Anime Evolution: Nami von Ace_Kaiser (Vierte Staffel) ================================================================================ Kapitel 19: Chikara ------------------- Prolog: „WAS?“ Ich war sicher, mein Schrei, geboren aus Unglauben, Wut und Enttäuschung war in ganz Fushida City zu hören. „Es ist wie es ist, Division Commander.“ Doktor Schneider sah mich ernst an, dann fügte er hinzu: „Akira-kun.“ „Aber… Aber… Aber… Warum?“ „Wie du sicher weißt“, sagte der Mann, der seit Jahren mein Militärarzt war, in dozierendem Tonfall, „haben wir etliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um zu verhindern, dass wir bei den anderen von den Dai abstammenden Völkern Epidemien auslösen und umgekehrt Epidemien auf die Erde einschleppen. Das verhindert natürlich nicht die Entstehung neuer Arten, wenn zum Beispiel spezifische Naguad-Viren mit terranischen Viren zusammen treffen und miteinander DNS austauschen.“ „So weit kann ich Ihnen folgen“, murrte ich. „Jedenfalls sind es Naguad-Viren, die terranische Immunsysteme nicht gewöhnt sind. Das gleiche gilt für Iovar-Viren. Wir sind immer auf der Hut, um zu verhindern, dass eine neue Art, gegen die es noch keine Abwehrmöglichkeit gibt, epidemische Zustände erreicht. Du hast das selbst erlebt, nachdem die Besatzung der TAUMARA eingesammelt worden war. Fast alle Soldaten des Schiffs erkrankten an einem relativ harmlosen Schnupfenvirus, der sie jedoch vollkommen aus den Latschen gehauen hat. Es gab glücklicherweise keine Toten.“ Daran erinnerte ich mich sehr gut. Damals hatte ich Aria Segeste in Pflege. Eine teure und liebe Freundin, von der ich im Moment nicht einmal wusste, wo sie gerade war. „Und das was dich da erwischt hat, Akira-kun, ist ein neuer Virus. Du beherrschst dein KI und kannst deine körpereigene Abwehr regulieren, aber eine Zeitlang wirst du im Krankenbett verbringen müssen, zumindest für den Zeitraum des Fieberschubs und der Inkubationszeit. Wenn du nicht mehr Überträger bist, sieht es anders aus.“ „Na klasse“, murrte ich. „Wie lange?“ „Drei, maximal vier Tage.“ „So lange? Aber bis dahin ist die ganze Schlacht gegen die Kaisertreuen doch geschlagen!“, rief ich entrüstet. „Ich kann doch nicht hier im Bett liegen, während meine Division ihr Leben riskiert!“ „Meine Division!“, warf Megumi ernst ein. „Und wenn der Doktor sagst, du sollst im Bett bleiben, dann bleibe das auch.“ Ihrem strengen Blick hatte ich nichts entgegen zu setzen. Aber das Gefühl bei lebendigem Leib zu kochen half dabei sehr. Ihr Gesicht wurde sanfter. „Werde bitte schnell wieder gesund, Akira.“ „Okay, okay, ich habe verstanden. Bleibe ich eben hier und langweile mich vier Tage lang, während ihr da raus dürft und Spaß habt.“ „Typisch für dich, eine Raumschlacht mit Spaß gleichzusetzen“, erwiderte Megumi, während auf ihrer linken Schläfe eine Ader pochte. Das passierte selten, und es war definitiv eine Warnung. In diesem Fall eine Warnung an mich. Bedächtig ließ ich mich auf den Rücken sinken und zog die Bettdecke bis ans Kinn hoch. Etwas kleinlaut fragte ich: „Kriege ich eine Hühnersuppe?“ Megumi begann übergangslos zu strahlen. Das geschah so schnell, dass es mir schon wieder Angst machte. „Natürlich, Akira. Ich werde dir gleich eine zubereiten.“ Megumi verschwand mit einem zufriedenen Lächeln aus meinem Raum. Oh, verdammt, wahrscheinlich genoss sie es, sich um mich zu kümmern, während ich krank war. „Doc, eine Frage hätte ich da noch.“ „Schieß los.“ „Warum wurde mein Körper nicht geimpft? Ich meine, ihr hattet ihn doch im Biotank mit! Warum hat er nicht den gleichen Immunschutz bekommen wie alle anderen Teilnehmer an der Mission?“ „Das hat zwei Gründe. Der erste ist, dass du sowohl Iovar- als auch Naguad-Abkömmling bist. Wenn jemand in seinem Immunsystem Daten zu Viren beider Spezies gespeichert hat, dann sicherlich du.“ „Okay, das macht Sinn. Ein wenig gepokere, aber es macht Sinn. Und der zweite Grund?“ Doktor Schneider lüftete seinen Kragen. „Wir haben es vergessen.“ „Wenigstens ist das eine ehrliche Antwort“, erwiderte ich. Leider zwang sie mich nun dazu, drei bis vier Tage im Bett zu verbringen. Ich würde die Schlacht verpassen! Ich würde nicht in der Lage sein, meinen Freunden beizustehen! Ich würde nutzloser, schwerer Ballast sein! Und das einem Blue Lightning, es war unglaublich und dazu angetan, meine Tränen vor Schmerz fließen zu lassen. Andererseits… Meine Pflichten waren in letzter Zeit stetig gewachsen, und eine Auszeit kam mir jetzt, wo ich wieder in meinem Körper war, mehr als Recht. So konnte ich wenigstens mal sehen, was meine vielen Stellvertreter an viel zu vielen Fronten taugten. Außerdem… Bot die Situation gewisse Möglichkeiten. „Doc, können Sie mir die Mangas aus dem Regal reichen? Die vierzehn Bände von Beyond Enemy Lines?“ Endlich hatte ich mal genügend Zeit, um wieder richtig viel zu schmökern. 1. Als die junge Frau vor ihrer direkten Vorgesetzten stand, zitterte sie ein wenig. Major Hina Yamada sah von dem Bericht auf ihrem Datapad auf und musterte die Offizierin vor sich einige Zeit. Es war noch nicht lange her, da war sie eine einfache Highschoolschülerin gewesen. Dann hatte eine Wesenheit, die sie nie kennengelernt hatte, zu einem Slayer gemacht, genauer gesagt zur Anführerin der Slayer. Und als diese hatte sie am Marsangriff und an Operation Troja teilgenommen, der ersten Expedition der AURORA. Nun kommandierte sie als Vize ihr eigenen Mecha-Bataillon, welches sich aus viel versprechenden Frauen zusammen setzte, die entweder KI-Meisterinnen waren, wie das Häufchen Elend vor ihr, oder hochbegabt in seiner Kontrolle waren. Verantwortlich war sie nur Colonel Yohko Otomo gegenüber, der Oberbefehlshaberin der Otome. Die junge Frau vor ihr war eine Slayer, und im Bataillon hatte sie den hohen Offiziersrang einer First Lieutenant inne. Das reichte aus, um notfals eine Kompanie zu befehligen. In diesem Fall jedoch war es eine Vierergruppe Mechas, die unter ihrem Kommando standen. „So ist das also“, murmelte Hina und legte das Datapad auf ihren Schreibtisch. „Seit wann weißt du es?“ „S-seit einem Monat.“ „Und jetzt ist es?“ „Der vierte Monat.“ Hina Yamada sah sie streng an. „Du hättest mich spätestens im zweiten Monat informieren müssen! Ich habe eine Pflicht zu erfüllen, und das kann ich nicht, wenn du mich derart hintergehst.“ „Entschuldige“, erwiderte die junge Frau vor ihrem Schreibtisch. „Das liegt wohl einfach daran, dass ich so dumm bin.“ Gespielt klopfte sie sich gegen den Kopf. Hina schnaubte wütend aus. „Hätte das jetzt jemand anderes über dich gesagt, hätte ich ihn in der Luft zerrissen!“ „AAAH! TUT MIR LEID!“ Hina legte eine Hand an die Stirn und seufzte. „Entschuldige. Ich mag es nun mal nicht, wenn du dir einredest, dumm zu sein. Und ich mag es nicht, wenn man meine Freunde erniedrigt. Und du bist ein sehr wichtiger Freund für mich. Mist, ich klinge schon wie Akira-san.“ „Das ist doch nichts schlechtes. Aki-chan ist ein guter Anführer, und sich an ihm zu messen ist…“ „WIE DEM AUCH SEI!“, blaffte Hina und brachte die junge Frau dazu, entsetzt zusammenzuzucken. „Fühl dich hiermit getadelt, okay?“ „Ja, Ma´am.“ Hina Yamada griff wieder nach ihrem Datapad und machte ein paar Einträge. Das fertige Dokument sendete sie unter anderen an den Drucker in ihrem Büro. „Du bist ab sofort von Kampfeinsätzen freigestellt. Außerdem habe ich für die nächsten drei Monate leichten Dienst eingetragen. Die letzten beiden Monate ist das schwerste was du tun darfst, eine Schulung oder eine Besprechung leiten. Und nach dem Termin bist du mindestens ein Jahr im Urlaub. Haben wir uns verstanden?“ „Du schickst mich auf den Boden?“ „Die große Augen-Nummer zieht nicht bei mir. Nicht in so einem wichtigen Fall.“ Hina Yamada sah die Slayer vor ihrem Schreibtisch eindringlich an. „Ab sofort hast du nicht nur auf dein Leben zu achten, sondern auch auf das von deinem Kind, oder? Also ist Vorsicht mehr als angebracht.“ Hina erhob sich, kam um den Schreibtisch herum und schloss die verdutzte junge Frau in die Arme. „Herzlichen Glückwunsch, Emi Sakuraba. Ich freue mich für dich und Kenji.“ Emi war den Tränen nahe, als sie die Umarmung erwiderte. „Danke, Hina-chan.“ „Ich hoffe, er weiß es schon?“, fragte Hina tadelnd. „Ja, und er platzt schon fast jeden Tag, weil er es nicht erzählen darf. Wir hatten ausgemacht, dass ich es zuerst erzähle, und dann…“ „Verstehe. Wisst ihr schon was es werden wird?“ „Nein, wir wollen uns überraschen lassen. Aber…“ Argwöhnisch hielt Hina die junge Frau etwas von sich fort. „Aber?“ „Aber das ist auch nicht unser Hauptproblem. Unsere Familien, sie…“ „Ärger? Sie stimmen eurer Beziehung nicht zu?“ Emi nickte schwer. „Das macht nichts. Du hast doch uns. Wir sind auch eine Familie, und das sogar eine ziemlich gute.“ „Ja, das stimmt. Aber…“ „Kein aber. Wann werdet ihr heiraten?“ „Hina-chan, das…“ „Es ist ein Kind unterwegs. Wollt ihr vielleicht auf das fünfte warten?“ „Das ist es nicht. Aber wir können doch nicht vor Aki-chan und Megu-chan heiraten und…“ Ernst legte Hina beide Hände auf die Schultern Emis. „Hör mal zu, Schatz. Wenn du darauf wartest, dass die beiden irgendetwas auf die Reihe kriegen, dann dauert es wirklich bis zum fünften Kind. Vergiss nicht, Akira-san zieht den Ärger an wie der Dreck die Regenwürmer. Es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn er wieder entführt wird. Oder in der Zeit zurückgeschleudert. Oder für tausend Jahre ein außerirdisches Riesenreich regieren muss. Oder…“ „Schon gut, schon gut, ich habe es verstanden!“, beeilte sich Emi zu sagen. „Und das schlimme ist, es klingt alles so plausibel.“ Hina lachte leise. „Ich weiß. Es erschrickt mich selbst ein wenig. Also, wer soll dich im Kampf ersetzen? Wer soll deine Truppe anführen?“ „Stimmt, da war ja noch mehr.“ „Und denk nur nicht, dass du mir die Verwaltungsarbeit alleine aufdrücken kannst, kaum dass du im Mutterschutz bist“, sagte Hina tadelnd. Die werdende Mutter lachte befreit. *** Da lag ich also, gefangen in meinem Bett, umgeben von Kiloweise Manga-Büchern und gebeutelt von kräftigen Hitzeschüben, die mich dann sekundenlang dazu zwangen, meinen Lesestoff aus der Hand zu geben. Tja, sein KI zu beherrschen hatte schon seine Vorteile. Für eine Krankheit, die mich normalerweise eine Woche oder länger zu Boden gerungen hätte, brauchte ich nun nur zwei Tage. Die anderen Extratage waren nur dazu da, um meine Zeit als Überträger einzudämmen, also jene Zeit, in der sich die Viren reproduzierten und meinen Körper wieder verließen. Ansonsten verstärkte ich mein Immunsystem so gut es ging. Ich war zeitweise sogar auf den Gedanken gekommen, mir das Virus vorzustellen und vorzugeben, es in meinem Körper zu jagen. Ich hatte sogar ein paar hundert Exemplare in meiner Vorstellung vernichtet. Aber leider war das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn in meinem Körper tummelten sich gerade ein paar Millionen Viren. Umwirsch legte ich mein Buch zur Seite. So konnte ich das nicht akzeptieren. Eine Auszeit war gut und schön, aber ich war es nicht mehr gewohnt, alleine und ungestört zu sein. Genauer gesagt vermisste ich etwas. Eigentlich vermisste ich sogar eine ganze Menge. „Sora.“ Wie ein Schatten, der aus einem Schatten geboren wurde, trat meine entfernte Cousine in den Raum hinein. „Du hast gewusst, dass ich hier bin?“ „Es ist deine Pflicht, auf mich zu achten, oder?“, erwiderte ich ernst. Darauf hatte die Assasinin vom Fioran-Turm nicht wirklich einen Konter. Sie nickte nur stumm. „Sora, du musst mir einen Gefallen tun.“ „Natürlich, Meister Arogad.“ Na, wenigstens einer im Haus, der auf mich hörte, anstatt das Gegenteil voraus zu setzen. „Ich brauche eine Installation. Genauer gesagt eine Kommunikationseinrichtung, die direkt mit Poseidon verbunden ist. Wenn wir morgen aus dem Sprung kommen, will ich wenigstens sehen was passiert, wenn ich schon nicht mitmischen kann.“ „Verstanden, Meister Arogad.“ „Du brauchst es nicht zu stehlen oder über dunkle Kanäle zu beschaffen. Ruf einfach Mako-chan an und sag ihm, es ist mein Befehl.“ Die groß gewachsene Leibwächterin verzog das Gesicht unwillig. „Das ist doch zu einfach. Besser wäre es gewesen, das Datennetz in Poseidon heimlich anzuzapfen und…“ Ich zog die linke Augenbraue hoch. „Sora.“ „Ist ja schon gut, Akira. Ich dachte, ich könnte ein wenig Spaß haben, das ist alles. Wünschst du sonst noch was?“ „Nein, das soll es erstmal gewesen sein.“ Sora wandte sich ab, um meinen Wunsch zu erfüllen. „Aber, Sora…“ Sie sah zu mir zurück, fragend. „Du machst einen guten Job, Mädchen.“ Ein Lächeln flog über ihr Gesicht. „Danke, Akira.“ 2. Es gab viele Dinge, die Henry William Taylor unvorbereitet getroffen hatten. Eines davon war der hell erleuchtete Tag, der ihn erwartete, das rauschen der nahen Brandung, die ganze, lichtdurchflutete Welt um ihn herum – und die Tatsache, dass er integraler Bestandteil von ihr war. Die essentielle Frage, die ihn nun beherrschte war, hatte ihn der uralte Dai – oder vielmehr die uralten Dais – wirklich in die Vergangenheit versetzt, oder war dies eine der superrealen Konstruktrealitäten, von denen Akira berichtet hatte? Befand er sich in der kollektiven Erinnerung der Dais? Oder war die Lösung ganz anders? Fakt war, in dieser Welt wurde er Sean genannt. Das war sein Geburtsname, den er schon vor Jahren abgelegt hatte. Zuerst, weil es seine Mission so wollte, und danach aus Scham über die Charakterwandlung, die mit ihm vorgegangen war. Sean O´Donnely sollte tot sein. Und er sollte auch tot bleiben. Aber hier wurde er wieder so genannt. Darüberhinaus nannte ihn seine persönliche Künstliche Intelligenz Lucus einen Reyan Oren. „Lucus.“ „Reyan Oren Sean?“ „Definiere meinen Status, meinen Rang und meine Aufgaben.“ „Reyan Oren Sean, ich versichere, dass…“ „Fang mit dem Rang an. Was ist ein Reyan Oren? Ist Sean mein Name?“ „Fühlen Sie sich nicht wohl, Herr? Soll ich eine Medo-Einheit verständigen?“ „Sag du es mir. Bin ich gesund?“ „Ich kann keinerlei Anzeichen von Erkrankung feststellen. Auch die Gehirnwellen bewegen sich in normalen Parametern. Nur der KI-Level ist geringer als er sein sollte.“ „Dann beantworte meine Fragen, wenn es keine medizinischen Bedenken gibt.“ Henry glaubte die K.I. seufzen zu hören. „Reyan Oren ist euer Rang, Herr. Sean ist euer Vorname. Euer voller Name ist Sean O´Donnely. Der Rang als Reyan bedeutet, dass ihr ein hoch begabter Daina seid, der den Sprung zum Dai schaffen kann. Der Zusatz Oren bezieht sich auf eure Begabung, das körpereigene und fremdes KI zu manipulieren. Er bedeutet Meister unter den KI-Experten. Auch dies ist ein Anzeichen dafür, zum Dai aufzusteigen. Soweit ich weiß hattet ihr aber nie derartige Ambitionen.“ „Interessant. Ich habe also was gegen die Unsterblichkeit“, murmelte Henry. „Nicht unbedingt gegen Unsterblichkeit, wohl aber dagegen, den eigenen Körper aufzugeben.“ Lucus machte eine kunstvolle Pause. „Euer Status ist militärischer Natur. Ihr seid Kapitän des Kommandoschiffs STELLAR, welches gerade aus einem Großeinsatz gegen die Umtriebe der Götter zurückgekehrt ist. Erfolgreich zurückgekehrt, möchte ich betonen. Mit einem Kommandoschiff und neun Periphal-Kreuzern habt ihr acht Strafer und einunddreißig Sucher vernichtet. Die meisten in einer offenen Feldschlacht um Naginal, die fünfte Welt der Sonne Agrifs im Daima-Sektor Großfürstentum Ryssan. Ihr geltet als Kriegsheld und wurdet von Dai Mentro Zirkos dazu beauftragt, vor eurem nächsten Auftrag für Kriegsanleihen zu werben. Etwas, was ihr unwillig angenommen habt, und auch nur für den Zeitraum der Reparaturen der STELLAR. Was uns zum Termin um zwei Uhr bringt. Der Sender Attala Live lädt euch als Sachverständigen zu einem Exklusiv-Interview von Dai Zirkos ein, um Sachdaten zum Besten zu geben. Der Sender interessiert sich vor allem für die Daima-Daina-Konflikte und die Intervention der Götter.“ „Lucus. Was sind die Götter und wie gefährlich sind sie?“ „Die Götter sind eine außerirdische Spezies, die ursprünglich aus Gliederfüßern entstanden ist. Sie besitzen ein eigenes kleines Reich aus fünfundneunzig besiedelten Systemen, in denen sie dreihundert Sauerstoffwelten besitzen. Über siebzig Prozent haben sie mit Hilfe ihrer Technologie, die sich mit lemurischer Technik messen lassen kann, im Laufe der letzten Jahrtausende erst erschaffen.“ „Warum nennt man sie Götter?“, hakte Henry nach. „Sie sind Götter. In ihrem Einzugsgebiet gibt es Dutzende primitiver Völker, die entweder an ihre Planeten gebunden sind oder gerade erst den Sprung zur raumfahrenden Art geschafft haben. Die Götter hielten es für richtig, deren Entwicklung entweder abzubremsen, zu beschleunigen oder in eine vollkommen neue Richtung zu lenken. In ihrem eigenen Gebiet sind die Götter absolut. Da sie diesen Wesen technologisch weit überlegen sind und sie zum Teil seit Jahrtausenden beeinflussen, ist es nur natürlich das sie sie als Götter ansehen.“ „Ist uns die Position ihres Reichs bekannt?“ „Nur eine Daima-Fraktion, mit der wir uns zur Zeit im Krieg befinden, kennt die genaue Position des Götter-Staates. Wir wissen lediglich, dass sie ungefähr eintausend Lichtjahre von Lemur entfernt leben. Es können auch mehr sein. Unsere Agenten im Dionischen Imperium konnten es bisher nicht exakt definieren.“ „Haben wir Suchschiffe ausgesandt, um dieses Reich selbst zu finden? Fünfundneunzig Sonnensysteme kann man kaum übersehen, oder?“ „Bis vor kurzem gab es keinerlei Veranlassung, dieses Reich zu suchen und zu finden. Die Götter verhielten sich bis vor kurzem passiv gegenüber den verschiedenen Daima- und Daina-Fraktionen, mit denen sie nicht im Krieg stehen.“ „Aber jetzt greifen die Götter auch unbeteiligte Nationen an“, riet Henry. „Das ist korrekt. Darüber hinaus verzeichnen wir sogenannte Raids, Robotgesteuerte Kampfschiffe von der Größe einer Fregatte, die im Schwarm in fremde Sonnensysteme eindringen, um diverse Ziele zu vernichten. Zumeist Außenposten, einzelne Schiffe und dergleichen. Aber es hat auch schon Großangriffe gegeben, die bisher jedoch immer abgeschlagen wurden. Es ist aber abzusehen, dass die vom Krieg mit uns geschwächten Daima-Reiche irgendwann Welten an die Götter verlieren werden.“ „Interessant. Wann werden die Götter Lemur erreichen?“ „Nach unseren Schätzungen, unseren Erfahrungsberichten und bestehenden Statistiken: Nie.“ „Nie?“, fragte Henry ungläubig. Das passte nicht ganz in das, was er über die Vergangenheit wusste. Oder zu wissen glaubte. „Das primäre Problem“, begann Lucus auszuführen, „ist der Krieg zwischen Daima- und Daina-Reichen. Auf beiden Seiten stehen Dai, die aus den verschiedensten Methoden im Krieg involviert sind. Dies bildet eine Macht, die uns wirklich vernichten kann. Nicht unbedingt die Piraterie der Götter. Entschuldigt, dass ich es einem Soldaten, der auf den Krieg mit den Göttern spezialisiert ist, derart unverblümt sage, welchen Stellenwert sein Krieg hat.“ „Ist schon in Ordnung. Wir werden nicht ewig brauchen, um sie zu besiegen“, murmelte Henry vor sich hin. Wie passte das zusammen? Laut seinem Wissen hatten sich Daina und Daima gegenseitig geschwächt und die Götter waren dann über die Reste hergefallen. Die überlebenden Dai hatten sich in Daimon zurückgezogen und die Jahrzehntausende isoliert existiert. Erst viel später hatten sie wieder eingegriffen. In jener Zeit hatten sich längst die Iovar wieder ins All erhoben und ungewollt Kontakt zu den Göttern hergestellt. Okay, das passte doch irgendwie. Aber es blieben tausende Fragen unbeantwortet. Wann fand der Krieg statt, der die meisten Zivilisationen auslöschen würde? Oder sie zumindest in einen prästellaren Zustand zwang? Im Moment schien es so, als wäre der Dai-Kernstaat mit der Erde als Zentrum nahezu unverwundbar, wenn er sogar einem Daima-Staat mit Truppen aushelfen konnte. Henry spürte, wie der Historiker in ihm durchzubrechen drohte, wie er versuchte möglichst viel zu lernen, zurecht zu rücken und ein Gesamtbild aus den Mosaiksplittern zu erschaffen. Aber das war nicht ganz seine Aufgabe. Er wollte, er musste mehr über die Götter herausfinden. Woher sie kamen. Wohin sie gingen. Wie sie aufzuhalten waren. Alle Konflikte der letzten Jahrhunderte, von denen selbst Henry erst nach und nach und nur durch den Kontakt mit dem Fliegerjungen erfahren hatte, waren mehr oder weniger Stellvertreterkriege zwischen Göttern und Dai gewesen. Wenn er ernsthaft drüber nachdachte, erschien es ihm sogar wahrscheinlich, dass Juichiro Tora bewusst ausgesucht worden war, um den mit den Dai verbündeten Naguad das Leben auf der Erde schwer zu machen, nachdem die Kontaktaufnahme nicht hatte verhindert werden können. Und die Expedition, die eine Gruppe Arogad und Fioran zur Erde geführt hatte, was hatte sie sechzig Lichtjahre entfernt gesucht? Wieso hatte sie in dieser Sternenregion nach bewohnten Welten suchen müssen? Hatte jemand im Hintergrund Fäden gezogen? Waren sie in Wirklichkeit auf der Suche nach der Urheimat gewesen? Danach der Core, der die Kronosier erschaffen hatte. Es hatte Henry immer gewundert, dass sie so leicht in Kontakt mit Tora gekommen waren. Dass die Zusammenarbeit so hervorragend funktioniert hatte. War der Core absichtlich auf die Erde gelenkt worden? Letztendlich war die Core-Technologie von den Göttern infiziert worden, und eine Erde, die von den Kronosiern beherrscht wurde, wäre für die Götter über ihre Verbündeten leicht zu beherrschen gewesen. Ein erschreckendes Szenario. „Sean?“ „Ja? Tut mir Leid, ich war in Gedanken.“ „Ich habe nur ausgeführt, dass Ihr soeben eine Einladung zu einer Verabredung bekommen habt. Reyan Oren Mela Arac lädt euch ein, mit ihr den Mittag zu verbringen.“ „Definiere Reyan Oren Meal Arac.“ „Mela Arac, Alter: Dreihunderteinundneunzig. Eins achtzig groß, einundsechzig Kilo schwer. Schwarze Harre, die sie lang und glatt trägt. Tiefgrüne Augen. Wird als hübsch entfunden.“ „Das meinte ich nicht“, murrte Henry. „Reputation, Rang, Verbindung zu mir.“ „Verzeihung. Ich dachte, Ihr wolltet möglichst umfassend über sie informiert werden. Meal Arac ist Admirälin, trotz ihres geringen Alters. Sie gilt als Verfechterin der Rechte der Daina, wird aber auch als Anwärterin auf den Aufstieg zur Dai gehandelt. Sie kommandiert das Kommandoschiff ADAMAS, das widerum einer Flotte von fünfzehn Kommandoschiffen und dreihundert Begleitschiffen vorsteht. Ihr untersteht die Verteidigung Lemurs. Man sagt ihr auch politische Ambitionen nach. Aber laut ihrer eigenen Aussage wird sie diese erst wahrnehmen, wenn sie davon überrollt wird. Berühmtester Ausspruch: Eher setze ich mich nackt in ein Brennesselfeld, als dass ich in diesen Debattierclub gehe. Relation zu Sean O´Donnely: Beide haben wiederholte Male Seite an Seite gegen die Götter gekämpft. Laut Aufzeichnungen Sean O´Donnelys verbindet sie eine gewisse Kameradschaft, trotz des Rangunterschiedes.“ „Das genügt. Wann und wo treffe ich sie?“ „Am Strand vor dem Haus in fünf Minuten.“ Henry sah sich um und begann seine Bekleidung auszuwählen. Furchtbar bunt, das alles. Kurz erwägte er eine Uniform zu tragen. Aber da er nicht wusste, wie sie angezogen wurde, ließ er es. Schließlich stand er barfuß in einer legeren weiten Hose und einem quietschbunten Hemd bereit. „Gib mir ein Bild von ihr“, forderte er nachdrücklich von Lucus. Vor ihm entstand ein Hologramm einer jungen Frau, die er durchaus als hübsch bezeichnen würde. Aber das interessante an dem Bild war, dass er das Gesicht bereits einmal gesehen hatte. Vor ihm in der Luft schimmerte ein Bild von Dai-Kuzo alias die große Spinne. *** „Das ist interessant“, sagte Henry anstelle einer Begrüßung, als er die junge Frau erreichte, die unter einem Sonnensegel am Strand saß. Sie trug eine züchtige Uniform und starrte auf das Meer hinaus, aber dennoch hatte der Historiker nicht das Gefühl, ihrer Aufmerksamkeit entgangen zu sein. „Setz dich, Henry.“ „Henry? Ist mein Name nicht Sean O´Donnely?“ „Hast du den Namen und das damit verbundene Leben nicht abgelegt, als dich der britische Geheimdienst bei den Kronosiern eingeschleust hat? Und danach, warst du nicht zu sehr von dir selbst angeekelt, um Sean O´Donnely wiederzubeleben? Wobei du nicht einmal ein besonders egozentrischer Legat warst.“ „Ich sehe schon, du beantwortest meine Fragen, bevor ich sie stelle. Dies ist also eine Konstruktwelt, oder?“ „Eine Konstruktwelt, erbaut auf deinem kompletten Wissen, dem deiner Mitarbeiter und der Dai, die du im Paradies der Daina entdeckt hast. Dazu kommt ein KI-Splitter meiner selbst, den ich Ai Yamagata implantiert habe.“ „Interessant. Aber ich verstehe es nicht ganz.“ „Oh, ich habe allen meinen Slayern – ehrlich gesagt fand ich es immer sehr bedauerlich, dass Hina ausgerechnet diesen Namen ausgesucht hat – einen solchen Splitter eingepflanzt, damit er ihnen im entscheidenden Moment hilft, ihr potentielles KI-Talent aufzubauen.“ „Du sagst damit, dass Ai-chan auch eine Slayer ist?“ „Ich habe weit mehr Frauen ausgesucht als Hina und ihre Freundinnen, wie du sicherlich bemerkt haben solltest, als ich Megumi Uno und Yohko Otomo erweckt habe. Und bevor du fragst, die nächste die als Slayer erwachen wird, ist Joan Reilley. Ich habe lange Zeit gedacht, sie wäre verloren, aber mein süßer Akira hat sie ja, wenn auch ungewollt, wieder auf den richtigen Weg gebracht.“ „So? Dann kennst du sicherlich Joans richtigen Namen und ihre Familie.“ „Natürlich. Was denkst du denn?“ „Und du hast es ihr nie verraten?“ Kuzo lachte leise. „Denk doch mal nach. Sie ist ein Superstar, der weit über die Grenzen dieses Sonnensystems bekannt ist. Glaubst du wirklich, ihre Familie hätte sie nicht längst wiedererkannt?“ Henry runzelte die Stirn. „Das ist ein Argument.“ „Sie hat keine Familie mehr. Sie alle starben während der Schlacht um New York. Joan selbst wurde in ein Krankenhaus eingeliefert und später aufgrund bestimmter, viel versprechender Blutwerte von kronosischen Agenten entführt. Ich habe es leider zu spät gemerkt und konnte ihr nicht mehr helfen, als ihr Verstand ausgetilgt wurde.“ „Etwas, was ihr öfters zu passieren scheint.“ „Dazu musst du Mako-chan befragen, nicht mich“, erwiderte die Dai mit einem anzüglichen Grinsen, welches den großen Mann überraschte und erröten ließ. „Kö-können wir mal beim Thema bleiben?“ „Meinetwegen. Jedenfalls dachte ich, dass die Familie die sie jetzt hat, genauso gut ist wie ihre alte. Sie und ihre Band sind… Sie waren eine große Familie, aber seit Mako-chan in ihr Leben getreten ist, scheint sie sich langsam von daheim abzunabeln. Etwas in der Art.“ „Und sie erwacht demnächst als Slayer.“ „Nein, das habe ich nicht gesagt. Die Mädchen entscheiden selbst wann sie als Slayer erwachen.“ „Was ist mit Kitsune? Ist sie auch ein Slayer?“ „Sie ist das Vorbild der Slayer. Hast du dich nie gefragt, warum ich keine Jungen ausgewählt habe, sondern ausschließlich Mädchen?“ „Weil wir Männer bis auf Makoto und Yoshi keine kurzen Röcke tragen können?“ „Sehr witzig. Nein, weil die stärksten Krieger der Dai fast immer Frauen waren. Wenn wir uns die stärksten Krieger der UEMF ansehen, was meinst du, wer führt die Liga an?“ „Megumi?“ „Nein, Akira. Aber Megumi kommt auf der zwei, dicht gefolgt von Yohko auf der drei. Danach kommen erst die Männer. Makoto, Yoshi, Doitsu. Dann folgt schon Hina, aber nur weil sie noch zu unerfahren auf ihrem Hawk ist.“ „Ich verstehe was du sagen willst.“ Henry ließ sich endlich neben ihr nieder. „Aber ich verstehe nicht, was das mit dieser Situation zu tun hat.“ „So? Dann denk mal scharf nach, Henry William Taylor.“ „Kenne deine Stärken und deine Schwächen, und du fürchtest keinen Feind.“ „Keine schlechte Idee, Sun-Tsu zu zitieren, aber leider falsch. Okay, nicht ganz falsch, aber etwas am Ziel vorbei.“ Henry legte kurz den Kopf schräg. „Mal sehen. Ich bin hier in einer Konstruktwelt innerhalb einer Konstruktwelt. Ich suche hier in der Erinnerung von halb vergeistigten Dai nach Hinweisen darauf, wer die Götter sind, woher sie kommen und wie ich sie bekämpfen kann. Und dann treffe ich auf dich, und du hältst mir Vorträge über die Realität. Beides ist verbunden.“ „Natürlich ist beides verbunden. Denn die Zukunft basiert auf der Vergangenheit und den Taten der Gegenwart. Aber das meinte ich nicht.“ „Es ist wichtig, diese Dinge zu wissen?“, riet Henry. „Guter Junge“, sagte Kuzo zufrieden und klang dabei wie eine schnurrende Katze. „Und warum ist es wichtig, diese Dinge zu wissen?“ „Das wirst du selbst herausfinden müssen.“ „Okay. Aber du könntest mir dennoch sagen, wohin ich in dieser Konstruktrealität gehen muss, um meine Ziele zu erreichen.“ „Oh, ich denke, das wird nicht funktionieren, Henry. Wie ich schon sagte, dies ist eine Konstruktwelt. Entstanden nach den Erinnerungen der Dai, die du getroffen hast. Genauer gesagt ist diese Welt ein Abdruck ihrer Erinnerungen. Außer mir hast du hier niemanden, der dir Tipps und Hinweise geben kann, denn nachdem dich die Dai hierher verfrachtet haben, haben sie alles weitere dir überlassen. Du kannst diese Welt manipulieren, Ereignisse beschleunigen oder verlangsamen. Du kannst sie sogar wissentlich verlassen oder zurückspulen. Aber du kannst nicht gezielt nach ihnen suchen wie an einem Computer. Du musst dich an die Orte begeben, an denen du Wissen zu erlangen versuchst.“ „Ich muss mich an die Regeln dieser Konstruktwelt halten?“, argwöhnte der ehemalige Legat. „Im großen und ganzen schon. Dazu kommt leider, dass die Konstruktwelt nicht sehr stabil ist. Sie weist zudem große Lücken auf, die von den Dai mit deiner Erinnerung gefüllt wurden. Es ist eben unendlich lange her, seit wir…“ Die Dai zögerte und verstummte dann ganz. „Eigentlich ist es recht nostalgisch, hier zu sitzen und zu wissen, dass dies wirklich der Pazifik ist, und nicht nur eine zwanzig Kilometer breite Wasserschneise in der Daimon.“ Henry fühlte sich für einen Moment als hätte ihm jemand die Füße unter den Beinen weg gezogen. Hätte er nicht schon gesessen, hätte er das nun nachgeholt. „Du willst damit doch nicht sagen, dass die Daimon, in der ihr euch zurückgezogen habt, aus Atalantia besteht, dem Hauptkontinent von Lemur?“ „Bravo, der Kandidat erhält fünfeinhalb Punkte. Noch einer mehr und du kriegst dein Kommandoschiff“, erwiderte die junge Frau mit einem Lächeln. „Danke schön. Das würde ich gerne in die Realität mitnehmen, dann ist die ADAMAS nicht so alleine. Bist du auch eine Reparatur der lückenhaften Erinnerung? Abgesehen vom KI-Splitter, meine ich.“ „Nein. Warum sollte ich? Genau zu dieser Zeit, siebentausend n.E., bin ich auf Lemur präsent. In diesem Rang, in dieser Funktion. Ich habe lediglich mein Konstruktweltpendant übernommen. In dieser Welt bin ich noch ein Mensch, Henry, genauer gesagt ein Daina.“ Sie sah ihn sehr ernst an. „Und ich werde dir bei deiner Suche zur Seite stehen.“ „Das freut mich zu hören.“ Langsam ließ er sich in den Sand fallen. „Das sind doch gute Nachrichten. Das bedeutet, dass ich mich nicht an eine bestimmte Rolle halten muss, damit ich die Zeit nicht aus Versehen verändere oder so.“ „Oh, du musst dich an deine Rolle halten, denn die Konstruktwelt interagiert. Wenn du etwas tust, was die Daina dieser Welt in der Realität nicht akzeptiert hätten, dann werden die Daina dieser Welt ebenso reagieren. Aber du hast eine gewisse Kontrolle über die Ereignisse. Und mit mir eine Partnerin, die diese Konstruktwelt bis zu einem gewissen Grad manipulieren kann, weil ein Teil von mir aus dieser Welt stammt.“ „Interessant. Ein Angebot das ich gerne annehme. Aber eine Frage bleibt dennoch: Wo fangen wir an?“ „Am besten bei deinem Termin um zwei Uhr Nachmittags. Dort wirst du auf Dai Mentro Zirkos treffen, dem derzeitigen Herrn der Dai. Und wenn du geschickt bist, bekommst du die Erlaubnis, Dionys aufzusuchen und in diesem Daima-Reich nach Spuren der Götter zu fahnden.“ „Obwohl wir uns im Krieg mit ihnen befinden?“ „Obwohl wir uns im Krieg mit ihnen befinden. Vergiss nicht, dies ist eine Konstruktwelt.“ „Das ist das erste Mal, dass es mir nützlich erscheint“, brummt Henry. 3. Ich hatte schon viel erlebt in meinem kurzen Leben. An einiges erinnerte ich mich nicht mehr, oder ich kannte nur die Aufzeichnungen Dritter über mich und meine Taten. Oft genug erschien mir all das, was vor dem Moment passiert war, an dem mich Dai-Kuzo in einer scheinbaren Phantasiewelt hatte aufwachen lassen, wie die Erinnerung eines Fremden vor, auch wenn alles so vertraut, so richtig wirkte. Und ich hatte oft genug bis zum Hals im Dreck gesteckt. Wenn ich an die Verteidigung von Kuba dachte, rollten sich mir die Zehennägel auf links. Oder die erste Marsoffensive. Oder die zweite. Oder mein Kampf mit Torum Acati, den man nur mit dem Prädikat legendär belegen konnte. Oder mein Versuch, Sakura zu widersprechen… Mir war viel passiert, und ich hatte viel gesehen. Dass sich Probleme von selbst lösten gehörte eher nicht dazu. Aber diesmal war es der Fall, und wie es immer in so einer Situation ist, war und sein wird, brachte die Lösung des Problems das nächste Problem gleich mit. Als die AURORA mit ihrem Begleitverband in das Sonnensystem Tautor sprang, bot sich genau so eine Situation. Die Flotte der Kaisertreuen bezog gerade mächtig Prügel. Die Berichte, die mich über meine Standleitung nach Poseidon erreichten, erzählten eine eindeutige Geschichte. Dreißig Schiffe versenkt, weitere siebzig schwer beschädigt. Hunderte Banges-Wracks geortet. Viele Schiffe in haltloser und zielloser Flucht. Etliche von ihnen waren in unsere Richtung unterwegs. Der Äther war auf allen Frequenzen mit Hilferufen erfüllt, die durch die Zeitdilatation leider schon eine gute Minute alt waren. Auch die Bilder die wir sahen, hatten über eine Minute bis zu uns gebraucht, und jene Schiffe, die gerade jetzt explodierten, waren schon lange Wracks. Ursache dieses kompletten Chaos waren fünf weiße Schiffe. Genauer gesagt fünf Strafer der Götter. Und sie schossen reichlich wahllos um sich. Dabei nahmen sie keinerlei Rücksicht auf kapitulierende Einheiten, Rettungsboote oder fliehende Schiffe. Für sie war alles nur Feind. Fünf Strafer. Und meine Freunde hatten bereits mit einem mehr als alle Hände voll zu tun gehabt, als sie im Greenwich-System mit ihm zusammengestoßen waren. Alarm gellte auf. Wir waren schon mit Alarm aus dem Sprung gekommen, immerhin hatten wir in ein Gefecht ziehen wollen. Zudem so nahe wie möglich am Feind, um die Kampfhandlungen so schnell es ging zu eröffnen. Leider war das Ende unseres Sprunglochs dafür in einem ungünstigen Winkel platziert gewesen, sodass wir nicht hatten sehen können, was uns erwarten würde. Verhindern hätten wir es sowieso nicht mehr können, nachdem die AURORA in das Wurmloch eingeflogen war. Aber besser vorbereiten wäre möglich gewesen. Und dann wäre das Signal für Alarmstufe eins, welches die Zivilisten in die Schutzbunker rief, schon viel früher erklungen. Fünf Strafer, verdammt! Fünf! „Wir werden die Kampfhandlungen im Abstand von siebzehn Lichtsekunden passieren und ins Systeminnere aufbrechen“, hörte ich Sakuras klare, feste Stimme sagen. „Unsere Verbündeten sind informiert und schicken uns an Hilfe entgegen, was sie aufbringen können. Außerdem haben wir den kaiserlichen Einheiten bereits angeboten, sich in unsere Formation einzugliedern. Während des Passierflugs versuchen wir so viele Wracks wie möglich auf die AURORA zu schaffen und so viele Rettungskapseln und Fähren wie möglich zu bergen. Die Sicherheit der Überlebenden hat Priorität. Die Mecha-Streitkräfte werden das übernehmen.“ „Verstanden“, klang Megumis Stimme als Antwort auf. „Die Schiffe und die Waffen der AURORA werden die Strafer so gut es geht von uns fern halten. Und sie werden ein wenig mitmischen. Mit drei Hämmern des Hephaistos können wir ein oder zwei der beschädigten Strafer abschießen. Das demoralisiert hoffentlich die anderen.“ „Roger!“ Unverkennbar Keis Stimme. „Verstanden.“ Das war Tetsu. „Eine Frage, Ma´am“, klang die Stimme von Shawn Winslow, dem Kapitän der SCHARNHORST, auf. „Wieso sind Kaiserliche und Götter aneinander geraten?“ Sakura atmete hörbar aus. „Was wir bisher dem Funk entnehmen konnten ist folgendes. Die dem Kaiser treuen Truppen haben den Endpunkt unseres Wurmlochs entdeckt und wollten den Kampf mit uns aufnehmen. Dann kamen die Strafer der Götter und beanspruchten den Platz für sich. Was daraus geworden ist, sehen Sie ja, Winslow. Bis jetzt etwa zehntausend Tote und dreißig zerstörte Schiffe. Zweiunddreißig. Dreiunddreißig.“ „Verstehe.“ „Wir schießen zuerst mit den Hämmern“, entschied Sakura. „Danach greifen die Kampfschiffe an. Die AURORA muss durchbrechen, haben Sie das verstanden, Admiral Takahara?“ „Ich habe verstanden. Ich beziehe Posten auf meinem neuen Flaggschiff ADAMAS.“ Die Stimme hatte sehr entschlossen geklungen. Der kleine Kei konnte hart wie Stahl sein, wenn es nötig war. So wie jetzt.“ „Akira. Wir wurden angewiesen ebenfalls zu evakuieren. Wir können nicht ausschließen, dass der Innenraum erschüttert wird und Gesteinsbrocken aus der Decke auf die Stadt fallen.“ Ich sah meine Cousine Sora ernst an. „Du hast Recht, wir müssen evakuieren.“ Ich erhob mich aus dem Bett, ignorierte den nächsten Fieberschub und griff nach meiner Uniformjacke. „Prime Lightning soll auf der Rampe auf mich warten.“ „Akira!“ „Das ist ein Befehl!“, zischte ich laut. Entsetzt sah Sora mich an. Dann endlich gab sie nach. „Wie ihr wünscht, Meister Arogad.“ Fieber hin, Fieber her, ich wurde gebraucht. Und so schön dieses Gefühl auch war, der Anlass war beschissen, echt beschissen. *** „Dickkopf – eigensinnige oder starrsinnige Person. Siehe auch: Akira Otomo.“ (Unbekannter Verfasser) Okay, in einem Punkt hatte ich mich mächtig geirrt. Die Beschwerden, die das Fieber mit sich brachte, wichen nicht automatisch in dem Moment, in dem ich mich in Bewegung gesetzt hatte. Nein, sie wurden sogar eher mehr als weniger. Dazu kam, dass Sora mich stützen musste, wenn ich weite Strecken gehen musste. Ihr vorwurfsvoller Blick sagte mir mehr als einmal, wo ich eigentlich hingehörte. Aber zumindest in einer Sache war ich mir sicher: In meinem Prime Lightning würde ich nützlicher sein als in meinem Bett. Deshalb nahm ich die Tortur auf mich, ließ mich von einem Elektrotaxi zur Bahnlinie fahren und nahm den ersten Schnellzug in Richtung des Hangars, in dem Prime eingestellt war. Nach zweimaligem Umsteigen – wirklich, Hölle wurde von mir neu definiert – fuhr ich endlich, Sora an meiner Seite, im Fahrstuhl in die Höhe. Auf der richtigen Sohle angekommen erwartete uns bereits ein weiterer Elektrowagen. Diesmal jedoch ein militärisches Modell. Es unterschied sich durch den Anstrich in Tarnfarben. Sehr genial. Eine kurze Fahrt durch einen Stollen, der mich verdammt an eine klaustrophobische Situation komplett mit einstürzender Decke bei gleichzeitigem Pistolenbeschuss erinnerte, brachte mich schließlich in den Hekatoncheiren-Bereich. Die Piloten der Elite-Truppe waren natürlich bereits aufgebrochen, um ihren Teil bei der Verteidigung der AURORA und ihrer Kampfgruppe zu leisten. Ich hatte vor ihnen bald zu folgen. „Sir, Sie können doch nicht…“ „Ich bin gesund!“, fuhr ich den besorgten Techniker an. „Meinen Anzug! Bereitet meinen Mecha vor!“ „Aber Sir, Sie…“ „Ich bin KI-Meister! Haben Sie davon schon mal was gehört? Ich heile mich selbst, notfalls während des Flugs!“ Ein unerwarteter Energieschub erfüllte mich. Die kurze Konversation hatte meine Adrenalinproduktion angeregt, und das Stresshormon unterdrückte nun mein körperliches Missbefinden weit genug, dass ich ohne Soras Hilfe in die Umkleideräume gehen konnte. Tatsächlich lag mein Anzug schon bereit. Überprüft und abgestempelt. Ich begann mich aus meine Alltagskleidung zu schälen. Als ich dann den kobaltblauen Anzug anlegte – früher war er hellblau gewesen, aber da hatte ich noch nicht so einen stabilen Oberkörper gehabt – erinnerte ich mich an eine Szene, die Szene eigentlich, wenn es um diesen Anzug ging. Ich war mit Megumi im Hubschrauber auf dem Weg zur Titanen-Station, um meinen ersten Einsatz seit langem zu fliegen. Sie hatte mir den Druckanzug gegeben. Er war natürlich deshalb an Bord dieses einen Hubschraubers verstaut gewesen, weil diese Maschine in einem Notfall mich abgeholt hätte. Identische Anzüge hatten in allen acht Maschinen der Flugbereitschaft existiert. Nachdem ich in den Anzug geschlüpft war, hatte ich Probleme damit gehabt die Verschlüsse zu schließen. Megumi hatte mich umfasst und mir geholfen. „Das kommt alles mit ein wenig Übung.“ So waren ihre Worte gewesen. Verdammt, so sehr wie meine Hände gerade zitterten, schien ich diese Übung nie erreicht zu haben. Zwei zarte Frauenhände kamen hinter meinem Rücken hervor und halfen mir beim schließen der Verschlüsse. Für einen Moment hielt ich sie für Megumis Hände, aber sie war mit der Division – ihrer Division – da draußen. „Warte, das geht anders“, hörte ich Sora sagen. Und dankbar überließ ich ihr den Part, meinen Schutzanzug zu versiegeln. Dann drückte sie mir meinen Helm in die Hand und drehte mich um. Sie musterte mich kritisch. „Schaffst du es bis ins Cockpit, Akira? Ab da brauchst du dich kaum noch bewegen, aber bis dahin musst du kommen.“ Ich lächelte matt. „Keine Sorge, ich bin stärker als du denkst.“ „Das weiß ich. Und ich weiß, dass du es auch weißt und dich deshalb immer weiter treibst als du solltest.“ Sie boxte mich burschikos gegen die Schulter. „Komm gefälligst wieder, du Pirat.“ „Wen nennst du hier Pirat?“, fragte ich lachend. Dann beugte ich mich vor und gab ihr einen kurzen Kuss auf die Wange. „Natürlich komme ich wieder. Sonst hast du ja niemanden zum ärgern.“ Als ich den Umkleideraum verließ, den Helm mit den berühmten blauen Blitzen in der Armbeuge, ritt ich auf einer leichten Euphorie-Welle. Noch immer wütete die Krankheit in meinen Adern, aber ich hatte es leidlich im Griff. „Sir, Admiral Ino meint wirklich, dass…“ „Ist das hier mein verdammtes Schiff oder nicht?“ „Haben Sie schon mal dran gedacht, dass diese ganze Expedition sinnlos ist wenn Sie fallen, Sir?“, blaffte der Techniker zurück. Konsterniert blieb ich stehen. Ich musterte den Mann eindringlich. Dann endlich antwortete ich: „Zwei Denkfehler, junger Mann. Erstens kann ich gar nicht fallen, weil ich der beste Pilot des Universums bin. Und zweitens haben wir auf dieser Expedition erst von der eigentlichen Bedrohung erfahren: Jener durch die Götter. Die Erde ist gewarnt, und alle unsere Verbündeten wurden informiert. Bereits jetzt ist sie ein Erfolg sondergleichen und wird uns alle retten.“ „Es wäre mir lieb, wenn Sie diese Rettung miterleben, Sir“, wagte der Techniker noch mal einzuwenden. „Ihre Sorge ist rührend, aber unbegründet. Ich bin vielleicht nicht unverwundbar, aber ich bin weder unersetzlich, noch kann man mich töten. Okay, das macht jetzt nicht soviel Sinn, aber…“ Ich lachte leise auf. Sich selbst in die Ecke zu drängen war eine Kunst die ich eigentlich nicht beherrschte. Ich schob es auf meine Erkältung. „Helfen Sie mir dabei, mich anzuschnallen?“ „Natürlich, Sir.“ „Guten Morgen, Prime.“ „Sir, ich weise Sie darauf hin, dass Sie eine Körpertemperatur von…“ „Geschenkt. Wir gehen raus. Freie Unterstützung. Wir kriegen einen Booster verpasst, stell dich darauf ein.“ „Jawohl, Sir. Soeben wurde die Kampfgruppe von Ihrer Teilnahme an der Schlacht informiert. Der AURORA ist es vorhin mit simultanem Beschuss aller drei Hämmer des Hephaistos gelungen, einen Strafer der Götter anzuschlagen. Er wurde so sehr beschädigt, dass ein Hekatoncheire des First Head, Third Arm mit einem Selbstmordangriff seine Vernichtung auslösen konnte.“ Ich erstarrte, innerlich wie äußerlich. „So schlecht geht es uns noch nicht, dass wir unsere Leute verheizen müssen! Verbindung zu Colonel Futabe!“ „Verbindung steht!“ „Yoshi, was…“ „Ich weiß, was du sagen willst. Aber es war nicht meine Entscheidung. Ensign Jaffrays Eagle war kurz vor der Explosion. Er hat sich selbst dazu entschieden den Strafer zu rammen, als dessen Schutzschild fiel. Normalerweise hätte ich auf solche einen Angriff keinen Pfifferling gesetzt, aber der Strafer muss angeschlagen genug gewesen sein, damit Jaffray Erfolg hatte. Ich bitte um Erlaubnis, ihn posthum zum Second Lieutenant befördern zu dürfen.“ Ich knirschte mit den Zähnen. Was war da draußen los? „Erlaubnis erteilt.“ Ich unterbrach die Verbindung. Der Techniker klopfte mir auf den Helm als Zeichen, dass alle Verbindungen etabliert waren. Ein leichter Ruck informierte mich darüber, dass der Booster angekoppelt war. „Bring uns aufs Katapult.“ Der riesige Mecha, eigentlich der Mecha, ein legendärer Daishi Beta, dem die Menschheit ihre Freiheit verdankte, wurde von der Boarding Bay auf die Abschussrampe gefahren. „Akira Otomo auf Prime Lightning, bereit zum Start.“ Ich warf einen Blick auf die Kampflage. Gut, noch beschäftigten sich die Strafer vornehmlich mit den Kaiserlichen, aber bald waren wir nahe genug dran für das Bergungsmanöver, und damit kamen wir in Feuerreichweite. Dann würde der eigentliche Tanz beginnen. Vier Strafer waren immer noch mehr als genug, um uns zu vernichten. Andererseits wäre es nicht das erste Mal gewesen, dass KI-Meister der Erde einen Schuss aus der Hauptwaffe eines Strafers ablenkten. „Prime Lightning, Starterlaubnis verweigert.“ Ich runzelte die Stirn. „Hitomi, ich habe jetzt nicht die Zeit, um mit dir zu streiten.“ „Das ist es nicht. Vor dem Abschussrohr ziehen Hekatoncheiren gerade eine beschädigte Korvette heran. Du willst doch nicht hinein krachen? Mit deinem Dickkopf würdest du sie nur noch mehr beschädigen.“ Ich lachte ungewollt. Was für ein passender Vergleich. „Okay, ich warte.“ Heimlich prüfte ich die Information nach. Okay, Hitomi-senpai hatte mich nicht belogen. „Blue Lightning, Sie haben Go.“ Ich atmete erleichtert auf. „Blue Lightning auf Prime Lightning, schießt mich raus!“ „Roger. Gute Jagd, Colonel! Ich meine General! Ach, egal, hauen Sie einfach was zu Klump, wir überlegen uns derweil einen coolen Rang für Sie.“ Ich musste bei den Worten des Katapultmeisters lachen. Das war genau die Form rauer Herzlichkeit, die ich liebte. Sekundenbruchteile darauf schoss das Katapult mich und Prime hinaus. Einen Moment wunderte ich mich noch über die plötzliche Stille im Funkverkehr der Hekatoncheiren. Dann maß ich die Energiewellenfront an, die auf die AURORA zurauschte. Und die scheinbar mitten durch mich hindurch wollte. Vor mir explodierten havarierte kaiserliche Schiffe, die zufällig im Beschusskorridor waren. Himmel, was hätte ich jetzt dafür gegeben wenn Akari bei mir gewesen wäre – in ihrer Oni-Form. Plötzlich spürte ich eine Bewegung an meiner Schulter. Ich sah zur Seite und erkannte einen grinsenden Fuchs. „Überraschung. Oder hast du gedacht, deine Kitsune kennt dich nicht? Schön, dass du mich dabei hast, oder?“ „Du hast dir eine Super Zeit ausgesucht, um aufzutauchen. Wir werden gerade mit der Partikelwaffe eines Strafers beschossen!“ „Kein Problem für Yohko und die Otome. Die kümmern sich darum. Hilf du lieber beim aufräumen.“ Ein Blick auf die Anzeigen offenbarte mir die Wahrheit. Die Otome, oder besser gesagt ihre Mechas manövrierten sich zwischen die AURORA und die näher kommende Energiewelle. „Werden sie einen Schuss dieser Dimension abwehren können?“ „Nein, das werden sie nicht“, sagte Kitsune. Ihr Gesicht, obwohl es das eines Fuchses war, bekam etwas Lauerndes. *** Mit seiner überaus charmanten Begleitung begab sich Henry zu seinem Termin bei Mentro Zirkos. Zirkos war ein Dai, ein Wesen also, das sich dazu entschlossen hatte, als reines KI zu leben und dadurch unsterblich zu werden. Darüber hinaus war er der Anführer der Dai auf Lemuria und der Streitkräfte, und damit Sean O´Donnelys Vorgesetzter. Dai-Kuzo, die in dieser Welt als Reyan Oren unter dem Namen Karit bekannt war, begleitete ihn, wie sie es versprochen hatte. Sie wurden sofort vorgelassen. Mentro Zirkos war ein kleiner, schmaler Mann mit schütterem braunen Haar, aber intelligent drein blickenden Augen. Er musterte eine Sternenkarte des von Daina und Daima besiedelten Weltraums. Als die beiden eintraten, sah er kurz herüber. „Sean, schön Sie wieder zu sehen. Karit Ohana, es ist beruhigend, Sie ebenfalls hier zu wissen.“ „Ich freue mich, hier zu sein“, antwortete Henry. „Um es kurz zu machen, ich habe einen extrem wichtigen Auftrag, den ich Ihnen anvertrauen will, Sean. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Existenz unserer Zivilisation.“ Ernst sah der Dai herüber. „Jemand da draußen füttert die Götter mit unserer Technologie, und ich will, dass das aufhört.“ Entsetzt keuchte Dai-Kuzo auf. „Mit unserer Technologie? Aber wem könnte daran gelegen sein, aus einem Ärgernis eine ernsthafte Gefahr zu machen?“ Mentro deutete auf bequeme Sitzgelegenheiten. Dankbar nahmen seine Gäste die Einladung an und ließen sich nieder. „Haben sie zwei je vom Daimon-Plan gehört?“ „Daimon. So nennt man doch die Schutzsphären, die…“, begann Henry, verstummte aber sofort wieder. „Es wundert mich nicht, dass mein bester Feldoffizier davon weiß“, gestand Mentro Zirkos mit einem Schmunzeln. „In der Tat. Wir haben eine neuartige Nano-Waffe erfunden. Die Libere ist eine Mikromaschine, die KI assimiliert und in veränderter Form wieder ausstößt. Sie ist dafür vorgesehen, auf bestimmten Planeten große Populationen von Daina, Daima und Dai in eigene Mikrouniversen einzusperren, damit sie ihre Mütchen kühlen können. Großstädte, Kasernen, Schiffswerften, Raumstationen, große Raumschiffspulks, all das verschwindet in einer eigenen Blase der Realität. Wer darin gefangen ist hat keine Chance zu entkommen, solange es jemanden gibt, der KI emissiert. Je mehr KI emissiert wird, desto größer ist die Blase. Natürlich kennen wir Mittel und Wege, die Isolierung aufzuheben oder zu penetrieren. Soweit mitgekommen?“ „Wir sind nicht völlig verblödet“, knurrte Henry. „Der Libere frisst KI und scheißt ein eigenes Universum aus.“ „Vulgär, aber richtig ausgedrückt. Der große Plan sah vor, eine eigene Flotte ins Leben zu rufen, die bestimmte Welten im von uns besiedelten Raum aufsucht und die größten Kriegstreiber und die stärksten Machtkonstellationen versiegelt, bis wir sie wieder raus lassen. So war der Plan.“ „Und ich sollte den Oberbefehl über diese Flotte übernehmen“, riet Henry. „Über eine der Flotten. Eine andere wollte ich selbst führen und die dritte sollte Karit kommandieren. Es wäre der einfachste und schnellste Weg, um diese von Krieg und Elend zerrissene Region zu befrieden. Ihrer Stärke und ihrer Schiffe beraubt würden die Daima und Daina alleine schon des Überlebens Willen miteinander arbeiten. Aber…“ „Aber dann kam die Fraktion dazwischen, welche die Götter mit Technologie versorgt“, sagte Kuzo ernst. „Richtig. Und damit beginnt unser eigentliches Problem. Hattet ihr zwei jemals Endzeitvisionen? Ich meine jetzt nicht die Endzeitvision vom Ende der Welt. Das wäre lächerlich, denn wir bräuchten Lemuria nur zu verlassen, um dem zu entgehen. Und ich meine auch nicht das Ende aller Zeiten, denn vom Kollaps des Universums sind wir laut neuesten Berechnungen noch vierundachtzig Milliarden Jahre entfernt. Nein, ich spreche vom Ende unserer Zivilisation.“ „Manchmal. Wenn ich zu schwer gegessen habe“, meldete sich Kuzo zu Wort. „Ich eigentlich nie“, sagte Henry, während die derzeitige reale Situation in der Galaxis durch seinen Geist ging. Einige wenige Daimon, in denen sich Dai zurückgezogen hatten, jederzeit in Gefahr, von den Strafern der Götter aufgespürt zu werden, und dann vor der Vernichtung zu stehen… Selbst die Daimon auf der Erde, die zweifellos den Kontinent Atalantis in sich aufgenommen und von der Welt isoliert hatte, die mächtigste von allen, hatte die Götter nicht ewig davon abschrecken können, sich an ihrem Schutz zu versuchen, wie der Angriff kurz vor dem Start der AURORA bewiesen hatte. All das was Mentro Zirkos befürchtete, war nahezu wahr geworden. Die Daina und Daima hatten ihren Preis bezahlt, waren zersprengt, vernichtet, ja nahezu ausgerottet worden. Nur wenige Populationen existierten noch und streckten vorsichtig ihre Fühler ins All hinaus, bauten kleine Reiche auf, die aber angesichts des Hologramms, das im Büro schwebte und die Ausmaße DIESES Reiches zeigte, nur bessere Schatten waren. „Eigentlich nie…“ „So, dann will ich euch mal eines Besseren belehren. Es gibt jemanden, der genau das herbeiführen will. Oder vielmehr eine Gruppe. Sie will, dass die Zivilisation, wie wir sie kennen, von den Göttern ausgelöscht wird, deshalb findet der Technologietransfer statt. Ich weiß nicht, ob diese Gruppe vorhat dabei zu zu sehen wie die Götter einen Krieg gegen uns führen um dann der lachende Dritte zu sein oder ob es allesamt Nihilisten sind, die sich ihren Tod von der Hand der Götter herbeisehnen. Vielleicht sind sie irgendetwas dazwischen. Sean, du wirst für mich herausfinden, was sie tun, warum sie es tun und dann wirst du verhindern, dass sie es tun.“ Mentro schnaubte wütend auf. „Andererseits sind einige ihrer Argumente recht schlüssig und dazu angetan, an unserer Reife zu zweifeln, und an unserem Recht, uns über die Sterne auszubreiten. Immerhin haben wir ein halbes Dutzend Völker von Außerirdischen vernichtet. Immerhin führen wir einen Bruderkrieg, der bereits mehr Leben gekostet hat als auf Lemuria existieren. Und immerhin waren es Dai, welche die Götter überhaupt erst an den Rand der Ausrottung getrieben haben. Die toten Götter während der Kämpfe nicht mitgerechnet, Karit.“ Dai-Kuzo lächelte dünn. Sie hatte sich schon früh einen Namen gemacht, weil sie Götter bereits mit bloßen Händen besiegt hatte. Ihre Fähigkeiten gegen die normalerweise körperlich weit überlegenen Gegner waren geradezu legendär. „Aber ich werde nicht zulassen, dass zwanzig Milliarden Daina und Daima sterben müssen, weil ein paar Tausend schreckliche Verbrechen begangen haben! Ich lasse nicht alle pauschal leiden und untergehen. Und das Argument, dass bei all unserer Friedfertigkeit irgendwann einmal wieder ein aggressiver Eroberer aus unseren Reihen empor steigen könnte, der das ganze Universum terrorisiert und Milliarden fremder Leben vernichtet, lasse ich auch nicht gelten! Sean, halte die Götter auf. Und dann sehen wir weiter, was wir mit all diesen Idioten tun können, die nichts besseres vor haben, als sich gegenseitig den Schädel einzuschlagen.“ Der Dai sah zu Dai-Kuzo herüber. „Willst du ihn begleiten, Karit Ohana?“ „Ich werde ihn begleiten. Seine Fähigkeiten der Recherche sind meinen weit überlegen, aber er wird vielleicht meine Kampfschiffe brauchen.“ „Dann ist es beschlossen. Geht, Kinder, geht mit meinem Segen. Ach, und Karit, es wird vielleicht langsam Zeit für dich, selbst eine Dai zu werden. Ich werde nicht für immer Herr der Dai und Oberkommandierender zugleich sein. Ich brauche einen exzellenten Nachfolger als Obersten Dai. Ich brauche dich.“ „Ich denke über deine Worte nach, Vater.“ Sie nickte, dann erhoben sich Henry und die Reyan Oren und verließen den Raum. „Wir wissen wie unsere Realität aussieht, oder?“ Henrys Miene war ernst, angespannt, regelrecht geplagt. „Alle Dai haben sich in unserer Zeit in Daimon zurückgezogen. Zumindest in jene paar wenigen Daimon, die noch existieren. Und dort hocken sie und drohen jederzeit von den Strafern entdeckt und vernichtet zu werden. Selbst auf der Erde hockt ihr Dai alle unter eurer Kuppel, in einem eigenen kleinen Universum, vor dem ihr vor den Göttern sicher zu sein glaubt. Sie gehen euch zwar nicht direkt an, aber es gibt Nadelstiche. Viele kleine Nadelstiche. Noch fürchten sie die Depotwelt, von der mir erzählt wurde. Noch fürchten sie die vielen Kommandoschiffe wie die ADAMAS, die dort lagern sollen. Aber wie lange noch? Und die wichtigste Frage ist: Können die Dai diese Kommandoschiffe überhaupt einsetzen?“ „Nein, das können sie nicht. Aber das wissen die Götter nicht.“ „Bis sie es irgendwann einmal ausprobieren. Und was machen wir dann?“ „Bis dahin haben wir eine Lösung“, versprach Dai-Kuzo. „Und um die Zeit bis dahin zu nutzen sollten wir jetzt aufbrechen und uns um die Götter kümmern. Vergiss dabei nicht, dass dies…“ „Schon klar. Dies ist eine fiktive Welt. Ich kann die Geschichte hier nicht umschreiben, aber ich kann sie sehr gut beobachten.“ „Das auch. Aber ich meinte eigentlich, vergiss nicht den Zeitablauf zu beschleunigen. Oder willst du wirklich drei Monate fliegen, um das Einsatzgebiet zu erreichen?“ „Oh“, machte Henry. „Das ist ein Argument.“ *** „VERDAMMT!“ Wütend trat ich die Pedale für den Beinantrieb durch. Dies katapultierte Prime Lightning mit einem Schlag voran, fort von der AURORA und näher an den Abfangkordon, den die Otome gegen den Partikelschlag des Strafers aufgebaut hatten. „Yohko, Hina, baut mich mit ein! Ich…“ Rasender Kopfschmerz fiel über mich her. Mein Mund war plötzlich wie ausgedörrt und der Blick vor meinen Augen verschwamm. „Nein, Onii-chan!“, klang Yohkos Stimme protestierend auf. „Wir schaffen das schon! Eine solche KI-Abwehr ist zu schwierig für dich, solange du krank bist!“ Ich hielt meinen Schädel mit der Linken, weil ich befürchtete er würde mir bersten. Am liebsten hätte ich den Helm abgenommen und mir ein paarmal kräftig gegen den Kopf geschlagen, um diesen wahnwitzigen Schmerz zu unterdrücken oder abzulösen. Aber das ging nicht in einer Kampfsituation. Währenddessen schoss ich weiter auf die Phalanx der Otome zu. „Kitsune-chan.“ „Ich kann dir leider nicht helfen. Tut mir Leid, Akira.“ Sie sah mich bedauernd an, dann verließ sie mein Cockpit. Sekunden darauf tauchte sie wieder auf, durchdrang das stabile Material meines Helms und gab mir einen unerwarteten und ziemlich guten Kuss, von dem ich Megumi besser niemals etwas erzählte. „Als Glücksbringer“, hauchte sie mit einem Lächeln und verschwand vor meinen Augen. „Glücksbringer? Wofür?“, fragte ich, doch niemand antwortete mir. „Akira, du hast mitten…!“, hörte ich Doitsu rufen. Irritiert checkte ich meine Umgebung. Ich hatte die Front der Otome hinter mir gelassen und… steuerte in die abgeschossene Partikelwelle hinein. „AKIRA!“ „Verdammter Mist!“, blaffte ich wütend. Ich war wohl doch angeschlagener als ich gedacht hatte. Ich warf die Maschine herum und ging auf vollen Gegenschub. Aber ich wusste, dass ich es bis zu den Otome und ihren Sperrriegel niemals schaffen würde. Also versuchte ich, zur Seite auszuweichen. Nun, versuchen traf es. Wäre ich nicht so im Schatten meines Fiebers gewesen, hätte ich längst gemerkt, dass Prime diese Maßnahme bereits selbst ergriffen hatte. Ich hätte bemerkt, wie sich der gigantische Mecha um mich herum zusammenkrümmte, um mich doch noch irgendwie zu beschützen. Ich hätte gemerkt, wie verdammt nahe die Partikelwelle schon war. Genützt hätte es mir wahrlich nichts. Aufprall! *** Ich öffnete die Augen. Unter meinen Füßen spürte ich festen Boden, wenngleich ich ihn nicht sehen konnte. Meine Umgebung war erfüllt mit Schwärze und Dunkelheit, mit einer allumfassenden Finsternis, die nichts preisgab. Nichts, nur mich. Ich stand inmitten dieser Finsternis, als würde mich ein besonders leistungsfähiger Scheinwerfer von oben anstrahlen. Aber das stimmte nicht ganz. Ich leuchtete von selbst, ich strahlte geradezu vor aktivem, für den Kampf produziertem KI. Ich sah an mir herab und erkannte eine Arogad-Hausuniform. In meinem Leben hatte ich sie bisher zweimal als KI-Rüstung angelegt. Nun erfolgte es zum dritten Mal, und ich hatte nicht einen winzigen Moment Zweifel daran, dass dies kein Traum war. Nein, es war die Realität. „Das ist er also“, erklang eine tiefe, melodische Stimme. Die Dunkelheit riss auf und entblößte einen klein gewachsenen Insektoiden mit ellyptischem Schädel und zwei Paar Facettenaugen. Er trug eine schwarze Uniform, die nur wenig von dem dunkelgrünen Chitinpanzer enthüllte. „Ich stimme zu“, klang eine andere, hellere und kratzige Stimme auf. Ein imaginärer Spot entriss einen hoch gewachsenen, silberhäutigen Humanoiden der Finsternis. Soweit ich es erkennen konnte, trug er keinerlei Kleidung. Oder war es eine sie? Ein Neutrum? „Wir sehen hier vor uns einen Reyan Maxus.“ Aufgeregtes Raunen in verschiedenen Stimmlagen, Tonarten und Sprachen erfolgte. „Ruhe“, klang eine mechanisch klingende Stimme auf. Ein drittes Wesen wurde der Dunkelheit entrissen. Sie entpuppte sich als schwebendes rotes Dreieck, welches auf der Spitze stand und mit einem Auge verziert war. Dieses Auge öffnete sich, um mich direkt anzusehen. „Der Reyan Maxus ist seit neuntausend Zyklen nicht mehr aufgetaucht. Wir wähnten ihn vernichtet, ausgerottet, getilgt“, referierte die mechanische Stimme. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieses Ding da wirklich ein Roboter oder ein Computer war. „Wir haben die falschen Informationen gehabt. Wenn die Daina dieser Zeit Reyan Oren hervor bringen können, bedeutet dies noch nicht, dass es auch Reyan Maxus gibt. Aber hier haben wir das Gegenteil gesehen. Das fremde Sphärenschiff AURORA hat nicht nur Daina und Daima in friedlicher Eintracht an Bord, verfügt nicht nur über Dai von verschiedenen Welten, einschließlich Lemuria. Nein, es trägt auch Reyan an Bord. Und mit jenem hier verfügen sie über einen Maxus. Ich denke, wir alle kennen die Gefahr, die ein Maxus für uns bedeutet. Ich denke, wir alle wissen, was die Maxus den Göttern angetan haben. Und ich weiß, dass die einzige Lösung die Ausrottung dieser Bedrohung ist.“ „Den Göttern“, raunte jemand ehrfürchtig, und ein anderer begann einen monotonen Singsang, der mir wie ein Gebet erschien. „Wir können niemals alle vernichten“, sagte der Insektoide ernst. „Das haben wir nicht geschafft und das werden wir auch nicht schaffen. Irgendwo werden sie überleben und von irgendwoher werden sie wiederkehren.“ „Dem stimme ich zu“, meldete sich die Stimme zu Wort, die gebetet hatte. Ein neuer Spot entriss ein Wesen der Finsternis, das ich spontan mit einem Zentauren verglich, einem menschlichen Oberkörper, der auf einem Pferdeleib thronte. Aber es gab Unterschiede, gravierende Unterschiede. „Lasst uns stattdessen damit fort fahren, die Dai zu vernichten. Sie waren es, die den Krieg über uns und die Götter gebracht haben. Und sie sind es, die einen Reyan Maxus erwecken können. Auch ohne den Core als Scout werden wir weitere Daimon aufspüren und vernichten und damit die Gefahr der Reyan Maxus ein für allemal bannen. Aber zuerst sollten wir auf die nahe liegenste Gefahr reagieren. Vernichten wir diesen Reyan Maxus, und zwar sofort. Danach können wir unsere Truppen aus allen Teilen der Galaxis zusammen ziehen und die Daimon um Lemuria, Aret und Tski vernichten – und damit alles, was sich in ihnen befindet.“ Zustimmendes Gemurmel erklang. „Dann ist es beschlossen. Wir beginnen mit der Vernichtung des Reyan Maxus.“ Das Auge fixierte mich, und für einen Moment meinte ich, irgendetwas spüren zu müssen. Brennenden Schmerz, unendliche Pein, etwas in der Art. „Hat der Reyan Maxus etwas zu sagen?“ „Ja, hat er. Können wir das nicht friedlich beilegen? Ich meine, Hey, irgendwo gibt es doch sicher einen gemeinsamen Nenner, auf dem wir kommunizieren können, oder? Sind fünfzigtausend Jahre Krieg denn wirklich so schrecklich, dass wir sie nicht mit einem Gespräch unter friedlichen Wesen beiseite schieben können?“ Okay, die Rede war nicht sehr berauschend gewesen. Aber dies war mein erster Kontakt, den ich direkt mit den Göttern hatte, und warum nicht wenigstens den Versuch machen, es einmal besser hinzukriegen? Der Insektoide sah zu mir herüber. „Schön, dass Sie das ansprechen, Reyan Maxus. Wir Itoferinaer sind ja schon lange der Meinung, dass…“ „Naxos!“, sagte das Dreieck mahnend. „Aber ich sage ja nur, dass…“ „Naxos!“ „Ich wollte ja auch gar nicht, nur darauf hinweisen, dass…“ „NAXOS!“, riefen nun alle Anwesenden zugleich. „Darf man hier als Kind der Götter nicht mal mehr die eigene Meinung äußern?“ „Nein“, bestimmte das Dreieck. Die Lichter über den anderen Wesen erloschen, einzig das Dreieck war zu sehen. „Reyan Maxus. Die Programmierung sieht Verhandlungen oder gar Frieden nicht vor. Die Programmierung handelt einzig und allein davon, dass den Dai nicht gestattet wird, die Galaxis erneut mit Krieg zu übersäen. Zu diesem Zweck führen wir einen Vernichtungsfeldzug gegen sie, sobald sie sich aus ihren Daimon hervorwagen. Du als ihr Handlanger bist davon ebenso betroffen, darüber hinaus alle Bewohner des Sphärenschiffs AURORA. Dies ist der Wille der Götter. Dies ist der Wille der Kinder der Götter.“ „Moment, Moment, reicht es nicht, dass sich Daina und Daima untereinander bekämpfen? Wir haben doch gar keine Zeit, um uns auch noch um die Götter zu kümmern. Könnt ihr euren Vernichtungsfeldzug nicht aufschieben? Vielleicht vernichten wir uns ja auch gegenseitig und die Dai gleich mit, dann habt ihr nicht mal Arbeit an der Geschichte!“ Das Dreieck schwieg. Ich schöpfte Hoffnung, und zwar genau bis zu der Sekunde, in der es wieder zum sprechen ansetzte. „Wir können nicht warten. Im Gegenteil. Wir müssen unsere Arbeit beschleunigen. Die Errichtung dreier gigantischer Daimon im Orbit der Sonne Sol ist ein klares Warnsignal davor, wie sehr die Dai mittlerweile wieder erstarkt sind. Die Programmierung sieht einen Präventivschlag vor.“ „Ändert die Programmierung doch einfach“, wandte ich ein. „Das können nur die Götter.“ „Rede ich nicht mit den Göttern? Kann ich mit ihnen sprechen? Kann ich sie vielleicht überzeugen, uns allen eine Chance zu geben? Sind ihnen fünfzigtausend Jahre Krieg nicht auch zuviel mittlerweile?“ „Nein.“ „Und warum nicht?“ Frustriert schnaubte ich aus. „Ihr habt die Götter ausgelöscht, Reyan Maxus.“ Das Licht um das Dreieck begann zu verblassen. „Harre der Auslöschung deiner Existenz, Reyan Maxus.“ Ach, so lief der Hase. Langsam verstand ich. Mehr und mehr. Mosaiksteine erreichten ihren Platz, das Gesamtbild wurde sichtbar. Das Geschehen breitete sich vor mir aus. „Ich habe einen Namen“, sagte ich fest in die Dunkelheit hinaus. „Und ihr werdet diesen Namen noch fürchten, wenn ihr weiterhin auf eurem kleinen Krieg beharrt! Ich bin Akira Otomo, merkt euch das!“ Übergangslos wurde es dunkel um mich herum. *** „AKIRA!“ „Schrei nicht so, ich bin ja nicht taub! Prime, wie lange war ich verschwunden?“ „Verschwunden, Sir?“ „Schon gut“, brummte ich. Unter was hatte ich das gerade Erlebte also abzubuchen? Nahtoderlebnis? Interstellares Channeling? Inwiefern stand das Erlebte mit dem Stillstand der Zeit in Zusammenhang? Ich runzelte die Stirn. Innerhalb eines Biocomputers konnten Menschen ihren Zeitablauf beschleunigen, oft auf erstaunliche Werte. Kam mir nun etwa meine Gefangenschaft bei den Kronosiern zugute? Ich spürte es, irgendwie war ich auf einem guten Weg zu einer wichtigen Erkenntnis. Und in welchem Zusammenhang stand nun diese, sagen wir mal Konferenz, zur abgeschossenen Partikelwelle des Strafers? Abgeschossene Partikelwelle? Richtig, da war ja noch was! „Prime, konnten wir ausweichen? Dumme Frage, natürlich konnten wir ausweichen! Immerhin existieren wir noch, oder?“ „Nein, Sir, wir konnten nicht ausweichen. Aber darf ich Sie dazu auffordern, sich einmal umzusehen?“ „Was soll der Blödsinn, Prime. Wenn wir nicht ausweichen konnten, dann ging der Strahl einmal durch uns durch und traf die Abwehr der Otome und… Warum soll ich mich umsehen?“ Irritiert öffnete ich die Augen. Ich meine, die ganze Zeit hatte ich gedacht, ich würde in meinem Sessel im Cockpit von Prime Lightning sitzen und auf die Anzeigen sehen. Nun aber erkannte ich, dass ich inmitten einer gläsernen Sphäre schwebte, die vollen Ausblick auf das umgebende All gewährte. Ich trug erstaunlicherweise immer noch – oder schon wieder – die Arogad-Hausuniform. Oder etwas, was ich auf den ersten Blick dafür gehalten hatte. „Was ist das? Und wo ist der Partikelstrahl geblieben?“ „Sir, wir haben den Partikelbeam aufgespaltet. Einen Teil der Energie haben wir absorbiert. Die Otome hatten dann wenig Probleme, den Schuss abzulenken. Und dann haben Sie spontan damit begonnen, mich… Nun, aufzublähen trifft es wohl. Ich tippe darauf, dass Sie die Abstände der Moleküle drastisch erhöht haben. Dennoch habe ich nichts von meiner Konsistenz verloren, geschweige denn von meiner Panzerung. Im Gegenteil. Ich verfüge über erstaunliche Energiereserven. Ach, und bevor es Ihnen jemand anderes sagt, Sir, die Strafer ziehen sich zurück. Vorerst, zumindest.“ „Wieso habe ich nur das dämliche Gefühl, dass du mit dieser Beobachtung Recht hast, Prime?“, fragte ich mit Sarkasmus in der Stimme. „Akira, was hast du gemacht?“ Sakura! Verdammt, sie war auf mich aufmerksam geworden! Ich hatte krank mein Bett verlassen… War gegen ärztlichen Rat in einen Mecha gestiegen… Hatte mich am Kampf beteiligt… Und bin dummerweise mitten in den Partikelstrahl des Strafers hinein geflogen… Offiziell war ich Eigentümer der AURORA, ja, eigentlich sogar Expeditionsleiter. Ganz davon abgesehen, dass ich beim Core und hier bei den Iovar eine ganz große Nummer war. Aber das bewahrte mich sicherlich nicht vor einer Schelte meiner Cousine. Garantiert nicht. „Ich bin krank! Reicht das als Ausrede?“, sagte ich hastig. „Krank? Und deshalb hast du Prime Lightnings Größe verdreifacht?“ „WAS?“ 4. Das Phänomen war nicht von der Hand zu weisen. Ich befand mich nicht länger im Cockpit von Prime, ich war… Irgendwo in ihm. Ich konnte ihn steuern, ihm Befehle geben und dergleichen, unsere Verbindung war besser als jemals zuvor. Aber das war doch nicht normal, egal wie RICHTIG es sich anfühlte! Und dann meine merkwürdige Erfahrung, als ich glaubte, mit den Kindern der Götter verhandelt zu haben… Okay, mittlerweile hatte ich genügend erlebt, um zumindest anzunehmen, dass dieser Part der Geschichte real war. Waren das also meine Fähigkeiten als Reyan Maxus? Wo begannen diese Fähigkeiten, wo endeten sie? Und warum verfügte ich über sie? Wieso schob das Schicksal mich mal wieder an der Spitze einer großen Bugwelle vor sich her und warf mich ständig, ständig in unbekanntes Gewässer? Zuerst die Kronosier, dann die Anelp, später die Naguad, denen flugs die Iovar folgten. Dichtauf der Core und letztendlich die Götter… Hörte das irgendwann einmal auf? War irgendwo ein Ende in Sicht? Ein Ziel? Oder würde wenigstens mal ein anderer die Spitzenposition einnehmen? Mitte zweiundzwanzig, und ich litt am Managersyndrom, die Welt war ironisch und köstlich – für alle anderen außer mir. „Akira! Wie hast du das gemacht?“, klang Sakuras Stimme auf. „Äh… Aus dem Handgelenk?“ „Das ist mir klar, aber ich hätte gerne Informationen über den technischen Ablauf.“ „Wie soll ich dir was erklären, was ich selbst nicht weiß? Frag Kitsune-chan, die weiß wahrscheinlich ganz genau, was hier passiert ist.“ „Ist sie nicht bei dir im Cockpit?“ „Nein, sie ist vorhin abgesprungen. Keine Ahnung, wo sie sich jetzt rumtreibt. Wenigstens können wir bei ihr sicher sein, dass sie auf sich selbst aufpassen kann“, erwiderte ich säuerlich. „Du schaffst mich, Akira. Komm erstmal wieder rein. Die Götter ziehen ab, die Aufräumarbeiten und Bergungsmanöver liegen im Plan und du stehst eh nicht auf der Flugliste.“ Ach ja, da war ja noch was. „Bin schon unterwegs“, murmelte ich kleinlaut. Na, wenigstens das Fieber war wie weg geblasen. „Äh, Prime?“ „Sir?“ „Wie bewegen wir uns?“ „Sir, ich schlage vor, dass… Ich habe keine Ahnung. Vielleicht sollten Sie einfach denken, dass wir uns bewegen?“ Ein heftiger Ruck ging durch den auf das dreifache vergrößerten Prime Lightning. „Keine Sorge, probiere in aller Ruhe herum. Inzwischen schleusen wir dich wieder ein“, klang Megumis fröhliche Stimme neben mir auf. „Unglaublich. Da hole ich gerade als KI-Meisterin zu ihm auf, und schon legt er wieder einen vor.“ „Ja, es ist unglaublich“, antwortete ihr Doitsu. Ein Hologramm, das vor meinen Augen entstand zeigte mir, dass Lady Death meinen Mecha zusammen mit Katana ergriffen hatte und nun zurück zur AURORA zog. „Da denkt man einmal, endlich sieht man ihn, und dann setzt er zu einem Zwischensprint an und zieht wieder davon.“ „Kitsune-chan ist schuld!“, rief ich. „Die hat irgendwas mit mir gemacht und…“ „Ja, irgendwas WIRD sie mit dir gemacht haben, wenn du wieder chan an ihren Namen dran hängst, Akira“, säuselte Megumi. „Wir reden auf der AURORA darüber.“ Relativ schnell fand ich heraus, dass ich das Hologramm vor mir beeinflussen konnte, wenn ich einen klaren Gedanken formte. Es war ähnlich wie die Instinktsteuerung, die beim Hawk und auch beim Daishi Anwendung gefunden hatte. Als das Hologramm fast den gesamten freien Innenraum ausfüllte und ein Teil meines Körpers in ihm verschwand, fügte ich hinzu: Zu gut. Rund um mich herum arbeiteten die Mecha-Piloten und die Schiffsbesatzungen mit vollem Einsatz, um die havarierten und angeschlagenen Schiffe, Banges und Rettungskapseln der kaiserlichen Truppen einzusammeln. Sakura hatte diese Aktion nicht eine Sekunde unterbrochen, aber das war bei ihr auch nicht anders zu erwarten gewesen. Währenddessen näherte ich mich mit meinen beiden Begleitern der AURORA, und damit kam ich meiner Cousine immer näher. Und sie war einer von einer Handvoll Menschen, gegen die ich nie aufbegehren konnte, die mich selbst nach acht Jahren als Soldat noch dominieren konnten. „Das kann doch alles nicht wahr sein“, murmelte ich verzweifelt. Und wohin war Kitsune verschwunden? *** An Bord der AURORA übernahm meine Professionalität. Ja, auch ich konnte das, professionell sein, Soldat sein, Befehlshaber sein. Ich war eben nicht nur der hitzköpfige Überflieger, das Mega-Ass, welches nur auf seine Abschusszahlen schaute. Ich war auch ein umsichtiger, zwar fordernder, aber lehrbereiter Vorgesetzter mit Maß und Verstand. Nun, vielleicht nicht immer mit Maß und nicht immer mit Verstand, wenn ich daran dachte, dass ich sowohl einmal die komplette Hekatoncheiren-Division als auch 5. Banges-Division der Arogads herausgefordert und besiegt hatte – mehr oder weniger besiegt. Aber ich hatte es drauf. Ich war Offizier. Ich war… Tja, im Moment eigentlich gar nichts, aber ich nahm doch mal ganz stark an, dass meine Position als militärischer Oberbefehlshaber des Cores, dass meine Position als Protektor des Intendenten und mein terranischer Rang eines Division Commanders, den ich bis zu meiner Entführung durch Torum Acati inne gehabt hatte, irgendeinen Wert hatten. Okay, Division Commander war nun Megumi, aber von Rechts wegen hätte ich ihr den Job weg nehmen und alle unter ihr einen Rang runter rutschen lassen sollen. Alternativ hätte ich auch die Hekatoncheiren auf Korpsgröße aufblähen können und wäre dann als General mit drei Sternen auf der Schulter deren Anführer geworden… Etwas in der Art halt. Zum Glück ließen mir meine Nebenjobs nicht die Zeit. Also, wie gesagt, die Professionalität in mir übernahm, und deshalb berief ich eine Konferenz der wichtigsten Offiziere ein, egal ob sie auf der AURORA waren oder draußen im kalten All unterwegs. Außerdem ließ ich mich vernetzen, soweit das überlichtschnelle Funknetz reichte. Im Moment ging es nur bis zur Erde. Dort kam es wegen der Vielzahl der Relais zu einer Zeitverzögerung, wenn ich mit Lorania oder gar Nag Prime sprechen wollte. Dennoch waren beide Welten hinzu geschaltet. Als ich den Konferenzraum mit Megumi und Doitsu im Schlepp betrat, erwarteten mich also schon eine Reihe gespannter Gesichter, und eines davon gehörte… Juichiro Tora? „Nein, erklärt es mir nicht“, sagte ich mit einem Kopfschütteln in Richtung Vater, der gerade zum sprechen hatte ansetzen wollen, „ich habe heute wirklich genug erlebt.“ Ich nahm Platz, sah in die Runde und sagte: „Dai-Kuzo-sama, wir müssen uns mal über die Begriffe Reyan, Reyan Oren und Reyan Maxus unterhalten.“ „Maxus? Was ist das denn schon wieder? Ist das deine Neuigkeit, mit der du Prime aufgebläht hast?“, hakte Megumi nach. „Zumindest solange wie ich an Bord war. Was mir das nützen soll weiß ich zwar nicht, aber es muss was großes sein.“ „Woher hast du diesen Begriff, Akira?“, fragte Dai-Kuzo ernst. Kurz referierte ich von meiner Begegnung im Partikelstrahl, von der Gerichtsverhandlung und von den Kindern der Götter. Und ich erwähnte den wichtigsten Punkt: Das sie mich fortan jagen würden. „Das habe ich dann wohl Kitsune zu verdanken. Wo steckt sie überhaupt? Und wo ist der Wolf?“ „Ja, es war wohl Kitsunes Entscheidung, dich nun zu wecken, Akira. Und deshalb werde ich wohl auch eine Entscheidung treffen müssen, jetzt, wo die Götter ihre Augen auf dich und die AURORA richten.“ Sie nickte jemandem außerhalb ihres Sichtfeldes zu, und Vater trat entsetzt einen Schritt zurück. Dai-Kuzo lächelte dünn. „An Bord der AURORA sollte es bald einen Eindringlingsalarm geben.“ „Einen Eindringlingsalarm?“ Ich runzelte die Stirn. „Du solltest Yohko so schnell es geht an Bord rufen. Sie wird sicher nützlich dabei sein, mein kleines Geschenk für dich einzufangen.“ „Geschenk, ha! Jetzt weiß ich wenigstens, woher der Spruch kommt: Hüte dich vor den Danaern, wenn sie Geschenke bringen. Ursprünglich hieß er bestimmt: Hüte dich vor den Dämonen, wenn sie Geschenke bringen.“ Eikichi sah mich ernst, amüsiert, aber irgendwie auch erleichtert an. „Akira. Dai-Kuzo hat dir Sphinx geschickt. Sie ist eine… Eine ganz besondere Dai mit ungewöhnlich großer Macht, aber extrem kurzer Auffassungsspanne. Sie ist nicht dumm, nur schrecklich schnell gelangweilt. Aber ich denke, du und Yohko werdet sie im Griff haben.“ Ich spürte, wir mir das Blut aus dem Körper in die Beine sackte. „Geschickt? Zusammen mit dem Eindringlingsalarm bedeutet das ja…“ „Richtig. Sie befindet sich jetzt irgendwo an Bord der AURORA. Bevor sie zu viel Chaos anrichtet, solltest du sie einfangen gehen. Und nimm dir Yohko zu Hilfe. Sie reagiert auf Verwandte.“ „Verwandte?“, echote ich. Blut gehörte bestimmt nicht zu den Dingen, die gerade mein Gehirn versorgten. „Eine Schwester deiner Ur-Ur-Großmutter väterlicherseits, mein lieber Junge. Ja, guck nicht so dumm. Du hast auch Blut der Dai in deinen Adern, wenngleich nur ein paar Tropfen.“ „Und wann wolltest du mir und Yohko das sagen?“ „Eigentlich nie.“ Es klang amüsiert, aber Vater wurde schnell wieder ernst. „Akira, dir und der AURORA steht eine schwere Zeit bevor. Wenn die Götter weitere Schiffe heranziehen, weil du plötzlich das Primärziel bist, dann wird der Weltraum weiß vor Strafern sein. Du musst sofort das System verlassen. Die AURORA muss sofort das System verlassen. Du hast einen Plan?“ „Wir hatten sowieso vor, Katz und Maus mit den Göttern zu spielen“, erwiderte ich, noch immer geschockt von den Ereignissen und von den Informationen. Ich nickte Sakura zu, die zurück nickte und erste Befehle gab. Dann erhob ich mich, um die Suche nach Sphinx zu leiten. Mit halbem Ohr hörte ich mit, wie Sakura Yohko zurück rief. „Ach, eines noch. Ich weiß nicht ob es wichtig ist. Aber die Stimme, die für die Götter gesprochen hat, hat gesagt, dass die Götter tot sind. Hilft uns das weiter?“ Nun, ich hatte Vater des Öfteren bleich gesehen, nicht aber Dai-Kuzo. „Hat die Stimme tot gesagt? Nicht nahezu ausgerottet? Oder im Exil? Irgendwas in der Art?“ „Nein, es war definitiv tot.“ „Dann haben wir es nur noch mit der Robotverwaltung zu tun.“ „Aber da sind die Kinder der Götter, die…“, wandte ich ein. „Nein. Nur mit der Verwaltung. Und das bedeutet, dass sie die Erde angreifen werden. Die AURORA wird Priorität haben, aber nicht für immer. Akira, könnt ihr die Götter für vielleicht ein halbes Jahr beschäftigt halten? Bitte, es ist wichtig.“ „Wir tun es“, sagte ich fest. Allerdings war ich nicht so ganz davon überzeugt, dass ich dieses Versprechen einhalten konnte. „Das ist alles was ich will“, schloss Dai-Kuzo, und die Verbindung erlosch. „Na, dann wollen wir doch mal Ur-Großtante suchen gehen“, schmunzelte ich. Davon gehört hatte ich ja schon, dass es auf Planeten Ley-Linien gab, die Erdströme miteinander verbanden, und dass es Lokk-Linien gab, die Planeten verbanden. Und ich wusste, dass besonders starke Dai auf ihnen reisen konnten. Mir war aber absolut neu, dass dies auch auf interstellarer Ebene möglich war. Das ließ mich vor Großtante ein wenig frösteln. Aber das machte die Sache auch interessanter. „Helft ihr mir suchen?“, fragte ich in Megumis und Doitsus Richtung. *** Ungefähr sechzig Lichtjahre entfernt fand auch eine Sitzung statt, zudem zur gleichen Zeit. Die Angehörigen dieser illustren Runde waren die Räte der geflohenen Logodoboro, die den Aufstand mit Hilfe des Cores geprobt hatten, zumindest der größte Teil von ihnen. All jene, die auf ZASTUR, der großen Kampfplattform im Orbit von Zast, der Hauptwelt der Logodoboro-Mark anwesend waren. Girona Logodoboro führten den Vorsitz. Offiziell war er als Herr des Clans abgesetzt worden, ersetzt von Agrial, der verhassten Urahnin, die er für über tausend Jahre in einen Biotank gesperrt hatte. Die hatte sterben sollen, wenn der Turm gewaltsam erobert wurde. Anscheinend hatte er beide unterschätzt. Sowohl Agrial als auch das Militär der Naguad. „Das war die letzte Flotte“, sagte Kerran Logodoboro sarkastisch und deutete auf den großen Bildschirm an der Wand. „Die letzten tausend Raider haben das Zastar-System verlassen. Damit sind es nur noch wir und unsere Getreuen, die unsere Mark verteidigen.“ Was er damit hatte sagen wollen war klar: Die Idee, das Naguad-Reich mit Hilfe des Cores aufzubrechen und ein eigenes kleines Imperium für ihr Haus zu gründen, war damit gründlich daneben gegangen. Man hatte ihnen einen zünftigen Strich durch die Rechnung gemacht, und man hatte einen Namen: Aris Arogad! „Was willst du damit sagen? Willst du dir ein Kriegsschiff schnappen, nach Nag zurückfliegen und vor Agrial auf dem Bauch kriechen, damit sie dich wieder ins Haus aufnimmt?“, fauchte Lexin Virat aufgebracht. Die Virat waren schon immer Hitzköpfe gewesen, was sie für den Dienst an der Waffe und dem Banges beinahe ideal machte. Aber Lexin hatte ihre rüde, direkte und aufbrausende Art bis in den Rat gespült. „Nein, natürlich nicht. Aber bin ich der einzige, der sieht, dass der Plan gescheitert ist? Daness und Arogad haben sich verbrüdert, sind beinahe schon verschmolzen. Fioran und Elwenfelt hängen sich an diese Gigantenhochzeit an wie an Mamas Rockzipfel und die anderen Häuser, voran die reformierten Logodoboro, tanzen nach ihrer Pfeife. Ohne die Hilfe der Raider werden wir nicht mehr lange widerstehen können. Gewiss, alle Welten außerhalb des Nag-Systems sind in unserer Hand, fast siebenundachtzig Prozent unserer Haustruppen sind auf unserem Gebiet und gehorchen uns, aber das ist sehr wenig im Anbetracht der Macht der anderen Häuser oder gar der Flotte des Imperiums. Ohne die Hilfe des Cores werden wir…“ „Du kennst die neuesten Fakten nicht, Kerran“, mahnte Girona ernst. „Es stimmt, der Core wurde zurückgerufen, aus Gründen, die uns nicht mitgeteilt wurden. Das Bündnis wurde aufgekündigt, aus Gründen, die uns nicht mitgeteilt wurden. Unsere hirnlosen Sturmtruppen haben uns verlassen. Das ist schade, aber im Moment nicht zu ändern. Aber es ist nicht ganz der Verlust, für den du ihn hältst, mein Junge.“ Er nickte in Richtung der Tür. Eine Ordonnanz öffnete. Die jugendlich wirkende Frau mit den langen braunen Haaren sah amüsiert in die Runde und genoss die Aufmerksamkeit, die sie mit ihrem Auftritt erzielte. „Entschuldigt bitte“, sagte Listair Koromando, Herrin des Koromando-Clans, „bin ich hier richtig bei der Konferenz derjenigen Haus-Räte, die sich nicht mehr länger von Arogad und Daness gängeln lassen wollen und dafür zu kämpfen bereit sind?“ „Ein Haus mehr reicht uns auch nicht“, murrte Kerran. „Obwohl die Hilfe mehr als willkommen ist, Meister Koromando.“ „Oh, ich komme nicht allein. Ich bringe schon ein wenig mehr mit. Es ist ja nicht so, als wäre meine Anwesenheit hier eine spontane Entscheidung.“ „Ich weiß“, klang der tiefe Bass eines kräftigen Mannes in der Tür auf, „ich bin nicht Meister meines Hauses, aber erlaubt mir zu sagen, dass auch die Grandanaar sich nicht mehr länger von Daness und Arogad dominieren lassen wollen.“ „Kivven Grandanaar“, stellte Girona fest. „Bist du jetzt zufrieden, Kerran?“ „Es verbessert unsere Chancen erheblich. Aber es kommt darauf an, wie viele Truppen uns zur Verfügung gestellt werden. Wir könnten unsere Mark aus dem Verbund lösen, das Gebiet halten und unser eigenes Imperium gründen.“ „Und die umliegenden Marken und Verwaltungsbezirke erobern und diesem Reich hinzufügen. Gleich nachdem wir die Regionaladmiralität im Kanto-System ausgeschaltet haben“, fügte Kivven Grandanaar hinzu. „Du und welche Flotte?“ Kivven lächelte dünn. Der breitschultrige Riese sah zu der Koromando herüber. „Oh, nein, bitte, habe du die Ehre, Kivven.“ „Ich danke dir, Meister Koromando. Bitte, Meister Logodoboro.“ „Sie haben meine Erlaubnis, Kivven.“ Kivven Grandanaar nickte einer Ordonnanz zu, die den Bildschirm umschaltete. Das Bild, das sie nun sahen, war sehr interessant. „Es sind ja doch noch Raider im System, wie ich sehe.“ Lexin Virat richtete sich interessiert weiter auf. „Auf wen hören sie?“ „Sie hören auf mich und auf Kivven Grandanaar“, stellte Listair fest. „Es sind Grandanaar- und Koromando-Raider. Wir haben vor eintausend Jahren zwanzig Cores hergestellt und in die Weite des Alls geschickt. Nun haben wir die robotischen Schiffe abgerufen. Und dies ist die erste Welle: Fünftausend Raider. Es werden bald zehntausend sein.“ „Das ist… Beeindruckend“, gestand Kerran Logodoboro. „Und unsere große Chance“, fügte Girona wissend hinzu. „Wir wollen darauf anstoßen. Auf das Ende des Imperiums der Naguad und der Beginn der großen Reiche der Logodoboro, Grandanaar und Koromando.“ „Auf das Ende und den Neubeginn“, sagte Kivven Grandanaar erfreut. „Auf das Ende der Regionaladmiralität im Kanto-System“, fügte Listair Koromando hinzu. „Und der ewigen Vorherrschaft von Arogad und Daness.“ Diener servierten Getränke, die Anwesenden stießen miteinander an. „Und wenn wir damit fertig sind“, sagte Girona mehr zu sich selbst, „töten wir Aris Arogad.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)