Go!Go!America!! von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 14: Chapter 14 ---------------------- „…Jin… Was ist los?“ Ich stand mitten im Zimmer und starrte Jin verängstigt an, der seinen Blick zum Teppich gewendet hatte. In mir machte sich das bekannte Gefühl der Angst breit und als er nicht reagierte griff ich ihn am Handgelenk und schüttelte es leicht. Endlich bewegte er sich. „…Ich… Ich weiß… Ich weiß nicht, wie… wie ich das sagen soll.“ Er heftete seine Augen auf mein Gesicht und ich blickte ihn nur erwartend an. Er seufzte. „Ria… Schau selbst.“ Jin ging hinüber zum Esstisch auf dem sein Laptop stand. Ich folgte ihm zögerlich. Mir fiel auf, wie langsam er lief, als wenn er betäubt wäre – sich in einer Art Trance befindet. Er klickte ein paar Mal mit der Maustaste, dann drehte er den kleinen Computer so, dass ich den Bildschirm sehen konnte. Mir stockte für einen kurzen Moment der Atem, bevor sich dieser immer mehr beschleunigte. Es war eine japanische Internetseite geöffnet und obwohl ich kein Wort japanisch verstand, verriet das Bild über dem Text mehr als tausend Worte. Es war ein Bild von Jin und mir, wie wir an der U-Bahn Station standen und ich ihn leicht wegschob. Wer hatte das Foto gemacht? „Was steht da?“, fragte ich mit monotoner Stimme, die sich nicht anhörte, als würde sie zu mir gehören. Er sah mich an, dann atmete er tief durch und versuchte zu übersetzen: Akanishi Jin – Studium oder Party? Akanishi Jin, 22, eines der beliebtesten Johnny’s Entertainment Mitglieder studiert seit Juni diesen Jahres in der Traumstadt LA. Ziel seines dortigen Aufenthaltes ist es, die bisherigen Englischkenntnisse aufzubessern. Doch tut er dies wirklich? Fotografen haben diesen Schnappschuss von Akanishi und einer Unbekannten an einer U-Bahn Station gemacht. Allerdings scheint sie nicht gerade begeistert zu sein, dass Akanishi sich ihr annähert. Dieses Foto hat Fragen bei den Fans aufgeworfen. Sie alle sind enttäuscht und wütend über sein Verhalten. Hatte er nicht eigentlich versprochen, zu studieren und zu arbeiten? Was soll man nun davon halten? Ein Statement der Agentur war bis jetzt noch nicht zu hören und auch Kollegen und Freunde von Akanishi wollen sich nicht zu den Vorwürfen äußern. Auch die Frage, wer die Unbekannte ist, bleibt offen. Woher kommt sie? Wie alt ist sie? Weiß sie, mit wem sie sich da eingelassen hat? Will sie sich darauf überhaupt einlassen? Und was ist die Unbekannte für ihn? Eine Bekannte, eine Freundin oder sogar SEINE Freundin? Hat Akanishi sie einfach nur auf einer Party aufgegabelt und will sich mit ihr amüsieren? Eines ist klar: Akanishi Jin wird sich zu den Vorwürfen äußern müssen, spätestens, wenn er aus Amerika zurückgekehrt ist… Jin endete und sah noch ein wenig blasser aus, als vorher. Seine Stimme war beim Vorlesen immer leiser geworden und zum Schluss war es nur noch ein kleines Flüstern. Ungläubig starrte ich in seine braunen Augen, die Panik ausdrückten. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Aber den Blick konnte ich auch nicht abwenden. „…Was wirst du tun?“, fragte ich zögernd. Er seufzte erneut. „Ich habe keine Ahnung. Es kann nicht mehr lange dauern, dann werde ich sicher einen Anruf bekommen. YamaP hat sich auch schon gemeldet. Er will, dass ich ruhig bleibe und das Ganze ignoriere…“ Ein Nicken meinerseits. „Das ist gut… Denkst du, denkst du… sie… werden dir kündigen?“ „Ich… denke nicht…! Dazu bin ich noch zu erfolgreich. Die Verkaufszahlen sind zu hoch, verstehst du? Kitagawa könnte es sich nicht leisten, mich zu entlassen. Allerdings könnte es sein, dass ich eher zurück muss… Aber, was viel schlimmer ist: Ria, was ist, wenn sie rausfinden, wer du bist?“ Ich erstarrte und schluckte hart. Was wollte er damit sagen? Eine dunkle Vorahnung übermannte mich, was seine nächsten Worte sein würden und ich behielt Recht. Jin drehte seinen Kopf zum Fenster und lief hinüber. Er stand mit dem Rücken zu mir und begann zu sprechen. In seiner Stimme bemerkte ich ein ungewöhnliches Zittern. „Ich habe Angst, Ria. Schreckliche Angst. Um dich und um mich. Ria, ich denke, wir sollten das Ganze hier und jetzt beenden. Du hattest Recht! Von Anfang an. Das alles führt zu Nichts. Wir haben keine Chance. Du bist noch minderjährig. Wenn das rauskommt, gibt es Ärger. Ich kann nicht länger riskieren, dass du Probleme bekommst. Und auch wenn das egoistisch klingt, ich kann nicht riskieren, dass mir gekündigt wird. Du hattest es bereits gesagt: Was wird danach passieren…?“ In meinen Augen bildeten sich Tränen, die ich trotzig hinterschluckte. Ich erwiderte nichts, wollte, dass er noch mehr sagte, damit ich ihm länger beim Reden zuhören konnte. „Es ist besser, wenn du jetzt gehst. Wir brechen den Kontakt ab. Du genießt die letzten Tage hier und reist dann ab. Ich werde mich aufs Studium konzentrieren. Wir werden das Ganze hier einfach ver…“ „Glaubst du wirklich an das, was du da gerade sagst? Glaubst du wirklich, dass du das kannst? Denn ich denke nicht, dass ich das kann. Ich will es auch nicht.“ In mir wallte die Wut auf. Erstaunt drehte er sich um und sah mich an. „Ria… bitte… Versteh doch…“ „Ich verstehe es. Und das ist ja gerade das Schlimme. Ich verstehe jedes einzelne Wort. Ich weiß, was du mir damit sagen willst und ich weiß, dass du das hier nicht nur für dich tust. Und doch… Es tut weh, weißt du?“ Ich konnte die Tränen nicht mehr zurück halten und drehte mich um. „Ria… Bitte… Ich möchte dich doch nur…“ „Es ist wahrscheinlich wirklich besser, wenn ich jetzt gehe. Good bye… Sayonara…“ Ich riss die Wohnungstür auf und rannte die Treppe hinunter. Sein letztes Wort konnte ich nur noch ganz entfernt hören. Es war „beschützen“. Vor dem riesigen Gebäude sank ich auf die Knie und bekam einen Heulkrampf. Niemand außer mir war dort. Ich heulte und heulte, bis ich wieder aufstehen konnte. Schnell lief ich die Straße entlang – immer schneller. Ich wollte mich nicht umdrehen, denn das würde nur bedeuten, dass mir irgendetwas Leid tat. Es war gut so, dass es hier endete. Das versuchte ich mir immer wieder zu sagen, in der Hoffnung, dass dieses unglaublich schmerzhafte Gefühl in meinem Körper aufhörte. Warum, warum nur hallte die ganze Zeit dieses Wort durch meinen Kopf? „Beschützen“… Mir wurde bewusst, dass er es ernst meinte. Jin wollte nicht, dass es soweit kam. Und dieses Gespräch hat er nur meinetwegen geführt. Er hätte mich auch einfach vergessen können und sich keine Gedanken über mich machen müssen, wie ich mit der ganzen Situation zurecht kommen würde. Hieß das nicht, dass ich ihm etwas bedeutete? Die Fragen hallten die ganze Zeit durch meinen Kopf. Am liebsten wäre ich noch einmal zurückgegangen und hätte ihn gefragt. Doch nun war es zu spät. Vielleicht war es sogar besser so. Als ich endlich vor dem Internat angekommen war, ließ ich mich auf die unterste Stufe der Treppe fallen und begann, mir die letzten drei Wochen durch den Kopf gehen zu lassen. In vier Tagen würde ich wieder nach Hause fliegen. Es war ein seltsames Gefühl und ich konnte es mir nicht vorstellen, wie es sein würde, wenn alles wieder alltäglich wäre. Ich dachte an Jin und erneut stiegen mir Tränen in die Augen, die ich störrisch und grob beiseite wischte. „Dummkopf… Hör auf zu weinen…“, murmelte ich vor mich hin. „Ria?“ Erschrocken fuhr ich herum. Konstantin stand an der Tür und sah mich besorgt an. Verlegen starrte ich wieder geradeaus. Was machte er hier? Es konnte noch nicht einmal sechs Uhr sein und er war schon auf. „Ria…“, wiederholte er. „…Ist alles in Ordnung?“ Ich hörte, wie er die Internattür hinter sich schloss und die Stufen der Treppe hinunter stieg, bevor er sich neben mich setzte. „Ich habe dich weggehen sehen…“, begann er. Wahrscheinlich rechnete er damit, dass ich ihm das erklärte, doch ich war so verwirrt über seine Anwesenheit, dass ich nichts erwiderte. „…Das war seltsam… Warum gehst du mitten in der Nacht aus dem Internat? Ist irgendetwas passiert? Mit Karmen?“ Ich lachte leise, dann wand ich ihm zum ersten Mal mein Gesicht zu. Einen kurzen Moment wich ich zurück, denn es war ungewöhnlich, Konstantin mit besorgtem Gesicht zu sehen. Sonst lachte er immer schelmisch und machte irgendwelche sinnlosen Witze. „Nein… Alles in Ordnung… mit Karmen.“ „Was ist dann?“ „Ehhh, Konstantin, warum sollte ich dir das erzählen?“ „Warum nicht?“ Jetzt war ich noch überraschter. „Na ja, weil…“ „Weil es ungewöhnlich ist, dass ein Junge einem Mädchen zuhört?!“, endete er für mich. „Ja, genau. Ich meine, es ist schon ungewöhnlich genug, dass du dir Gedanken darüber machst, dass ich mitten in der Nacht weggehe und dann aus Sorge auf mich wartest. Aber jetzt willst du auch noch wissen, warum ich hier sitze und heule. Für ein Mädchen wäre das ganz normal, die sind von Natur aus neugierig, aber für einen Jungen und noch dazu dich… ist das wirklich… merkwürdig.“ Er lachte leise und begann an seinem Schnürsenkel zu nesteln. „Ria, auch wenn du es nicht glaubst, jeder Junge aus unserer Klasse würde an meiner Stelle das gleiche machen. Wir sind zwar größtenteils Idioten, die eigentlich nichts so richtig ernst nehmen, aber wenn etwas in unserer Klasse nicht stimmt, dann interessiert uns das doch. Wir alle haben gemerkt, dass seit dem Aufenthalt hier, irgendetwas nicht mit dir stimmt. Du lagst im Krankenhaus und hattest Ärger mit Frau Eichner. Alles sehr seltsam, zumindest für dich.“ Jetzt war es an mir zu lachen. „Ich habe hier jemanden kennen gelernt…“, setzte ich schließlich an. Schlagartig hörte Konstantin auf, an seinem Schnürsenkel herumzufingern und starrte mich an. „Einen Typen?“ „Ja, genau. Stell dir vor, sogar ich interessiere mich für das männliche Geschlecht!“ Wir schauten uns an und grinsten. „Er ist älter als ich und ich habe mich heimlich mit ihm getroffen. Frau Eichner hat davon Wind bekommen und wollte mich nach Hause schicken. Ich habe ihr schließlich versprechen müssen, dass ich ihn nicht wiedersehe. Das war als ich den Unfall hatte… Der Unfall war passiert, als ich sinnloser Weise die Nerven verloren hatte und der Fahrer des Autos mich übersehen hatte… Na ja, ist jetzt auch egal. Danach haben wir uns tatsächlich daran gehalten und uns nicht mehr wieder gesehen, aber so richtig geklappt hat es nicht und schließlich haben wir uns erneut getroffen. Allerdings hatte ich dieses Mal keine Unterstützung; weder von meiner Schwester noch von meinen Freunden. Trotzdem klappte es ganz gut, ich war vorsichtiger und wir sahen uns nicht mehr so oft…“ „Wo liegt dann das Problem?“, fragte Konstantin neugierig. „Problem? Eher Probleme. Er ist Japaner, das heißt, wir sprechen zwei völlig unterschiedliche Sprachen…“ „Na, DAS scheint euch jedenfalls wenig gekümmert zu haben …“ Ich lächelte. „Nein, da hast du Recht. Wir haben uns auch so verstanden. Aber er ist ein Star in seinem Land und außerdem um einiges älter als ich. Wir haben nichts Verbotenes getan, doch heute hat jemand uns fotografiert und in Japan einen Artikel darüber geschrieben, was…“ „...ein riesiges Problem für euch bedeutet. Was, wenn die rauskriegen, wer du bist? Dann kommt wieder eine neue zu knackende Nuss auf euch zu, wenn ich das jetzt mal so flachs sagen darf. Denn dann wird festgestellt, dass du minderjährig bist. Die Presse könnte ihn für Vergewaltigung vor Gericht bringen, er würde seine Karriere aufs Spiel setzen usw. Stimmt’s?“ „Genau, das ist der Punkt. Und deswegen haben wir diese ganze ohnehin schon absurde Sache heute beendet.“ Damit endete der lange Bericht und wir schwiegen. Wenn man darüber geredet hat, fällt es einem gar nicht mehr so schwer, dachte ich bei mir und starrte in dem Himmel. „Liebst du ihn?“, fragte Konstantin in die Stille hinein. Lange überlegen brauchte ich komischer Weise nicht, obwohl ich mir darüber auch schon öfters Gedanken gemacht hatte. „Ich weiß es nicht… Wahrscheinlich ist das Wort ‚Liebe’ zu groß für drei Wochen. Vielleicht wäre es welche geworden, vielleicht auch nicht…“ „Verstehe…“ Ich nickte und schaute ihn an. Er erwiderte meinen Blick. „Du, Ria?“ „Was ist?“ „Bereue nichts davon, hörst du?“ Seine Worte trafen wie Pfeilspitzen auf mich ein und ich spürte erneut Tränen in mir aufsteigen. Dennoch wollte ich das überspielen und versuchte es mit einem Lachen. Doch er schien mich zu durchschauen und meinte: „Wenn du traurig bist, dann kann ich das verstehen. Aber irgendwann wird es eine schöne Erinnerung sein und du kannst nur hoffen, dass es das auch für ihn ist.“ Wieder herrschte Stille und ich dachte über seine Worte nach. Schließlich erwiderte ich: „Du, Konstantin, jetzt muss ich dich aber auch mal was fragen…“ „Hmm, was denn?“ „Bist du schwul, oder schaust du einfach zu viele schnulzige Filme?“ Erst blickten seine Augen erstaunt, dann lachten sie und schließlich boxte er mich in die Seite und grinste. „Da will man einmal nett sein… Aber eins musst du mir lassen… Ich bin echt ein wahrer Gentleman.“ „Jaah, klar. Aber das beantwortet nicht meine Frage!““ Und damit begannen wir beide laut zu lachen. Wir scherzten noch ein wenig, so lange bis wir die Sonne aufgehen sahen und schließlich für das Frühstück rein gingen. Dieses Gespräch mit Konstantin war wirklich erleichternd für mich gewesen. Lachen konnte ich noch immer und auch wenn da ein kleiner Schmerz tief in meiner Brust nagte, so konnte ich diesen mit einem kleinen Lächeln überspielen. Ich war mir sicher, dass Konstantin mit niemanden über unser Gespräch reden würde und ich beschloss, dasselbe zu tun. Tief durchatmend stieß ich die Tür zum Speisesaal auf und ging schnellen Schrittes auf meine Freundinnen zu. „Guten Morgen“, meinte ich munter und ließ mich auf den Stuhl fallen. Der Tag konnte beginnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)