Stadt der Engel von matvo (Schatten und Licht, Band 1) ================================================================================ Kapitel 16: Der gebrochene Idealist ----------------------------------- Van stand reglos in seinem Zimmer, während eine Dienerin ihn ankleidete. Die Sonne schien vom Zenit ihres Weges auf Farnelia herab und es war nicht eine Wolke zusehen. Der strahlend blaue Himmel täuschte über die eisige Luft hinweg, die Bäume und Sträucher im Garten der Villa erstarren ließ. Normalerweise betrieb er nicht einen derartigen Aufwand nur für ein Mittagessen. Mahlzeiten waren vor allem eine Pause vom Regieren und so pflegte er stets alleine zu essen. Doch heute war das anders und es würde sich über die nächste Woche wohl nicht ändern. Van nahm einen tiefen Atemzug und spürte wie ein Schwall trocken heiße Luft durch seine Nasenflügel bis in seine Lunge vordrang. Er war nervös. Hitomi hatte ihn vor Wut die Beziehung gekündigt und seitdem konnte er ihre Anwesenheit nicht mehr spüren. Besser gesagt, er traute sich nicht. Daher sollte er für eine politische Heirat frei sein, doch seine Angebetete war irgendwo im nirgendwo und er dachte immer noch an sie. Jetzt stand ihm ein Treffen mit einer potentiellen Braut bevor, die er erstmals in Betracht ziehen musste. Die Kandidatin, Prinzessin Sophia von Chuzario, war allerdings nur eine von vielen, und aus guten Gründen nicht seine erste Wahl, wenn man ihm am Ende denn eine lassen sollte. Die Mahlzeit selbst sollte nicht schwierig werden, versuchte er sich zu beruhigen. Alles, was er tun musste, war mit einem Mädchen zu plaudern, das aller Wahrscheinlichkeit nach darauf abgerichtet worden war, ihn um den Finger zu wickeln. Nichts, weswegen man sich Sorgen machen musste. Sie war nicht einmal eine Frau, nur ein Kind. Trotzdem bekam er die Unsicherheit nicht aus dem Kopf und sein Herz begann schneller zuschlagen. Inständig hoffte er, dass man ihn es nicht ansah. Sonst stünde es für Sophia schon eins zu null, obwohl das Spiel noch gar nicht begonnen hatte. Die Dienerin beendete ihr Werk, machte einen Knicks und ging ein paar Schritte rückwärts. Mit scharfem Blick begutachtete Van das Ergebnis. Er trug ein weites, königsblaues Gewand, welches nach vorne hin offen war und einen kleinen Ausschnitt seines schwarzen Hemdes und der schwarzen Hose zeigte. Das Gewand lag dank eines Gürtels eng an seiner Hüfte und war durch goldene Stickereien in Form zweier Drachen verziert. Einen Moment lang überlegte Van, ob er sich noch sein Schwert umhängen sollte. Im Prinzip brauchte er es nicht, dennoch gab es ihm ein Gefühl der Sicherheit. Van entschied sich dagegen. Zufrieden nickte er der Frau zu, die daraufhin noch einen Knicks machte. Mit großen Schritten marschierte Van flankiert von zwei Dienerinnen den Flur entlang, die Treppe hinunter zur Empfangshalle. Da in seinem Kopf noch immer ein mehr oder weniger geordnetes Chaos herrschte, demonstrierte er nach außen hin Mut und Entschlossenheit. In der Halle angekommen kündigte man ihm auch schon die Ankunft von Sophia an. Langsam und beinahe schwerelos schwebte sie in ihrem weinroten Kleid die Treppe hinunter. Ihr langes Haar war auf der Höhe ihrer Schulterblätter zusammengebunden und umgab ihr Gesicht wie eine golden schimmernde Aura. Das Kleid war mit Rüschen reich verziert, schmiegte sich unter ihren freien Schultern eng an ihren Körper und betonte dabei ihre zierlichen Brüste. Sicherlich hätte es dem König die Sprache verschlagen, wenn er eine solche Szene nicht schon so oft gesehen hätte. Höflich lächelnd nahm er ihre Hand entgegen, als die Prinzessin die letzte Stufe hinter sich ließ. Zusammen und Arm in Arm gingen beide durch zwei große Flügeltüren in das Esszimmer. Der große Tisch im Zentrum des reich verzierten Raumes fasste normaler Weise bis zu zwei dutzend Personen, doch heute war er nur an den Enden gedeckt. Van zog den Stuhl hinter einem der gedeckten Plätze zurück, auf dem sich Sophia auch sogleich niederließ. Dann nahm er den Weg einmal den ganzen Tisch entlang auf sich und setzte sich gegenüber der Prinzessin. „Möchte denn der Herr von Schliemann nicht mit uns speisen?“, fragte Van wenig interessiert, während ihnen die Vorspeise in Form einer Suppe serviert wurde. „Nein, er lässt ausrichten, dass er sich nicht wohl fühlt und daher es vorzieht auf seinem Zimmer zu essen. Er bittet vielmals um Entschuldigung.“, antwortete Sophia pflichtgemäß. Der König nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis. Für andere Adelige mochte es eine Beleidigung sein, wenn sie von ihren eigenen Gästen sitzen gelassen werden, doch ihn störte es nicht. Wer nicht will, der hat schon. Stumm sah Van auf die bereits servierte Suppe. Schließlich nahm er den entsprechenden Löffel aus dem vor ihm liegenden Besteck und tauchte ihn in sein Essen. Zufrieden spürte er, wie die warme Flüssigkeit durch seinen Körper floss. Daraufhin begann auch die Prinzessin zu essen. Zögerlich nahm sie einen Löffelzug nach dem anderen. Vergeblich wartete Van darauf, dass sie das Eis zwischen ihnen brechen würde. Anscheinend war sie wirklich so schüchtern und adrett, wie sie tat. „Ist das Zimmer nach eurem Geschmack?“, erkundigte er sich. Die Prinzessin blickte zu ihm auf und lächelte ein wenig, ehe sie antwortete: „Ja, Majestät, auch wenn es etwas...“ Etwas erschrocken stoppte die Prinzessin. Ja, das kommt dabei raus, wenn man den Fragenkatalog mit samt den richtigen Antworten nicht auswendig gelernt hat, dachte Van und ließ es Sophie durch ein wenig scharmantes Grinsen wissen. „…spartanisch eingerichtet ist.“, beendete er ihren Satz. „Es tut mir leid, Prinzessin, aber den Komfort, den ihr aus Chuzario gewohnt seid, können wir euch hier nicht bieten. Vielleicht wäre es besser, ihr würdet abreisen.“, köderte er das Mädchen. „Nein, auf keinen Fall!“, erwiderte Sophia panisch. Sie brauchte einen Moment, bis sie merkte, dass sie schon wieder einen Fehler gemacht hatte. „Ich sehe, seid ihr mit diesem Schlachtfeld noch nicht allzu sehr vertraut, euer Hoheit.“, neckte er sie. „Schlachtfeld?“, wunderte sie sich. „Natürlich.“, entgegnete Van und weiß mit einer weiten Geste auf das reich verzierte Esszimmer. „In Räumen wie diesen werden ganze Königreiche aufgeteilt, Städte zerstört und Länder eingeebnet. In Räumen wie diesem entscheidet sich das Schicksal ganzer Völker.“ „Majestät beliebt zu scherzen.“ „Nein, Majestät meint es tot ernst.“, widersprach er und nahm einen Schluck Wein. „Nehmen wir doch einfach unser Gespräch als Beispiel. Wenn wir, weswegen auch immer, beide zum Schluss kämen, eine Hochzeit zwischen unseren Häusern würde für uns alle von Vorteil sein, hätte es weitreichende Konsequenten.“ Sophie stutzte. Dass er so mit der Tür ins Haus fallen würde, hatte sie wohl nicht erwartet, wie er zufrieden feststellte. Davon unbeirrt fuhr er fort: „Der im Zuge der Hochzeit ausgehandelte Vertrag mit Chuzario hätte ohne Zweifel zur Folge, dass Farnelia nicht mehr Astoria und die ehemalige Hauptstadt von Zaibach mit Lebensmittel beliefern dürfte. Da Astoria jedoch nicht auf unsere Lieferungen verzichten kann und Aston sich nicht gern erpressen lässt, übernähme er Farnelia früher oder später gewaltsam, um die Versorgung seiner eigenen Bevölkerung sicherzustellen. Das wiederum würde euren Vater dazu veranlassen, die durch die Hochzeit entstandenen Verpflichtungen zu erfüllen, Farnelia zurückzuerobern und Astoria danach direkt anzugreifen. Vasram würde die Gelegenheit ergreifen und eine zweite Front von ihrem Gebiet des Zaibacher Reiches aus eröffnen, um die Hauptstadt selbst zu erobern, die in langen und mühseligen Verhandlungen Astoria zugesprochen worden war. Egal, wie dieser Krieg ausgeht, am Ende steht in Zaibach kein Stein mehr auf dem anderen und die Hälfte der Bevölkerung von Farnelia ist tot, während die andere Hälfte auf der Suche nach einem ruhigeren Fleckchen Erde ist. Es lebe die Diplomatie!“, rief Van aus und hob sein Weinglas, als wolle er anstoßen. „Euer Majestät, verzeiht, aber geht es euch nicht gut?“, fragte Sophia ungläubig, während die anwesenden Dienerinnen ihren König schockiert anstarrten. „Nein, ich bin nur zynisch.“, antwortete Van gereizt und trank sein Glas Wein in einem Zug aus. Leise trat eine Dienerin neben ihn und füllte nach. „Ist es euch lieber, wenn ich gehe?“ „Nein, dann würde jeder von mir erwarten beleidigt zu sein. Schließlich haben wir ja nicht einmal den ersten Gang beendet. Es folgen noch vier weitere.“ „Ich glaube nicht, dass ihr dazu in der Lage seid.“, zweifelte die Prinzessin. „Wozu soll ich nicht mehr in der Lage sein? Unnützes Zeug zu schwafeln? Ein sinnloses Gespräch zuführen?“, hakte Van nach. Das Mädchen rollte mit den Augen und sah dann um sich. „Verlassen sie bitte den Raum! Kommen sie nicht wieder, ehe ich es sage!“, befahl sie den Dienerinnen, welche ihren König verwirrt ansahen. Der zögerte und wies sie dann aber mit ruhiger Stimme an, den Wünschen von Sophias Folge zu leisten. Daraufhin machten alle Dienerinnen synchron einen Knicks und verschwanden durch eine der Türen in die Küche. Sophia wandte sich wieder dem gebrochenen Mann vor ihr zu. Starr blickte sie Van in das Gesicht. Er hielt dem Druck ihres Blickes nicht stand und wandte sich beschämt ab. „Was stört euch an meiner Anwesenheit?“, fragte Sophia ruhig und freundlich. „Was sollte mich stören?“, wich Van der Frage aus. „Ich sitze hier am Tisch mit einer jungen Dame und esse das feinste Essen seit langem.“ „Etwas muss euch stören, sonst wärt ihr nicht so...“ „Zynisch?“, unterbrach Van sie und stand vom Tisch auf. Unruhig ging er im Zimmer hin und her. „Unhöflich.“, verbesserte Sophia ihn. „Ich bezweifle, dass ihr euch gegenüber euren anderen Gästen auch so benehmt wie jetzt.“ „Nein, bisher hatte ich mich ganz gut unter Kontrolle.“, gab er zu und leerte ein weiteres Weinglas. „Ich frage mich, ob das irgendetwas mit meinem Besuch zu tun hat.“ „Nein, hat es nicht. Es liegt nur an mir.“ „Das kann ich mir nicht vorstellen.“, widersprach Sophia. „In den Augen meines Volkes seid ein Held, ein starker Krieger, der vor keiner Schlacht zurückschreckt, so ausweglos sie auch sein mag, ein König, der sein Volk weise und gütig führt, und ein Diplomat, der trotz seines jungen Alters sehr geschickt verhandelt und stets den Weg des Friedens wahrt.“ Van lachte bitter, nahm allen Mut zusammen und sah Sophia wieder direkt an. „Wissen sie, euer Hoheit, die größten Zyniker sind enttäuschte Idealisten. Ich habe erlebt, wie Egoismus sämtliche Ideale aus den Weg räumt und Brücken zerstört.“ „Mit anderen Worten, ihr seid von jemanden enttäuscht worden.“, schlussfolgerte Sophia. „Nein.“, antwortete Van. „Es ist im Übrigen nicht sehr höflich danach zu fragen.“ „Eben habt ihr gesagt, dass irgendwelche Brücken zerstört wären. Welche habt ihr gemeint?“ Wie angewurzelt blieb Van stehen und blickte auf das vor ihm sitzende Mädchen herab. Dieses Kind war erst vierzehn Jahre alt, dennoch hatte Van plötzlich das Gefühl er könnte ihr alles sagen und dass er ihren Rat brauchte. Sie hatte genau diesen Blick, den auch Merle drauf hatte, wenn sie ihm den Kopf wusch. „Was ist passiert?“, forderte Sophia ihn nochmals sanft zum Reden auf. „Sie hat mich verlassen.“, erwiderte Van schlicht. „Wer?“ „Was spielt das für eine Rolle? Alles, was zählt, ist, dass ich sie viele Jahre lang ausgenutzt habe. Schließlich hatte es ihr gereicht und sie hat mich verlassen. Mein eigener Egoismus hat die Brücken zur ihr zerstört.“ „Liebt ihr sie?“ Van war angesichts dieser Frage schockiert, verunsichert, gelähmt. Die Antwort schwebte praktisch vor seinen Augen, doch er wollte sie nicht sehen. Überraschender Weise war es nicht mehr die Antwort, die ihm Angst machte, sondern die Konsequenzen, die sich daraus ergaben. „Das geht euch nichts an, PRINZESSIN!“, blockte Van und verließ stürmisch das Zimmer. So schnell, wie er nur konnte, rannte er zum Kuppelzimmer und warf sich auf das Bett. Niemand sollte seine Tränen sehen, am wenigsten er selbst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)