Anime Evolution: Nami von Ace_Kaiser (Vierte Staffel) ================================================================================ Kapitel 17: Schwarze Schatten im schwarzen Licht ------------------------------------------------ Prolog: Sollte ich jemals ein Alter erreichen, das ich selbst als alt bezeichnen würde, und sollte mich dann jemals jemand fragen, was für mich das bedeutendste in meinem Leben war, abgesehen von jenen, die ich liebe, dann hatte ich jetzt, genau jetzt die Antwort. Ich hatte einen Körper, und ich genoss es in vollen Zügen. Ich genoss es, wenn ich aß, ich genoss es, wenn ich trainierte, ich genoss es, wenn ich mich von heißem Wasser abbrausen ließ. Ich genoss es sogar, als der süße, beißende Schmerz durch mein Knie fuhr, als ich stürzte und mich verletzte. Ich hatte ja gar nicht gewusst, was ich alles vermisst hatte, als ich nur in meiner KI-Form existiert hatte. Gewiss, man konnte auch mit einem KI-Panzer fühlen, tasten, erfahren, aber ich fand, es war eine vollkommen andere Erfahrung, wenn man nicht automatisch dabei beschützt wurde und sich eben nicht verbrennen konnte. Ein Körper war viel sinnlicher, weit mehr als es eine KI-Rüstung oder ein KI-Container jemals sein konnten. Kitsune versicherte mir zwar immer wieder, dass die von ihnen projizierten KI-Körper einem echten Körper in nichts nachstanden, aber weder hatte ich ihre Jahrhundertealten Fähigkeiten in der KI-Kontrolle, noch interessierte es mich wirklich, denn ich hatte nun ja meinen Körper wieder. Ich konnte mich diesem wundervollen Gefühl aber leider nur wenigen Minuten am Tag hingeben, denn meine Zeit dazwischen war angefüllt mit wichtiger Arbeit, schnell eingenommenen Mahlzeiten und einer Schlafpause, die viel zu kurz für einen normalen Menschen war. Lange würde ich das nicht durchhalten, das war mir klar, aber in den letzten vierzehn der anvisierten zwanzig Tage würde ich nicht viel mehr Ruhe finden, nicht finden dürfen. Ich hatte die Evakuierung der Core-Zivilisation befohlen, und ich hatte sie auch durchzuführen. Zugleich hatte die Intendenten-Flotte alle Hände voll zu tun, um die Welten des Kaiserreichs vor Übergriffen zu bewahren. Nicht alle Welten waren nach dem Tod des Kaisers im Reich verblieben; viele kochten nun ungeachtet der Gefahr durch die Götter ihr eigenes Süppchen. Einige Clans hatten sich zudem selbstständig gemacht. Das Staatsgebiet war kaum geschrumpft, aber gegen die siebzehn neuen Nationen, die sich nun um oder sogar im Gebiet des Reichs befanden, musste Flagge gezeigt werden. Und dies konnte nur die Flotte, wollten wir nicht zulassen, dass jene Bürger, die dem Intendenten ihr Vertrauen gegeben hatten, die an die neue Demokratie glaubten, die mir glaubten, leiden mussten, weil wir nicht hatten für sie da sein können. Es war unvorteilhaft, aber es hatte bereits Kämpfe gegeben, Blitzüberfälle, die wir nicht hatten verhindern können, Frachtdiebstahl, und was der Dinge mehr waren. Es erschien mir so hinreißen typisch, dass diese Übergriffe aus Systemen heraus erfolgten, in denen Daima lebten, die ursprünglich zum Kaiserreich gehört hatten, oder ihm zumindest bekannt gewesen waren. Die Nationen der Außerirdischen in dieser Region verhielten sich durchwegs friedlich, was vielleicht ein wenig daran lag, dass sie befürchteten, die Daima könnten sich gegen sie verbünden, wenn sie zu sehr auffielen. Aber wenn diese Daima schon meinten, wir würden uns nicht um sie kümmern können, weil die Götter gerade alle unsere Kraft beanspruchten, dann würden sie bald merken wie unrecht sie hatten. In dem Punkt war ich mehr als froh, dass ich mich nicht um die Expedition der AURORA zu kümmern hatte und lediglich den Ärger mit dem Core, seinen Streitkräften und der Evakuierung hatte. Auch das bedeutete Körperlichkeit. Wut, Verzweiflung, Trauer, Freude, hier ein Lachen, da ein Stirnrunzeln, ich liebte es einfach. Zum Glück konnte ich diese Arbeit von der Poseidon-Flottenzentrale aus erledigen, die inmitten des Serenity-Meeres im Innenraum der AURORA lag. Das bedeutete, dass ich meine viel zu knappe Schlafphase und einen Teil meiner Mahlzeiten Zuhause bekam. Mein Zuhause in der AURORA war mir mittlerweile weit mehr vertraut als jenes auf der Erde. Außerdem, bei dem beständigen Zuwachs, den meine nahe Familie permanent erlebte, wäre das alte Haus in Tokyo ohnehin längst zu klein gewesen. Unser aktueller Neuzugang Laysan hatte es mittlerweile geschafft sich einzuleben und ging sogar auf die Fushida Grundschule. Ein Schritt zu einem Funken Normalität, mochte man meinen, aber der Kleine wurde von den Mädchen derart verhätschelt, dass ich befürchtete, er würde ein verzogener Ratz werden. Zum Glück aber war ich seine direkte Bezugsperson, und nur was ich tat und erlaubte, war auch für ihn in Ordnung. Außerdem begleitete ihn Yoshis KI-Biest zur Schule und wieder zurück, eine kleine Sicherheitsmaßnahme, zu der mich ein Ziehen im Magen verleitet hatte. Sakura hatte es spöttisch als Väter-Magengeschwür bezeichnet, und diese Formulierung gab mir doch etwas zu denken. Allerdings waren meine Beweggründe praktischer Natur gewesen; ich hatte noch nicht vergessen, dass wir weder alle Agenten unseres Flugs zu den Anelph enttarnt hatten, noch dass auf diesem Flug neue hinzu gekommen sein konnten. Wusste der Teufel, was ein KI-Biest war und wie Yoshi eines hatte erschaffen können. Er hatte versucht mir zu erklären wie er es gemacht hatte, inspiriert durch den Angriff der KI-Biester der Raider und mit freiem KI wie bei den Geistererscheinungen, die unsere AURORA beim Durchflug des Doppelsternsystems auf dem Weg zu den Anelph erlebt hatte. Wie hieß es doch gleich? Andea Twin. Auch hatte ich nie von KI-Biestern beim Core gehört, denn ansonsten hätte ich einige der Operationen weitaus besser und verlustfreier planen können. Maltran Choasters Antwort, dass die Zahl der KI-Biester sehr limitiert war und ihr Einsatz außerdem umstritten ersparte ihm nicht die harsche Rüge von mir. Als mein Stellvertreter hätte er mich über die Existenz dieser Waffe informieren müssen, aber ich konnte mir seine Antwort schon denken: Du hast nicht gefragt. Jedenfalls, mir ging es gut, einfach gut. Ich fühlte mich wohl, ich fühlte mich sicher, ich fühlte mich furchtbar erschöpft. Wenigstens ging es im Paradies voran. Auf drei Welten hatten wir das Netzwerk bereits abgeschaltet und hunderttausende Biotanks und Gehirntanks verladen. Auf den kleinen Flotten, die derart beladen die Core-Systeme verließen, war ein Notfallnetzwerk entstanden, um den Daima und Daina wenigstens einen schwachen Ersatz für das Paradies zu bieten. Aber es standen noch immer sechs Welten aus, was zum Teil an Widerstand lag. Das Paradies verlassen wollten viele Bewohner nicht, das war auf den evakuierten Welten schon nicht anders gewesen. Andere wollten nicht zusammen mit Daina verladen werden, wenn sie Daima waren, und nicht mit Daima verladen werden, wenn sie Daina waren. Es waren viele kleine Dinge, die sich summierten und dazu führten, dass ich mehrmals in meinem Arbeitstag kurz davor stand, die Netze radikal abzustellen, um die Bewohner zu zwingen, das Paradies zu verlassen. Aber das ging leider nicht, denn einige Bewohner des Paradies existierten wirklich nur noch als KI. Oder AO, wie sie selbst gerne sagten. Ich ließ sie so gut es ging darin schulen, sich KI-Container zu erschaffen, um ihnen zu ermöglichen, uns weiterhin zu begleiten, aber unter ihnen hatte es bereits Verluste gegeben. Es waren nicht viele Daima oder Daina, die diesen Punkt ihrer Existenz erreicht hatten, aber mich schmerzte jeder einzelne, den wir an den Tod verloren. Und dann war da noch diese lang vorbereitete Aktion im Gebiet der Naguad, die von den Logodoboro ausgeführt worden war, unterstützt von einem weiteren Haus, dessen Name mir bekannt war. Es juckte mir wirklich in den Fingern, meinen Urgroßvater zu informieren, wer die zweite Laus im Pelz der Naguad war, aber im Moment würde dies die Situation nur verschlimmern und keinen Vorteil für uns bedeuten. Ja, die wundervolle Revolution der Logodoboro, die das Naguad-Reich in einen Bürgerkrieg hatte treiben sollen, Daness gegen Arogad, während Logodoboro sich seine eigene Mark sicherte und das Kaiserreich verführt werden sollte, ins Imperium einzufallen, seine Armeen ausdünnte und seinerseits anfällig für einen Core-Angriff werden würde… Dies war die Strategie in aller Kürze. Zum Glück war sie von hinten bis vorne schief gegangen. Zum Glück für uns alle. Und nun stand ich hier, hatte in einer Hand die Scherben der gegenwärtigen Politik in der einen Hand, einen Kaffee in der anderen Hand - und ehrlich gesagt genoss ich beides. 1. „Akira-chan!“ Mit einem Satz landete ein kleiner, frecher und extrem vorlauter Fuchs auf meinem Schoß. „Was kann ich für dich tun, Kitsune-chan?“, fragte ich seufzend. „Du könntest mir einen Kaffee einschenken. Ich war die ganze Nacht wach, und ehrlich gesagt geht mir das reichlich an die Nieren.“ „An die Nieren?“ „Umgangssprachlich“, erwiderte sie und verwandelte sich in das niedliche rothaarige Mädchen, als dass sie sich als Mensch zu repräsentieren pflegte. Gehorsam griff ich nach Tasse und Kanne, um ihr einen Kaffee einzuschenken. „Gehst du zum trinken von meinem Schoss runter?“, fragte ich hoffnungsvoll. Aus großen Augen sah sie mich an. „Die Frage hast du doch wohl nicht ernst gemeint, oder? Natürlich gehe ich nicht von deinem Schoß runter.“ Sie lächelte tückisch, als sie nach dem Becher griff. „Sonst könnte ich das ja gar nicht machen!“ Als sie auf meinem Schoss herumzurutschen begann, seufzte ich ergeben. Ich würde nie verstehen, warum eine zweitausend Jahre alte Dai so viel Spaß daran hatte, mich zu necken. Wahrscheinlich musste ich selbst erst einmal so alt werden, um das zu verstehen. „Morgen, Akira“, murmelte Megumi, als sie verschlafen in die Küche kam. „Horror. Ich hatte nur zwei Stunden Schlaf. Der Intendent will sich ein Regiment der Hekatoncheiren ausborgen, um eine Krise drei Systeme weiter in den Griff zu kriegen, und ich musste bis in den frühen Morgen Nachschub umdisponieren, Piloten versetzen und Dienstpläne umschaufeln, damit wir hier nicht ins schwimmen geraten. Wie du den Job geschafft hast ist mir schleierhaft.“ Ihr Blick blieb an Kitsune haften, die noch immer auf meinem Schoß saß und ihren Kaffee trank. Na, wenigstens rutschte sie nicht mehr herum. „Morgen, Kitsune-chan. Na, amüsierst du dich?“ „Ich gebe mein Bestes, um die allgemeine Stimmung oben zu halten“, erwiderte sie trocken. „Ich habe die Nacht auch nicht geschlafen. Ich war auf Agentenjagd, aber alle meine Spuren sind ins Leere gelaufen. Sowas frustriert.“ „Gute Arbeit, gute Arbeit“, murmelte Megumi und tätschelte der Füchsin den Kopf. Danach gab sie mir einen kurzen, sehr kurzen Kuss. „Und wie war es bei dir, Akira?“ „Ich konnte etwas länger schlafen, zugegeben. Aber auf mich lauert ein Riesenberg Arbeit. Wir erwarten den ersten Konvoi des Cores im Laufe des Tages. Aris wird dabei sein.“ „Aris?“ Megumi runzelte die Stirn. „Ach so, diese Aris meinst du. Die Herrin des Paradies der Daina und Daima, von der du erzählt hast.“ „Hm? Besteht die nicht lediglich aus Bewusstseinsfragmenten aller im Paradies vertretenen Daima und Daina?“, murmelte Kitsune. „Was ist an der schon besonderes?“ „Sie hat sich einen KI-Container erschaffen. Es ist ihre erste Zeit außerhalb der virtuellen Welt. Das nenne ich persönlich einen Meilenstein für sie. Eine vollkommen neue Erfahrung in einer fremden Umgebung. Ich bin gespannt, wie sie mit den vielen Sinneseindrücken zurecht kommt und… Wer zieht denn da an meinem Hosenbein?“ „Yosis Ki-Biest“, erklärte Kitsune. Sie beugte sich vor und tätschelte dem Hundegeist den Kopf. „Guten Morgen, mein Hübscher. Warum bist du denn so aufgebracht?“ „Er will wohl, dass ich mitkomme.“ Ich gab Kitsune einen Klaps auf den Allerwertesten und scheuchte sie so von ihrem bequemen Sitz herunter. Dann folgte ich dem KI-Biest in den Flur. „Spike heißt du, richtig? Was gibt es denn so wichtiges?“ Der Hundegeist beobachtete mich aufmerksam, als ich ihm folgte. Erst vor der Tür zu Yohkos Zimmer blieb er stehen. Erwartungsvoll huschte er durch die Tür hindurch – ohne sie zu öffnen. Das war ja ganz wie zu Akaris alten Zeiten, und schon damals hatte ich mich nicht so recht daran gewöhnen können. Aus dem Zimmer klangen mir Stimmen entgegen. Sie gehörten zweifelsfrei Yoshi und Yohko, und die Tonlage wies auf einen handfesten Streit hin. Aha, darum war es Spike also gegangen. Ich klopfte leise an. „Hallo? Geht es euch gut da drin?“ „Jetzt hast du es geschafft, Yoshi! Akira hat uns gehört.“ „Was kann ich denn dafür? Zum streiten gehören immer zwei und…“ Die Tür ging auf, ein Arm fuhr heraus und zog mich ins Zimmer. Danach fiel die Tür wieder ins Schloss. „…und vielleicht weiß Akira eine Lösung.“ Erwartungsvoll sahen die beiden mich an. Spike hatte sich unter dem Schreibtisch zusammengerollt und beäugte die Szene aus einem halb geöffneten Auge. „Geht es wieder um das kleine Kästchen, mit dem Yoshi dich neulich traktiert hat?“ „Das ist Schnee von gestern“, murmelte Yohko und hielt ihre rechte Hand hoch. „Ein Verlobungsring war drin, und wie du siehst, trage ich ihn schon.“ Konsterniert sah ich die beiden an. „Ihr seid verlobt? Warum habt ihr mir das nicht gesagt?“ „Was wundert dich jetzt daran? Wir wohnen seit Jahren zusammen, wir schlafen miteinander, wir lieben uns, das war doch nur der nächste logische Schritt“, tadelte Yoshi. „Auch wenn jemand hier irgendwie Probleme damit hatte.“ „Entschuldige bitte, wenn ich Wert auf meine Selbstständigkeit lege“, murrte meine kleine Schwester. „Es wundert mich nicht, dass ihr verlobt seid. Es wundert mich nur, warum mir niemand so etwas wichtiges gesagt hat!“ „Hey, du warst verschollen! Und das erste was du wissen wolltest, als wir dich endlich wieder hatten, war die politische Lage auf der Erde und bei den Naguad, nicht unbedingt die Familienangelegenheiten“, fügte Yohko hinzu. „Ach, und jetzt bin ich plötzlich Schuld!“ „Stimmt doch auch, Akira. Du warst Oberbefehlshaber des Cores, und konntest uns nicht mal eine winzigkleine Nachricht zukommen lassen, dass du noch lebst und wie es dir geht? Akira, wir haben uns Sorgen um dich gemacht.“ „Vor allem die Kleinen sind fast vergangen vor Angst, Onii-chan.“ Das hatte Yohko schon lange nicht mehr zu mir gesagt. Brüderlicher Stolz stieg in mir auf, aber ich zwang mich, mich auf das wesentliche zu konzentrieren. „Ach! Und wie bezeichnet ihr meine Nachricht an Ai und die Bitte, sofort die AURORA auszuschicken? War das kein Kontakt?“ „Das ist auch so eine Sache! Wie zum Henker konntest du über Dutzende Lichtjahre hinweg mit Ai-chan Kontakt aufnehmen? Zudem war sie in einem Heilkoma und…“ Yoshi warf die Arme hoch. „Ich bin gar nicht so sicher, ob ich es wirklich wissen will. Erklär mir das in Ruhe, so in ein, zwei Jahrtausenden, ja? Aber vielleicht kannst du uns bei einer anderen Sache helfen. Yohko meint, dass…“ „Yohko kann für sich alleine sprechen. Onii-chan, wir streiten über die Leistungsbewertung meiner Otome und seiner Gyes. Wir sind uns ja wohl einig, dass im Otome-Bataillion neben den Slayern einige der viel versprechensten Mecha-Pilotinnen der UEMF zusammengefasst sind.“ „Soviel ist mir schon bekannt. Und?“ „Aber dennoch sind sie meinen Gyes nicht gewachsen. Noch nicht. Wir hatten viel mehr Training als ihr, Yohko, sieh das doch ein. Bevor du ernsthaft einen größeren Kampfeinsatz in Divisionsstärke in Betracht ziehst, bei der du und Hina das Rückgrat bilden wollt, solltet ihr…“ „Und genau da gehen unsere Meinungen auseinander! Ich sage, wir sind schon soweit!“ „Und ich sage, ihr seid es nicht!“ „Ich bin dienstälter als du, Yoshi, und die Anführerin dieser Expedition ist meine beste Freundin und bald auch meine Schwägerin.“ „Ha! Ich kenne Akira Otomo persönlich!“ Ich war versucht, die beiden darum zu bitten, mich aus ihrem Streit heraus zu halten, aber soviel Glück hatte ich wahrscheinlich nicht. Also blieb nur der Sprung nach vorne. „Demnächst geht ein Regiment der Hekatoncheiren raus. Ich habe vergessen Megumi zu fragen welches, aber ich bin sicher, ein oder zwei Kompanien der Otome können sie begleiten. Ich weiß nicht, ob es einen Kampfeinsatz geben wird, aber es wäre ja schon schön zu wissen, wenn sie sich bereits bei einem normalen Einsatz bewähren, auf dem sie mit regulären Mechas zusammenarbeiten müssen. Wäre das eine akzeptable Variante?“ Mürrisch sahen die beiden mich an. „Ich kann keinen von euch hören.“ „Ja, Onii-chan, ich denke, das geht in Ordnung.“ „Yoshi?“ „Da ich keinen Marschbefehl habe, werden Doitsu oder Dai-chan rausgehen. Es wäre zumindest mal den Versuch wert.“ „Also ist euer Streit beigelegt?“ „Vorerst.“ „Gut. Dann geht zu Megumi und erzählt ihr, was ich vorgeschlagen habe.“ „Gut!“, riefen sie im Chor und verließen das Zimmer. Spike, das KI-Biest, öffnete ein Auge ganz und sah mich aufmerksam an. „Merk dir das gleich für die Zukunft. Ich bin nicht immer da, um für dich die Kastanien aus dem Feuer zu holen, klar?“, mahnte ich. Das KI-Biest gähnte und riss dabei das Maul furchtbar weit auf. Dann dehnte und streckte es sich fast wie eine Katze und kam auf die Füße. Mit einem Blick, den man durchaus als Amüsement hätte definieren können, trottete es an mir vorbei. Über mir polterte etwas laut, und ich wusste wohin Spike unterwegs war. Laysan war aufgewacht. Oh ja, all das hatte ich furchtbar vermisst. Ich genoss jede Sekunde. *** „Guten Morgen, Herrschaften!“ Der Empfang war nicht gerade enthusiastisch, als ich nach fast einem Jahr wieder einmal die Poseidon-Station betraf, aber wenigstens erwiderten alle Anwesenden meine Begrüßung. Sakura sah mich böse über den Rand einer Teetasse hinweg an. „Wo warst du? Wir arbeiten schon seit zwei Stunden.“ Beschwichtigend hob ich eine Hand. „Ich habe Laysan zur Schule gebracht. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich verschlafen. Als ich im Core integriert war, hatte ich kein Schlafbedürfnis und deshalb auch keine Träume. Aber jetzt kann ich es wieder. Außerdem hat mich niemand geweckt, deshalb bitte ich, mir dieses Versehen nachzusehen.“ „Ist schon in Ordnung. Setz dich. Wir haben viel zu besprechen“, brummte sie unwirsch und erhob sich. „Meine Damen und Herren, wir…“ „Nicht so eilig, Cousinchen.“ Ich trat neben sie und legte eine Hand auf ihren linken Unterarm. „Bevor wir zum Tagesgeschäft kommen, möchte ich gerne eine Idee diskutieren lassen, die ich noch nicht ansprechen konnte, seit ich wieder hier bin. Makoto?“ „Ich höre dir aufmerksam zu, Akira.“ „Sind die Felder abgeerntet? Du weißt schon, die, auf denen wir die Anelph auf den Podesten mit einem Resonator eingefroren haben.“ „Zufälligerweise weiß ich, dass sie abgeerntet wurden.“ „Gut. Wir installieren an dieser Stelle das neue Paradies der Daima und Daina.“ „WAS?“ Aufgeregtes raunen ging durch den Konferenzraum. „Du willst den Core in der AURORA aufbauen?“ „Langsam, langsam, das wird keine Einrichtung für immer und ewig. Aber der Core funktioniert nur dann wirklich gut, wenn er seine volle Kapazität hat. Und die hat er nur, wenn die Biotanks voll vernetzt sind. Sobald wir eine schöne, sichere, oder abgelegene Welt gefunden haben, auf der wir die Core-Zentralwelt etablieren können, werden wir alles wieder abbauen.“ „Warum sollten wir unseren Gegnern helfen?“, meldete sich Kei Takahara zu Wort. „Ich meine, Hey, die AURORA hatte ein paar unliebsame Treffen mit den Raidern. Außerdem hätten sie über ihre Logodoboro-Agenten beinahe Daness und Arogad in einen Bürgerkrieg gestürzt, der vielleicht das ganze Imperium der Naguad vernichtet hätte. Von all dem Ärger mal abgesehen, den wir auf der Erde über Jahrhunderte mit Core-Agenten hatten! Ich bitte dich, Akira, warum sollten wir so etwas tun?“ „Weil ich es sage?“ „Entschuldige, wenn ich als dein Freund dir das sagen muss, aber hast du dir nicht mal Gedanken darüber gemacht, dass du während deiner Zeit im Paradies manipuliert worden bist?“ „Oh, sie haben mich manipuliert“, gab ich zu. „Sie haben mich mal alleine, mal mit Laysan durch ein halbes Dutzend virtueller Träume gejagt, in denen ich mal mehr und mal weniger erfolgreich um mein Leben kämpfen musste. In dieser Zeit haben sie versucht, mich gegen den Liberty-Virus einzunehmen. Haben wir zu diesem Themenkomplex Daten oder hört ihr das Wort zum ersten Mal? Wir sollten Okame und Kitsune dazu befragen.“ Ich sah in erschrockene Gesichter. „Kommt, Leute, ich gebe zu, diese Manipulation hat funktioniert. Aber nur insoweit, dass ich den Core nicht automatisch als Gegner angesehen habe. Verdammt, bevor mir Oren davon erzählt hat, wusste ich nicht mal was von ihm. Und gegen ihn kämpfen musste ich auch noch nie. Wenn man mal von der Drohnentechnologie absieht, die die Kronosianer eingesetzt haben.“ „Können wir nicht einfach sagen: Siehe da, Akira ist wieder in seinem Körper, lasst uns unsere Sachen packen und nach Hause fliegen!?“ „Nein.“ Müde rieb sich Kei sein Kinn. „Irgendwie wusste ich das.“ „Herrschaften, die Lage ist viel zu ernst, als dass wir uns lange um diesen Punkt streiten könnten. Wir haben einen neuen Gegner, und der ist gefährlicher als alle anderen zusammen. Der Ausbruch der Logodoboro und ihr Versuch, ein eigenes Reich zu gründen – vernachlässigbar. Der Bürgerkrieg im Kaiserreich und der Tod des Kaisers – eine Fußnote. Die Rebellion der Anelph und der Ärger mit Haus Elwenfelt – Vergangenheit. Herrschaften, wir reden hier von einer Macht, die von den alten Dai herausgefordert wurde und sie besiegt hat! Ihr könnt euch überhaupt nicht vorstellen, wie groß das alte Reich der Dai war, bevor der Bürgerkrieg zwischen Daima und Daina ausbrach. Ihr wisst nicht, welche Gegenkraft notwendig war, um sie zu vernichten. Und doch gab es diese Kraft, und sie existiert noch immer und ist schlimmstenfalls noch stärker geworden! Während ich im Core gefangengehalten wurde – ja, gefangengehalten, ich habe keine Angst, der Realität ins Auge zu sehen – habe ich einige meiner Erfahrungen genutzt, die ich während meiner Zeit in einem Biocomputer gemacht habe. Es gelang mir, die Grundlage für tiefergreifende Ermittlungen zu schaffen, nachdem Aris, also die Herrin des Paradies, mir schon mit diversen Andeutungen wichtiges Wissen vermittelt hat. Als die Cores aufgebrochen sind, um die Grundlage für eine Rebellion gegen den Kaiser zu schaffen, stießen sie in ein wahres Wespennest vor. Genauer gesagt in das letzte Aufflackern von Dai-Widerstand gegen die Götter. Eine letzte große Strafaktion, in der es nur eine Randerscheinung war, dass sie besiegt, unterworfen und benutzt wurden. Ich weiß längst nicht alles, aber soviel ist mir bekannt: Die Erde ist das Zentrum eines einstmals mächtigen Reichs aus Abkömmlingen der Menschheit. Sie haben sich im Durchschnitt kugelförmig auf zweihundert Lichtjahre um die Erde ausgebreitet, einige weiter, einige näher. Dann brach der große Krieg aus, auf dessen Höhepunkt die Götter eingriffen und begannen, gezielt die Dai zu jagen und zu vernichten, die auf beiden Seiten kämpften. Dieses Raumgebiet auf der kernwärtigen Seite, von der Erde aus gesehen, wird nun teilweise von den Naguad und den Iovar beherrscht. Hinzu kommen hier und da versprengte Zivilisationen von Daima und Daina, sofern sie den Krieg überlebt haben. Und natürlich war hier bis vor kurzem noch der Core als dritte Macht. Auf der anderen Seite der Erde, über ihr, unter ihr, rechts und links, wenn Ihr mir dieses anschauliche Modell entschuldigt, wissen wir nichts über die Dai-Zivilisationen. Da wir aber bisher noch nicht auf eine getroffen sind, müssen wir davon ausgehen, dass in ihnen entweder noch immer Daima-Daina-Kriege toben oder die Strafaktionen erfolgreich waren und bis auf einige wenige Nationen die Nachfahren der Dai ausgelöscht wurden. Vielleicht gibt es auch dort ein, zwei Völker, die den Dai-Krieg vergessen haben und sich ähnlich expansiv ausbreiten wie Iovar und Naguad, aber letztendlich sind sie nur noch Schatten von dem, was von den Göttern angegriffen und vernichtet wurde. Wir brauchen Informationen. Und wir brauchen Verbündete. Und das Wichtigste, wir brauchen Zeit! Zeit, die wir vor allem nutzen können, wenn wir die Götter im Unklaren darüber lassen, wohin ihre willfährigen Vasallen verschwunden sind. Wir wären dann in der Lage, das volle Potential des Cores zu nutzen, ohne ihn angreifbar zu machen, denn vergesst nicht, ich bin der oberste Kriegsherr des Cores.“ „Ist das überhaupt noch aktuell?“, murrte Makoto. „Oder wurdest du schon entlassen und weißt gar nichts davon?“ „Ich hoffe nicht. Denn die Rettung des Cores ist ein wichtiger Bestandteil des Plans zur Rettung der Menschheit. Zur Rettung aller Dai-Nachfahren in diesem Universum.“ Ich sah zu einem meiner wichtigsten Berater herüber. „Henry, ich habe einen Job für dich.“ Henry William Taylor, ehemaliger britischer Geheimagent, ehemaliger Legat und jetziger Gefolgsmann – von mir – nickte ernst. „Du willst sicherlich meine Recherchefähigkeiten nutzen.“ „Richtig. Ich will, dass du in einen Biotank kletterst und die virtuellen Archive durchsuchst. Was bei den Türmen geklappt hat, klappt so sicher auch. Ich weiß, dass der Core mir gegenüber keine Informationen zurückhält, aber viele Informationen sind falsch sortiert. Sie müssen von Experten gesucht werden. Stell ein Team zusammen und mach dich an die Arbeit, sobald der Biocomputer des Cores einsatzbereit ist.“ „Und was soll ich genau finden?“ Ich seufzte leise. „Habe ich das nicht erwähnt? Die Götter haben den letzten Dai-Widerstand in dieser Region zerschlagen, als der Core auf sie traf. Dabei hat der Core Menschen aufgenommen und Wissen assimiliert. Wissen, dass uns vielleicht im Kampf gegen die Götter hilft. Du wirst dieses uralte Wissen finden und auswerten. Außerdem will ich, dass du nach Daima suchst, die in dieser Zeit vom Core aufgenommen wurden. Ihr Wissen kann ebenso wichtig sein.“ Aufmunternd sah ich die Offiziere an. „Seid ihr immer noch gegen meine Entscheidung?“ Sakura seufzte ergeben und zuckte mit den Schultern. „Du hast schon dümmeres gemacht, Akira. Und diesmal hast du ja wenigstens deine Sakura-chan bei dir, die schon auf dich aufpassen wird. Also mach wie immer so wie du denkst.“ „Danke, Sakura-chan.“ Erleichtert wollte ich mich zurücksinken lassen. „Aki-chan?“ „Kitsune-chan. Das trifft sich gut. Ich wollte dich ohnehin fragen, was du über den Liberty-Virus weißt.“ „Und ich wollte dir sagen, dass der Dauerkontakt zur Erde abgebrochen ist. Zur Erde, zum Mond, zum Mars, und damit auch zu allen Relais, die uns mit den Naguad verbinden. Und das, mein lieber Akira, liegt am Liberty-Virus.“ Ich blinzelte erstaunt, verlegen und begriffsstutzig. „Was, bitte?“ In diesem Moment stürmte ein Adjutant-Offizier in den Raum. „Admiral Ino! Wir haben Totalverlust der Kommunikation mit dem Sonnensystem!“ „Kitsune-chan“, sagte ich leise in den Tumult hinein, den die Anwesenden verursachten, „was bitte ist der Liberty-Virus?“ „Ich dachte schon, du würdest nie fragen, Aki-chan.“ Sie verwandelte sich in einen Fuchs und sprang auf meinen Schoß. Aus ihren großen Augen strahlte sie mich an. „Der Liberty-Virus ist unsere mächtigste Waffe. Und Dai-Kuzo-sama hat sie gegen die Erde, den Mond und den Mars eingesetzt, wie es scheint.“ In diesem Moment hätte man von einer Sekunde zur anderen eine Stecknadel fallen hören können. 2. Es gab Momente in meinem Leben, die sich zu kleinen Ewigkeiten dehnten. Dies war ein solcher Moment. Ich erinnerte mich daran, wie Aris, also die Herrin des Paradies der Laysan und ich ihren Namen gegeben hatten, versucht hatte mir mit den Konstruktträumen, den virtuellen Scheinwelten eine negative Einstellung gegenüber dem Liberty-Virus einzupflanzen. Hatte sie damit Recht gehabt? Warum eine Waffe? Und warum hatte sie zwei Planeten und einen Mond vernichten können? Andererseits, wenn ich mir Kitsune ansah, die vollkommen ruhig und unbeeindruckt blieb, dann konnte ich mir sicher sein, dass hinter all dem eine rationale Erklärung steckte. „Also, was ist passiert, Kitsune-chan?“, fragte ich ernst. „Was hat es genau mit diesem Liberty-Virus auf sich?“ „Meldungen von der Erde“, mischte sich Makoto ein, „besagten, dass kurz vor der Vernichtung die Kronosier einen Generalangriff auf die Erde, den Mond und den Mars gestartet haben. Dieser war relativ erfolgreich. Die letzte Anweisung, die uns erreicht hat, war auf neue Befehle zu warten.“ Makoto sah von dem Ausdruck in seiner Hand auf. „Das ist der letzte Stand der Dinge. Danach brach die Verbindung ab.“ „Kitsune?“, fragte ich scharf. Die Füchsin sprang von meinem Schoss und verwandelte sich in einen Menschen. Dazu erschuf sie sich eine Uniform. Keine UEMF-Uniform, keine Hausuniform der Naguad, nichts was ich im Kaiserreich kennen gelernt hatte. Ihre blütenweiße Uniform, bestehend aus hochgeschlossener Jacke und Röhrenhose und belegt mit blutroten Aufschlägen war mir weder von der Farbgebung noch vom Schnitt je untergekommen. „Dai-Kitsune-sama, bitte. Persönliche Beauftragte von Aidar Dai-Kuzo-sama.“ Ihr Blick war so ernst wie ich es bei der Dai noch nie erlebt hatte. Nun, nicht bierernst, eher überlegen ernst. „Nun gut, Dai-Kitsune-sama, persönliche Beauftragte von Aidar Dai-Kuzo-sama, darf ich eine Antwort erhoffen?“, sagte ich ohne Spott in der Stimme, aber voller Förmlichkeit, die sie normalerweise dazu gebracht hätte sich wie unter Schmerzen zu winden. Aus dem Nichts enstand ein blutroter, bodenlanger Umhang, der sich schmeichelnd um ihre Schultern schloss, die Brust aber frei ließ. Ihr Blick war noch immer ernst, aber ich glaubte den ersten Schalk in ihren Augen blitzen zu sehen. Auf jeden Fall machte die Uniform ganz schön war her – an einem ernsthaften Mann. „Du darfst, Reyan.“ Sie sah in die Runde. „Jeder Reyan hat ein Recht auf die Beantwortung seiner Fragen.“ „Dann hätte ich eine: Was ist ein Reyan?“, fragte Kei. „Tut mir Leid, Kei, du bist kein Reyan“, sagte sie mit einem mitfühlenden Ton in der Stimme. „Und du hast noch einen weiten Weg dahin vor dir, falls du dich jemals dazu entschließt, ihn einzugehen.“ „Aha. Hat Reyan sein etwas mit KI zu tun?“, fragte Yoshi. „Ja, so könnte man es grob ausdrücken.“ „Aha. Yoshi ist also ein Reyan? Wieso wird er so bevorzugt? Sind Doitsu und Dai-chan auch Reyan, weil sie ihr KI beherrschen?“, maulte Kei. Kitsune seufzte. „Ausnahmsweise werde ich darauf antworten, weil du ein Daina Oren bist, Kei. Doitsu ist ein Reyan, aber Dai-chan ist noch immer nur ein Daina Oren, genau wie du. Nur sehr viel mächtiger.“ Kitsune blinzelte für einen Moment. „Wenn man mal davon absieht, dass die ganze Begleitflotte der AURORA auf dich hört.“ Sie sah zu Sostre Daness herüber, doch der junge Naguad winkte unauffällig ab. Ich registrierte diese Geste mit Verwunderung. „Was genau heißt es also, ein Reyan zu sein? Ist das eine Vorstufe zum Dai?“, warf Doitsu ein. Sein Gesicht wirkte gefasst, aber seine Stimme zitterte, während er die Brille wieder die Nase hinaufschob und weiter fragte: „Bin ich auf der Stufe zum Dai? Ist Akira auf der Stufe zum Dai?“ „Nein“, sagte Kitsune geradeheraus. „Außerdem kommen wir vom Weg ab. Macht sich denn keiner hier Sorgen um die Solaren Planeten Mars, Mond und Erde? Glaubt denn keiner daran, dass sie zerstört wurde?“ „Ich glaube, die sind alle nur von deinen Klamotten geblendet“, murmelte ich leise. Tatsächlich hatte die Dämonin nicht nur die bewundernden Blicke der Slayer auf ihrer Seite. „Nein, eigentlich glaubt keiner hier, dass der Liberty-Virus, wenn er denn eine Waffe ist, dazu eingesetzt wurde, die drei Welten zu zerstören“, warf Aris Taral, mein Großonkel, ein. „Immerhin wissen wir von den West End-Dai, dass der Liberty-Virus essentiell dafür ist, eine Daimon stabil zu halten. Wie eine Daimon aber eine ganze Welt umschließen soll, ja sogar drei, ist ein Thema für sich und schließt das Waffenthema nicht aus. Liege ich soweit richtig, Dai-Kitsune-sama?“ „Du bist auf dem richtigen Weg, Reyan Oren“, erwiderte Kitsune förmlich. „Reyan Oren? Heißt das er ist ranghöher als ich oder Akira?“, warf Doitsu ein. „Ist das fair? Was ist dann Yoshis Opa? Ein Reyan Oren Oren Oren?“ „Richtig, Aris Taral ist… ranghöher trifft es nicht. Sagen wir einfach, er ist schon weiter als ihr es seid. Allerdings hat er auch ein Ziel im Leben. Im Moment ist er davon weiter entfernt als je zuvor, aber er hat ja auch noch tausende Jahre Zeit, um es zu erreichen.“ Kitsune sah den alten Mann tadelnd an. „Kannst du nicht mal diese dämliche Maske abschalten? Das irritiert mich.“ „Wie du wünschst, Dai-Kitsune-sama.“ Ich wollte meinen Augen kaum trauen, als sich das Gesicht meines Großonkels veränderte. Das alte, furchige Gesicht, das von vierhundert Jahren Leben gezeichnet gewesen war, wechselte gegen das eines Zwanzigjährigen. Sein weißes Haar wurde tief schwarz. Und seine alte Stimme bekam den etwas helleren Klang eines Mannes weit vor seinen besten Jahren zurück. „Was guckt ihr so? Könnt ihr eins und eins nicht zusammen zählen? Das war eine Maske, so etwas wie eine KI-Rüstung. Als Attentäter der Arogad bin ich darauf trainiert, ständig eine Rüstung aufrecht zu erhalten. Und denkt nur nicht, dass ein so junger Großvater wie ich auf der Erde nicht auffallen würde wie ein besoffener Elefant in Roppongi.“ Sakura starrte ihn aus großen Augen an. „Opa, du siehst so GUT aus.“ „Danke. Das höre ich eigentlich eher selten“, gestand der alte – nun wieder junge – Mann. „Heißt das, Michael und Eri und all die anderen…“, fragte ich mit stockender Stimme. „Natürlich. Wir sind alle KI-Meister und haben absolute Kontrolle über unser Äußeres und über unsere Körperzellen. Das macht uns ja erst zu Reyan.“ Ein wenig wehmütig sah er Kitsune an. „Ich nehme an, Vortein ist jetzt noch mehr gebunden als zuvor?“ „Ja. Mehr als zuvor. Es tut mir Leid, Aris Taral.“ „Das muss es nicht. Es war unsere gemeinsame Entscheidung.“ „Sprecht nicht in Rätseln!“, tadelte ich. „Die Solaren Planeten wurden also in Daimon gehüllt? Sehe ich das richtig?“ „Ja. Sie existieren nun in Daimon. Es ist ein sehr aufwändiger und anfälliger Prozess, der leicht von außen gestört werden kann, gerade bei der Größe, welche die Daimon diesmal hatten erreichen müssen. Und um sie stabilisieren zu können, werden Unmengen an KI benötigt. Wir haben hoch gepokert, wenn du es so ausdrücken willst, Akira, und wir haben die Strafer der Götter lange genug getäuscht, um den Plan durchzuführen. Wir waren uns nie ganz sicher, ob und wann sie die Erde angreifen würden.“ Kitsune schwieg und sah sich aufmerksam um. „Vortein Arogad, oder wie Makoto und Sakura sie kennen, Vivian, lebt seit ein paar hundert Jahren in der eigentlichen Daimon, um die KI-Verwertung für die Daimon zu optimieren. Ihr und ihrem Team ist es zu verdanken, dass wir drei derart riesige Daimon aufbauen konnten. Aber ich will ehrlich sein. Sie werden nicht lange stabil sein. Wenn die Strafer massiv angreifen brechen sie noch schneller zusammen. Oder um es kurz zu machen, wir“- „ADMIRAL INO! WIR HABEN WIEDER KONTAKT ZUR ERDE! EXECUTIVE COMMANDER OTOMO SPRICHT!“ „-haben bestenfalls ein Jahr Zeit um uns effektiv vorzubereiten.“ „Vorzubereiten auf was?“, hakte Yoshi nach. „Auf den Versuch der Götter, uns letztendlich auszurotten“, antwortete Kitsune mit tonloser Stimme. „Stellen Sie uns durch. Ich bin gespannt, was Onkel Eikichi zu sagen hat.“ *** Es war beruhigend, meinen Vater zu sehen. Auch Yohko schien das so zu empfinden, und wie ich mit einer gewissen Rührung feststellte, ließ es auch Akari, Michi, Megumi und die anderen nicht ungerührt. „…befinden wir uns nun in drei gigantischen, untereinander verbundenen Schutzkokons, sogenannten Daimon. Es handelt sich hierbei um eine Hochtechnologie aus einer Zeit weit vor unserer Zivilisation. Sie ist extrem mächtig, braucht aber enorm viel Energie. Wir haben an diesen Sphären gearbeitet, seit die AURORA das erste Mal in Richtung Kanto-System aufgebrochen ist. Wir haben sehr viel verbessert, optimiert, aufpoliert. Aber noch immer bedeutet das für uns, dass wir die Sphären bestenfalls ein Jahr aufrecht erhalten können. Im Moment nehmen die Daimon Anteile am KI jedes lebenden Wesens auf Erde, Mond und Mars und erhalten damit die Daimon. Nach einem Jahr müssen wir mit den ersten Toten rechnen, ausgelaugt vom KI-Verlust. So weit darf es aber nicht kommen. Vor allem aber dürfen uns die Götter nicht angreifen, denn jeder Beschuss der Sphären wird unsere Energie weiter reduzieren und uns früher in den Kampf werfen als vorgesehen.“ „Die Core-Zivilisation!“, rief ich dazwischen und erntete einen irritierten Blick meines Vaters. „Was, bitte?“ „Wir haben beschlossen, die Core-Zivilisation bei ihrer Flucht zu unterstützen und sie an Bord der AURORA aufzunehmen. Vater, es sind unzählige Bewusstseine, die meisten liegen seit Jahrtausenden in Biotanks, viele existieren nur noch als Gehirn oder reines Bewusstsein! Wenn wir diese geballte Menge KI-Energie in die drei neuen Daimons verbringen, wird das den Kollaps hinauszögern.“ „Und die Strafer der Götter werden der AURORA wie ein Rattenschwanz folgen und schnell herausfinden, was wir hier veranstaltet haben“, erwiderte Eikichi. „Vielleicht haben sie es zu dem Zeitpunkt schon, und die AURORA fliegt in eine riesige Falle. Es sind so viele Unsicherheiten in diesem Plan.“ „Es ist ja noch nicht mal ein Plan. Es ist eine Idee. Aber es ist den Versuch wert“, beharrte ich. „Es wäre eine Lösung“, gestand Eikichi widerwillig ein. „Für ein paar Wochen, vielleicht Monate. Außerdem entspräche das unseren Notfallplänen, jetzt wo wir den Göttern wieder ins Auge gefallen sind und sie anscheinend aktiver werden.“ „Das bedeutet dann wohl auch, dass unser Kontakt mit der Erde ein Inoffizieller ist, oder? Nur für den Fall, dass sich die Götter täuschen ließen, müssen wir sie ja nicht mit Gewalt darauf stoßen, dass es die beiden Planeten und den Mond noch gibt“, warf Makoto mit beißendem Spott ein. „Bis jetzt hat es geklappt. Außerdem haben wir schon Kontakt zu unseren verlässlichsten Verbündeten aufgenommen und sie über die Situation informiert..“ Aris Taral hob eine Hand. „Eikichi?“ „Oh, bist du das, Aris? Ohne KI-Rüstung hätte ich dich gar nicht erkannt.“ „Danke, das fasse ich als Kompliment auf. Wie sieht es aus mit der Lieferung für Naguad Prime?“ „Dai-Kuzo-sama ist einverstanden. Die Aidar entsendet ein Schiff ins Imperium. Die Beauftragte für das Projekt werden zu gleichen Teilen Agrial Logodoboro und Meisterin Tevell vom Orden sein.“ Aris atmete aus. „Dann werden wir auch bald auf Naguad Prime eine Daimon errichten können.“ Als er die fragenden Blicke der Anwesenden sah, winkte er ab. „Nur ein alter Plan von alten Leuten wie mir. Es tangiert euch Jungen fast gar nicht.“ „Fast“, argwöhnte ich und zog eine Augenbraue hoch. „Okay, können wir dann zu den Dingen zurückkehren, die uns ganz tangieren? Abgesehen von einigen neuen Begriffen, die wir gelernt haben, hat sich ja auch die Situation verschoben. Bis vor kurzem wussten wir nicht einmal, dass es die Götter gibt. Ihr anscheinend schon“, sagte ich ernst und sah Onkel Aris und Vater an. Als beide verlegen fort sahen, knurrte ich halb belustigt, halb verärgert: „Wusste ich es doch.“ Ich rieb mir die Nasenwurzel mit beiden Händen. „Also, wenn ich hier was zu sagen habe, dann ist es essentiell, dass erstens die Götter nicht spitz kriegen, dass sie Freischüsse auf drei Daimon haben, und zweitens die neuen Sphären so gut es geht mit Energie zu versorgen, bevor sie entweder ihre Einwohner durch KI-Raub töten oder in sich zusammenfallen und damit den Göttern schutzlos ausgeliefert sind. Und dann haben wir hier noch eine unübersichtliche Situation im Kaiserreich und eine ganz ähnliche Geschichte im Imperium.“ „Die allerdings für die Götter irrelevant ist, sobald sie merken, dass ihr Handlanger, der Core, geflohen ist. Die Jagd auf den Core wird oberste Priorität haben“, warf Makoto ein. Zwei Fliegen mit einer Klappe, ging es mir durch den Kopf. „Mako-chan, erinnere mich daran, deine Dienstakte mit dem Vermerk Genie zu versehen. Warum nehmen wir nicht den Core auf, spielen ein wenig fangen mit den Strafern, vernichten einen oder zwei und setzen uns dann zur Erde ab?“ „Worauf sie auch niemals kommen werden, oder?“, warf Mamoru Hatake missmutig ein. „Wenn wir zur Erde springen, wissen die Götter, was gespielt wird. Dann brauchen sie uns nur noch im Sonnensystem zu erwarten.“ „Guter Einwand. Kitsune, eine Frage: Wie weit springt ein durchschnittliches Raumschiff?“ „Reyan?“, fragte sie mit mahnender Stimme. „Dai-Kitsune-sama“, verbesserte ich mich sofort. „Schon besser. Dreißig Lichtjahre, plus minus drei Lichtjahre. Es hängt davon ab, wie gut die Anlagen gewartet sind, wie die Verhältnisse beim Absprung sind, wo sich das Wurmloch im Nachbarsystem verankert.“ „Wie weit sind wir von Andea Twin bis nach Kanto gesprungen?“, fragte ich mit einem breiten Grinsen. „Hey, da hat uns aber die Druckwelle einer Kernfusion etwas geholfen, oder?“, meinte Kitsune mit gerunzelter Stirn. „Andererseits waren das gute fünfzig Lichtjahre.“ „Die wir von einer Position aus in Angriff genommen haben, die nicht optimal für einen Sprung ins Nachbarsystem war, oder? Was würde passieren, wenn wir von einer idealen Position springen und unsere KI-Meister einsetzen, um die Sprungenergie zu verstärken? Um das Wurmlich weiter zu strecken?“ „Nun, vierzig Lichtjahre müssten dann drin sein. Vielleicht mehr.“ „Und wäre es möglich“, fasste ich meine Gedanken zusammen, „dass die Strafer das erstens nicht wissen und zweitens nicht herausfinden? Wären wir dann nicht hoffnungslos verschwunden, wenn wir einen solchen Gewaltsprung hinter uns bringen?“ „Die Idee hat was“, meldete sich Okame zu Wort. Er legte den Kopf leicht schräg. „Bei der KI-Kraft die uns zur Verfügung steht… Optimale Entfernung… Oberflächenbeharrung der Raumzeit… Oh ja, die real laufende Zeit müssen wir auch berücksichtigen. Hm. Wir müssen das System umbauen, um die Energieausbeute zu erhöhen. Oder wir müssen einen Planeten von der Größe Jupiters in die nächste Sonne werfen und auf der Explosionswelle reisen.“ „Ich bin für Umbau!“, meldete sich Kei spontan zu Wort. „Dafür!“, klang es überall am Tisch auf. „Gut, dann ist es abgemacht. Wir nehmen den Core auf und schaffen ihn zur Erde. Aber vorher spielen wir ein wenig Hasch mich mit den Göttern. Arbeitest du einen hübschen Kurs aus, Sakura?“ „Kein Problem. Grobe Richtung?“ Ich grinste sardonisch. „Die Richtung, welche die Götter wohl am meisten fürchten: Das randwärtige Raumgebiet jenseits der Erde, jener Bereich, in dem noch Dutzende, Hunderte Daina- und Daima-Reiche existieren können.“ Spontan erklang Applaus von den Anwesenden. Etwas, was ich honorierte, indem ich aufstand und mich tief verbeugte. Als der Applaus abgeebt war, setzte ich mich wieder. „Was uns zum Tagesgeschäft zurückbringt.“ „Apropos Tagesgeschäft. Reyan Akira Otomo“, klang Kitsunes Stimme direkt neben mir auf – und ich meine direkt! Ein kräftiger Ellenbogen legte sich um meinen Hals und riss mich von meinem Stuhl. Dann spürte ich, wie ich in äußerst unbequemer Haltung davon geschliffen wurde. „Kommst du, Okame-Opa?“ „Dir gebe ich gleich deinen Opa“, brummte der Wolfdämon. Während er sich von der Wand abstieß, griff er nach einem Schwert, das neben ihm gelehnt hatte. Mein eigenes sah ich gerade aus den Augenwinkeln in Kitsunes Rechter. „Alles in Ordnung, alles in Ordnung“, sagte sie gerade beschwichtigend zu meinen Freunden und Untergebenen. „Akira und wir beide haben nur eine kleine Lehrstunde, die wir un-be-dingt einlegen müssen. Danke für euer Verständnis!“ Mit diesen Worten schloss sich die Tür hinter mir. „Darf ich alleine gehen?“, fragte ich. „Hast du mich alleine gehen lassen, damals im Andea Twin-System?“, tadelte sie. „Nein.“ Ich fügte einen ergebenen Seufzer an. „Gut, dass ich mehr Vertrauen in dich habe.“ Sie ließ mich los, ich landete auf meinem Hintern und hatte plötzlich mein Schwert auf dem Schoß. Okame hielt mir hilfreich eine Hand hin. Ich griff zu und ließ mich hoch ziehen. „Danke“, ächzte ich. „Danke sagt man hinterher“, versetzte er und ging weiter. Ich folgte den beiden – was blieb mir auch anderes übrig. „Wie darf ich das jetzt verstehen?“, rief ich ihnen hinterher, aber ich bekam wie erwartet keine Antwort. *** Ich stand den beiden Dai direkt gegenüber. Okame gab sich unnahbar wie immer, nur Kitsune hatte ein Lächeln aufgesetzt, das man nur mit tückisch gleichsetzen konnte. Das war an sich nichts außergewöhnliches, wenn man mal davon absah, dass ich erstens dieses Lächeln nicht gewöhnt war und zweitens mitten auf dem Serenity-Meer stand, in dessen Mitte sich die Poseidon-Admiralität erhob. Rund um uns, in einem Kreis von fünfzig Metern Durchmesser verhielt sich das Wasser wie… Wie Eis, ohne wirklich Eis zu sein. Der Untergrund war fest, aber wenn ich meinen Finger eintauchte, hafteten Wassertropfen daran. Ich ordnete dieses Phänomen unter KI-Beherrschung ein, ohne es wirklich zu verstehen. „Zieh dein Schwert, Aki-chan“, sagte Kitsune eine Spur zu ernst für ihren Charakter. Gehorsam zog ich das Katana blank und warf das Futteral hinter mich. Wie nicht anders zu erwarten gewesen war lag es auf dem Wasser, es versank nicht. Die beiden Daimon wechselten einen kurzen Blick. „Akira-tono. Es wird Zeit, dass du ein paar Fragen stellst“, begann Okame ernst, „und Antworten erhältst.“ „Fragen? Im Moment fällt mir nur eine ein. Warum bist du plötzlich so steif, Kitsune-chan?“ „Ähemm!“ „Dai-Kitsune-sama“, korrigierte ich mich. „Das ist eine gute Frage.“ Für einen Moment lächelte der alte Wolf tatsächlich. „Sie führt uns nämlich zum Grund unseres Hierseins. Akira-tono, du bist als Ningen-Krieger weiter als die meisten anderen Reyan im uns bekannten Teil der Galaxis. Wir, das heißt Dai-Kuzo und die Dai, haben dein Potential schon früh erkannt. Und da du das Blut einer Dai in deinen Adern hast, da…“ „Moment Mal, Moment! Auszeit, Auszeit! Was wollt ihr mir hier weismachen? Dass ich nicht nur eine Mischung aus Naguad, Iovar und Mensch bin, sondern auch noch Dai unter meinen Vorfahren habe? Geht das nicht etwas zu weit?“ „Entschuldige bitte, Akira, wenn du dich lieber irgendwelchen Hirngespinsten ergeben willst, die dir besser gefallen, als dich der Realität zu stellen“, giftete Kitsune. „Sieh es ein. Eine deiner Vorfahren war eine Dai, und sie hat einen kleinen Teil ihres Blutes bis an dich und deine Schwester weiter gegeben. Wenn du das nicht akzeptieren kannst, dann macht alles weitere keinen Sinn.“ „Oooookay, einverstanden. Ich nehme das jetzt einfach mal so hin. Ich bin also auch ein wenig Dai.“ „Falsch“, klang Okames Stimme scharf auf. „Du bist kein Dai. Du hast nur unser Blut.“ „Oh, ich vergaß. Dai können sich verwandeln.“ „Weil sie keine Körper in dem Sinne mehr haben. Du erinnerst dich was ich dir gesagt habe, als wir damals von der Titanen-Station hoch in den OLYMP fuhren, der vom Resonatortorpedo gelähmt worden war?“ Ich sah der Füchsin direkt in die Augen. „Dass ihr zwei aus einer Abart des KI besteht.“ „Richtig. Das ist die Voraussetzung, um ein Dai zu sein.“ „Ha! Dann war ich ja nahe dran, oder? Immerhin habe ich eine lange Zeit ohne meinen Körper verbracht!“ „Aber du hast die Verbindung nie abreißen lassen“, mahnte Kitsune. „Auf eine andere Weise hättest du Ai-chan auch sonst nie erreichen können.“ „Zugegeben“, murrte ich. „Und du bist noch viel zu sehr körperlich, Akira-tono. Solltest du jemals ein Dai werden wollen, ist es noch ein weiter, ein zu weiter Weg. Na, vielleicht nicht zu weit. Höchstens von deiner engstirningen Sichtweise aus, mit der du im Moment die Zeit noch betrachtest.“ „Verstehe“, log ich. „Tust du nicht“, kombinierte der Wolf messerscharf. Oh, manchmal hasste ich ihn wirklich. Er sah mich ernster an als zuvor und sagte mit geradezu feierlicher Stimme: „Akira Otomo. Dai-Kuzo-sama setzt große Hoffnungen in dich. Um nicht zu sagen, sie bürdet dir die Rettung aller Daina- und Daima-Zivilisationen auf, die es in diesem Universum gibt.“ „War ja klar. Warum habe ich das nicht schon erwartet?“, erwiderte ich. Plötzlich brummte mir der Schädel. Wieso eigentlich immer ich? „Und damit du dieses Ziel auch erreichen kannst, hat Dai-Kuzo-sama beschlossen, Futabe-sensei von deiner Ausbildung zu entbinden. Ab hier übernimmt der größte Krieger der Daimon der Erde deine Ausbildung. Du wirst mit ihm Schwertkampf trainieren.“ Der Blick von Okame wurde böse. „Du hast Kendo trainiert und einen eigenen, interessanten Schwertstil entwickelt, aber vom Rang eines Schwertmeisters bist du noch weit entfernt. Geschweige denn von einer fokussierten Nutzung deines KIs mit dem Schwert.“ „Moment, heißt das, ich trainiere hier Schwertkampf mit dir, Okame-tono, und kann dadurch mein KI besser beherrschen?“ „Nein und ja.“ „Wieso nein und ja?“ „Ja, deine KI-Nutzung wird sehr viel besser sein. Und du wirst die KI-Beherrschung in Zukunft bitter brauchen. Nein, nicht ich werde mit dir trainieren. Es gibt einen besseren als mich an Bord der AURORA.“ Ich war versucht mich auf der fünfzig Meter durchmessenden Scheibe umzusehen, um nach einer vierten Person Ausschau zu halten. Wenn es nicht Arno Futabe war, dann vielleicht Sakura. Oder Opa Michael. War Torum Acati doch mitgekommen? Oder gab es einen Dai an Bord, den ich noch nicht kannte?“ „ÄHEMM!“, rief Kitsune, und automatisch sah ich zu ihr zurück. „Darf ich vorstellen“, sagte Okame ohne jede Spur von Spott: „Dai-Kitsune-sama, Heerführerin der terranischen Daimon, oberste Kriegerin und Erste Schwertmeisterin. Sie ist die oberste Dai Oren unseres Staates.“ Kitsune reckte sich stolz in ihrer Uniform; ich hingegen fühlte, wie mir die Kinnlade immer mehr herabsackte. Kitsune? Kitsune-chan? WAS? Ich hatte für ein paar endlos lange Augenblicke das unstillbare Verlangen, in den Konferenzraum zurück zu stürmen und Vaters Abbild auf der Videowand anzubrüllen, bis mich spastische Lähmungen auf den Boden treiben würden. Warum Kitsune-chan? „Mund zu, Akira, sonst siedeln sich Fliegen an“, murrte Kitsune. „Ist es so unwahrscheinlich, dass ich die Oberste Kriegsherrin der Dai bin?“ „Ki… Ki… Ki-kitsune-chan…“ Ich dachte an tausend Gelegenheiten zurück, in der ich sie erlebt hatte. Damals in Dai-Kuzos Wald bei unserer ersten Begegnung – obwohl ich längst nicht mehr ausschloss, dass wir uns schon zuvor begegnet waren – während der Zeit auf dem eingefrorenen OLYMP, damals als sie sich auf der GRAF SPEE andauernd in Fuchsgestalt in mein Bett geschlichen hatte, während der Kämpfe auf dem Mars, bei der ersten Expedition der AURORA, wie sie versucht hatte, die zerstörte Dämonenwelt auf Lorania zu infiltrieren, und, und, und… Ein hübsches, liebes, sanftes Mädchen mit Hang zu derben Späßen, zufällig unsterblich und in der Lage sich in einen Fuchs zu verwandeln, ein Kumpel von einem Mensch und an Lebensfreude nicht zu überbieten… All das sah ich vor mir und begriff es dennoch nicht. War das, was da vor mir stand, immer noch Kitsune, meine Kitsune? Die gleiche Frau, die mich so gerne neckte? Ich spürte, wie mir schwindlig wurde. Dann war alles schwarz. Wie aus weiter Ferne drangen Stimmen an meine Ohren. Es war als würden sie durch meterdicke Watte gesprochen werden. Dann hüllte mich übergangslos Wärme ein. „…zu schnell zu viel erzählt, sage ich dir!“ „…Quatsch. Es ist die Rückführung in seinem Körper. Ein Kollaps, bestehend aus einem Konflikt aus seinem Kern-KI und dem frisch geschmiedeten KI in seinem Körper. Es war doch klar, dass er den Ausgleich nicht alleine herbeiführen kann.“ „Ich dachte, er, ausgerechnet er würde nicht deswegen zusammenbrechen und es alleine lernen.“ „Ha. Und das ausgerechnet von dir, wo du ihn sonst immer so verhätschelst und verwöhnst.“ Müde öffnete ich die Augen. Auf meiner Brust lagen zwei Hände, die unter schneeweißem KI aufglühten. Ich begriff. Ich bekam KI von außen, damit mein eigenes KI wieder in den Rhythmus kam. „Da-danke, Kitsune-chan. Es geht schon wieder.“ Begleitet von einem unwirschen Knurren verschwanden die Hände wieder von meiner Brust. Dann erschien Kitsunes niedliches, besorgtes Gesicht über mir. „Das war ich nicht. Das war Okame. Er ist unser oberster KI-Lehrer und Ausbilder der Heiler.“ Ich sah zu Okame herüber, dem die Situation sichtlich peinlich war. „Danke.“ „Schon gut, Akira-tono. Wir sind schließlich beide Soldaten.“ Damit war das Thema für ihn abgehakt. „Da kam wohl zu viel auf einmal. Erst der ganze Stress und dann will die gute Kitsune auch noch ne Extrawurst und Extrazeit mit Aki-chan… Kein Wunder, dass du zusammenbrichst.“ Übergangslos hing sie mir am Hals und warf mich schwungvoll wieder auf den Rücken. „Aber das ist eine so süüüüße Seite an dir, Aki-chan, ich könnte dich knuddeln, knuddeln, knuddeln bis ans Ende aller Zeiten! Du bist so niedlich, ich kann es kaum fassen.“ Ich lachte rau auf. Okay, diese Kitsune kannte ich. Und die war mir viel lieber als die steife Variante. „Ich liebe dich auch“, bemerkte ich mit der säuerlichsten Stimme, die ich hinbekam. „Aber das weiß ich doch“, sagte sie mit einem Augenzwinkern und drückte mir einen großen, feuchten Schmatzer auf die Lippen. Mit einem Kuss hatte das wenig zu tun, aber eine Menge mit einem Liebesbeweis. Endlich ließ sie mich los, und Okame half mir auf die Beine. „Geht es wieder?“, fragte der Wolf besorgt. Ehrlich, so erlebte ich den – wie nannte ihn Kitsune manchmal? – alten Griesgram das erste Mal. „Na, na, du wirst doch nicht etwa ein verstecktes Faible für Aki-chan haben?“, tadelte Kitsune grinsend. Die Miene des großen grauhaarigen Mannes wurde starr. „Ein Faible? Für einen gewöhnlichen, kurzlebigen, schwachen Menschen?“ Kitsune kniff den großen Dai in den Bauch. „Na? Na?“ „Ist ja gut! Ein klein wenig, vielleicht.“ Irritiert sah ich Okame an. Auch DAS hatte ich bisher noch nicht erlebt. „Wenn du wieder sicher auf beiden Beinen stehst, wollen wir dann zur ersten Lektion kommen, Aki-chan?“ Sie deutete auf mein Katana, das zu meinen Füßen auf dem Boden lag. Oder vielmehr auf dem Wasser. Oder dem was auch immer ich gerade stand. Seufzend bückte ich mich danach, bekam keinen Schwindelanfall und konnte mich auch problemlos wieder erheben. Soweit, so gut. Kitsune lächelte hintergründig, während Okame im eigenen Saft schmorte. Sie ging ein paar Schritte und winkte dem Wolf zu. Der warf ihr die Klinge zu, die er aus Poseidon mitgebracht hatte. Sie fing die schlanke Klinge auf und zog sie blank. Auf dem ersten Blick sah sie aus wie ein Florett, aber dann bemerkte ich die Unterschiede. Es war eher ein Rapier, ein Sportrapier, weniger die klobigen Dinger, die man in der christlichen Seefahrt recht unchristlich eingesetzt hatte. Es gab ein paar frappierende Unterschiede – selbstleuchtende Rubine hatten jedenfalls am Handschutz eines Sportrapiers nichts verloren – aber alles in allem war es eine schwache, dünne Klinge, die ich mit einem Hieb meines Katanas durchtrennen konnte. Wenn nicht eine Dai die Waffe gehalten hätte. Sie winkte mich heran. „Greif mich an, Akira. Mit allem, was du hast.“ Sekunden darauf hockte ich auf den Knien. Flehentlich sah ich Kitsune an. „Kitsune-chan, es tut mir Leid. Es tut mir wirklich Leid!“ Fast zwanzig Meter hinter mir steckte ihr Rapier im Wasser, fast bis zum Heft verschwunden. So weit war es geflogen, nachdem ich es ihr aus der Hand geschlagen hatte. Kitsune selbst schien untröstlich zu sein, so wie sie wie ein Häufchen Elend auf dem Wasser hockte und Rotz und Wasser heulte. Okame versuchte das beste um sie zu trösten, aber das schien unmöglich. Und sein böser Blick sprach Bände. Langsam kam ich auf die Beine. Kitsunes Tränen schienen sie schwer wie Blei zu machen, schienen mich wieder niederstürzen lassen wollen. Aber das ließ ich nicht zu. Ich straffte mich, reckte mich und stand dann aufrecht genug. Dennoch fiel mir jeder einzelne Schritt in Richtung der Dai schwer. „Kitsune-chan, es tut mir Leid. Du warst noch nicht bereit, als ich angegriffen habe und...“ Übergangslos versiegte der Strom der Tränen. Sie sah mich an, und nach und nach schlich sich ein triumphierendes Grinsen auf ihre Züge. „Na, was habe ich dir gesagt, alter Wolf? Akira schafft das!“ Sie erhob sich, warf sich in Pose und lachte hinter vorgehaltener Hand. „Mein Schüler! Hörst du, mein Schüler! Beim ersten Versuch!“ Ehrlich gesagt verstand ich gerade überhaupt nichts, vor allem nicht ihre Stimmungsschwankungen. Kitsune wandte sich mir zu, machte eine Geste mit der rechten Hand, die mir sanft über die Stirn strich und langte mit der Linken nach ihrem Schwert, das wie von Geisterhand heran geschossen kam und sich in ihren Griff schmiegte. Übergangslos fühlte ich die Schwere von mir abfallen. Ich fühlte mich geradezu leicht. Oh. Einen Augenblick darauf hatte ich begriffen. Nicht der Schwertangriff war Teil der Lehrstunde gewesen, sondern die Schwere zu überwinden. „Respekt“, murmelte Kitsune anerkennend. „Du hast die KI-Blockade gleich beim ersten Versuch zurückgedrängt. Du bist schon sehr stark geworden. Das muss an deiner Zeit im Core und in Laysans Körper liegen.“ Ihr Lächeln wurde sardonisch, als sie die Waffe in die rechte Hand wechselte und sie von ihrem eigenen KI hellrot aufglühen ließ. „Gut, das spart uns einen halben Tag. Kommen wir zur nächsten Lektion. Bist du bereit?“ Hastig wich ich einen Schritt zurück, riss meine Waffe hoch und umspülte das Blatt mit meinem KI. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich die verfeinerte KI-Kontrolle nicht nur mit dem Schwert würde lernen müssen. 3. „Das ist die genaue Lage, meine Damen und Herren“, schloß Eikichi Otomo seine Rede. Ohne eine Miene zu verziehen wartete er die Reaktionen der Konferenzteilnehmer ab, egal ob sie im größten Konferenzsaal des OLYMP anwesend oder per Bildverbindung zugeschaltet waren. Sein Blick ging über fünfhundert Diplomaten der Erde und des Mars im größten Besprechungsraum der gigantischen Orbitalstation, weitere hunderte waren per Wurmlochkommunikation zugeschaltet worden. Unter ihnen Admiral Nasahari, Kommandeur der Außenflotte sowie führende Köpfe der Naguad. Die Menschen, Kronosier und Anelph sagten nichts. Kein Wunder. Wenn er selbst so plötzlich mit dem nahen Tod konfrontiert sein würde, wie er dies bei all den Vertretern der Menschheit getan hatte, dann wäre er sicherlich auch erstarrt gewesen. „Und diese Daimon bietet uns einen sicheren Schutz?“, fragte Präsident Wilson vorsichtig, einer von einhundertsiebzehn Staatschefs im Saal. Man hatte ihn zwar von einem kronosianischen Kommando herschleifen lassen müssen, aber die Konferenz war sicherlich weder zu seinem Schaden noch zum Schaden seines Volkes gewesen. Im Gegenteil. Vieles war nun offensichtlich, nein, offensichtlicher geworden. „Die Daimon wird uns, der Erde, dem Mars und dem Mond, ungefähr ein Jahr Schutz bieten, solange die Götter nicht auf die Idee kommen, auf unsere vermutliche Position zu schießen. Wir haben zu wenige Dai, um die vom Liberty-Virus aufgebaute Sperre lang genug effektiv genug aufrecht zu erhalten. Wir sind auf das KI angewiesen, das von den normalen Menschen emissiert wird, und normalerweise ungenutzt in der Umgebung verschwindet.“ „Was ist, wenn dieses Jahr um ist?“ „Dann, Präsident Wilson, sind wir entweder Sieger oder besiegt. Und besiegt bedeutet in diesem Fall tot. Die Erde als ehemaliger Sitz des Kernreichs der Dai ist vor allem deswegen geschont worden, weil die Götter nicht sicher sein konnten, was die Dai auf ihr verborgen haben. Sie waren vorsichtig. Aber als sich für uns die Notwendigkeit ergeben hat, uns zu verstecken, haben wir auch unsere Schwäche zugegeben. Bitte, Bundeskanzler Schreiner.“ „Wir verstehen das Dilemma der Dai. Aber lassen Sie mich Advocato Diabolis sein: Was haben wir damit zu tun? Warum müssen wir etwas ausbaden, was die Dai vor fünfzigtausend Jahren in den Sand gesetzt haben? Dies ist nicht wirklich meine Meinung, aber im Interesse der Europäischen Union muss ich es aussprechen, Direktor Otomo.“ „Sie haben mein vollstes Verständnis für Ihre Seelenlage, Herr Bundeskanzler. Nun, einmal davon abgesehen, dass wir alle Nachfahren der Dai sind und die Götter nicht darin unterscheiden werden, wer sich den Dai verbunden fühlt und wer nicht: Die Strafer der Götter werden alles eliminieren, was sie als offene Bedrohung ansehen. In unserem Fall bedeutet das, dass wir, die Menschen der Erde, als potentielle Dai eine Bedrohung darstellen, die ausradiert werden wird, sobald die primäre Bedrohung durch die Dai selbst ausgeschaltet ist.“ „Wir hängen also drin, egal was wir tun“, sagte der Bundeskanzler grimmig, und Otomo sah die Goldene Brücke, die ihm gerade gebaut worden war. „Das sehen Sie richtig, Herr Bundeskanzler. Es geht nicht um Ansichten, um Philosophien, nicht um Regierungsformen. Es geht nur um Abstammung. Es geht einfach darum, dass wir SIND. Wir können nichts dafür und wir können auch nichts dagegen tun. Es ist einfach so. Es gibt uns, wir stören, also werden wir ausradiert. Gerade wir Menschen sollten in einer solchen Einstellung die Gedanken unserer Vorfahren wiedererkennen. Es gibt genügend Beispiele, in denen Menschen einander ausgerottet haben, weil der andere einer anderen Kultur, einem anderen Glauben oder einfach einer anderen genetischen Linie der Menschheit angehört hat. Wir haben eine blutige Vergangenheit, und ebenso ist die Vergangenheit der Götter blutig, von Ignoranz geprägt und von der Verachtung des göttlichen Geschenks des Lebens. Die Götter könnten fast Menschen sein, wenn sie mir etwas Ironie gestatten.“ „Und was“, fragte Premier Saratov aufgeregt, „tun wir, während die Götter uns hoffentlich für ein Jahr in Ruhe lassen?“ „Wir werden uns vorbereiten. Wir werden versuchen, die Daimon weiter zu stabilisieren. Wir werden versuchen, unsere Streitkräfte für den Tag zusammen zu ziehen, an dem sich die Götter nicht mehr täuschen lassen. Wir alle, die wir die Verantwortung für die Menschen übernommen haben, denen wir nun vorstehen, werden in den Krieg ziehen, damit jene, die wir das normale Volk nennen, weiterhin eine friedvolle Zukunft haben.“ „Und wie bereiten wir uns vor?“ „Dazu möchte ich Dai-Kuzo-sama auf die Bühne bitten. Sie ist eine Daimon… Ich meine, sie ist die älteste Dai auf der Erde. Sie wird einiges zu den Vorbereitungen sagen.“ Eikichi wechselte den Platz mit der großen Frau mit den langen schwarzen Haaren, die wie Seide glänzten. Die Frau in dem weißen, bodenlangen Kleid schimmerte wie ein Diamant. Des Effektes Willen hatte sie ihre KI-Aura sichtbar gemacht. „Meine Damen und Herren, ich bin Dai-Kuzo-sama, die Herrin der Daimon. Und die letzte Kriegerin, die aus dem Konflikt mit den Göttern überlebt hat, soweit ich das beurteilen kann. Ich werde Ihnen nun sagen, wie die Vorbereitungen aussehen, die wir treffen werden. Viele von ihnen kennen bereits Juichiro Torah, den sogenannten Magier. Er wird als Hauptverursacher sogenannten KI-Raubs angesehen, dass bei den Opfern Ermattung bis hin zum Koma geführt hat. Seine Erfahrungen machen ihn zum Spezialisten für optimale KI-Verwertung, die wir in Zukunft brauchen werden, um drei riesige Daimon stabil zu halten. Doch diesmal wird, aufbauend auf seine vierhundert Jahre Erfahrung, lediglich das freie KI aufgesogen werden, welches die Menschen, Pflanzen und Tiere emissieren, welches sie ohnehin verlieren würden. Dies ist jedoch so immens viel, dass es vielleicht reicht, um die Daimon selbst bei einem Angriff stabil zu halten.“ Dai-Kuzo-sama schnippte mit den Fingern. Neben ihr entstand aus dem Nichts ein Wirbelwind, und aus diesem Wind schälte sich ein weißer Hund hervor. Das Tier wirkte freundlich, friedlich und intelligent. „Dieses Tier ist ein KI-Biest. Es besteht aus freiem KI, das mit einem gewissen Eigenintellekt versehen wurde. Dieses KI-Biest ist wie ein Magnet für freies KI. Das ist seine einzige Aufgabe. Wir werden KI-Biester in den Metropolen umher wandern lassen, um das freiwerdende verschwendete KI zu ernten und dem Liberty-Virus zur Verfügung zu stellen. Die KI-Biester werden keinem Menschen KI entziehen, falls sie das befürchten. Dazu sind sie gar nicht in der Lage. Sie haben nicht mehr Verstand als ein treuer Hund, und Angriffswille ist ihnen absolut fremd. Wir werden weitere KI-Biester erschaffen und diese auf dem Mond und dem Mars einsetzen, um auch jene Daimon stabil zu halten. Des Weiteren werden in nächster Zeit drei weitere Daimon erschaffen werden. Im Nag-System werden die Welten Naguad Prime, Daness und Arogad mit dem Liberty-Virus kontaminiert werden; anschließend werden auch dort KI-Biester ausgesetzt werden, um das Zentrum des Naguad-Imperiums vor einem Angriff sicher zu machen. Ähnliche Maßnahmen planen wir für alle Planeten mit eigener Daimon.“ Die große Spinne sah in die Runde. „Was unsere Vorbereitungen angeht… Wir können uns nur aufrüsten. Die Bewaffnung, die Defensiv-Fähigkeiten und die Technik der Strafer ist statisch. Sie hat sich in fünfzigtausend Jahren nicht verändert, und soweit wir dies feststellen konnten sind auch neu gebaute Strafer auf dem gleichen Techniklevel wie vor fünfzigtausend Jahren. Die Technik der Götter stagniert. Sie stagniert, weil die Götter ausgerottet wurden.“ Aufgeregtes Geraune antwortete ihr. Dai-Kuzo-sama hob beide Arme. „Ich selbst“, begann sie, „habe als ich jung war, ein Selbstmordkommando auf die Hauptwelt der Götter angeführt und dieses Volk bis zum letzten Individuum ausgerottet. Dies erschien uns damals die einzige Möglichkeit zu sein, den schrecklichen Vernichtungskrieg zu beenden, den sie gegen uns geführt haben. Unser Erfolg ist zweifelhaft, denn die Strafer agieren immer noch, wie wir an den Verwüstungen auf West End und auf Iotan sehen konnten. Zwar wird die Vernichtung nicht mehr so effizient durchgeführt, ihr fehlt das Esprit eines abstrakt denkenden organischen Wesens, aber sie existiert noch immer und wird uns davon fegen, wenn wir jetzt nicht alle zusammen stehen. Damals konnten wir die Götter stoppen, zu einem horrenden Preis und zum Preis der Seele der Dai, die damals dieses furchtbare Massaker angerichtet hatten. Es hat Milliarden Daina und Daima gerettet, wenn auch nur für den Moment. Aber es war nur eine Atempause, genügend Zeit um die Daimon zu erschaffen, den Strafern ihren Hauptfeind fort zu nehmen. Zeit zu erkaufen, um vielleicht irgendwann einmal diese Bedrohung doch noch auszulöschen, bevor sie uns vernichtet.“ „Wollen Sie damit sagen, wir kämpfen gegen eine Robotzivilisation? Eine selbst erhaltende Technik, die übrig geblieben ist, nachdem die Götter getötet wurden?“ „Nein, das wäre zu einfach. Wir kämpfen nicht nur gegen die Technik der Götter.“ Dai-Kuzo-sama senkte den Blick. „Wir kämpfen gegen ihre Kinder.“ *** Mit einem deutlichen Gefühl der Verärgerung sah Makoto Ino auf den kleinen Vorplatz der Poseidon-Flottenzentrale herab, auf der er selbst vor über einem Jahr noch persönlich gegen die KI-Meister unter Torum Acati gekämpft hatte. Nun war er ein riesiger Picknick-Platz geworden. Es fehlte nur noch, dass ein paar gewiefte Händler vorbei kamen und heiße Würstchen und Getränke verkauften. „Will hier denn niemand mehr arbeiten?“, fauchte Makoto wütend. „Na, na“, tadelte seine Schwester und nahm einen Schluck aus ihrem Teebecher. „Willst du nicht erstmal etwas trinken, um ruhiger zu werden?“ „Ru-ruhiger? Während um mich herum Anarchie herrscht? Ich BITTE dich! Das ist eine vollkommen unprofessionelle, einem UEMF-Offizier unwürdige Arbeitsweise! Wir…“ Mako riss die Augen auf. „Du auch hier, Sakura?“ „Ich habe Pause“, rechtfertigte sich die Oberbefehlshaberin der AURORA-Mission. „Außerdem ist das Schauspiel so interessant.“ Sie deutete auf die glatte Wasserfläche draußen auf dem Serenity-Meer auf dem drei einsame Gestalten standen und Schwertkampf trainierten. Nun, zumindest das, was sie zu Schwertkampf erklärt hatten, denn die Kampftaktiken, die sie nun schon seit drei Tagen übten hatten mit einem Schwerterkampf nur bedingt zu tun. Es war mehr Schwertkampftraining mit Bogenschützenunterricht und Ausbildung im Panzer fahren auf einmal. Aufgeregtes Gemurmel der Anwesenden erklang, als Akira Otomo, einer der Kämpfenden, plötzlich seine Gestalt verlor. Übergangslos stand an seiner Stelle eine etwa vier Meter große Rüstung, die entfernt an einen Ritter des Mittelalters erinnerte, jedoch um einiges flexibler war. „Eine wirklich nette AO-Rüstung“, bemerkte Aris, die Herrin des Paradies, die bei Sakura saß und Tee trank. „Der ist aber lecker. Wo kommt der her?“ Sakura lächelte mütterlich. „Wir ziehen ihn selbst auf der AURORA. Dort oben am Rand, wo der holographische Himmel beginnt ist die Luft genau richtig für diese Sorte Tee. Wir haben auf den Vorsprüngen Beete angelegt. Ursprünglich kommt der Tee aus Nepal, einem Staat im Hochgebirge Himalayah.“ „Wow. Ob ich das mal sehen werde? Den Tee hier und im Hochgebirge?“ Mit großen, staunenden Augen musterte Aris – nein, eigentlich der KI-Container – den holographischen Himmel. Indessen stürzte sich die riesige Rüstung mit erstaunlicher Agilität auf Kitsune und trieb sie mit einem Hieb des Schwertes meterweit davon. Die Füchsin flog durch die Luft, schlug mehrere Salti und landete schließlich auf einer Hand und zwei Beinen, während sie meterweit davon schlitterte. Wütend fixierte sie die Rüstung Akiras und sprang voran. Aus dem Menschen wurde ein riesiger Fuchs, jede einzelne Klaue wurde nun zu einem ultrascharfen Schwert und die Fänge blitzten wie frisch geschliffene Dolche in der Sonne. Derart gewappnet stürzte sie auf die Rüstung, grub ihre Pranken tief in das Material und biss den Kopf ab. Unter ihren Zähnen zerbarst das Material. Erschrocken riefen die Zuschauer durcheinander. Dann gab es eine Explosion; Sekundenlang konnte man gar nichts erkennen. Als sich der Rauch gelichtet hatte, konnte man einen schwer atmenden Akira Otomo sehen, der halb auf dem Boden hockte und sich auf sein Schwert gestützt hatte. An der alten Stelle stand eine sichtlich wütende Kitsune. Ihr Haar war von der Explosion mitgenommen worden, ihr mittlerweile menschliches Gesicht war verrußt. „Eine AO-Explosion. Akira ist ein großartiger Krieger“, stellte Aris mit Genugtuung fest. „Es bestätigt nur meine Entscheidung, ihn zum obersten Kriegsherren zu machen.“ Sakura reichte der Herrin des Paradies eine Tüte mit Bonbons. „Willst du noch welche?“ „Darf ich denn? Sind diese süßen Dinger nicht kostbar?“, fragte sie erstaunt. „In gewisser Weise ja. Aber du darfst dir ruhig noch welche nehmen.“ „Oh, danke!“ Mit ungeschickten Fingern griff sie nach einem Bolschen, wickelte ihn aus und stopfte ihn sich in den Mund. „Schade dass Kiali das nicht erleben kann. So eine Erfahrung wie schmecken hätte sie bestimmt gefreut.“ Aris seufzte. „Sie koordiniert den Abbau der letzten Städte. Bevor das nicht geschafft ist, will sie das Paradies nicht verlassen.“ „Sie hat noch elf Tage dafür“, stellte Makoto fest. Er seufzte und ließ sich neben den beiden Frauen nieder. „So, so. Ihr schaut euch also Akiras KI-Training an. Ist es denn so spannend?“ „Ich lerne was dabei“, sagte Sakura nur trocken, und ein eiskalter Schauer ging Mako über den Rücken. „N-nee-chan, du machst mir Angst.“ „Die macht mir Akira auch gerade.“ In diesem Moment stießen die Rüstung und der gewaltige Fuchs wieder zusammen. Ein Schwert hielt Klauen ab, während ein Arm die andere Klaue und die Schnauze fortdrängte. Doch damit war Kitsunes Repertoire noch nicht am Ende. Ihr Fuchsschwanz wuchs in die Länge, spaltete sich auf und vervielfältigte sich auf neun. Diese Schwänze griffen die Rüstung von mehreren Seiten an; Akira blieb nichts anderes übrig als auszuweichen und fortzuspringen. Beide verwandelten sich zurück, und offensichtlich entspann sich ein erheblicher Disput zwischen Akira und Kitsune. Als Ergebnis griff Okame ein und versetzte Kitsune eine derbe Kopfnuss. Danach winkte der Dai herrisch in Richtung der Außenwand. Dort öffnete sich ein Schott, und ein Daishi Beta löste sich. Die gigantische Maschine landete direkt neben Akira, ging in die Hocke und öffnete ihr Cockpit. Wieder wechselten Akira und Kitsune ein paar Worte, dann beeilte sich der KI-Meister, in den Mecha zu kommen. „Ich werde verrückt. Akira tritt in Prime Lightning gegen Kitsune an!“, rief jemand. „Ich bin auf das Ergebnis gespannt“, brummte Sakura. Ihr Gesicht lächelte, aber ihre Augen nicht. *** „Wo ist nur Yoshi, wenn man ihn mal braucht?“, fluchte Doitsu Ataka herzhaft und warf seinen Phoenix aus der Bahn von gut zwanzig Raketen. Nachdem sie ihn passiert hatten, fixierte er sie einzeln und ließ das Raketenabwehrgeschütz in Aktion treten. Nicht, dass eine verirrte Rakete einen seiner Kameraden traf oder gar sie SENCER, der Superkreuzer der Republik, welcher die Hekatoncheiren hergebracht hatte. „Er ist bei der Arbeit!“, klang Yoshi Futabes Stimme auf. „Ich habe hier ein ganzes Regiment zu hüten. Ich kann nicht auch noch auf Regimentschefs aufpassen, die aus Lust an der Freude mitkommen!“ „Hey, hey, senke deine Waffen“, erwiderte Doitsu. „Ich Freund.“ „Schon klar. Nervender Freund. Hast du nicht genug auf der AURORA zu tun? Immerhin kontrollierst du immer noch die Unterwelt in Fushida City, oder? Musst du nicht ein paar Bordelle betreuen?“ „Wieso? Willst du eines besuchen?“ Diese Frechheit raubte Yoshi für wertvolle Sekunden den Atem. Als er wieder sprechen konnte, murmelte er leise eine Entschuldigung. Doitsu trieb seinen Mecha Katana voran und jagte ihn mitten durch eine dichte Banges-Formation des Gegners. Die beiden Herakles-Schwerter in den vollmodulierten Händen hielten dabei blutige Ernte unter dem Feind. „Ist in Ordnung. Wir haben alle gerade ein wenig Streß. Wer konnte auch ahnen, dass wir mitten ins letzte Aufgebot der Kaisertreuen hineinfliegen werden?“ „Wir sind noch nicht mittendrin! Wir sind nur außen dran, aber ich befürchte, es dauert nicht mehr lange, bis sie dafür gesorgt haben, dass wir mittendrin sind. Und dann sind unsere einhundertzwanzig Mechas eins zu zwölf im Nachteil.“ Eine Serie an Explosionen erschütterten das All um Doitsu. „Eins zu elf.“ „Eins zu zehn“, erwiderte Doitsu und köpfte im Vorbeiflug einem Kommando-Banges den Sensorhelm mit den Funkanlagen ab. „Ich tue auch meinen Teil, um die Chancen auszugleichen.“ Der Yakuza-Sohn warf sich tiefer in die Formation der feindlichen Banges-Staffel. Wenn er eines von Akira gelernt hatte, dann, dass ein hervorragender Mecha-Pilot sich tief in die Feindesreihen hineinwagen konnte, wo jeder Fehlschuss einen Gegner traf. Eine Taktik für Lebensmüde – oder für Genies. In welche Sparte er einzuordnen war würde sich zeigen, wenn er noch in der Lage war, nach der Schlacht über diese Frage nachzudenken. Er aktivierte die Herakles-Klinge und spaltete einen Feind in Oberteil und Unterteil. Dabei erwischte er den Piloten. In Gedanken machte er einen Strich auf einer imaginären Liste. Langsam aber sicher kam er Akira und seiner Todesliste näher. Irgendwann würde er es nicht mehr ertragen können, sich damit rausreden zu können, das Krieg herrschte. Irgendwann würde die Erkenntnis, das jeder Iovar, den er hier tötete, eine Familie hatte, womöglich Kinder. Und dass er dieser Familie eines ihrer Mitglieder fortgenommen hatte. Und noch eines, und noch eines, und noch eines… Doitsu wusste nicht, wie Akira das ertrug, aber ihm ging es so schon gewaltig an die Nieren. Noch war es nicht genug um in Katatonie zu versinken oder die Schöpfung oder das menschliche Naturell an sich anzuklagen, aber irgendwann würde dieser Tag kommen. Kriege würden kommen, genauso wie sie wieder gingen. Es würde nie zuende sein. Und die Zahl derer, die er tötete, würde weiter steigen. Wie hielt Akira das nur aus? Wie Megumi? Wie Yoshi?“ „Hey, Doitsu, bist du nicht schon etwas weit drin? Ich habe dich kaum noch auf der Ortung“, blaffte Yohko auf. Sie war Anführerin der Gruppe Otomes, welche die Gyes begleiteten. „Außerdem solltest du langsam mal zurückkommen, oder du verlierst den Anschluss an die SENCER. Sie dreht gerade und wird bald zurückspringen.“ „Gibt es noch dem Intendenten loyale Truppen im System? Lohnt sich der Durchbruch?“, fragte Doitsu hastig und nutzte einen kleineren Banges als Deckung, um eine Artillerieversion seinerseits zu bombardieren. „Die Planeten sind fest in unserer Hand. Aber die äußeren Planeten werden als Aufmarschgebiet der Kaiserlichen missbraucht. Wir müssen zurück und Verstärkung holen! Wir… Komm langsam mal zurück, Doitsu!“ „Bogen!“, keuchte der Yakuza-Sohn. „Katana, Bogen!“ „Wenn du meinst, das hilft uns?“ Beine, Arme und ein Teil des Torsos wurde abgesprengt. Die Elemente hefteten sich aneinander und flogen als selbstständige Einheit davon. Zugleich startete der Katapult der SENCER das von Doitsu Ataka angeforderte Waffensystem. In der Zwischenzeit, bangen fünf Minuten, wehrte sich Doitsu vor allem mit seinen eingebauten Raketen und manövrierte selbst nur mit den Rückendüsen wie ein junger Gott. Dann war das Paket heran, entfaltete sich und dockte automatisch, mitten in der Kampfsituation. Nun endlich hielt Yoshi eine für ihn modifizierte Artemis-Lanze in der Hand. Sie war speziell auf sein Nahkampfverhalten ausgerichtet, außerdem waren Arme und Beine nun schwer gepanzert und mit Rüstungsbrechenden Dornen versehen. Ein Tritt von ihm konnte nun in jedem Banges schwere innere Schäden anrichten. Mit einem Rundumschlag der Artemis-Klinge, dessen Blatt fast zwei Drittel der vierzehn Meter langen Lanze ausmachte, setzte Doitsu einen Befreiungsschlag, der drei weitere Banges ausschaltete. Plötzlich hatte er Luft. Er hob die Lanze und griff nach einer imaginären Sehne an ihrem Schaft. Zwischen dieser Sehne und dem Stab der Lanze spannte sich plötzlich ein Energiebolzen. Doitsu zog voll durch, und seine Energiemessanzeigen schlugen bis in den roten Bereich durch. Als der Bolzen die Lanze, nein, den Bogen verließ, schoss er an einigen Banges im Scout-Modus vorbei und vernichtete sie in einem Wirbel aus Energie. Dann traf er sein eigentliches Ziel, eine kaiserliche Fregatte. Der Bolzen bohrte sich mittig über der Brücke in die Panzerung, drang metertief ein und explodierte daraufhin. Die Fregatte brach aus ihrem Kurs aus; sekundäre Explosionen erschütterten sie. „Toller Schuss, Briareos Top!“, rief Yoshi aufgeregt. „Aber es wäre trotzdem besser für dich, endlich wieder zurück zu kommen!“ „Ich will es versuchen, aber mir sind immer noch ein paar Banges im Weg! Ich…“ „Darf ich Sie unterbrechen, Sir?“, mischte sich die K.I. ein. „Der Gegner macht uns Platz. Erheblich Platz, Sir.“ Irritiert checkte Doitsu die Radaranzeige. Tatsächlich. Die Banges verließen seine Nahkampf- und Mittelkampfreichweite. Und einige versuchten bereits aus seinem Fernkampfradius zu entkommen. „Was passiert hier?“ „Ich konnte ein paar undechiffrierte Funksprüche auffangen. Und ehrlich gesagt mag ich sie nicht. Die halten uns tatsächlich für Akira Otomo und Prime Lightning. Als wenn der alte Opa der Weisheit letzter Schluss wäre!“ „Sie… halten uns für Akira und Prime?“ Wäre die Situation nicht so absurd gewesen, Doitsu hätte gelacht. Er war versucht zu fragen warum, er war auch versucht, die Sache richtig zu stellen. Aber letztendlich wollte er nur noch eines: Die Situation nutzen und mit den anderen auf die SENCER zurück zu kehren, bevor die Kaiserlichen merkten, dass sie eigentlich doch in der Überzahl waren. „Briareos Top, kehre heim.“ „Willkommen zurück, Blue Lightning zwei!“, klang Yoshis Stimme auf. Sie klang spöttisch, wie nicht anders zu erwarten gewesen war. Aber eben nicht vollkommen spöttisch. „Das klingt gar nicht mal so schlecht“, erwiderte Doisu. Er tätschelte seine Konsolen. „Und du, Katana, solltest dich geehrt fühlen, mit einem so mächtigen Mecha mit derart erfolgreicher Geschichte verwechselt zu werden.“ „Mit Verlaub, Sir, aber ich schreibe lieber meine eigene erfolgreiche Geschichte.“ „Oh, das hast du gerade“, murmelte Doitsu. „Das hast du gerade.“ *** Die Flotte, die aus dem Naguad-Hauptsystem aufbrach, umfasste nicht ganz neunundvierzig Schiffe. Das war die Vorhut zusammengezogen aus über fünfzig Systemen, zusammengestellt aus Schiffen aller neun Häuser, einschließlich dessen, was dem reformierten Haus Logodoboro unter Agrial Logodoboro bereits wieder zur Verfügung stand. Spötter mochten sagen, dass diese Schiffe erstens zu wenig waren, um die Erde zu beschützen und zweitens im Imperium besser aufgehoben waren, aber all das störte die offizielle Anführerin der Flotte nicht besonders. Sie war Agentin, kein Militär, dennoch durfte sie die Flottille kommandieren. In allen weltlichen Belangen verließ sie sich natürlich auf ihren entfernten Cousin Rogan Arogad, der ursprünglich die Vergeltungsflotte für das Kanto-System hatte anführen sollen und als erster unter dem Verrat der Logodoboro hatte leiden müssen. Dennoch, als potentielle Erbin des Hausvorsitz wäre alles andere als das Oberkommando ein Affront gewesen. Helen Arogad Otomo straffte sich. Es war noch gar nicht so lange her, da war sie in einem Biotank eingeschlossen gewesen, war Teil der K.I. des Arogad-Turms gewesen, unfähig, je wieder in ihren Körper zurückzukehren. So hatte sie gedacht. Aber die Ereignisse hatten sie überholt, hatten ihr ruhiges, gemütliches Leben, allsehend und allwissend als steuernder Teil des Computers erschüttert. Zuerst war es die Begegnung mit ihrem Sohn Akira gewesen, dann jene mit ihrer Tochter Yohko, die wieder den Wunsch in ihr geweckt hatte, selbst hören, selbst fühlen und selbst atmen zu können. Der wieder das Verlangen in ihr geweckt hatte, ihren Mann wieder in den Armen zu halten. Der ihre große Angst vor einer feindlichen, rauen Welt, die sie fast getötet hatte, vertrieb und ihr wieder die guten Seiten hatte zeigen können. Ihre große Angst, nachdem sie aus dem unendlich erscheinenden Dämmerschlaf erwacht war, war wie fortgeblasen. Sie hatte jene Episode aus ihrem Leben akzeptiert. Sie hatte alles akzeptiert, auch ihre eigene Sterblichkeit. Und sie hatte erkannt, dass sie sich feige versteckt hatte, in ihrem kleinen, sicheren Biotank, in ihrer eigenen kleinen Welt. In ihrem kleinen Nest, in dem sie hatte bestimmen können was passierte, und zwar nur sie. Aber das war nicht Helen Otomo, nein, das war sie bestimmt nicht. Und mit ein wenig Verachtung sah Helen nun auf die Frau zurück, die sie vor wenigen Wochen noch gewesen war. Sie lebte wieder, sie lebte in vollen Zügen, mit all ihrer Kraft. Mit all ihrem Geschick, jede Sekunde ausnutzend, jeden Traum genießend und in der Hoffnung, nicht nur Eikichi, Yohko und Akira wieder in die Arme, ihre eigenen Arme schließen zu können, sondern auch ihr neues, drittes Kind, Akari endlich so begrüßen zu können wie es ihr gebührte. Ob Akari schon einen Freund hatte? Akira hatte erwähnt, dass sie viel mit diesem Dai-Sproß zu tun hatte, diesem Michi Tora. Sie wusste nicht so recht, ob der junge Mann der richtige Umgang für sie war, aber sie wusste, dass ihre Gefühle für das junge Mädchen schon jetzt sehr mütterlich waren, ohne ihr je begegnet zu sein. Oh, zwei Töchter würden solch ein Spaß werden. Ja, sie lebte gerne körperlich. Endlich wieder. „Mylady Arogad, geben Sie den Startbefehl?“, fragte der Admiral vorsichtig. „Nein. Wir warten noch.“ „Wie Sie wünschen.“ „Rogan?“ „Mylady?“ „Nenn mich Helen.“ „Wie Sie wünschen, Helen.“ „Und duz mich.“ „Einverstanden.“ „Und sag mir Bescheid, sobald eine Transmission vom Arogad-Turm eintrifft.“ „Verstanden.“ Die Meldung ließ nicht lange auf sich warten. „Eine Nachricht für dich, Helen. Ein Koordinatensystem, das sich auf das Kanto-System bezieht.“ „Gut. Diese Koordinaten sind unser Ziel.“ Helen lächelte erleichtert. „Dort erwartet uns die Flotte unserer Verbündeten. Die Tiremen greifen zu unseren Gunsten ein.“ Das außerirdische Volk der Tiremen auf ihrer Seite, das bedeutete weitere fünfunddreißig bis fünfzig Schiffe aller Klassen. Wieder ein Funken mehr Hoffnung für sie alle. Epilog: Kiali war nicht wirklich am Leben. Zumindest empfand sie es so. Sie war erschaffen worden, indem jeder Bewohner des Paradies einen kleinen Teil seines AO hergegeben hatte; sie war die Summe geworden und von ihrer Vorgängerin ausgebildet worden, bis sie in der Lage gewesen war, das Paradies und die Core-Zivilisation selbst zu leiten. Sie stand für Krieg, sie hatte sich schon früh dafür entschieden. Es war eine Entscheidung der Verzweiflung gewesen. Ihre Vorgänger hatten schon Krieg geführt, und sie hatte sich dieser Haltung angeschlossen. Wieder, und wieder und wieder. Kiali hatte versucht, Aris vor Augen zu halten was Krieg war. Hatte versucht ihr begreiflich zu machen, welches Entsetzen, welche Schrecken damit verbunden waren. Welche Pein und Not. Aber Aris hatte auch den Krieg gewählt, was sich in ihrer schwarzen Bekleidung ausdrückte. Schwarz für das dunkel der Nacht, welches alles verhüllte, Motive, Ansehen, Denken, Gefühle und die Zahl derer, die WAREN. Dann hatte Aris entschieden Akira Otomo zu sich zu holen. Sie hatte mit ihm gespielt, hatte ihn durch fiktive Welten gejagt, hatte versucht, ihn zu dressieren, aber das Gegenteil war entstanden. Weil sie mit Naivität, mit kindlicher Unschuld und ohne wirkliche Reife herangegangen war, hatte Akira sie beeinflusst, sie konditioniert, ihr seine Erfahrung vermittelt und sie vollendet. Akira wusste es wahrscheinlich nicht, aber der entscheidende AO-Splitter, der aus Aris erst wirklich die neue Herrin des Paradies gemacht hatte, war von ihm gekommen. Kiali überprüfte den Fortgang der Evakuierung. Sie lagen gut im Rennen, und noch immer konnte sie die Götter hinhalten. Aber es würde nur noch eine Frage der Zeit sein, bevor Scouts oder sogar Strafer über einem der neun Core-Systeme erscheinen würden. Und was dann geschehen würde, lag nur bedingt in ihrer Hand. Ein Signal informierte sie darüber, dass das Gros der Bewohne der Paradies verlassen hatte, dass nach und nach alle neun Teile des Paradies deaktiviert wurden. Das würde hunderte, ja, tausende Daima und Daina dazu zwingen, sich doch noch zu manifestieren, ihre Verstecke im Paradies zu verlassen. Bald darauf gab es nur noch einen winzigen Flecken Paradies. Der existierte rund um sie, Kiali. Es war der letzte Funken, der einzig und allein sie erhielt. Ein zweites Signal erklang und teilte ihr mit, dass die letzten Schiffe starteten. Die Evakuierung stand kurz vor ihrem Abschluss. Kiali aktivierte das Paradies wieder und besetzte es mit Pseudoleben. Die Städte, von Hightech und Menschen geräumt wurden wieder voll beleuchtet und pralles Leben simuliert. Als der erste Strafer in einem der Systeme aus dem Wurmlochsprung kam, lächelte Kiali wehmütig. Sie hätte gerne einen KI-Container besessen. Blumen gerochen, Essen probiert, geatmet und mit eigenen Augen gesehen und eigenen Ohren gehört. Über etwas neues getastet, all das gemacht, was ihr hier im Paradies verwehrt blieb. Aber sie hatte eine Aufgabe, und die würde sie erfüllen. Sie stand für Krieg, und das würde sie bis zum bitteren Ende tun. Als der Strafer das Paradies anfunkte, ließ sie die Bodenforts aktivieren, welche nicht hatten abgebaut werden können. Gewaltige Waffen, einstmals im Dai-Krieg eingesetzt, erwachten zum Leben und spieen dem Strafer Tod und Vernichtung entgegen. Die Waffensysteme waren sehr effektiv, selbst gegen die Götter. Der Strafer verging in einer lautlosen Explosion im eisigen Weltall. Aber das war nur der Anfang. Weitere Strafer kamen aus dem Sprung, und Kiali sah ihre größte Angst bestätigt, nämlich jene, dass dies eine Strafexpedition war. Über das wie und warum wusste sie nichts, konnte es auch nur ahnen. Aber sie wusste, die Strafer waren da, und sie würden alle neun Welten verwüsten, wenn sie es mussten. Nein, nicht wenn. Sondern bestimmt. Bestimmt wollten. Die Bodenforts feuerten, Kiali ließ einige hundert Raider, die sie zurückgehalten hatte, über den neun Welten auf die Strafer niederfahren und sah dabei zu, wie die riesigen Raumschiffe jeweils drei von ihnen abschirmten, damit sie ihre schreckliche Hauptwaffe einsetzen konnten – direkt über den Standorten der Biocomputer, die einstmals das Paradies betrieben hatten. Einige Strafer wurden vernichtet, aber das bremste sie vielleicht, hielt sie aber nicht auf. Dann luden die Hauptwaffen. Für eine kurze Zeit, vielleicht ein paar Wochen, vielleicht ein paar Monaten, würden die Strafer der Götter den Core aus den Augen verlieren. Und dies mochte Aris und Akira helfen. Vielleicht tat es das nicht, gestand sich Kiali ein, aber das änderte nichts daran, dass sie diesen Kampf mit vollem Herzen ausfocht. Sie glaubte, ihre Vorgängerin Fiesta hinter sich zu spüren, wie sie wohlwollend nickte, daneben ahnte sie Mercur, die erste Herrin des Paradies. Auch sie billigte ihr Tun, und es war ihr ein Trost von derart wichtigen Vorgängern Rückhalt zu erfahren. Auch wenn sie es sich nur einbildete… Oder nicht? Licht brandete auf, erfüllte die Oberflächen der Core-Welten, erfüllte das Paradies. Bevor es alles erfüllte, ihr Sein, ihre Existenz, ihre ganze Welt, fühlte Kiali, wie heiße Tränen ihre Wangen hinabliefen. Sie fühlte sich vollständig. Sie war ihren Weg gegangen, bis zum Ende. Es war getan, es war komplett. Dennoch. Dennoch… „Ich hätte gerne einmal an einer Blume gerochen“, hauchte sie mit fast ersterbender Stimme. Dann brandete das Licht über sie hinweg. Danach war… Nichts. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)