazu und untermalt die Stimmung der Szenen. Empfehlenswert wäre es, das Lied während des Lesens zu hören ^^ Is wie gesagt nur ne Empfehlung ;) ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Die nächsten Tage und Wochen verstrichen nur schleppend. Zwar ging es mir wieder etwas besser, meine Müdigkeit war dem Unistress gewichen und ich fühlte mich wieder etwas lebendiger, doch meine Konzentration ließ noch immer zu wünschen übrig. Es gelang mir aber öfters, Strify ganz aus meinen Gedanken zu verbannen und im Hier und Jetzt zu leben. Dass ich so viel geschafft hatte, spornte mich an. Doch wenn man so darüber nachdenkt, ist das gar nichts. Aber dieser Ansporn tat mir gut, mein Ehrgeiz war wieder geweckt und es ging wieder bergauf mit mir. Doch es sollte sich bald ändern, denn in den nächsten Wochen würde ich tiefer fallen als je zuvor in meinem Leben. Denn eines schönen Tages kam Strify an unseren Tisch in der Cafeteria gestürmt, mit der Nachricht, dass er schon bald nach Australien fliegen würde. In zwei Wochen würde es soweit sein. Meine Freundin jubelte und freute sich mit ihm, doch meine gute Laune, die ich den Morgen über gehabt hatte, wich dem Schock. Ich hatte bis zum Schluss gehofft, dass der Austausch aus welchen Gründen auch immer nicht stattfinden würde, zumindest so lange, bis ich wieder ganz normal war. Es war naiv und das hatte ich die ganze Zeit über gewusst, dennoch hatte ich mich stets an diese Hoffnung geklammert. Dies bereute ich nun. Wieder einmal setzte ich also mein falsches Lächeln auf und tat, als freute ich mich mit ihm. Doch in mir fühlte ich nur noch Kälte. Zu Hause war Strify total aufgeregt, freute sich sehr und redete von kaum etwas anderem mehr. Das machte es für mich nicht gerade einfacher. Im Gegenteil, mein Herz wurde von Tag zu Tag schwerer, wie eine Last, die man einen Berg hoch trug und die mit jedem Schritt den Körper mehr belastete. So schleppend die Tage davor vergangen waren, so schnell zogen sie nun an mir vorbei. Zu schnell. Denn schon stand ich mit Strify im Flur unserer Wohnung, seine Koffer waren schon alle gepackt und standen reisebereit neben der Garderobe. Es war der Vorabend vor seinem Abflug und Strify rannte schon den ganzen Tag aufgeregt durch die Wohnung, wuselte überall herum und verbreitete Hektik, wo es nur ging. Alles war ziemlich stressig, er hetzte dauernd und ich musste ihm ständig versichern, dass er nichts vergessen hatte. Innerlich hoffte ich, dass er etwas vergessen würde, damit er gezwungen war, noch einmal zurückzukehren, doch Strify war in diesen Punkten sehr genau und dachte wirklich an alles. Und ich war mir sicher, dass ich Strify nicht gehen lassen würde, wenn ich wüsste, dass er etwas vergessen hatte. Mein Gewissen würde mich ewig plagen, wusste ich doch, dass ich das Strify nicht antun durfte. Am Abend saßen wir noch lange zusammen und zum ersten Mal seit langem war Strify außerordentlich verschwiegen. Es war einfach nur schön, zusammenzusitzen und diese letzten uns verbleibenden gemeinsamen Augenblicke zu genießen. Wir würden uns lange nicht sehen, jedes Wort wäre nun zu viel gewesen und hätte den Abschied nur unnötig erschwert. Irgendwann tief in der Nacht gingen wir dann zu Bett, mein Herz schmerzte sehr und fühlte sich an wie ein Steinklumpen, der plump in meinem Körper lag. Aus irgendeinem Grund war ich jetzt schon nervös, in meinem Magen rumorte es, als ich an den morgigen Tag dachte. Ich hörte, wie sich Strify in seinem Zimmer noch eine ganze Weile im Bett unruhig hin und her wälzte, er konnte auch nicht schlafen. Wir lagen beide in unseren Betten, starrten an die dunkle Zimmerdecke und wussten doch nicht, dass wir uns nun sehr nahe waren in unseren Gefühlen und unserer Angst. Am nächsten Morgen erwachten wir beide schon sehr früh, an Schlaf war nicht zu denken gewesen diese Nacht. Kurz darauf saßen wir auch schon im Bus in Richtung Flughafen. Als wir schließlich dort ankamen und Strify eincheckte, hatten wir noch gute zwei Stunden Zeit. Wir konnten uns die Zeit nicht recht vertreiben, uns beiden graute es vor dem Abschied. Besonders mir, ich war die ganze Nacht wachgelegen und hatte überlegt, ob ich ihn gehen lassen konnte. Ich wollte, dass er blieb, mich nicht verließ. Seit ich von dem Austausch erfahren hatte, hatte ich überlegt, wie ich ihn zum Bleiben bewegen konnte, doch immer war ich zu dem einen Schluss gekommen, dass er gehen musste, denn sonst würden wir uns beide gegenseitig Vorwürfe machen, wenn wir sie auch nicht aussprechen würden. Wir redeten nicht viel während wir warteten, stumm sah ich zu, wie die Flugzeuge starteten und landeten. Die Zeit verstrich nur sehr langsam, wir quälten uns mit dem Schweigen. Als schließlich der unweigerliche Moment gekommen war und Strify zu der Maschine aufbrach, war die Zeit doch zu schnell vergangen. Ich hätte alles für einen weiteren Tag mit ihm gegeben. Doch als er vor der Absperrung noch einmal innehielt und sich zu mir umdrehte um sich von mir zu verabschieden, wusste ich, dass es kein Zurück mehr gab. Seine Augen glänzten verdächtig, als er mich umarmte und ein Auf Wiedersehen flüsterte. Die ganze Zeit über hatte ich mit den Tränen gekämpft, jetzt brach der Damm und sie brachen aus mir heraus, rannen in Strömen über mein Gesicht. Ich wurde geschüttelt von Schluchzern, warum nur schmerzte mein Herz so? „Nicht weinen.“, bat Strify, fing eine Träne auf und wischte sie fort. Ich riss mich zusammen. Gestattete ich mir einmal zu weinen, so fand ich damit kein Ende. Und ich durfte es nicht, nicht jetzt! Später, wenn Strify gegangen, wenn ich allein war, konnte ich meinen Tränen freien Lauf lassen, aber jetzt musste ich stark sein und tapfer, damit Strifys Freude nicht durch Kummer getrübt wurde. Gezwungen lächelte ich ihn an, die Augen noch immer feucht und mit so einem tiefen Schmerz darin, dass er sich in Strifys Augen widerspiegelte. Ich fühlte mich in dem Moment so hilflos und klein. Dennoch versuchte ich, tapfer zu bleiben. Strify streichelte sanft meinen Rücken, versuchte mich zu beruhigen und auch sich selbst. Ich sah ihm an, wie viel Willenskraft es ihn kostete, die Tränen zurückzuhalten. Ich wollte es Strify nicht so schwer machen zu gehen, aber ich konnte nichts gegen die Tränen tun. Ich ergriff seine Hand und drückte sie, wollte sie nie mehr loslassen. Bitte, bitte bleib bei mir!, schrie es in mir, doch kein Laut kam über meine Lippen. Verlass mich bitte nicht!, dachte ich. Ich will dich nicht fortlassen, will, dass du für immer bei mir bleibst! Ich klammerte mich verzweifelt an ihn. Ich war hin und her gerissen von meinen Gedanken, wusste nicht mehr, was ich denken, was ich tun sollte. Ich wusste nun nicht mehr, was falsch und was richtig sein würde. Der Flugbeamte drängte langsam von hinten, dass Strify sich beeilen solle, die Maschine würde gleich starten. Strify berührte mein Kinn und hob es an, sodass ich ihm in die Augen sah. Aus meinen Augen quollen noch immer Tränen und ich zitterte noch leicht. „Ich werde dich jeden Abend anrufen, dir schöne Postkarten schicken und ehe du dich versiehst, ist ein Monat vorbei und ich bin wieder zu Hause.“. Diese Worte ließen mich nur noch mehr schluchzen. Ich wollte fortsehen, doch Strify ließ es nicht zu. „Hör mir gut zu.“, sagte er in weichem, aber bestimmtem Ton. „Ich muss jetzt gehen, das Flugzeug startet gleich. Du winkst mir, ja?“, fragte er, seine Stimmer klang erstickt. Ich nickte. „Ich bin bald wieder da. Pass auf dich auf, versprich mir das.“, sagte er und löste sich von mir, noch bevor ich etwas erwidern konnte. Ich wollte etwas sagen, doch mein Hals war wie zugeschnürt, ich brachte keinen Ton heraus. Alle Worte, die ich niemals aussprach, tobten in mir. Mittlerweile war es mir egal, ob ich etwas aufmunterndes oder etwas sehnsüchtiges sagen würde, ich wollte ihn nicht so ohne ein weiteres Wort gehen lassen. Er hielt meine Hand noch einen Moment, drückte sie ein letztes Mal, dann ließ er los und schritt durch die Absperrung. Ihn dort so zu sehen, schmerzte sehr. Ich würde ihn eine lange Zeit nicht sehen, schon jetzt vermisste ich ihn, wie ich noch nie jemanden in meinem Leben vermisst hatte. Ein Monat war eine sehr lange Zeit, was sollte ich denn so lange ohne ihn machen? Da erkannte ich, wie sehr ich auf Strify angewiesen, wie hilflos ich ohne ihn war. Er war immer da gewesen, wenn er nun fortginge, würde eine klaffende Lücke in meinem Leben entstehen, ein dunkles Loch, das nicht so leicht zu füllen sein würde. Ohne ihn wäre ich verloren. Noch ein letztes Mal wandte sich Strify um und winkte leicht, in seinem Gesicht war Traurigkeit und auch etwas Angst zu sehen. Ich begriff, ich musste ihn gehen lassen, ihn feigeben. Nun war der Zeitpunkt gekommen, den ich schon immer gefürchtet hatte und ich fragte mich, ob ich es schaffen würde. Doch ich wollte an mich glauben. So lächelte ich ihm durch meine Tränen aufmunternd zu und reckte einen Daumen in die Höhe. Strifys Gesicht hellte sich auf, dann verschwand er ganz aus meinem Blickfeld. In dem Moment kehret wieder Leben in mich. „Pass bitte auf dich auf!“, rief ich ihm endlich hinterher, so laut ich konnte, ich wollte, dass er heil wieder heimkehrte. Noch eine Weile stand ich reglos so da, dann sank ich langsam schluchzend auf den Boden. Der Flugbeamte sah mich mitleidig an, doch ich wollte davon nichts wissen. Von draußen hörte ich die Maschine starten und Strifys Worte erklangen erneut in meinem Kopf. ’Du winkst mir, ja?’. Ich sprang auf und hastete zum großen Fenster. Das Flugzeug fuhr an diesem vorbei, ich winkte wild, ohne Strify entdecken zu können. Ich war nicht sicher, ob er mich nun sehen konnte, doch aus irgendeinem Grund wollte ich dies glauben. Ich stellte mir vor, wie er lächelnd im Flugzeug saß und mir zurückwinkte. Dadurch ermutigt, winkte ich so lange, bis sich der Eisenvogel in die Luft erhob und irgendwann zwischen den Wolken verschwunden war. Ich hatte losgelassen, hatte es geschafft. Strify ging es gut, er war auf dem Weg in sein Glück, doch aus irgendeinem Grund heiterte es mich nicht auf. Noch immer rannen mir Tränen über das Gesicht, auf einmal fühlte ich mich so alleine. Doch in mir regte sich auch etwas Stolz, dass ich Strify wenigstens jetzt nicht im Stich gelassen hatte, dass ich trotz meines schweren Herzens bis zum Schluss bei ihm geblieben war. Ich denke, dies zeigte, wie viel Strify mir bedeutete, auch als Freund. Er war der wichtigste Mensch in meinem Leben. Kapitel 11: ~ Vom Fallen und von Hoffnung ----------------------------------------- Als die Wohnungstür hinter mir ins Schloss fiel, überkam mich die Stille wie eine unaufhaltsame Flut. Sie schien mich zu erdrücken, mir alle Luft zu nehmen. Leicht zitternd hängte ich meine Jacke an die Garderobe und schlich dann ins Wohnzimmer. Ich war ganz leise, als hätte ich Angst, jemanden auf zu wecken. Im Wohnzimmer sah es chaotisch aus, Hefte, Bücher, Kataloge lagen verstreut auf dem Tisch. Ein Blick durch Strifys offene Zimmertür zeigte nur noch mehr Unordnung. Sein Bett war übersät mit Kleidung, ebenso wie der Boden. Sein Bett hatte er vorher nicht gemacht. Leise zog ich die Tür zu. Was ich nun tun sollte, wusste ich nicht. Ich schlich zum Fenster und sah hinaus. Berlin lag vor mir, reges Treiben herrschte auf den Straßen; überall waren Leute unterwegs und wer wusste, was ihr Ziel war? Eine Weile starrte ich so aus dem Fenster und betrachtete den blauen Himmel, an dem kleine Schäfchenwolken vorüberzogen. Die Sonne schien und ich spürte ihre Wärme sogar durch das Fensterglas auf meiner Haut. Den ganzen Tag tigerte ich unruhig durch die Wohnung, ruhelos und erschöpft. Ich fühlte mich ausgelaugt- und vor allem verlassen. Ich war froh, als es draußen dunkel wurde und ich endlich zu Bett gehen konnte. Ich konnte nicht schlafen, so schien sich der scheinbar endlose Tag noch mehr in die Länge zu ziehen. Noch lange lag ich wach und meine Gedanken spukten in meinem Kopf herum, wie verlorene Seelen, die nicht wissen, wo sie hingehörten. Was hatte es mir gebracht, dass ich Strify losgelassen hatte, jetzt aber alleine und einsam hier in der Dunkelheit lag? Nur um zu behaupten, ich hätte es geschafft. Unruhig wälzte ich mich auf die andere Seite. Aber wenn ich ihn nicht hätte gehen lassen, würde ich mir ewig Vorwürfe machen und ewig bereuen. Strify wäre unglücklich gewesen und das hätte ich nicht ertragen. Und das war wirklich schlimmer als jede Einsamkeit. Ich wusste, wenn der Austausch aus irgendeinem Grund nicht stattgefunden hätte, hätte ich alles daran gesetzt, dass Strify doch geflogen wäre. Ich wusste selbst, dass ich im Gegenspruch zu mir selber stand, aber was konnte ich schon gegen meine Gefühle tun? Ich war nicht länger Herr über mich selbst, schon lange hatte ich die Zügel verloren. Es war ein Fehler gewesen und dafür musste ich nun die Verantwortung tragen. Irgendwann in den frühen Morgenstunden verfiel ich in einen unruhigen Schlaf, wachte immer wieder auf um darauf wieder einzuschlafen. Am Morgen wachte ich noch vor dem Weckerklingeln auf. Als wenig später dieser dann schrillte, war ich schon angezogen und meine Tasche stand gepackt im Flur. Ich wollte mich nicht unterkriegen lassen, denn nun hatte ich genug Zeit für alles, auch wenn ich nicht genau wusste, woher diese auf einmal kam. Strify war mir nie im Weg gewesen, über seine Anwesenheit hatte ich mich immer gefreut, doch aus unerfindlichen Gründen fühlte ich mich nun nicht mehr so belastet. Dieses Gefühl wollte ich nutzen und als meine Stärke ausspielen. Bevor Strify die Neuigkeit vom Austausch gebracht hatte, war ich voller Ehrgeiz und Ansporn gewesen, mir ging es gut. Doch obwohl ich entschlossen war, wieder an diese Position zu gelangen, fehlte mir doch jeglicher Ehrgeiz und jede Hoffnung schien mit Strify gegangen zu sein. Bevor ich die Wohnung verließ, warf ich noch einen Blick in den Spiegel. Ich sah furchtbar aus; übernächtigt, mit dunklen Schatten unter den Augen und blass. Eilig wandte ich den Blick ab und begab mich zum Bus. Draußen zog alles an mir vorbei, ohne Bedeutung für mich zu haben. Ich schaute hin, sah aber nicht. Ich hörte, verstand nicht. Trügerisch blau war der Himmel an diesem warmen Frühlingstag und wieder einmal schien die Sonne. Ich fragte mich, wann die dunklen Wolken kämen und mit mir weinten. Natürlich ließ ich niemanden meine Tränen sehen, doch ab und zu, wenn ich alleine war, ertappte ich mich dabei, wie eine salzige Träne über mein Gesicht kullerte. Und obwohl an der Uni so viele bekannte Gesichter und Freunde auf mich warteten, wollte die Einsamkeit dem doch nicht weichen. Eine Barriere hatte sich zwischen mich und die Außenwelt gestellt. Ich wehrte mich dieser jedoch nicht, ich war dessen nicht fähig und was hatte es schon für einen Sinn? Mein Leben hatte sich verändert, nichts konnte rückgängig gemacht werden, das Alte war vergangen- und verloren, wie ich in diesem Moment glaubte. Ich konnte nicht mehr kämpfen, dessen fühlte ich mich nicht imstande. Meine Kraft hatte mich verlassen, mein Gang war unsicher geworden. Wenn man genau hinsah, sah man, dass meine Knie mit jedem Schritt leicht wankten, wirklich nur kaum, doch wer sah schon genau hin? Aber das war die Welt heute: alles zog an einem vorüber, ohne dass man es wirklich mitbekam. Gnadenlos prasselten die Vorlesungen auf mich ein, aber glücklicherweise konnte ich wenigstens etwas Konzentration aufbringen. Doch es kostete mich wirklich viel Kraft, denn ich war müde, körperlich wie auch seelisch erschöpft. Ich wollte mich in mein Bett fallen lassen, jedoch wusste ich, dass ich nicht hätte schlafen können. Die Tage waren zu einer Qual geworden, die Zeit verging nur träge. Jeden Morgen ging ich zur Uni, kam dann nach Hause, machte meine Aufgaben, ging früh abends ins Bett um dieselbe Prozedur am folgenden Tage zu wiederholen, und am nächsten, und am Tag darauf... Doch irgendwann hatte mich jegliche Stärke verlassen, ich stand nicht mehr auf, als mein Wecker klingelte und blieb einfach liegen. Ich beobachtete, wie der Himmel sich vom morgendlichen blassblau zu strahlendem blau bis schließlich zu dämmerndem orange-rosa färbte und letztendlich von der schwarzen Nacht verschluckt wurde. Ich versuchte, einzelne Sterne auszumachen, doch die Straßenlaternen draußen waren zu hell. Den ganzen Tag lag ich schon so im Bett, wie jemand, der nur noch wartet, endlich friedlich einschlafen zu können. Ich war trostlos geworden, meine Stimmung wurde von Tag zu Tag trüber, bis sie schließlich konstant am Nullpunkt blieb. Ich war nicht gereizt oder wütend, stattdessen war ich belanglos und gleichgültig geworden. Hätte ich wenigstens irgendwelche Emotionen empfunden, dann wäre mir dies ein Zeichen gewesen, dass ich noch lebte und fühlte. Und obwohl ich Tage über nichts tat, empfand ich keine Langeweile. Einsam fühlte ich mich auch nicht mehr- oder ich merkte es nicht mehr, weil ich mich daran gewöhnt hatte. Alles schlug um in einen Trancezustand, ich war nicht richtig wach. Alles zog wie durch einen Nebel an mir vorbei. Ich erinnerte mich, dass da jemand war, ich war nicht immer alleine gewesen. Glasklar kam mir Strify in den Sinn, ich erinnerte mich an seine Gesichtszüge, an seine Bewegung und jeder Moment mit ihm spielte sich erneut in meinem Kopf ab. Doch alles war so ruhig in dieser Wohnung, oft drangen noch nicht einmal die Geräusche der Außenwelt hier hinein. Es war zu ruhig, kaum vorstellbar, dass noch vor wenigen Wochen lautes Gelächter diese Zimmer erfüllt hatte. Es schien mir unendlich lange her, dass ich zum letzten Mal eine Stimme an meinem Ohr vernahm oder selbst gesprochen hatte. Es erschien mir unendlich lange her, dass ich nicht allein war. An vielen Tagen zwang ich mich aus dem Bett, doch die Wohnung verließ ich nicht. Seit Strify weg war, hatte ich kaum etwas angefasst, alles war noch so, wie an dem Tag, an dem er abgereist war. Die Tür zu seinem Zimmer war noch immer geschlossen und würde sich erst wieder öffnen, wenn er heimkehrte. Die meiste Zeit streunte ich zwischen den Zimmern hin und her, tigerte ruhelos umher und ließ mich manchmal auf der Fensterbank nieder um den Himmel zu beobachten. Ich fragte mich, ob er wohl denselben Himmel sah. Dadurch, dass keine frische Luft an mich kam, wurde ich immer blasser. Wenn ich aß, dann nur, damit ich nicht verhungerte, doch Appetit hatte ich nicht. Kochen tat ich nicht, im Prinzip war es egal, was ich aß, denn ich schmeckte nicht wirklich etwas. Viel gab es sowieso nicht zu essen, denn unser Kühlschrank war immer noch spärlich befüllt. Da ich auch nicht einkaufen ging, gab ich mich mit dem zufrieden, was ich dort drinnen fand. Als etwa zwei Wochen vergangen waren und ich eines Morgens auf dem Weg ins Bad war, fiel mir auf, dass sich langsam eine dünne Staubschicht auf den Möbeln zu sammeln begann. Ich scherte mich nicht darum und tat weiterhin nichts. Doch auf einmal klingelte das Telefon. Bei dem lauten Schrillen, das nach der ewigen erdrückenden Stille, die ich kaum mehr ertrug, fast ohrenbetäubend laut klang, zuckte ich zusammen. Vorsichtig nahm ich ab... und wartete. „Hallo?“, ertönte es fragend an der anderen Seite. Mein Herz setzte aus. Alles in mir schien angehalten zu haben, geräuschvoll schnappte ich nach Luft. Mein Körper verkrampfte sich und ich umklammerte den Hörer so fest, dass meine Fingerknöchel weiß hervortraten. Ich wollte etwas sagen, aber meine Stimme war weg. Ich brachte keinen Ton heraus, mein Hals fühlte sich staubtrocken an. „Hallo?“, fragte Strify erneut vom anderen Ende der Leitung. Endlich würgte ich ebenfalls ein gepresstes „Hi“ aus mir heraus. „Hey!“, rief Strify erfreut, als er meine Stimme erkannte. „Tut mir Leid, dass ich nicht eher anrufen konnte, aber die Verbindung ist hier so schlecht. Sonst hätte ich mich wirklich früher gemeldet. Wie geht es dir?“, fragte er. „Gut.“, presste ich aus mir heraus, das Sprechen fiel mir auf einmal unheimlich schwer. Es war ein Wunder, dass ich es überhaupt noch konnte. „Und dir?“. Ich versuchte fröhlich zu klingen. Unbeschwert. „Fantastisch! Hier ist alles ganz wundervoll, so neu und interessant. Schade, dass du jetzt nicht hier bist, du wärest begeistert gewesen!“, plapperte Strify heiter und allein am Klang seiner Stimme konnte ich erkennen, dass er über das ganze Gesicht strahlen musste. Ich wünschte, er wäre hier. „Ich fühle mich total wohl und meine Gastfamilie ist sehr nett. Ich habe hier schon viel kennen gelernt und ich finde es schade, dass ich bald wieder abreisen muss. Aber ich freue mich schon sehr darauf, dich und die anderen endlich wieder zu sehen. Was läuft gerade so bei euch?“, fragte er. Mein Herz raste. Ich hatte vergessen, dass es nun nicht mehr so lange dauern würde, bis Strify wiederkam. Und er freute sich, mich wieder zu sehen! Hieß das, dass er mich trotz der Schönheit des fernen Kontinents vielleicht doch etwas vermisste? Dachte er vielleicht manchmal an mich? Ein Hoffnungsschimmer keimte in mir und verbreitete eine wohlige Wärme, die die Kälte zurückdrängte, die ich seit seiner Abreise in mir verspürte. „Hier ist alles wie gehabt. Uns geht es gut und ... es ist ziemlich...“ . Einsam, wollte ich sagen, stattdessen sagte ich: „... ruhig hier ohne dich.“. „Und sonst geht es allen gut, sagst du?“, fragte er. „Ja.“, log ich. Ich hatte keine Ahnung, wie es den anderen ging, aber mir war in den letzten Tagen und Wochen ziemlich mies gewesen. Dennoch zeigte sich auf meinen Lippen ein kleines Lächeln, als Strify mir mit fröhlicher Stimme begeistert von der Schönheit Australiens erzählte. Es tat so gut, seine Stimme wieder nahe an meinem Ohr zu vernehmen, endlich war er mir wieder etwas näher und ich fühlte mich nicht mehr ganz so verlassen. „Hast du meine Postkarten gekriegt?“ fragte Strify. Da ich seit fast einer Woche die Wohnung nicht mehr verlassen hatte und deshalb auch unseren Briefkasten nicht geleert hatte, wusste ich zuerst nicht, wovon er sprach. „Ja. Ja, sie sind sehr schön.“, meinte ich dann, obwohl ich bis eben nicht einmal gewusst hatte, dass er überhaupt welche geschickt hatte. Aber er war froh, dass die Postkarten mir so gut zu gefallen schienen und erzählte mir weiter von seinen neuen Eindrücken. Doch irgendwann musste er wieder auflegen, seine Handykosten gingen ihm langsam aus. „Tut mir Leid, ich muss jetzt Schluss machen!“, meinte Strify am anderen Ende der Leitung. „Ich ruf dich bald wieder an!“, sagte er und verabschiedete sich. Dann hörte ich nur noch tuten. Ich sah den Hörer an. Für ein paar Minuten war Strify mir so nahe gewesen, nun war ich wieder ganz alleine und Kälte breitete sich wieder in mir aus. Es war so schwer, ihn noch einmal zu verlieren. Eigentlich hatte ich mich eben noch in der Stimmung gefühlt, Party zu machen, die Postkarten aus dem Briefkasten zu holen und hier alles wieder auf Vordermann zu bringen, doch nun war dieses Gefühl weg, das Hoch meiner Stimmung war verflogen und ich fühlte mich ausgelaugt und elend wie zuvor. Es war, als wären all diese schönen Gefühle mit Strifys Stimme von einem zum anderen Moment verschwunden. Ich setzte mich auf die Couch und vermisste Strify. Nachdem ich seine Stimme gehört hatte, noch mehr. Es war wie ein zweiter Abschied gewesen, als er auflegen musste und mich hier alleine zurückließ. Ich wünschte, er hätte nicht angerufen. Aber irgendwie war ich auch froh darüber gewesen. Er vermisste mich auch und es ging ihm gut. Wenigstens war dies ein kleiner Trost, der mir letztendlich geblieben war und mich nicht ganz verzweifeln ließ. Doch beruhigt fühlte ich mich deswegen nicht. In mir begannen sich Gefühle der Unzufriedenheit zu regen. Zu lange hatte ich dem Geschehen nur machtlos und unbeteiligt nebenher gestanden. Es war, als bräche ein Damm. Wie konnte er sich amüsieren und sich seinen größten Traum erfüllen, während ich hier saß, in aller Einsamkeit und vor mich hin vegetierte? Es war unfair. Das hatte ich nicht verdient. Langsam wurde ich zornig. Ich steigerte mich hinein, alles war zu lange aufgestaut gewesen in den letzten Tagen und Wochen. Ärger überkam mich. Wie konnte er es wagen, mich hier einfach so sitzen zu lassen? Wie konnte er es wagen, einfach zu gehen und mich leiden zu lassen? Merkte er denn nichts? War er wirklich so blind?? Da kam mir auf einmal ein Gedanke. War er gegangen, weil er dachte, dass ich stark war? Dass ich diese Trennung schon überstehen würde, dass ich stark genug war, damit fertig zu werden und meinen eigenen Weg weiter zu gehen? Hatte dies sein Gewissen beruhigt? Ich musste bitter auflachen. Wie konnte er nur so töricht sein und denken, ich wäre stark? Denn ich war alles andere als das. Ich war schwach, verletzlich, sensibel, naiv... aber stark? Niemals. Vielleicht war es eine Maske, die ich manchmal zum Schutz aufsetzte, aber sollte er mich nicht gut genug kennen, um zu erkennen, zu wissen, dass es nur Fassade war, dass alles nicht echt war? Sah er nicht, dass meine Freundschaft nun mehr war, dass meine vorgeheuchelte Freude nicht existierte? Meinen Weg hatte ich längst aus den Augen verloren, meine Welt war zusammengebrochen. Und ich wusste noch nicht einmal, wie dies geschehen konnte. Langsam überfiel mich Trostlosigkeit. Wie sollte das alles weitergehen, wo würde es hinführen, was würde mich am Ende erwarten? Ich sah aus dem Fenster. Noch immer war der Himmel strahlend blau. Es war unfair. Draußen lebte die Welt, Leute lachten, waren gut gelaunt, während ich hier drinnen fast schon seelisch tot war. Musste ich denn sterben um zu leben? Was hielt mich gebunden, was war da, was mich nicht losließ? Ich sah mich um. Im Flur stand meine Tasche, noch vom letzten Unibesuch und noch immer nicht ausgepackt. Es schien so furchtbar lange her zu sein, dass ich das letzte Mal dort war. Es erschien mir unwirklich, wie in einem anderen Leben. So weit und fern und fremd. Ich wollte in dieses Leben zurück. In letzter Zeit fiel ich und stand wieder auf, fiel wieder... eine Berg und Tal Fahrt, ein Kreislauf, eine Geschichte, die niemals enden würde. Aber hatte nicht alles einmal ein Ende? Dies musste mir Hoffnung und Halt geben, dieses Wissen, dass alles irgendwann vorbei sein würde. Für andere Menschen ist das vielleicht eine schreckliche Vorstellung, aber für Jemanden in meiner Situation ist der Gedanke daran erlösend. Die nächsten Tage verliefen nur schleppend, träge schlich die Zeit an mir vorbei. Ich hatte kein Zeitgefühl mehr, wusste nicht mehr, welcher Tag es war. Doch es waren nicht allzu viele Tage vergangen, als das Telefon erneut klingelte. „Hey, ich bin’s.“, hörte ich Strify vom anderen Ende der Leitung her zu mir sagen. „Hey!“, rief ich, lauter als beabsichtigt, und stützte mich am Tisch ab um nicht umzukippen, so sehr freute ich mich, seine Stimme wieder zu hören. „Du hast aber gute Laune!“, lachte er. Das stimmte, obwohl ich bis eben noch in einer Ecke meines Zimmers gekauert und Trübsal geblasen hatte und darauf gewartet hatte, dass die Zeit verrann. Doch nun war ich hellwach. Als ich nicht antwortete, sprach er einfach weiter. „Ich hoffe, du hast nicht vergessen, dass ich morgen wieder nach Hause komme!“, rief Strify fröhlich und mein Herz setzte aus. Er kam morgen wieder! War es endlich so weit? Zwar ist die Zeit sehr langsam für mich vergangen, doch nun konnte ich kaum glauben, dass es endlich so weit war. Mich freuend hüpfte ich durchs Zimmer, das Telefon noch immer in der Hand. „Natürlich habe ich es nicht vergessen!“, schwindelte ich. „Schon seit Ewigkeiten freue ich mich auf diesen Tag!“, rief ich freudig und strahlte. „Schön, das zu hören. Da freut man sich ja glatt drauf, wieder nach Hause zu kommen!“, meinte er. „Ja.“, hauchte ich, das war alles, was ich dazu sagen konnte, noch immer war ich betäubt, diesmal aber vor Erleichterung und Freude. Wie lange war es her, als ein solches Gefühl in mir lebte, eine solche wohlige Wärme in meinem Körper verbreitete? „Oh, ich muss wieder Schluss machen. Aber wir sehen uns ja morgen!“, sagte Strify plötzlich. „Freust du dich?“, fragte ich und in meiner Stimme schwang etwas Besorgnis mit. Er würde Australien verlassen und wer weiß wann erst wieder dorthin gehen. „Natürlich!“, sagte er, sichtlich verwundert über meine Frage. Als sei es selbstverständlich gewesen. Ich lächelte. „Dann bis morgen.“, sagte ich und wartete bis er aufgelegt hatte. Nun fiel es mir erstaunlich leicht, den Hörer aus der Hand zu legen und das beflügelnde Gefühl in mir verschwand auch nach dem Telefonat nicht. Ich verspürte Bauchkribbeln und fühlte mich einfach nur wohl. Gerade war ich wieder aufgestanden und flog nun höher als je zuvor. Ein Fall war nicht in Sicht. Nicht jetzt. Kapitel 12: ~ Welcome Home, Strify! ----------------------------------- Nachdem ich aufgelegt hatte, wurde mir zum ersten Mal richtig bewusst, was für ein Chaos hier in der Wohnung herrschte. In dem Monat hatte sich eine dicke Staubschicht auf den Möbeln angesammelt und der Kühlschrank war schon seit Tagen vollkommen leer. Und morgen würde Strify nach Hause kommen! So durfte das dann aber nicht aussehen! Von einer unglaublichen Leichtigkeit beflügelt schwebte ich durch die Räume, schwang die Hefte, Kataloge und Bücher, die dort seit Strifys Abreise lagen, vom Tisch und wischte den Staub ab. Fein säuberlich stapelte ich sie dann wieder auf und machte mich mit Feuereifer daran, jedem Staubkorn in dieser Wohnung den Garaus zu machen. Gut gelaunt riss ich die Fenster so weit auf wie es ging und reckte mein Gesicht der warmen Sonne entgegen. Ich schloss die Augen und spürte die leichte Brise auf meinem Gesicht. Ich lächelte. Tief atmete ich die warme Luft ein und genoss diesen Augenblick. Endlich fühlte ich mich wieder lebendig, endlich war ich emotional wieder voll im Leben! Ich wischte von überall den Staub ab, polierte, bis alles glänzte und verließ nach einigen Stunden harter Arbeit die Wohnung um einkaufen zu gehen. Zum ersten Mal seit Wochen verließ ich unsere vier Wände und als ich an die frische Luft trat, spürte ich, wie mir diese gefehlt hatte und wie gut sie mir nun tat. Ich genoss jeden Schritt, jede Brise und jeden Sonnenstrahl. Im Supermarkt machte ich einen Großeinkauf und hatte so viel gekauft, dass ich befürchtete, der Kühlschrank würde platzen. Die Einkäufe nach Hause schleppend hörte ich den Vögeln beim Singen zu. Zwar waren die Tüten schwer und bis obenhin bepackt, doch ich fühlte mich so stark und voller Kraft, dass ich meinte, mich könnte nun nichts mehr aufhalten. Wieder zu Hause füllte ich erst mal unseren Kühlschrank und machte Musik an. Ich drehte sie laut auf und tanzte herum, total in Partylaune. Da fiel mir etwas ein: das wichtigste hatte ich beinahe vergessen! Ich stürzte zum Telefon und rief zuerst Kiro, dann Yu und schließlich noch ein paar andere unserer Freunde an. Ich lud sie ein, morgen in unsere WG zu kommen, um Strify zu begrüßen. Nachdem dies erledigt war, dämmerte es draußen bereits und für mich gab es nicht mehr viel zu tun. Ich schaltete den Fernseher an und begab mich ins Bad, wo ich erst mal eine heiße Dusche nahm. Ich schrubbte mich so gründlich von oben bis unten, als wollte ich die schrecklichen Gefühle und die letzten Wochen einfach abwaschen. Vom Wohnzimmer her drangen Stimmen aus dem Fernseher und ich fragte mich, warum ich ihn in den letzten Wochen nicht angeschaltet hatte. Ich hätte mich dann vielleicht nicht so alleine gefühlt. Ich konnte meine vorherige Stimmungslage gar nicht mehr verstehen, es war, als wäre ich nun ein ganz anderer Mensch, als wäre ich aufgeblüht. Oh, wie hatte ich dieses Gefühl vermisst, es kam mir wie ein Wunder vor, dass ich überhaupt noch am Leben war. Doch in gewissen Situationen kann ein Körper sehr stark sein, er kämpft immer bis zum Schluss. Dafür war ich ihm jetzt dankbar und ich versprach, ihn dafür zu belohnen. In mir herrschte nun Hoffnung und Freude, endlich ging es mir wieder gut. Am Abend sah ich noch etwas fern, dann ging ich auch früh zu Bett, doch zuerst konnte ich vor lauter Vorfreude und Aufregung gar nicht schlafen. Aber dann fielen mir doch irgendwann die Augen zu und ich versank in einen ruhigen und tiefen Schlaf, wie ich ihn schon lange nicht mehr gehabt hatte. Am nächsten Morgen wachte ich schon früh auf. Das erste, was mir in den Sinn kam, war Strifys Rückkehr. Sofort war ich hellwach und sprang aus dem Bett. Es war ein warmer Frühlingstag und die Sonne schien hell und fröhlich in die Wohnung. Ich öffnete die Fenster, lehnte mich weit hinaus und atmete tief die frische Luft ein. Das Leben konnte so herrlich sein! Summend lief ich in die Küche, frühstückte in aller Gemütlichkeit und zog mich dann an. Ich hatte noch einige Stunden Zeit bis ich losmusste um Strify vom Flughafen abzuholen und in mir kribbelte es, so aufgeregt war ich. Aber auch fröhlich, glücklich und voller Vorfreude. Das Wetter spiegelte meine Stimmung wider, die Sonne schien mit mir zu strahlen. Ungeduldig tigerte ich in der Wohnung hin und her, warf immer wieder einen Blick auf die Uhr und die Zeit schien kaum zu vergehen, sie zog sich wie Kaugummi. Hier und da räumte ich auf, was schon aufgeräumt war und putzte, was schon blitzblank war. Und endlich, nach scheinbar endlosem Warten, war es Zeit zu gehen. Ich griff nach meiner Tasche, meine Jacke ließ ich wo sie war. Heute war ein schöner, warmer Tag und die Sonne schien warm auf meine Haut. Ich warf noch einen Blick in den Spiegel. Meine Wangen waren leicht gerötet vor Freude und Aufregung, meine Körper schien vor Lebenslust zu strotzen und ich hatte eine Ausstrahlung, mit der ich die ganze Welt glücklich machen konnte. Ich lächelte mein Spiegelbild an und schloss dann die Tür hinter mir. Draußen zwitscherten die Vögel und es duftete nach Frühling. In der Zeit, in der Strify weggewesen war, war es wärmer geworden. Überall blühten nun Blumen und der Himmel war tiefblau. Im Bus war es nicht sonderlich voll, ich setzte mich an ein Fenster und sah die ganze Fahrt über hinaus. Doch je näher ich dem Flughafen kam, desto nervöser wurde ich und desto mehr, wieso wusste ich nicht, Angst bekam ich. Was würde mich erwarten, hatte Strify sich sehr verändert? Als ich Ausstieg und die Eingangshalle betrat, war diese nur mäßig belebt. Leute saßen hier und da in den Cafés, andere checkten ein oder unterhielten sich. Zwar wusste ich, dass Strifys Maschine noch nicht gelandet war, dennoch schaute ich mich suchend nach ihm um. Doch wie erwartet war er nicht da, und so setzte ich mich auf eine Bank und wartete. Endlich wurde sein Flug angekündigt und wenig später sah ich das Flugzeug durch das Fenster auf der Landebahn landen. Sogleich sprang ich auf und hastete zum Gate. Ich lief über Rolltreppen, überholte andere Leute, eilte Gänge entlang, nicht achtend auf die verwunderten Blicke der anderen Leute. Ich hatte nur noch Strify im Sinn. Gleich würde ich ihn wiedersehen, gleich würde er wieder vor mir stehen! Atemlos blieb ich schließlich am Gate stehen und schon strömten die Fluggäste herein. Eilig ließ ich meinen Blick umherschweifen, doch ich konnte ihn nicht ausmachen in dem Getümmel. Nach ein paar Minuten war die größte Menschenflut vorüber, doch noch immer keine Spur von ihm. Langsam wurde ich ängstlich. Wo blieb er nur? Da hörte ich von links auf einmal jemanden meinen Namen rufen. Ich drehte mich um und sah Strify lächelnd auf mich zukommen. Er winkte. Zuerst war ich wie erstarrt, ich konnte es kaum glauben, doch dann kam wieder Leben in mich und ich rannte auf ihn zu. Er breitete die Arme aus und ich warf mich hinein. „Hallo!“, rief er lachend. Ich drückte ihn und auch er drückte mich, dass mir fast die Luft wegblieb. Endlich war er wieder da! Mir stiegen die Tränen in die Augen und ich quietschte vor Freude. Dann löste sich Strify aus meiner Umklammerung und musterte mich. „Schön, endlich wieder hier zu sein. Ich hab dich voll vermisst!“, sagte er und strahlte mich an. Ich strahlte zurück, mein Gesicht war gerötet vor Freude. „Mann, du ahnst gar nicht, wie ich dich vermisst habe!“, antwortete ich. Strify hatte sich gar nicht verändert. Es war, als wäre er erst gestern abgeflogen. Ich konnte es kaum glauben, und ich war so froh, dass er endlich wieder da war. Ich hakte mich bei ihm unter und gemeinsam schlenderten wir zur Gepäckausgabe. „Du musst mir alles ganz genau erzählen, ich will alles wissen!“, sagte ich und sah Strify mit leuchtenden Augen an. „Klar, ich lasse nichts aus! Und glaub mir, du wirst begeistert sein. Schade, dass du nicht auch mitgekommen bist. Du hast echt was verpasst!“, meinte er. Neugier stieg in mir auf, ich wollte wissen, was er zu erzählen hatte. Und diesmal war es keine Lüge, es war nicht vorgespielt. Ich wollte es wirklich wissen. Aber vor allem war ich erst mal froh, dass Strify gesund wieder hier war und dass es ihm gefallen hatte. An der Gepäckausgabe fanden wir schnell sein Gepäck und gemeinsam hievten wir es nach draußen. Die ganze Zeit über plapperte Strify auf mich ein und gespannt hörte ich zu. „Du bist braun geworden!“, stellte ich fest, als ich sein Gesicht bei Tageslicht sah. Tatsächlich hatte er einen dunkleren Teint bekommen, dennoch sah er damit nicht sehr verändert aus. Er grinste. „Cool, was?“. Dann sah er mich an und zum ersten mal seit seiner Rückkehr schaute er etwas verwirrt. „Du siehst etwas mager aus. Hast du abgenommen?“, fragte er mich. Ich hasste es, wenn mich jemand so etwas fragte, schon damals habe ich diese Fragen nie ausstehen können. Immer dieses „Du siehst aber mager aus!“, oder „Du bist viel zu dünn!“. Auf einmal wurde mein Gesichtsausdruck ernst. „Nein.“, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Noch immer war es ein Kampf. Bei diesem Thema war ich so empfindlich, ich musste aufpassen, nicht auszurasten und mich so zu verraten. In mir wüteten längst vergangene Gefühle, rangen miteinander. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. „Nein.“, sagte ich erneut und sah Strify fest und verbissen an. Er schien zu bemerken, dass er etwas angesprochen hatte, worauf ich empfindlich war. Ich hatte ihm von meiner Vergangenheit erzählt. Allen, die gedrängt haben, ich solle es ihnen doch erzählen, ihnen habe ich es niemals gesagt. Aber gerade Strify schien immer ruhig und verständnisvoll, er fragte nie viel nach, er hatte einfach verstanden, dass ich nicht wollte. In diesen Tagen war er so voller Güte und Verständnis gewesen, hatte mich nie gedrängt. Er war einfach nur da gewesen. Und er hatte mir klargemacht, dass ich immer zu ihm kommen, ihm alles sagen konnte, wenn ich wollte. Ich hatte es gespürt, auch wenn er es nicht so oft gesagt hatte. Er hatte mich akzeptiert und dafür war ich ihm dankbar gewesen. Dann brach es eines Tages aus mir heraus, ich hatte es Jemandem erzählen müssen, wollte ich nicht in meinen Gefühlen vergehen. Ich hatte mich zwar sehr geschämt, aber Strify gab mir das Gefühl, dass ich dies nicht musste. Er hatte verstanden, mich nicht deswegen verurteilt. Unserer Freundschaft hatte dies keinen Bruch getan, vielmehr war sie dadurch gefestigt worden. Einen Moment schwiegen wir beide. Ich wollte mich für mein törichtes Benehmen entschuldigen, doch kein Laut kam über meine Lippen. Strify aber schien keinerlei Entschuldigung meinerseits zu erwarten, denn er sagte: „Tut mir Leid, das war dumm von mir. Ich...wollte dir nur ein Kompliment machen. Du siehst gut aus. Dafür dass du einen Monat alleine warst, ist es beachtlich für dich, dass du überhaupt noch lebst.“, und der scherzende Unterton seiner Stimme war unüberhörbar. Ich musste grinsen. Lange konnte ich ihm nun mal nicht böse sein. „Hey, ich kam gut zurecht!“, sagte ich, auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entsprach, und sah ihn gespielt böse an. „Naja, ich hoffe doch, dass der Kühlschrank nicht noch genauso leer ist wie vor meiner Abreise.“, warf er grinsend ein und wir mussten lachen. Schon wenig später saßen wir im Bus und waren auf dem Weg nach Hause. Dort warteten, wenn alles nach Plan lief, unsere Freunde. Wir hatten ausgemacht, dass sie uns, und insbesondere Strify, dort erwarten sollten, wenn wir wiederkamen. Als wir vor der Wohnungstür standen, war alles ganz ruhig. Ich schloss auf und gemeinsam zerrten wir die schweren Koffer in den Flur. Ich schloss die Tür. „Hier riecht es so schön nach zu Hause!“, rief Strify und dehnte sich wohlig. Er ging ins Wohnzimmer um sich dort erst mal hinzusetzen, mit den Worten:“ Jetzt trinken wir erst mal was, ich hab tierischen Durst!“. Doch womit er nicht gerechnet hatte, war, dass ihn, sobald er das Wohnzimmer betrat, eine Horde von Leuten begrüßte. „Welcome Home, Strify!“, hörte man es von alles Seiten rufen, das von Lachen begleitet wurde. Ich lehnte mich in den Türrahmen und genoss Strifys verblüfften Gesichtsausdruck. Diese Überraschung war dann wohl ein Erfolg, dachte ich grinsend. „Was...aber...“. Strify war ganz außer sich. Doch dann zeichnete sich ein Strahlen auf seinem Gesicht ab und er begrüßte alle stürmisch. „Damit hab ich ja gar nicht gerechnet! Wow, diese Überraschung ist euch aber echt gelungen!“, meinte er und sein grinste von einem Ohr zum Anderen. „Du hast Durst? Kein Problem!“, meinte Yu, der mit Kiro im Schlepptau aus der Menge heraustrat und grinsend auf Strify zu kam und ihm eine Colaflasche in die Hand drückte. „Willkommen zu Hause!“, meinte er dann und klopfte Strify auf die Schulter. Kiro kam auch hinzu und klopfte ihm ebenfalls auf die Schulter. „Cool, dass du wieder da bist.“, meinte er grinsend. „Ich bin auch froh!“, antwortete Strify und wuschelte Kiro durch die Haare, was diesen ganz kirre machte. „Hey!“, rief er empört und machte sich sogleich von Strify los. „Du kannst gleich wieder gehen!“, meinte er gespielt muffig. „Aber ihr habt mich echt überrascht, Dankeschön!“, sagte Strify, sichtlich gerührt. „Das hast du deiner Mitbewohnerin zu verdanken, die hat das organisiert.“, kam es von einer meiner Freundinnen, die gerade dabei war, Strify zu umarmen. Dieser drehte sich um und sah mich an. „Echt? Danke...ich weiß gar nicht, was ich sagen soll...“, sagte er und sah mich dankbar an. Er sah aus wie ein Kind an Weihnachten, seine Wangen waren leicht gerötet vor Freude. „Das ist das erste Mal, dass Strify nicht weiß, was er sagen soll!“, rief Kiro bewundernd. „Respekt, das ist ein gedenkwürdiger Tag! Du weißt anscheinend, wie man Strify aus der Fassung bringt.“, fügte er grinsend hinzu. Wenig später war die Party in vollem Gange und Strify hatte eine Menge zu erzählen, während alle anderen gespannt zuhörten. Er zeigte Fotos und ich gab die Postkarten rum, die ich (gestern) aus dem überquellenden Briefkasten gefischt hatte. Als die anderen dann lachten uns sich lautstark unterhielten, stallt ich mich in eine ruhige Ecke und trank Wasser. Bis jetzt hatte ich ziemlich viel Spaß gehabt, es war lustig gewesen, sich mal wieder mit den anderen zu unterhalten. Doch nun war mir etwas warm geworden und ich brauchte eine kurze Pause. Da trat Strify plötzlich unbemerkt an mich heran. „Danke.“, sagte er und lächelte mich an. „Diese Party ist echt der Renner und ich hatte damit wirklich nicht gerechnet. Du hast mich also echt überrascht.“, meinte er grinsend. Ich lächelte. „Hab ich doch gern gemacht. Es ist einfach nur schön, dass du wieder da bist.“, sagte ich und stellte mein Glas ab. In mir kribbelte es und gleichzeitig fühlte ich eine innere Ruhe, die alles in mir zu überdecken schien. Ich habe dich so furchtbar vermisst, dachte ich, doch ich sagte es nicht. Stattdessen griff ich nach der Sektflasche und schenkte mir ein. „Willst du auch?“, fragte ich Strify, der seinen Kopf schüttelte und auf die Cola in seiner Hand wies. „Nö, lass mal. Ich werd mich dann noch ein wenig mit den anderen unterhalten“, meinte er dann und verschwand. Ich lehnte mich an die Wand und sah aus dem Fenster an der gegenüberliegenden Raumseite. Unser Wohnzimmer war echt nicht groß genug für so viele Personen, dachte ich und fächelte mir etwas Luft zu. Auf einmal hatte ich einen tierischen Durst. Deshalb trank ich mein Glas Sekt in einem Zug leer und schenkte mir darauf erneut ein. Nachdem ich auch das Zweite hinterhergekippt hatte, begann der Sekt seine Wirkung zu zeigen. Mir wurde leicht schwummrig und alles fing an sich zu drehen. Dennoch schenkte ich mir noch ein drittes mal ein und trank das Glas in raschen Zügen leer. Benommen stellte ich das Glas dann ab und wippte leicht hin und her. Ich war leicht benebelt, wie ich feststellte, als ich bemerkte, dass ich den Alkohol viel zu schnell getrunken hatte. Leicht wankend taumelte ich in Richtung Bad, wo ich die Tür abschloss und mich dagegen lehnte. Ich tapste zum Waschbecken und füllte meinen Zahnpastabecher mit Wasser, den ich mit zittrigen Fingern aus dem Schrank gefingert hatte. Eilig trank ich das klare, kalte Wasser, doch mir wurde nicht besser. Seufzend setzte ich mich auf den Klodeckel und stützte meinen Kopf in die Hände. Ich schloss die Augen. In meinem Kopf pochte es heftig, die Kopfschmerzen wurden immer stechender. Außerdem hatte mich der Sekt müde gemacht und draußen dämmerte es schon. Ich wusste gar nicht mehr richtig was ich tat, als ich mich auf den kalten, gefliesten Boden legte und die Augen schloss. Als ich die Augen wieder öffnete, drang lautes Gelächter an meine Ohren. Ich musste wohl eingenickt sein. Langsam setzte ich mich auf. Die Kopfschmerzen waren zurückgegangen, doch noch immer fühlte ich einen Druck gegen meine Stirn. Ich rieb mir die Augen, fuhr mir durch die Haare und stand schließlich auf. Ich trank noch einen Becher Wasser, dann schloss ich die Tür auf und trat in den Flur. Ich ging ins Wohnzimmer, wo mich, wie ich feststellte, niemand vermisst hatte. Alle waren noch immer heiter am Plaudern. Mit einem Blick auf die Uhr sah ich, dass ich nur wenige Minuten geschlafen hatte. Dennoch ging es mir etwas besser. Tja, so ein Schläfchen wirkt Wunder. Noch eine Weile unterhielt ich mich hier und da mit ein paar Freunden, und schließlich machten sich diese auch auf den Nachhauseweg. Draußen war es mittlerweile dunkel geworden und die Sterne leuchteten hell am Himmel. Als auch der letzte hinausgetreten war, schloss ich die Tür und mit einem Mal war es still. So still, wie an dem Tag, an dem ich vom Flughafen kam und Strify schon auf dem Weg nach Australien war. „Ich würd sagen, wir räumen auf und hauen uns dann auch aufs Ohr.“, meinte Strify und gähnte. Für uns war es heute ein langer, anstrengender Tag gewesen. Ich nickte und etwa eine Stunde später waren alle Spuren einer Party beseitigt. In meinem Zimmer zog ich mich um und wünschte Strify dann eine gute Nacht. „Schön, dass du wieder da bist.“, sagte ich lächelnd und sah ihn an. „Schön, wieder hier zu sein.“, antwortete Strify und wünschte mir ebenfalls eine gute Nacht. Dann erlosch das Licht in der Wohnung und ich kuschelte mich in mein Bett. Kapitel 13: ~ Stimmungsschwankungen ----------------------------------- Die letzten Tage waren allesamt warm und schön gewesen, der Frühling war nun endlich ganz da. Kein Wunder, es war ja auch schon fast Mai. Ich genoss es, Strify wieder um mich zu haben, doch mit ihm war auch leider dieses komische Gefühl wiedergekehrt. In seiner Nähe hatte ich ständig Bauchkribbeln und meine Gedanken waren dauernd bei ihm. Als Strify und ich nach dem Wochenende seiner Heimkehr wieder zur Uni gingen, hatte ich schon etwas Bammel. Immerhin hatte ich fast einen Monat gefehlt. Ich hoffte, man würde mir meine Entschuldigung glauben, ich hatte eine Lungenentzündung gehabt, und betete inständig, Strify möge davon nichts mitbekommen. Als ich zum Hörsaal schritt, spürte ich leichte Nervosität und Übelkeit. Am liebsten hätte ich mich auf dem Absatz umgedreht und wäre weggegangen, doch den konnte ich jetzt nicht mehr bringen. Ich hatte schon zu oft gefehlt, es würde schwer werden, alles nachzuholen und gleichzeitig noch mit dem aktuellen Stoff mitzuhalten. Doch glücklicherweise nahm man mir meine Entschuldigung mit der Lungenentzündung ab und als sei nichts gewesen setzte ich mich an meinen Platz. In der Pause ließ ich mir von meiner Freundin die nötigen Unterlagen geben und mir das Nötigste erklären, sodass ich wenigstens etwas auf dem Laufenden war. Ich war froh, als der Unterricht sich endlich dem Ende neigte. Pünktlich mit dem Gong war ich die erste, die den Raum verließ. Draußen wartete ich auf Strify und gemeinsam fuhren wir nach Hause. Dort machten wir uns an unsere Aufgaben und leider dauerten sie bei mir viel länger als sonst, da ich leichte Schwierigkeiten wegen meines Fehlens hatte. Das hielt mich aber davon ab, das kribbelnde Gefühl in meinem Bauch zu bemerken und darüber nach zu grübeln. Doch auch Strify saß heute länger als gewöhnlich über seinen Büchern. Er schien leicht gehetzt und angespannt und das steigerte sich von Tag zu Tag. Irgendwann war Strify total verändert, ich erkannte ihn kaum mehr wieder und war sehr erschrocken über diese Veränderung, die in ihm vorging. Wenn wir morgens aufstanden und zur Uni fuhren, war er sehr schweigsam und betrübt. In den Pausen bekam ich ihn nicht zu Gesicht und auf dem Nachhauseweg redete er kaum. Alle Fröhlichkeit war aus seinem Gesicht gewichen, seine Augen waren trüb und müde geworden und dunkle Schatten, die Übernächtigung andeuteten, lagen unter ihnen. Er sprach nicht mehr häufig und war oft in Gedanken versunken. Etwas schien ihn zu beschäftigen, ihm Sorgen zu bereiten. Er schien sehr einsam und verschlossen zu sein, obwohl ich an seiner Seite war. Ich sorgte mich um Strify, aber als er eines Abends immer noch bis spät in die Nacht über seinen Büchern saß und alles andere an sich vorbeiziehen ließ, sprach ich ihn darauf an. Schon fast unwirsch und mit blaffendem Unterton in der Stimme antwortete er, was solle denn los sein, sähe ich nicht, dass er lerne?! Ich fühlte mich angegriffen, so aggressiv hatte er noch nie mit mir geredet. Ich war richtig erschrocken darüber und um des Friedens Willen trat ich zurück und ließ ihn weiter lernen. Dennoch war ich zutiefst schockiert und sorgte mich nur noch mehr um ihn. Immer wenn wir nun zusammen waren, schien eine Hochspannung zwischen uns zu herrschen, wie eine Barriere. Strify verkroch sich nur noch hinter seinen Büchern und fast schon verzweifelt fragte ich mich, was denn nur passiert war, was ihn so weit getrieben hatte. Tage-, wochenlang ging es so weiter, und ich konnte nichts tun. Ich wollte ihn nicht darauf ansprechen, denn ich wollte ihn nicht verärgern und wollte nicht, dass er mich anschnauzte. Sein Benehmen machte mir Angst, er wurde immer verschlossener, aß kaum noch und schien gar nicht mehr in Hier und Jetzt zu leben. Ich hatte das Gefühl, dass er weit weg war, wo ich ihn nicht mehr zurückholen konnte, von wo nur er allein den Weg zurückfinden konnte. Mit der Zeit aber war Strify nicht mehr aggressiv, sondern er wurde müde und verschlossen. Wenn ich mit ihm redete, schien er mich nicht zu hören, er antwortete mir nicht. Er gab kein Zeichen von sich zu verstehen, zu hören. Er war fort, wo, das wusste niemand. Auch den anderen fiel sein Benehmen auf, doch keiner hatte eine Ahnung, was los war. Dunkle Schatten hatten sich um seine Augen gelegt, er war blass geworden und seine Wangen hohl. Bis tief in die Nacht blieb er immer wach, manchmal wachte ich nachts auf und sah unter dem Türspalt noch Licht aus dem Wohnzimmer. Dennoch wagte ich nie, zu ihm zu gehen. Ich konnte ihm nicht helfen, was immer ich tat, er hörte mich nicht. Ich war schon ganz krank vor Sorge, meine Noten ließen sehr zu wünschen übrig. Doch irgendwie schaffte ich es, mich durch zu boxen und mich über Wasser zu halten, trotz allem. Eines Abends saß Strify einmal nicht über seinen Büchern, sondern hatte den Fernseher angeschaltet und starrte mit leerem Blick auf den Bildschirm. Bestimmt sah er nicht, was sich dort abspielte. Sein Verhalten machte keinen Sinn und getrieben von unendlicher Sorge und meinem Mitleiden mit Strify, warum auch immer, wagte ich noch einmal einen Versuch zu erfahren, was los war. Ich setzte mich vorsichtig zu ihm auf die Couch, langsam und behutsam, als hätte ich Angst, ihn zu erschrecken. „Strify...“, setzte ich an, doch meine Stimme brach. Noch immer rührte er sich nicht. Ich atmete ein. „Strify, bitte erzähl mir, was los ist. Du hast dich so verändert, seit du zurück bist. Du bist nicht mehr du selbst und... ich mache mir ernsthafte Sorgen um dich. Du weißt, dass du mir vertrauen und mir alles erzählen kannst. Wir sind Freunde und ich werde immer zu dir stehen. Das weißt du doch.“, sagte ich, letzteres hatte einen fragenden Unterton, der fast schon verzweifelt nach einer bejahenden Antwort schrie. Dennoch war meine Stimme weich, sanft und besorgt. Sie klang ein wenig mütterlich und ich hatte nicht gewusst, dass ich so sprechen konnte. Doch noch immer sah Strify mit leerem Blick vor sich hin als hörte er mich nicht. „Strify.“, fing ich erneut an, diesmal lauter und fordernder. „Bitte. Erzähl mir was los ist. Irgendetwas stimmt doch nicht mit dir. Ich bin nicht blind!“, rief ich, Tränen traten in meine Augen. Doch als Strify noch immer keine Reaktion zeigte und im Fernseher auf MTV gerade das Lied ‚I Hate That I Love You’ lief, traf es mich wie ein Schlag ins Gesicht. Wie erstarrt lauschte ich dem Text, der die Gefühle der letzten Wochen wiedergab. Mein Herz zog sich zusammen, alles in mir verkrampfte sich. Auf einmal war mir speiübel, denn ich hatte begriffen: Ich hatte mich in Strify verliebt. Ich konnte es nicht fassen, es war, als befände ich mich in einem freien Fall. Ich fiel und fiel und wartete nur auf den Aufprall. Das konnte doch nicht wahr sein! Es durfte nicht wahr sein! Mit einem Mal überfiel mich Panik. Was, wenn er es bemerkt hatte? Er wollte unsere Freundschaft sicher nicht aufs Spiel setzen und war nun abgeschreckt und verwirrt. Und es war alles meine Schuld! Er war verschreckt, vielleicht sogar angewidert. „Strify...“, begann ich erneut, „Bitte...“. Tränen rannen nun in Strömen über mein Gesicht, meine Stimme war ein einziges Flehen. Und diesmal drehte er seinen Kopf in meine Richtung, ganz langsam, und sah mich an. Er sah mich an mit diesen ausdruckslosen, kalten, verlorenen Augen, aus denen alles Sehen verschwunden war. Dem Blick entnahm ich Schmerz, tiefes Leiden. Und Leere. Ich würde diesen abscheulichen Blick niemals mehr vergessen, er war so schrecklich, denn er zeigte, dass Strify fort war. Ich konnte es nicht ertragen ihn so zu sehen, wissend, dass er litt, doch nicht woran. Dieser Blick hatte sich in mein Gehirn gebrannt, er schmerzte und ich würde ihn nie mehr loswerden. Denn so hatte ich Strify noch nie gesehen, so verlassen und voller tiefer Sehnsüchte. Steif geworden saß ich auf der Kante des Sofas, nicht fähig, meinen Blick von seinem abzuwenden. Doch Strify sagte nichts, um uns herum herrschte eine drückende Stille, die mich fast zu überwältigen drohte. Ich war gerade dabei unsere Freundschaft zu zerstören, nur wegen meiner dummen Gefühle. Ich hatte keine Gewissheit was los war, aber nur der Gedanke daran, dass er es bemerkt haben könnte, dass es unsere Freundschaft zerstörte, zerriss mir innerlich die Eingeweide. Ich stürmte in mein Zimmer und schlug die Tür hinter mir zu. Wie konnte er es wagen, mich so zu verletzen, mich so zu Grunde zu richten? Aber... wie konnte ich es wagen, unsere Freundschaft derart zu zerstören? Dass Strify so reagierte, war vielleicht meine eigene Schuld und ich brauchte nicht ihm diese zuzuschieben. Es hätte mich beruhigt, wenn nicht alles Leiden an mir selbst gelegen hätte, doch so einfach war es im Leben nicht. Zwar konnte ich nicht mit Gewissheit behaupten, dass es tatsächlich so war, wie ich dachte und dass es nicht einen anderen Grund für Strifys Verhalten gab, aber in dem Moment war ich so blind vor Schmerzen und Verzweiflung, dass ich es kaum mehr aushielt. Auf einmal gaben eine Knie nach und ich sank zu Boden. Regungslos saß ich da, Tränen rannen über mein Gesicht als gäbe es keinen Halt für sie. Ich musste mich ablenken. Vor meinen Augen tauchte die weiße Zimmerwand auf. Weiß... so weiß... Ich schlug meinen Kopf gegen die Wand. Ein dumpfer Laut erklang. Es folgte Stille. Eine drückende Stille, die fast greifbar war. Hörte er es nicht? Warum kam er nicht und sah nach mir? Ich stieß meinen Kopf weiter an die Wand. Ich wollte, dass er kam und mich beschützte, mich vor mir selbst bewahrte. Weiter erklangen dumpfe Laute, dicht aufeinandergefolgt waren sie das Einzige, dass die Luft in meinem Zimmer erfüllte. Mittlerweile hörte ich es deutlich, alles andere wurde von meinem Kopf ausgeblendet, die Nebengeräusche von draußen drangen nur wie durch Watte zu mir hindurch. In meinen Ohren rauschte es und ich fühlte meine Stirn pochen. Ich schlug meinen Kopf so lange gegen die Wand, bis meine Stirn anfing zu bluten und das Blut wie rote Tränen über mein Gesicht lief und sich mit meinen eigenen vermischte. Den körperlichen Schmerz spürte ich nicht mehr, alles schien wie taub. Ich fühlte nur, wie es in mir tobte, meine Eingeweide schienen entzwei zu reißen. In mir loderte Feuer und es brannte. Es brannte schmerzlich, wild und wütend. Die weiße Wand vor mir war mit roten Spritzern versehen. Blut tropfte wie eine Träne von meinem Kinn. Doch er kam nicht. Er ließ mich ganz allein. Die Sonne war schon untergegangen und draußen leuchteten hell die Sterne am klaren Nachthimmel. Zusammengekauert saß ich in einer Ecke meines Bettes, die Knie an mein Kinn gezogen, die Arme hatte ich wie zum Schutz um meine Beine geschlungen. Noch immer war es still in der Wohnung. Im Wohnzimmer brannte kein Licht mehr, vielleicht war Strify schon zu Bett gegangen. Leise stand ich auf. Eigentlich wollte ich das Zimmer nicht verlassen, ich war den ganzen Tag hier drinnen geblieben. Doch nun bekam ich Durst. An der Tür lauschte ich, doch nichts regte sich im Wohnzimmer. Leise und vorsichtig öffnete ich die Tür. Ich trat heraus und sah Strify noch immer auf der Couch sitzen. Er schien seinen Platz nicht einmal verlassen zu haben. Leise und so unbemerkt wie möglich schlich ich an ihm vorbei in die Küche, den Kopf tief gesenkt und den Blick auf den Boden gerichtet. In der Küche goss ich mir eilig ein Glas Wasser ein, spülte es hinunter und verschwand dann wieder. Für mich folgte eine sehr unruhige Nacht, ich wälzte mich von einer Seite auf die andere und konnte keinen Schlaf finden. Dauernd geisterten Bilder in meinem Kopf herum und ich sah ständig Strifys leere Augen vor mir. Mein Gewissen plagte mich, ich machte mir Vorwürfe und immer wieder verfiel ich in kurze, unruhige Schlafe. Schon früh am nächsten Morgen gab ich es auf und stand auf. Draußen dämmerte es fast, der Himmel war von einem kalten blaugrau durchzogen. Der Mond stand noch am Himmel und schien blass zu uns herab. Noch immer regte sich nichts in der Wohnung, die Stille war mittlerweile laut geworden. Erst als es richtig hell wurde, und ich wiederum Durst bekam, verließ ich mein Zimmer. Strify stand am Fenster und sah hinaus. Leise schlich ich an ihm vorbei in die Küche und als ich wiederkam und in mein Zimmer wollte, hatte er sich umgedreht und sah mich an. Seine Wangen waren eingefallen und hohl, er war sehr blass und die Augenringe traten noch mehr hervor. Er wirkte unglaublich entkräftet und schwach. Ich rührte mich nicht und auf einmal lächelte mich Strify müde an, sagte jedoch nichts. Mir stiegen schon wieder Tränen in die Augen, doch ich lächelte tapfer zurück. „Möchtest du etwas essen?“, fragte er leise, seine Stimme klang freundlich. Ich nickte, obwohl ich keinen Appetit hatte. Ich musste jetzt genau aufpassen, was ich tat. Strify ging an mir vorbei in die Küche und ich folgte ihm. Er setzte sich an den Tisch und sah auf die Tischplatte. Ich holte zwei Becher heraus und machte für uns beide einen warmen Tee. In der Zeit, in der das Wasser kochte, stellte ich etwas Brot und Butter auf den Tisch. Dann goss ich den Tee auf und bemerkte, dass Strify mich dabei musterte und jede Bewegung gebannt verfolgte, als sähe er sie zum ersten Mal. Mit einem unbehaglichen Gefühl setzte ich mich ihm gegenüber und schob ihm seine Tasse zu. Er nahm sie und legte seine Hände um sie, die er so wärmte. Er pustete leicht und nahm dann einen Schluck. Auch ich trank langsam und schon bald fühlte ich eine wohlige Wärme sich in meinem Magen ausbreiten. Schweigend saßen wir uns gegenüber und keiner rührte das Essen an. Ich blickte Strify an, der nachdenklich den Inhalt seiner Tasse musterte und den daraus aufsteigenden Dunst verträumt betrachtete. Sollte ich es wagen, ihn noch einmal zu fragen, was ihn bedrückte? Aber... was, wenn ich ihn damit nur noch mehr abschreckte? Während ich noch die Möglichkeiten, die ich hatte, gedanklich abwägte, sah Strify hoch und mir direkt ins Gesicht. Einen Augenblick lang blickte er mich an, dann fragte er: „Warum siehst du mich so an?“. Dabei war sein Blick fragend, verwirrt. Ich erstarrte. Hatte er etwas bemerkt? Wusste er etwas? Während er mich so ansah, kriegte ich Panik. Mein Hirn setzte aus, ich bekam einen Blackout und wusste nicht, was ich tat. 'Nein!', schrie es in meinem Kopf,ich sprang auf und hastete in mein Zimmer. Ich verschloss die Tür, verschloss mich selbst und kam den ganzen Tag nicht mehr heraus. Strify rief nicht ein einziges Mal nach mir. Doch egal wie schnell ich rannte, wie weit ich lief, ich konnte vor meinen Schmerzen nicht davonlaufen. Sie würden mich immer verfolgen, ständig in mir wüten, bis zum Schluss. Die Qualen, die Schmerzen, die Sehnsucht, ich konnte nicht entkommen, mich nicht verstecken. Denn egal wohin ich ging, selbst wenn ich bis ans Ende der Welt flüchtete, mein Herz würde auch dann nicht verstummen. Es war, als versuchte ich vor meinem eigenen Schatten davon zu laufen. Und eben diese Erkenntnis, nicht entkommen zu können, gleich wie schnell ich lief, traf mich wie eine Wucht. Es rief Auswegslosigkeit in mir hervor, ich fühlte mich wie ein in die Enge getriebenes Tier. Was folgte, waren Verzweiflung und Traurigkeit. Ich wollte mir nicht eingestehen, was geschehen war. Wir hatten schon so viel zusammen erlebt, es durfte sich nichts ändern. Ich wollte nicht, dass unsere Freundschaft etwas anderem wich. Es sollte wieder so sein wie früher und obwohl ich so viel anderes für Strify empfand war es doch das einzige, was ich mir so sehnlichst wünschte. Wieder mit ihm lachen zu können, in aller Freundschaft. Wenn sich nun etwas änderte, würde das andere Vergangenheit werden, als abgeschlossene Handlung gelten un nie mehr wiederkehren. Deshalb blieb ich lieber in meinem Zimmer, obwohl es sehr dumm war so zu handeln. Aber es beruhigte mich, dass unsere Freundschaft doch nicht ganz vorbei war. Keiner hatte sie beendet, sie war nicht fort, sie war immer noch da, nur sahen wir sie momentan nicht. Ich musste nun durch diese Zeit hindurch, aber etwas Neues sollte nicht beginnen. Dazu war mir Strify zu wichtig. Früher war doch alles so gut gewesen. Wie hatte es so weit kommen können? Warum musste es so kommen? Was haben wir falsch gemacht? Ich hätte alles dafür gegeben,um Antwort zu finden. "Warum? Warum tut mein Herz mir das an? Das kann doch niemals gut gehen, es würde alles zerstören. Es soll sich nichts ändern.", sprach mein Kopf zu meinem Herzen. Dieses aber blieb stumm und gab keine Antwort. Nach Tagen des Nichtstuns hatten wir uns mehr auseinandergelebt als je zuvor. Jeder ging seinen eigenen Weg, auch wenn es oft derselbe war. Er war nicht da und ich wollte nicht da sein. Diese Verzweiflung und Traurigkeit wandelte sich dann in Wut und Zorn. Wut auf mich selbst, Zorn über das Schicksal, über Strify und alles auf der Welt. Aber besonders gegen mich. Ich konnte mich nicht akzeptieren, verabscheute alles an mir. Es war das gleiche Gefühl gewesen wir vor Jahren. Ekel vor mir selbst, Unzufriedenheit aber auch Machtlosigkeit. Ich verfiel in alte Gewohnheiten, hatte ich aus Sorge und Kummer vorher kaum etwas gegessen, so reduzierte ich es auf Null. Um mich zu bestrafen. 'Vielleicht findet dich Strify einfach nicht hübsch genug. Sieh dich doch nur einmal an. Wenn du schlank wärest, wärest du nicht in dieser Situation. Er hätte dich dann gemocht. Du bist selbst Schuld.', sagte eine altbekannte Stimme in meinem Kopf,die nach Jahren wieder aufgetaucht war. Ich zählte die Rippen. Sie traten alle deutlich hervor. Nein, es ist noch nicht genug. Was immer die anderen sagen, es reicht noch nicht. Und als sich nichts änderte, wandelte sich das Gefühl schließlich in Frust, Depression und Selbstaggression. Ich verletzte mich selbst, schnitt mir gedanklich ins eigene Fleisch, was immer ich tat, nur um mich an mir zu rächen. Die körperlichen Schmerzen vertrieben die seelischen, doch irgendwann konnte ich den körperlichen Schmerz nicht mehr spüren. Die Wunden, die brannten, waren in mir drin. Kapitel 14: ~ Erkenntnisse -------------------------- Die Zeit verging. Letztendlich war ich einen sehr harten und langen Weg gegangen, bin oft gefallen und es hat Narben hinterlassen. Doch aufgrund genau dieses Weges kam ich zu einer Erkenntnis. Ich durfte meine Freundschaft mit Strify nicht aufs Spiel setzen, egal was auch kam. Es war das wichtigste in meinem Leben. Ja, Dinge ändern sich, aber es gibt auch gewisse Dinge, die bleiben müssen, wie sie sind. Und zu diesen Dingen gehört die Freundschaft zwischen Strify und mir. Dies hatte ich nun begriffen, auch wenn es irgendwo schon immer klar gewesen war. Dieses Band, das uns verband, war etwas zu besonderes. Nun musste ich mit meinem Gewissen ins Reine kommen, mir klarmachen, dass noch nicht alles aus war. Ich konnte die Situation retten, aber es lag auch an Strify. Die Schuld lag auf beiden Seiten, doch zunächst musste ich nun alles mit mir selbst vereinbaren, über meine menschlichen Fehler hinwegsehen und mich akzeptieren. Dann würde alles gut werden, irgendwann einmal. Erst musste ich wieder normal leben, vielleicht würde sich Strify mir von alleine öffnen, wenn er sah, dass alles wieder in Ordnung war. Ich musste mir eingestehen, dass ich nicht glücklich wäre, wenn sich etwas an unserer Freundschaft änderte, egal in welche Richtung. Ich wollte, dass wir den Weg in aller Freundschaft gemeinsam weitergingen. Zwar würde es nie Liebe sein, aber es war gut so. Es durfte sich nichts ändern, es war zu wichtig. Und irgendwann würde auch mein Herz einsehen, dass genau diese Entscheidung die einzig richtige war. (Auch wenn es noch immer ein wenig schmerzte). Kapitel 15: Epilog ------------------ Strify erwachte, als er das Klingeln des Weckers aus dem Nebenzimmer vernahm. Das Semester war fast zu Ende, es war Zeit für den Endspurt. Draußen schien die Sommersonne und der Himmel war strahlend blau. Mühsam richtete er sich in seinem Bett auf und schob seine Decke beiseite. Er tapste zu seinem Schreibtisch, wo er alles, was in einem unüberblickbaren Chaos darauf verstreut lag, mit einer Handbewegung in seine Schultasche kippte. Dann machte er sich auf den Weg ins Bad. Eine kalte Dusche würde ihm guttun. Im Wohnzimmer begegnete er seiner Mitbewohnerin Chizu, die gerade in einem Lehrbuch blätterte. In den letzten Wochen war er sehr abweisend und hart ihr gegenüber gewesen, was alleinig an dem Unistress lag, mit dem er sich seit seiner Rückkehr aus Australien hatte auseinandersetzen müssen. Durch den Austausch hatte er viel an Stoff in der Uni verpasst und als er wiedergekommen war, was alles auf ihn eingeprasselt. Es war zu viel für ihn gewesen, außerdem hatten alle mit den Prüfungen gedrängt. Zu allem Überfluss waren da auch noch Strifys Eltern, die nichts von seinen Träumen wissen wollten. Er sollte eines Tages die Firma seines Vaters übernhemen, das war alles, was sie von ihrem Sohn erwarteten. Sie unterstützten ihn nicht bei seinen eigenen Plänen und hatten ihm angedroht, sollte er dieses Semester nicht schaffen, würden sie ihn nicht mehr weiter studieren lassen. Sein Traum wäre unerreichbar geworden. Der Druck und der Stress waren ihm über den Kopf gewachsen, so war er aggressiv und verschlossen geworden. Damit hatte er Chizu, seiner besten Freundin, wehgetan, sie tief verletzt, doch durch seine Abwesenheit hatte er es nicht gesehen, sondern erst bemerkt, was er angerichtet hatte, als es ihm besser gegangen war. Strify hatte gesehen, dass sie sehr viel mitgemacht hatte in der Zeit und das alles tat ihm unendlich Leid. Er hatte sie im Stich gelassen, sie verletzt und er hätte alles gegeben, um es ungeschehen zu machen. Er hatte sie fast zu Grunde gerichtet, doch zum Glück war sie stark gewesen und hatte sich gerettet. Strify hatte immer gewusst, dass sie stark war, auch wenn sie ihm manchmal etwas verletzlich und empfindlich, zerbrechlich erschien. Er hatte bemerkt, dass in letzter Zeit einige Veränderungen in ihr vorgegangen waren, dies war ihm nicht entgangen. Er hatte sich darüber Gedanken gemacht, doch auch hatte er immer an sie und ihre Stärke geglaubt, daran, dass sie kämpfte und sich selbst half. Dennoch, sie hatte schon so viel erlebt und durchgemacht, und obwohl er es gewusst hatte, hatte er sie weiter leiden lassen. Er schämte sich seines Vergehens, aber zum Glück war es vor einigen Wochen zu einer Aussprache gekommen, in der er ihr alles erklärt hatte. Ihre Gefühle allerdings hatte sie ihm verschwiegen. Es war nicht der richtige Zeitpunkt gewesen, sie wollte warten, bis dieser kam. Ob er wohl jemals kam? Jedoch war sie sehr verständnisvoll und ihm nicht böse gewesen, als er ihr den Grund seiner Abwesenheit nannte. Dafür war er ihr sehr dankbar, aber umso mehr schämte er sich für sein Verhalten. Glücklicherweise war nun aber alles wieder gut und, wie es ihm schien, wie früher. Chizu saß nun also auf der Couch und sah auf einmal hoch. Ihre Blicke begegneten sich. Eine Weile verharrten sie so und sahen sich an. Dann lächelte sie und wünschte ihm einen guten Morgen. Ihr Blick hatte sich verändert. Er war nicht mehr traurig, jedes Verlangen aus ihm war verschwunden. Sie sah fröhlich aus. Ihr Lächeln wirkte ungezwungen und ehrlich. Frei. Ihr Herz hatte erkannt, was sie nicht verlieren durfte - den besten Freund, den es gab. Und der es für sie immer sein wird. "Guten Morgen.", sagte Strify und lächelte. Ende ( Erster Teil) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)