Große Mädchen weinen nicht von abgemeldet (ES GEHT WEITER! Bald kommt der zweite Teil.) ================================================================================ Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- Chapter 4 Ich bin ein Mädchen. Diese Tatsache ist der einzige Grund, der laut der Moralvorstellungen anderer Menschen dagegen spricht, ein Mädchen zu lieben. Ich wurde nicht gefragt, ob ich leben will, deshalb hat mir auch niemand vorzuschreiben, wie ich es tue. Liebe ist Liebe. Seufzend legte ich meinen Bleistift weg und dachte über meine eigenen Worte nach. Ich war nicht ehrlich zu mir, fand ich heraus als ich durch meinen Geist stöberte und über ein ungelöstes Problem stolperte. „Verdammt!“ Ich schmiss den Bleistift weg und fegte das Papier vom Schreibtisch. Das war alles so kompliziert! Wenn ich doch nur wüsste, wie ich in dieser Situation handeln, lieben und leben soll! „Klingt nach einem schlechten Tag.“, stellte Erin fest und stellte eine Tasse Kaffee auf den Tisch. Freunde. Etwas sehr wichtiges im Leben. Freunde, nur Freunde. Alles was zählte. „O, du bist ein Engel.“, lobte ich sie und versteckte schnell mein Wortexperiment. Sie setzte sich auf die Schreibtischkante und sah aus meinem Fenster. Sie wirkte abwesend, als stimme etwas nicht mit ihr. „Auch ein schlechter Tag, Cowgirl?“, fragte ich nach und musste lächeln. „Schlecht, schlechter, am Schlechtesten. Die Matheergebnisse.“ Wir hatten heute einen Mathetest zurückbekommen. Ich war ganz zufrieden mit meiner Arbeit, eine Einsminus. Erin reichte mir ihren Test, er sah schon etwas in Mitleidenschaft gezogen aus. Ich entfaltete den Papierball und suchte in den ganzen roten Strichen ihre Note. „Wow…waren wir vielleicht etwas abwesend?“ Es war ein Witz, Erin lächelte aber nur schwach. „Nein. Nein…das ist pures Nichtkönnen.“ Sie klang traurig. Ich schob meinen Stuhl zurück und ging um den Tisch herum. „Ich bin saublöd, wirklich.“, begann sie mit dem lamentieren und starrte mit unfassbarem Kopfschütteln nach draußen auf den See. Ich klopfte ihr übertrieben herzlich auf die Schulter. Irgendwie konnte ich mit einer deprimierten Erin nicht umgehen, so hatte sie sich noch nie verhalten. „Unsinn, du bist echt intelligent. Ich habe keine dummen Freunde.“ Endlich entlockte ich ihr ein schwaches Lachen, aber immerhin ein Lachen. Sie fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht und verwuschelte dabei ihre Frisur, als sie sich durchs Haar fuhr. Anderes Manöver: „Du siehst heute wirklich süß aus, man merkt gar nicht, dass du so eine Niete in Mathe bist.“ Wieder ein kurzes Lachen. „Was würde ich nur ohne dich machen?“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust und markierte die Eingeschnappte. „Du würdest mit Mary darüber reden.“, sagte ich empört, als wäre mir das eben erst eingefallen. Erin kicherte leise und sah wieder auf. Ihr Blick war nun nicht mehr so verschleiert, sondern wirkte lebendig und äußerst anziehend. „Außerdem hättest du keine Freundin, die sich in Mathe bestens auskennt und dir Nachhilfe anbietet.“, fügte ich noch hinzu. „Lass uns am Besten gleich damit anfangen!“, rief ich aus, nahm ihre Hand und zog sie mit mir. „Wie? Jetzt gleich?“, fragte Erin überrascht. „Ja, was du heute kannst besorgen-… ach ja, das weißt du ja selbst.“ Ohne große Reden zog ich Erin weiter hinter mir her und die Treppen hinunter zu Bibliothek, wo es jede erdenkliche Hilfestellung in Sachen Matheunterricht gab. „Shane, du hältst mit mir Händchen.“, merkte sie trocken an. Ich blieb schlagartig auf der Treppe stehen und starrte unsere Hände an. „O, tatsächlich.“ Erin grinste. „Und alle haben es gesehen! Dass du dich nicht schämst, du bisexuelle Heterolesbe!“ Ich ließ ihre Hand fallen und drehte mich wieder um. Sie sollte nicht sehen, dass ich mich darüber ärgerte und dass es mich in gewisser Weise auch verletzte, wenn sie sich darüber lustig machte. „Komm.“, meinte ich emotionslos und ging voran, während Erin mir verblüfft nachsah. „Moment mal, Shane Blacksmith!“, rief sie in einem herrischen Tonfall, der mich sofort innehalten ließ. Verdammt, sie sollte Lehrerin werden. Vielleicht nicht unbedingt in Mathe, aber soweit ich wusste war sie in Geschichte gut. Besser als ich zumindest. Langsam drehte ich mich zu ihr um. Sie hatte ihre Hände in die Hüften gestemmt und machte dieses wissende Gesicht. Das sah nun schon wieder nach Nonne zu Gast in einem Puff aus. „Was ist?“ „Das könnte ich dich fragen! Warum bist du so komisch in letzter Zeit?“ „Ich bin so wie immer. Nur, dass ich mich im Moment etwas komisch fühle.“ Erin zog eine Augenbraue hoch. So wie ein Arzt ein Röntgenbild mit einer Armfraktur ansah. Vielleicht sollte sie Ärztin werden? „Hast du mit irgendwas Probleme? Mit Lara?“ „Grundgütiger, nein. Es ist nur…“ „Ja?“ „Meine Freunde melden sich nicht mehr. Ich bin jetzt schon drei Wochen hier. Meine Eltern haben in der Zeit zweimal angerufen und ansonsten Mails geschrieben. Aber meine Freunde haben weder das Eine noch das Andere getan.“ Ich ging weiter, während ich es ihr erklärte und bog in die Bibliothek ab. Hier war alles still, selbst von der Bibliothekarin war nichts zu sehen. Es war Freitagabend, kurz nach sechs, wahrscheinlich hatte sie schon Schluss. Die Bibliothek erfüllte wohl jeden Traum eines leidenschaftlichen Bücherknechts. Ein halbrunder Raum mit Bücherregalen so hoch, wie die Decke war. Große bewegbare Leitern an jedem einzelnen Regal und so alte Bücher, dass nichts die Staubkruste entfernen konnte. Jedes Mal von neuem, versetzte sie mich in einen Zustand elementarer Ehrfurcht. „Das tut mir Leid, Shane, ehrlich. Sehe es am besten so: je weniger sie sich bei dir melden, desto weniger musst du telefonieren. Und je weniger dir mailen, desto weniger musst du antworten.“, meinte Erin und folgte mir durch die niedrigeren Regalreihen, die mitten im Saal standen. „Schon gut, ich denke, dass ich damit leben kann.“ „Vorhin klang das aber noch ganz anders.“, bestand Erin darauf. Ich seufzte und suchte die Mathematikabteilung auf. Zuerst waren alle Schulbücher verleihbar und dann gab es noch Lektüre für spezielle Fachgebiete. „Ist ja auch egal.“ „Ich hasse es, wenn du alles herunterzuspielen versuchst. Du bist meine Freundin, mir ist es nicht egal, wenn du leidest, Schmerzen hast oder einfach nur krank bist.“ „Freundin, ja. Freunde…“, spie ich ungewollt aus und wandte mich danach erschrocken von ihr ab, damit sie mir nichts anmerkte. „Shane…“, begann Erin mit einem einfühlsamen Ton. „Lass uns nicht mehr darüber sprechen.“, entgegnete ich hart und warf ihr einen kurzen, giftigen Blick über die Schulter zu. „Hier, das dürfte uns weiterhelfen.“ __________________________________________________________________ Nachdenklich saß ich Erin gegenüber und starrte sie an. Sie las gerade einen Abschnitt über das Lösen irgendwelcher speziellen Aufgaben und war versunken. Ihre Lippen sprachen jedes ungesagte Wort mit und ab und zu leckte sie sich ungeduldig über die Unterlippe. Es machte mich verrückt und ich wäre am liebsten gegangen, doch ich hatte ihr einmal meine Hilfe angeboten. Ihre langen, schwarz getuschten Wimpern zuckten, während ihre Augen über die Zeilen flogen. Ich zwang meinen Blick auf die vielen Bücher, dann aus dem Fenster, doch ehe ich mich versah, klebten sie wieder auf Erin. Verdammt, sie war wirklich hübsch und ich nicht einmal annährend etwas, dass man als reizend bezeichnen konnte. Für die Jungs reichte es, aber für eine Lesbe? Sahen sie Schönheit etwa mit anderen Augen? „Hör auf mich so anzustarren, Shane, ich kann mich sonst nicht konzentrieren.“, ermahnte mich Erin plötzlich. Es klang furchtbar laut, weil es in diesem Teil der Bücherei ausgestorben war und wir so lange geschwiegen hatten. Ich wurde rot und sah gebannt auf meinen Roman, dessen Worte ich verpasste und dessen Sätze nun keinen Sinn mehr ergaben. „Tut mir leid, ich war in Gedanken.“, flüsterte ich und lächelte schüchtern. Erin sah nun vollends auf und musterte mich. Auch ich hob den Blick, weil ich in ihre Augen sehen wollte. Ob sie freundlich musterten, oder abschätzig. Ich kam zu keinem Ergebnis, sie sah mich teilnahmslos an. So wie immer. Manchmal war Erin ein Gefühlskrüppel. Irgendetwas in ihr war tot. „Schon gut. Kannst du mir das erklären?“ Ich lächelte, vielleicht dankbar, vielleicht auch dümmlich. Dann beugte ich mich quer über den Tisch um ihr das Problem und dessen Lösung zu erläutern. „Ich glaube ich hab’s. Machen wir Schluss für heute? Es ist…“, sie unterbrach sich um auf ihre Armbanduhr zu sehen. „Es ist schon halb acht. Essen haben wir wohl verpasst, aber vielleicht hat uns Mary was mitgenommen. Mir raucht der Schädel…da geht nichts mehr rein.“ Ich gähnte bekräftigend und streckte mich. Wir lernten nun schon fast vier Stunden. Meine Pobacken waren sogar eingeschlafen, stellte ich fest, als ich mich erhob. Gemeinsam gingen wir nach draußen und nahmen den Aufzug nach oben. „Da seit ihr zwei ja. Ihr habt den Anfang der Serie verpasst!“, rief Mary als wir das Mädchenzimmer betraten. „Wer bist du und was hast du mit meiner besten Freundin gemacht?“, fragte Erin und blinzelte Mary verständnislos an. Ich kicherte, denn seit Neusten war Mary ein Fan von Endstation Liebe. Und zwar ein richtig Schlimmer. Allerdings, und das unterschied sie von den anderen, begaffte sie die Hauptdarstellerin, die ihrer Meinung nach etwas Lesbisches an sich hatte und manchmal ganz unauffällig eine Kollegin anstarrte. „Mach dich nicht lustig über mich, Wednesday.“ „Sorry.“ „Wo wart ihr die ganze Zeit, nicht einmal gegessen habt ihr!“, begann Mary im Flüsterton, während die anderen Mädchen gebannt auf die Mattscheibe sahen. „Wir waren unten in der Bibliothek und haben für Mathe gelernt.“, antwortete ich mechanisch. Heute war es wieder schlimm. Ich hatte gute Tage, an denen ich keinen Wahn hatte, aber manchmal machte mich Erin einfach irrsinnig. Heute war es wieder schlimm, wie gesagt. Ich konnte einfach nicht aufhören sie anzustarren und parallel dazu zu überlegen, ob ich lesbisch oder bi war. „Ich habe gelernt, während unsere liebe Shane einen Roman gelesen hat.“, korrigierte sie mich und kniff mich in die Seite. Ich gluckste und schlug ihre Hand weg. „Komm, wir hauen ab.“, schlug ich vor, als ich Marys Desinteresse bemerkte. Erin nickte und folgte mir in mein Zimmer, das keine zehn Meter vom Mädchenzimmer entfernt lag. Ich hatte wahrscheinlich die beste Zimmerlage von allen, denn nicht einmal zum Bad hatte ich es weit. Die Treppen waren auch in der Nähe und der Aufzug weckte andere, nicht mich. „Ich frage mich jedes Mal wieder, warum sich diese Mädchen so einen gequirlten Unfug ansehen. Ich glaube ich habe Mary zu sehr vernachlässigt, seit du hier bist. Sie wendet sich nun schon so einem Heterowahn zu.“, beschwerte sie sich und schmiss sich auf mein großes Bett. Ich behielt es vor, nicht zu antworten, sondern nur zu lächeln. Stattdessen schaltete ich meinen PC an und startete das Internet. „Immer noch leer.“, seufzte ich und starrte auf den geöffneten Brief, der mir nicht mitteilte, dass ich eine neue Nachricht hatte. Das war doch zum krank werden! Freunde? Nein, Heuchler sollten sie sich nennen! „Sei nicht traurig deswegen, Häschen.“ „Häschen? Seit wann gibst du mir Kosenamen.“ Erin kicherte und rutschte an den Bettrand, von wo aus sie mich besser beobachten konnte. „Seit du heute jeden mit deinen traurigen Knopfaugen schwach gemacht hast. Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber Daniel hat beinahe einen Behälter gebraucht, sosehr hat er gesabbert.“ Ich legte den Kopf schief und drehte meinen Schreibtischsessel, so dass ich sie sehen konnte. „Hör mir auf mit dem.“, stöhnte ich, denn es war mir wirklich nicht entgangen, dass ich heute das Objekt Daniels sehnender Blicke gewesen war. Irgendwann hatte es mich so sehr genervt, dass ich es aufgegeben hatte Erin anzustarren, die schräg hinter ihm saß. Jedes Mal hatte sich dieser Idiot angesprochen gefühlt. „Ich bin ein Mädchen…“, sagte ich nachdenklich zu mir selbst. „Das ist nicht zu übersehen.“, kommentierte Erin mit einem vulgären Ton und starrte auf meinen Ausschnitt. Ich wurde wieder rot. Konnte sie das nicht lassen? „Erin!“ „Okay, du depressiver Dackel mit den großen braunen Augen. Ich wollte es dir eigentlich erst geben, wenn du wieder sauer auf mich bist und ich etwas zum Beschwichtigen brauche, aber diesmal scheint es mir eher angebracht.“, antwortete sie und warf sich nach hinten aufs Bett. Erins Hosen waren immer so (verflucht) eng, dass sie sich hinlegen musste, um etwas aus ihren Taschen zu holen. Mit einem freudigen Aufschrei richtete sie sich wieder auf und ließ etwas Silbriges zwischen ihren Fingern herabbaumeln. Ich erhob mich automatisch und ging hinüber zum Bett. „Ist die für mich?“, hauchte ich und nahm es entgegen. Es war eine Kette. „Heißt noch jemand in diesem Raum Shane, so soll er bitte aus dem Schrank kommen.“, antwortete sie und lächelte. Es war ein Medaillon mit geprägten Ornamenten. Es war so unbeschreiblich zart. Und in der Mitte des Deckels war mein Name eingraviert, aufwendig verschnörkelt. „O, Erin. Die ist wunderschön.“ Sie grinste mich frech an. „Ich weiß, deshalb habe ich sofort an dich gedacht.“ Wieder wurde ich rot, doch erst als ich begriff, dass es ein Kompliment war. „Wann hast du die…“ „Bei unserem Ausflug in die Stadt, auch wenn wir da gerade nicht gut aufeinander zu sprechen waren.“, erklärte sie. „Danke.“, meinte ich, immer noch geplättet und den Anhänger anstarrend. „Gern geschehen. Komm, ich mach sie dir dran.“ Sie sprang auf und schob mich zu meinem Schrankspiegel. Ich nahm mein Haar zur Seite, während ich Erins schlanke, geschickte Finger durch den Spiegel beobachtete. Als sie mir die Kette angelegt hatte, drehte ich mich ruckartig um und sah ein wenig zu ihr auf. „Das wäre nicht…“, fing ich an und kam ihrem Gesicht so nahe, dass ich innehalten musste. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen, doch erst später fiel mir auf, dass Berechnung der Grund dafür war. Wir waren uns so nahe, dass ich ihren Atem auf meiner Unterlippe spüren konnte, es fehlten nur noch Zentimeter, doch Erin wollte, dass ich sie gehe. „Sie haben sich geküsst!“, schrie plötzlich jemand. Wir fuhren erschrocken auseinander und starrten zur Tür. „Herrgott Mary, muss ich denn erst einen Exorzisten anheuern?“, rief Erin ärgerlich aus. Sie sah mich kurz an, die ich verlegen auf den Boden starrte und schließlich wieder an den Schreibtisch ging. Es dauerte einige Augenblicke, bis ich mein Herz wieder beruhigt hatte. Verdammt, hätte ich wirklich beinahe ein Mädchen geküsst? Und das auch noch aus freien Stücken heraus? Mary erwiderte irgendwas, ich verpasste die Worte, und dann knallte sie die Tür wieder zu. Es wurde still darauf. Durch die Spieglung meines Monitors sah ich Erin, die mitten im Raum stand, immer noch an der gleichen Stelle vor dem Spiegel und den Boden ansah. Etwas Panisches, Erschrockenes lag in ihren aufgerissenen Augen. „Tut mir leid, Shane.“ Mit diesen Worten war sie verschwunden. Es war mir ganz recht, denn in diesem Moment verlangte alles in mir nach Einsamkeit und dass Erin nicht in meiner Nähe war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)