Edward - Bis(s) der Tag anbrach von Ricchan ================================================================================ Kapitel 6: Esme --------------- Kapitel 6 Esme Wie jeden Tag in den letzten zwei Jahren saß ich am Klavier in dem großen Wohnzimmer. Wir waren nach Ashland gezogen, dass etwa 600km nördlich von Chicago am Oberen See lag. Dort kaufte Carlisle eine kleine – eher große – Dachwohnung, von der man über die halbe Stadt blicken konnte. Es gab sogar eine Dachterrasse, die ich mir meist nachts zunutzten machte. Dann sprang ich von dort aus über die anderen Dächer und Rinnen, um meine Fähigkeiten zu trainieren. Tagsüber war das kaum möglich, da kämpfte ich gegen das Monster, dass in dieser starken und vor allem dauerhaften Nähe zu Menschen mir alles abverlangte. Deshalb kaufte Carlisle den Flügel für mich. Nun lag ein Haufen Notenpapier und ein Bleistift neben mir auf dem Sitz. Meine Finger flogen über die Tasten des alten Stückes und immer wenn mir eine Komposition gefiel, schrieb ich sie nieder. Mit der Zeit entstand dadurch eine ziemlich große Sammlung. Ich verstaute sie in mehreren Ordnern, obwohl dies nicht nötig gewesen wäre. Einmal geschrieben, gespielt konnte ich sie nie wieder vergessen. Die Noten brannten sich in mein Gedächtnis, so wie die Bilder und Töne die es nun aufnahm. Carlisle war tagsüber nie da. Er arbeitete in dem einzigen Krankenhaus der Stadt. Nur in den sonnigen Sommermonaten leistete er mir Gesellschaft. Solange war ich allein, doch so unangenehm wie ich anfangs vermutete war es gar nicht. Er konnte nicht sehen, wie sehr ich mich manchmal quälte und die Melodien dann einen sehr wilden Ausdruck annahmen. Meist löschte ich sie sofort aus meiner Erinnerung. Nur manchmal gab es Situationen wo mir das Gespielte sogar gefiel, dann schrieb ich es nieder. Heute war auch einer dieser Tage, im Frühjahr, wo Carlisle erst sehr spät Heim kam. „Edward, da bin ich wieder.“, sagte er jedes Mal in normaler Lautstärke, sobald er die Tür betrat. Trotz der Klänge die immer noch lautstark das geräumige Wohnzimmer umhüllten, konnte ich ihn hören. Ich ließ dann die Noten ausklingen und ging ihm freundlich entgegen. Carlisle war inzwischen Zeit wie ein Vater für mich geworden und ich wusste, dass unsere Bindung noch stärker werden würde, wenn wir erst einmal mehrere Jahrzehnte zusammenlebten. „Hallo Carlisle“ Ich legte ein Lächeln auf meine Lippen. Er strahlte mich an. „Hast du Hunger?“, fragte er so beiläufig wie möglich, als er seine Jacke auf einen der Hacken in der Diele hängte. Ich ließ ein Knurren von mir und ging in die Hocke. „Na dann, los!“ Er ging an mir vorbei, durch das Wohnzimmer und auf die Terrasse, ich kam ihm auf allen vieren nach. Und dann sprangen wir beide. Die Dächer waren kein Hindernis, sondern eher Trampoline, die uns neuen Anschwung gaben. Nach nur 5 Minuten hatten wir die Stadt durchquert und kamen am Rande des Waldes an. Vor zwei Jahren war ich hier das erste Mal vorbei gekommen. Damals herrschte noch die Grippeepidemie und Carlisle war rundum die Uhr im Einsatz. Sobald wir einiger Maßen aus der Sichtweite des Städtchens verschwunden waren, begangen wir zujagen. Am Anfang noch gemeinsam, doch schon nach wenigen hundert Metern trennten sich unsere Wege. Ich rannte weiter nördlich, bis die feuchte Nässe sich langsam in Schnee verwandelte. Hinter mir konnte ich schon vernehmen, wie Carlisle sich auf seine erste Beute stürzte. Ein Hirsch, der ihm zufällig im Weg stand. Doch im Gegensatz zu ihm war ich wählerischer was mein Abendessen betraf. Ich streifte weiter durch die Gegend und achtete auf jedes Geräusch, auf jede Bewegung. Und dann erreichte ich sie. In einem etwas lichteren Platz des Waldes sammelte sich ein großes Rudel nordischer Wildkatzen. Sie hatten mal wieder eine ihrer „Sitzungen“. Ich konnte riechen, dass sich ein neues Mitglied dazu geschlichen hatte, über welches sie jetzt debattierten. Zunächst hielt ich mich im Dickicht versteckt. Ich lauerte, wie ein Löwe in den Savannen Afrikas, auf meine Beute. Jeder Muskel an meinem Körper war aufs äußerste gespannt. Ich richtete mich halb auf und stütze mich noch stärker mit meinen Füßen im nassen Moos ab. Und dann sah ich, wie das Alphatier die Reihen durchquerte und ich schoss los. Zu schnell für die Reaktionen der Tiere war ich auch schon über ihm und griff an. Mein Kopf zielte auf die Kehle des Pumas. Doch bevor ich sie erreichte, reagierte er. Er sprang mir entgegen und ließ ein lautes Knurren von sich. Ich tat es ihm gleich. Und schon eine Sekunde später bissen wir und gegenseitig in den Oberarm. Ich ließ zuerst ab. So unnütz war dieses Gift manchmal gar nicht. Der Puma fiel zu Boden, richtete sich halb wieder auf und wankte. Ich wusste er würde all seine verbleibende Kraft für einen weiteren Angriff verwenden. Langsam kam ich auf ihn zu. Ich ging gebeugt, meine Arme hangen nach vorne, sodass ich jeden Moment wieder in die Kauerstellung gehen konnte. Mein Gegner fletschte seine Zähne und knurrte wild. Das brachte den Rest des Rudels dazu sich schnell in Sicherheit zu bringen. Achtsam ging ich weiter. Und dann sprang er noch einmal und riss mich ebenfalls zu Boden. Seiner Vorderpranken krallten sich in meine Brust. Blitzartig schossen meine Arme herum und umfassten das riesige Maul, das meinen Kopf zu erfassen hoffte. Meine Augen spiegelten sich glühend schwarz in den großen des Pumas. Dann spannte sich mein Unterkiefer. Mein Kopf fuhr nach vorne und senkte sich in die Halsbeuge des Tieres. Meine Zähne ließen Fell und Haut mit einem ratschen zerspringen. Bis die heiße Flüssigkeit meine Lippen berührte, versuchte der Puma weiterhin sich zu wehren. Obwohl das Gift seine Glieder schon betäubte krallten seine Pranken sich fester in meine versteinerte Haut. Doch dann verließ auch ihn seine letzte Kraft und er sank auf mir nieder. Ich schloss meine Augen und genoss den Geschmack, der sich wie glühender Honig in meinem Rachen verteilte. Wo bleibt er nur?, dachte ich und ging wieder zur Terrasse um auf die nächtlichen Geräusche der Stadt zuhören. Ich hoffte dabei ein Lebenszeichen von Carlisle auszumachen, der diesen Abend nicht nach Hause gekommen ist. Es war bereits nach Mitternacht. Ich wusste, dass es keinen Grund gab sich sorgen zu machen, aber es war einfach nicht seine Art so lange weg zu bleiben, ohne einmal bescheid zugeben. Noch eine weitere Stunde verging, bis ich mich entschloss endlich etwas zu unternehmen. Ich durch querte die Wohnung und lief die Treppen des Mehrstöckers innerhalb von wenigen Sekunden hinunter. Einglück das um diese Uhrzeit schon alle Mitbewohner im Bett lagen. Draußen angekommen stieg ich auf das Motorrad, dass Carlisle extra Mal für mich besorgt hatte. Ich liebte es schnell zu fahren und dabei den Wind im Gesicht zu spüren. Das war wie laufen, nur ohne die Beine zu benutzten. Mein Kurs war klar. Ich überfuhr einige rote Ampeln und überholte gekonnt jegliche Autos die noch auf der Straße waren. Dann erreichte ich das Krankenhaus. Ein Mensch hätte für diese Strecke bestimmt über eine halbe Stunde gebraucht, ich war nach ca. 7 Minuten da. Ich sprang ab und lief mit menschlicher Geschwindigkeit – was gar nicht so einfach war, wenn man es nur selten macht – in das große, sterile Gebäude. Den Helm ließ ich bei der Maschine, um die Uhrzeit würde den eh niemand klauen. Drinnen war es warm und hell. Und ich war verblüfft, wie sehr mir meine besondere Begabung mal wieder von nützten war. Schnell konnte ich ausmachen ob Carlisle nicht doch noch hier war. Ich lauschte angestrengt, doch seine Stimme konnte ich aus den hunderten nicht heraus hören. Er war nicht hier. Ich wollte mich gerade wieder zum Ausgang wenden, als eine der Schwestern auf mich zukam. „Entschuldigung, aber suchen sie jemanden?“, fragte sie und blieb in einiger Entfernung zu mir stehen. Langsam wandte ich mich um und lächelte sie an. „Ja, ich würde gerne zu Dr. Cullen. Ist er noch da?“ Sie riss ihre Augen weit auf und schnappte hörbar nach Luft. In ihren Gedanken hörte ich sie immer wieder Hilfe! Ist der schön! sagen. Sie überlegte sich bereits, wie sie mich in einen der leeren Krankenzimmer locken könnte, ohne gesehen zu werden. All ihre Gedanken kreisten nur um das eine. Innerlich versuchte ich mir einen Lachanfall zu verkneifen. Doch äußerlich hörte ich nicht auf den Schein zu wahren. „Äh…also….“, stotterte sie und steckte sich kokett eine ihrer blonden Haarsträhnen hinters Ohr, „Dr. Cullen hat schon seit 18 Uhr Feierabend. Er müsste eigentlich bei sich zu Hause sein.“ „Seit 18 Uhr?“ Mh…. Überlegte ich. Warum war er nicht nach Hause gekommen? Hatte er noch etwas zu tun, wovon er mir nicht erzählen wollte? „Stimmt etwas nicht?“, die Schwester schien über meinen Ausdruckswandel sehr beunruhigt. Ich unterbrach meine Gedanken und blickte sie an. Ich konnte ihr Blut unter der Haut pulsieren hören, als ich ihr wieder ein Lächeln zeigte. Auf das Monster achtete ich in solchen Momenten schon lange nicht mehr, obwohl es dann immer versuchte, aus meiner Brust zu springen. „Ich frage mich nur… Als wissen sie zufällig, ob er allein gegangen ist? Oder was er zuletzt vielleicht getan hat?“ Darauf schien sie nicht vorbeireitet. Sie dachte sich bereits, dass ich ein Verbrecher oder so war, der es auf Dr. Cullen abgesehen hat. Ich lächelte weiter und schaute ihr bedeutungsvoll in die Augen. Sie konnte nicht anders. Ihr Herz hüpfte fast aus ihrer Brust und wie mechanisch wandte sie sich um und schritt zum Empfangstresen, öffnete eine Schublade und holte einen wuchtigen Ordner hervor. „Warten sie, bitte.“ Sie durch blätterte ein paar Seiten und blickte dann freudig zu mir auf. „Also Dr. Cullen hatte heute als letztes eine junge Frau obduziert, die von einer Felsklippe gesprungen ist. Danach hat er seine Unterlagen abgegeben und ist gefahren.“ Sie klappte den Ordner zu. „Mehr steht hier leider nicht.“ Das schien sie allerdings selbst sehr zu bedauern, „Ich könnte ihnen noch sagen, was der Doktor davor getan hat, falls ihnen das weiter hilft?“ Wieder lächelte sie mich schüchtern an. Ihre Anmachversuche waren so offensichtlich, dass ihr Freund mir wahrscheinlich den Hals umdrehen würde, falls er jemals davon erfuhr. Dieser tauchte nämlich gerade in ihren Gedanken auf, als sie sich eine neue Methode überlegte, wie sie mich in einen der leeren Räume locken könnte. Ich ließ mein Lächeln etwas abklingen. „Danke, sie haben mir damit schon wirklich sehr geholfen.“, sagte ich so förmlich wie möglich. Dann drehte ich mich um und ging zum Ausgang. Ich hörte sie noch einmal enttäuscht seufzen, bevor die kühle Nachtluft meine Glieder umhüllte. Eilig lief ich zum Motorrad, das immer noch unberührt an derselben Stelle lag, wie vor wenigen Minuten. Ich setzte mir den Helm auf, stieg auf und raste los. Ein breites Grinsen konnte ich mir einfach nicht verkneifen, als ich wieder an die Schwester dachte, die für mich höchstens ein leckeres Nachmahl gewesen wäre, und kein One Night Stand, sowie sie es gern gehabt hätte. Doch dann dachte ich an Carlisle und das Grinsen verschwand. Was war nur passiert? Warum war er nicht nach Hause gekommen? Und dann schlug die Erkenntnis ein wie ein Blitz. Ich hatte einen kurzen Blick auf die Unterlagen erhascht, als die Schwester darin rumblätterte. Die Frau, die von dieser Klippe gesprungen war. Es war ein Foto von ihr dabei und nun erkannte ich auch das Gesicht. Ich hatte es schon einmal in Carlisles Erinnerungen gesehen gehabt. Nur damals war sie noch ein junges Mädchen von 16 Jahren. Es war 1911. Carlisle arbeitete damals in Columbus. Diese Frau – ihr Name war Esme Anne – hatte sich auf ihrer Farm etwas außerhalb der Stadt ein Bein gebrochen und war ins Krankenhaus gefahren. Carlisle war ihr behandelnder Arzt. Ihre lockere und liebenswürdige Art hatte sich bei ihm im Gedächtnis verankert. Und diese Frau, war nun Tod? Nein! Das konnte ich nicht glauben. Ich fuhr mit 105 Meilen über die Stadtgrenze und war froh, dass der Wachtposten schon schlief – sonst hätte ich den Führerschein, den ich nicht besaß, abgenommen bekommen. Als ich tief genug im Wald war, sprang ich im fahren ab, riss mir den Helm vom Kopf und rannte los. In südliche Richtung flog ich durch das dichte Gehölz, welches in der Finsternis der Nacht für Menschen nie sichtbar gewesen wäre. Doch mich streifte nicht ein Ast. Es war wie ein Hürdenlauf für einen Olympia Sieger. Einfach. Mein Ziel war klar. Und als ich ihm näher kam, drangen schon die schmerzhaften Schreie an mein Ohr, die mir selbst noch so bekannt waren. Mit voller Gewalt kam die Erinnerung an meine Verwandlung wieder hoch. Meine Lunge begann heftigst zu schmerzen und ich stellte das atmen ein. Dann hörte ich Carlsiles Gedanken. Sie wird es schaffen. Sie muss es schaffen! Esme, bitte! Halte es aus! „Carlisle!!!“, rief ich durch die Nacht und nur einen Augenblick später hörte ich die Tür der kleinen Holzhütte knarrend aufgehen. Und dann sah ich ihn. Mit einem etwas verwunderten Ausdruck stand er im Türrahmen und erwartete mich. „Hallo, mein Sohn. Was tust du hier?“ Ich bremste mein Tempo, bis ich kurz vor ihm zum stehen kam. Seine Augen – die eine leichte Rotfärbung hatten – strahlten mich stolz an. Du hast mich gefunden? Du hast heraus gefunden was passiert ist? Das war mehr eine Feststellung als eine Frage und doch antwortete ich. „Ja.“, ich nickte, „Es war gar nicht so schwer. Obwohl ich dafür einer deiner Schwestern den Kopf verdrehen musste. Tadelnd schüttelte er den Kopf. „Edward. So etwas gehört sich doch nicht. Wahrscheinlich kann ich mit ihr ab jetzt nichts mehr anfangen.“, ermahnte er mich, doch ein grinsen umspielte seine Lippen. „Entschuldige, Dad.“ Wenn er in diesem Ton mit mir sprach, konnte ich mir diese Gestik nie verkneifen. „Aber wahrscheinlich müssen wir jetzt umziehen. Sie will hundertprozentig wissen wer ich bin und dann wird sie mir nach laufen.“ Der Spott war deutlich zu hören. Wir fingen beide anzulachen. Doch sofort wurde er wieder ernst, denn ein Markerschütternder Schrei durch hallte die Luft. „Edward. Es wäre besser, du gehst zurück. Ich kümmere mich schon um sie.“ Sein Ton ließ keine andere Meinung zu. „Vielleicht kann ich helfen…“, begann ich, doch merkte ich sofort, dass ich auf taube Ohren stieß. Bitte geh nach Hause, Edward., dachte er noch bevor er sich umdrehte und davon schritt. Ich hörte seine leise, einfühlsame Stimme durch das geschlossene Holz der Hütte. „Es wird alles gut, hörst du Esme. Du wirst es schaffen.“ Dann drehte auch ich mich um und lief zurück. Als der Schlüssel das Türschloss umdrehte, sprang ich von meinem Flügel und rannte eilig in den Flur. Wie in Zeitlupe nahm ich war, das die Tür sich öffnete. Ungeduldig wippte ich von einem Fuß zum anderen. Dann traten sie einer nach dem anderen ein. Carlisle hielt ihre Hand fest in seiner und ein glückliches Lächeln umspielte seine Lippen. Sie folgte ihm etwas schüchtern. Ihr Anmut und schöne Gestalt ließen mich ehrfurchtsvoll einen Schritt zurückgehen. Sie hatte kaum mehr etwas mit der Frau auf dem Foto gemein. Carlisle ließ ihre Hand los und trat einen Schritt hinter sie um diese auf ihren Rücken legen zu können. Er schob sie etwas weiter in den Raum hinein, schloss die Tür hinter sich und führte sie ins geräumige Wohnzimmer. Ich bereits dort, denn seine Gedanken hatten es mir vermittelt. Als wir direkt gegenüber standen – Carlisle und Esme dicht nebeneinander – musste ich einfach breit lächeln. Ich freute mich. Denn nicht nur Carlisle war nun glücklich, sondern ich auch. Dann erhob Carlisle das Wort und der Enthusiasmus schwang in jedem Wort mit. „Willkommen daheim, Esme!“ Sie strahlte uns an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)