Go!Go!America!! von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 6: Chapter 6 -------------------- Am nächsten Morgen wurde ich von meiner Englischlehrerin Frau Eichner auf ihr Zimmer bestellt. Es wunderte mich, da nur zwei Lehrer unseres Gymnasiums mitgefahren waren. Der Rest waren Eltern oder englischsprachige Ausbilder, die uns auf unseren Ausflügen etwas über Land und Leute erzählten. Also warum wollte ausgerechnet meine Lehrerin mit mir reden? Mir war unbehaglich als ich an die Zimmertür mit der Nummer 207 anklopfte und streng hinein gebeten wurde. Ich öffnete die schwere Holztür und blieb im Eingang stehen. Sie schaute von einem der Korbsessel auf und wies auf den Platz neben sich. Mit mulmigen Gefühl nahm ich platz. „Sie wollten mich sprechen?“, fragte ich nun. „Ganz Recht, Karina. Ich will auch nicht lange fackeln: Du wurdest gestern von einigen deiner Mitschüler in Begleitung eines jungen Herren gesehen. Erkläre mir das bitte!“ Ihre kleinen Augen funkelten mich über ihre Brille hinweg böse an. Ich war völlig perplex. Verzweifelt klammerte ich mich an meinen Rock und kramte in meinem Kopf nach einer passenden Ausrede. „Ich… Ich…“ „Karina, du bist doch sonst immer eine ordentliche Schülerin. Wer war der Mann? Dein Freund? Hast du ihn hier kennen gelernt?“ „Nein, ich meine ja. Also er ist nicht mein Freund, aber ich habe ihn hier kennen gelernt.“ „Ach, wenigstens bist du ehrlich! Ist dir bewusst, dass du hiermit gegen die Belehrungen verstößt?“ Ich nickte geknickt. Ich hatte panische Angst. Was wäre, wenn sie mir denn Umgang mit Jin verbot? Oder noch schlimmer, was wäre wenn sie mich nach Hause schicken würde? Die Gedanken wirbelten wie ein Orkan in meinem Kopf. „Und dir ist auch bewusst, dass deine Eltern sich darauf verlassen, dass wir in dieser Zeit auf dich aufpassen. Wissen sie davon, was du hier machst?“ Ich verneinte. „Was meinst du, wer die Schuld bekommt, wenn hier irgendwas mit dir passiert? Wenn es so ist, wie du sagst, kennst du diesen Mann gerade mal zwei Tage, höchstens. Wer gibt dir die Sicherheit, dass er kein Krimineller ist?“ „Aber…“ „Nichts aber! Ich weiß wie das ist, mit der Liebe. Ich war selbst verliebt. Aber auch, wenn ihr euch hier etwas näher kommen solltet, müsste dir klar sein, dass du ihn in Deutschland nie wieder sehen wirst.“ „Aber…“ „Lass mich ausreden. Karina, ich sage dir das jetzt nur einmal: Du wirst diesen Mann nicht wieder sehen, sonst fliegst du ruck-zuck wieder nach Hause. Diesmal bleibt es bei einer Verwarnung. Aber sollte mir noch einmal so etwas Ähnliches zu Ohren kommen, werden deine Eltern informiert und du kannst deinen Koffer packen. Verstanden?“ Ich war den Tränen nahe. Sie lies mir nicht einmal den Hauch einer Chance mich zu verteidigen, geschweige denn ihr die Sache zu erklären. Nachdem sie sich noch einmal wiederholte, durfte ich ihr Zimmer verlassen. Wie in Trance bewegte ich mich in Richtung meines Zimmers. Leise schloss ich unsere Tür auf. „Ria, was ist los?“ Chris sah mich besorgt an, als ich mich wortlos auf die Kante meines Bettes fallen lies. Ich starrte sie an. „Chris… Ich… Die Eichnern… Sie…“ Mir liefen die Tränen die Wange runter und ich spürte den bekannten Kloß in meinem Hals. „Mein Gott, Ria. Was wollte sie? Ist irgendetwas passiert? Du weinst ja!“ „Sie… Sie hat mir verboten Jin wieder zu sehen!“ Chris Augen weiteten sich vor Entsetzen. „WAS? Wie hat sie denn davon mitbekommen? Warum? Wieso?“ „Gestern… Vor dem Aquarium. Da haben wir die Typen aus unserem Profil*1 gesehen und…“ „Und die haben das Frau Eichner erzählt?“ Wieder nur ein Nicken meinerseits. Wortlos setzte sich Chris neben mich. Im Raum war es ruhig bis auf mein Geheul. „Was machen wir denn jetzt?“, fragte sie nach einer Weile. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich will ihm das nicht sagen. Ich will mich nicht an das halten, was Frau Eichner gesagt hat. Ist mir doch egal, ob ich nach Hause geschickt werde!“ Trotzig verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Nach Hause? Was? Sie wollen dich nach Hause schicken?“ „Nein, noch nicht. Nur, wenn ich mich noch mal mit ihm treffe. Und das werde ich auf jeden Fall!“ „Ria…“ „Was, Chris? Er ist der tollste Typ, den ich bis jetzt kennen gelernt habe. Er ist so faszinierend. Ich möchte einfach nur Zeit mit ihm verbringen und zwar so viel wie möglich. Weißt du, es ist so ganz anders mit ihm. Man ist nicht mehr in dem öden Alltag, man muss nicht immer Reden, um sich zu verstehen. Man kann zusammen mit ihm dasitzen und die Zeit genießen. Wenn ich ihn sehe, möchte ich ihm am liebsten hunderttausend Fragen stellen, die mir gerade in den Kopf schießen und dann doch wieder nicht. Es kommen immer neue Gefühle hoch, je länger man mit ihm zusammen ist…“ „Ria…“ „Ich… Verdammt noch mal!“ Sie nahm mich in den Arm. Ich heulte noch eine ganze Weile, dann mussten wir los, denn wenn wir zu spät zum Treffpunkt kamen, würden wir nur wieder die Aufmerksamkeit auf uns lenken und das war das letzte, was ich wollte. Ich sagte den ganzen Tag nicht viel. San Diego war sehr faszinierend und ich mochte die Stadt. Doch so sehr mich diese Stadt auch begeisterte, so richtig bei mir war ich dennoch nicht. Ich spürte die Blicke von Frau Eichner auf mir, egal wohin ich ging. Die Jungen aus meinem Profil hatten sich gleich ganz klein gemacht, als sie meinen vernichtenden Blick gesehen hatten, doch das würde ihnen auch nichts nützen. Irgendwann würde ich mich schon noch rächen können. Die anderen ließen sich die Geschichte von Chris erzählen, doch sie wussten, dass sie mich nicht aufheitern konnten und ließen mich in Ruhe. Wir kamen spät am Abend zurück und ich ging ohne Essen aufs Zimmer. Ich hatte keinen Appetit. Doch als ich da so auf meinem Bett lag, hatte ich das Gefühl, mir würde die Decke auf den Kopf fallen und so ging ich hinaus, in die kühle Abendluft. Hinter dem Internat war eine große Wiese, die direkt zu einem Bach führte und diese streifte ich nun entlang und ich ließ mich genau vor dem Bach nieder. Das leise Plätschern beruhigte mich und ich lehnte mich zurück. Ausgestreckt blieb ich liegen. Da klingelte mein Handy. „Ja?“ „…“ „Hallo?“ „Ria-chan?“ „Jin?“ „Ja. Ria, ist alles okay?“ „Ja, warum?“ Ich wusste nicht, warum ich log. Eigentlich war nichts okay. Ich fühlte mich schrecklich und ich wünschte mir nichts sehnlicher als das er hier wäre. „Ria-chan, warum lügst du?“ „Was meinst du?“ „Deine Schwester rief mich an… Sie hat mir erzählt was passiert ist.“ „Oh man…“ „Sei nicht böse auf sie. Sie hat es gut gemeint. Ria, willst du, dass ich zu dir komme?“ „Ich denke schon, ja. Aber was ist, wenn du gesehen… Jin? Hallo???“ „Tut, tut, tut.“ Er hatte aufgelegt, einfach so. Verzweifelt schaute ich mein Handy an. Er wusste doch nicht einmal wo ich war. Wie wollte er mich finden? Und selbst wenn man diese Frage außer Acht lassen würde, was wäre, wenn er gesehen werden würde? Er würde nicht nur mich damit gefährden, sondern auch sich selbst. Ich begann wieder zu weinen. Aus Wut. Aus Traurigkeit. Ich saß einfach nur da und weinte still vor mich hin. Ich musste ein ziemlich bemitleidenswertes Bild abgeben. „Don’t cry.“ Erschrocken fuhr ich zusammen. Jin hatte sich neben mich fallen lassen und starrte in die kühle Nachtluft. „Aber… Wie hast du mich gefunden?“ „Ich finde alles, was ich will.“ Er zwinkerte mich an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wie hatte er mich bloß so schnell gefunden? „Warum bist du traurig?“ , fragte er behutsam. „Ich mache dir Probleme… Das ist das Letzte, was du jetzt gebrauchen kannst…“ Für kurze Zeit herrschte Stille. Wie eine Pause, die verdeutlichen sollte, was ich eben gesagt hatte. Jin sah nachdenklich aus. Er seufzte und lehnte sich zurück und sprach beruhigend: „Weißt du, Ria, am Anfang, da wollte ich mich nicht wieder bei dir melden. Ich dachte mir, das bringt sowieso nichts, du bist so jung und mit dir kann ich eigentlich nichts anfangen… Doch dann fielen mir deine ersten Worte ein, weißt du. Wie wütend du mich angeblickt hattest, als ich dich bei unserem ersten Treffen so angegangen bin. Und da habe ich mich dann doch überwunden und zum Hörer gegriffen. Und weißt du was?“ Ich schüttelte den Kopf. Er lächelte mich sanft an, dann legte er seine Hand auf meine und drückte sie leicht. „Ich bin froh darüber. Ich bin wirklich sehr, sehr froh darüber. Ich habe viele Freunde hier und in Japan. Doch die sind irgendwie alle anders als du. Du hast mir zugehört und mir ehrlich deine Meinung gesagt. Es gibt viele, die sagen einem etwas, doch das meinen sie eigentlich gar nicht so. Doch deine direkte Art macht dich liebenswert, Ria.“ „Und deswegen gibst du jetzt nicht auf, obwohl du es eigentlich solltest? Ich meine, ist es nicht sinnlos, was wir hier machen? Was ist, wenn ich nach Deutschland zurück fliege? Oder noch schlimmer, was ist, wenn das hier alles an die Öffentlichkeit gerät? Du hast dann nur Probleme, das weißt du…“ „Ganz Recht. Ria, es macht mir nichts aus, wenn irgendetwas an die Öffentlichkeit kommen sollte. Die Leute denken sowieso immer ganz anders. Es gibt Geschichten, die sind so unsinnig, dass sie schon wieder richtig witzig sind. Mir macht das Ganze hier rein gar nichts aus. Es macht mir Spaß und ich möchte, dass wir uns weiter sehen. Weil ich dich noch besser verstehen möchte. Und weil ich möchte, dass du mir zuhörst.“ Ich war so überrascht über seine Ehrlichkeit, dass ich kaum Zeit hatte, mich richtig zu freuen. Ich heulte vor Freude los. Er blickte überrascht zu mir. „No. No. Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen. Bitte, hör auf.“ Er fuchtelte mit seinen Händen herum, was mich wiederum zum Lachen brachte. Es war jetzt etwas von beiden. Mit tränenerstickter Stimme presste ich hervor: „Danke…“ Er lachte. „Wofür?“ „Dafür, dass du gekommen bist.“ Er nahm mich in seine Arme. Nach einer Weile fragte er mich: „Möchtest du morgen mit deinen Freunden und mir mit zu NewS kommen?“ Ich rappelte mich auf. „Was? Aber…“ „Nichts ‚aber’! Sag einfach ja.“ „Ja.“ „Gut, dann geht das klar. Ihr habt morgen nichts vor und dürft das machen, was ihr wollt. Deswegen werde ich euch morgen früh am Bahnhof abholen. Dann fahren wir zum Flughafen und holen die anderen ab.“ „Und was ist mit…“ „Du meinst deine Lehrerin? Tja, also die, die wird wahrscheinlich morgen ein paar Probleme mit ihrem Magen haben.“ Jin lachte und schaute etwas schadenfroh drein. Ich schaute ihn an, mit bösen Vorahnungen im Kopf. „Was meinst du?“ „Frag das deine Schwester…“ Ich stöhnte. Was hatte sie wohl angestellt? „Ich… Ich weiß nicht was ich sagen soll. Vor einer Stunde war ich noch am Boden zerstört und jetzt ist alles wieder so problemlos.“ „Nenn es nicht problemlos. Aber morgen haben wir erstmal Ruhe. Ich muss jetzt los. Ich bin mit Josh verabredet. Ein Kumpel von mir. Mach’s gut Ria-chan.“ Er küsste mich kurz auf die Stirn, dann rannte er ins Dunkle. Ich saß wieder einfach nur so da. Warum war ich immer so bewegungslos, wenn er ging? Dann musste ich auf einmal lachen. Ich lachte laut und frei. Es schüttelte mich richtig und mir tat der Bauch weh. Ich lachte alles weg. Wenn mich jemand gesehen hätte, hätte dieser mich sicher für total irre gehalten. Ich lag eine Weile einfach so da, lachend. Dann beruhigte ich mich allmählich und japste nach der frischen Luft. Schnell sprintete ich zum Internat. Die Jungs spielten im Aufenthaltsraum Poker und ich grüßte sie. Ich hatte unglaublich gute Laune und hätte sie alle umarmen können. Mit einer Cola in der Hand setzte ich mich zu ihnen und schaute zu. Ich blieb den ganzen Abend dort, spielte ein paar Runde mit, quatschte mit den anderen Mädels und machte meine Späßchen. Ich hatte das Gefühl, ich könnte Bäume ausreißen. Es war fast ein Uhr nachts, als ich schließlich nach oben ging und im Zimmer auf die anderen drei traf. „Mensch, wo warst du denn? Wir haben dich überall gesucht!“ Sophie kam auf mich zugestürzt. „Gott sei Dank habt ihr mich nicht gefunden…“ Verwundert blickten sie mich an. „Du hast Jin gesehen, oder?“, fragte Karmen, die als Einzige ruhig im Sessel saß und an ihrer Cola nippte. Sie hatte eine Zeitung auf den Knien und blätterte gelangweilt darin. „Jepp.“ „Häh?“, fragten Sophie und Chris. „Kann uns mal bitte jemand aufklären?“ „Klar, kein Problem.“ Karmen schaute auf, legte die Zeitung zur Seite und erzählte: „Ich habe Jin angerufen und ihm die ganze Geschichte erzählt. Ich kann euch sagen, ich dachte ich wäre nicht so gut in Englisch, aber eh er die Sache kapiert hatte… Na ja, wie auch immer. Er hat mir erzählt, dass er morgen mit uns zum NewS Fotoshoot gehen will und was wir denn jetzt machen sollen… War ganz schön aufgeregt, der Gute. Ich habe ihm gesagt, dass ich der guten Frau Eichner heute ein wenig Abführmittel verabreicht habe, damit es ihr morgen nicht ganz so gut geht…“ „Du hast was?“ Entgeistert blickten wir sie an. „Jepp. Irgendwas musste ich doch machen, oder etwa nicht? Na ja, auf jeden Fall haben wir zwei dann einen Plan auf die Beine gestellt. Und der wird garantiert klappen. Da die gute Frau Eichner morgen wahrscheinlich den ganzen Tag im Bett verbringen muss, kann sie dir, Ria, nicht hinterher spionieren. Das heißt, wir haben freie Bahn und können uns mit Pi-chan und Ryo amüsieren.“ Sie schlürfte den letzten Rest ihres Getränks aus und grinste uns breit an. Wir standen da wie vom Donner gerührt, bevor wir anfingen zu lachen. „Ist das dein ernst? Das ist ja der Hammer! YamaP?“ „Genau der. Ich freue mich schon so.“ „Denkst du ich nicht?“ Wir redeten noch die halbe Nacht über NewS und Jin, dann fielen wir alle todmüde an der nächst besten Stelle im Zimmer zusammen. Alle mit einem Lächeln auf den Lippen. *1 Profil= In Sachsen gibt es an manchen Schulen Profile. Dabei kann man zwischen verschiedenen Profilen wählen: Das Sprachliche Profil, dass Naturwissenschaftliche Profil, das Künstlerische Profil und das Gesellschaftswissenschaftliche Profil. Je nachdem was man gewählt hat, bekommt man in der Woche 3 Stunden des jeweiligen Profils. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)