Anime Evolution: Nami von Ace_Kaiser (Vierte Staffel) ================================================================================ Kapitel 13: Krieg und andere Dummheiten --------------------------------------- 1. Eilige Schatten huschten durch die Straßen von Fushida City, der großen Metropole im Innenraum der AURORA, dem bereits jetzt legendären Raumschiff der Menschheit. Sie kamen aus dem Nichts, sie verschwanden aus dem Nichts, vorsichtig darauf bedacht, nicht verfolgt zu werden. Wobei eine Verfolgung der Schatten, die von Hausdach zu Hausdach sprangen, Straßenschluchten überwanden und im Schlagschatten einer Markise zu verschwinden schienen, sehr fraglich war. Aber all diese Schatten hatten eines gemeinsam. Sie steuerten auf ein gemeinsames Ziel zu, das sie noch vorsichtiger, noch geheimnisvoller erreichten und betraten. Durch das Dach, die Fenster, durch Bodenschächte und ein oder zwei nahmen sogar die Tür. Dann war Stille. Im Innenraum saßen die Schatten zusammen und schwiegen sich an. Verstohlene Blicke gingen von einem zum anderen, während sie einzeln aufgerufen wurden und vor den Großmeister der Versammlung treten mussten. Nicht wenigen traten bei dem Tadel, der sie erwartete, die Tränen in die Augen, andere keuchten erschrocken auf, als sie hörten, welche Aufgabe sie erwartete. Alles lief im Zwielicht ab, in dumpfer Brüterei und in geflüstertem Ton. Es war die geheimste Geheimversammlung, die es auf der AURORA geben konnte, nicht ein Teilnehmer hätte es sich sein Leben lang verziehen, wenn Zweck und Ort dieser Zusammenkunft publik geworden wären. Als der wichtigste Schatten vor den Großmeister trat, geschah der Eklat. „Achtundvierzig Kilo für Yohko Otomo“, stellte der Großmeister wirsch fest. „Yohko, du hast fünf Kilo verloren. Laut dem Body-Mass-Index bedeutet das, du bist unterernährt.“ Erschrocken fuhr die junge Otomo zusammen. „Aber es sind doch nur fünf Kilo!“ „Selbst mit fünf Kilo mehr bist du hart an der Grenze“, schimpfte der Großmeister wütend. Eine flache Hand schlug klatschend auf den Tisch. „DIÄT!“ Yohko wollte aufbegehren, aber gegen diesen Blick, diese Augen kam sie nicht an. Verzweifelt nickte sie. „Megumi Uno, auf die Waage.“ Die letzte Person in der Runde zuckte erschrocken zusammen. „I-ich habe gut gegessen, ehrlich!“ „Das werden wir sehen! Auf die Waage, Division Commander!“ „Ja, Ma´am.“ „Einundfünfzig Kilo. Du hast sogar sieben Kilo verloren! Wenn du so weitermachst, bist du ein Klappergestell. Soll sich Akira an deinen vorspringenden Knochen verletzen?“ „Der war jetzt aber nicht nötig, Sakura“, murrte sie. Der Großmeister, natürlich niemand anderer als Volladmiral Sakura Ino, erhob sich zu ihrer vollen Größe von einem Meter achtundsiebzig und bewegte dabei ihre siebenundsechzig Kilo im perfekten Einklang. „Der war nötig, damit ihr dummen Mädchen nicht vergesst, dass es hier um eure Gesundheit geht!“ Sakura sah in die Runde. „Hina! Sarah! Emi! Akari! Ami! Yohko! Akane! Megumi! Ihr seid KI-Meister! Und ihr wendet diese Fähigkeiten sehr oft an! Aber KI zu benutzen heißt Körperressourcen zu verbrauchen, und die müssen ergänzt werden! Wenn ihr das nicht tut, dann seid ihr bald Schatten eurer selbst und für einen Kampf nicht mehr zu gebrauchen, habt ihr das verstanden? Noch schlimmer, ihr spielt mit euren Leben! Und genau aus diesem Grund werdet ihr alle strenge Diät halten! Gina?“ Die junge Frau aus Buenos Aires trat vor. „Es ist alles vorbereitet, Sakura.“ „Gut. Du teilst die Portionen zu. Und hier geht niemand raus, bevor er nicht gegessen hat, was ihm aufgetragen wurde! Anschließend kriegt jeder eine genaue Liste an Nahrungsmitteln und Snacks, die man heimlich essen kann, ohne dass der Partner es merkt und die helfen, die verlorene Substanz wieder aufzubauen. Nächste Woche werdet ihr erneut gewogen, und dann sehen wir die Fortschritte – oder verschärfen das Programm. Und dass mir niemand wieder meckert, dass die Jungs verfressene Frauen nicht mögen! Dieser Diätwahnsinn hängt mir schon seit meiner Zeit als Lehrer an der Fushida Oberstufe zum Hals raus! Unter meinen Untergebenen werde ich das nicht dulden, vor allem nicht wenn es ihre Kampfkraft, und noch schlimmer, ihre Leben gefährdet! Haben das alle gefressen?“ Murrendes Gemurmel bejahte ihre Worte. „Gut“, brummte sie, halb zufrieden. „Und jetzt fresst das!“ Sie nickte Gina zu, die wissend lächelte. Die Argentinierin mit italienischen Wurzeln verließ dem Raum und kam mit einem Servierwagen zurück. Danach teilte sie abgedeckte Teller aus. „Spaghetti Carbonara. Pizza Speciale. Tortellina alla Panna. Pasta Frutti de Mare. Haut rein, Mädels. Niemand sieht euch!“ Ein wenig pikiert sahen sich die jungen Frauen an. Aber Befehl war nun mal Befehl, und der lautete nun mal, das verlorene Gewicht wieder zu bekommen. Als das Essen richtig in Gang war und die Mädchen ausgelassen miteinander schwatzten, lehnte sich Sakura Ino zufrieden zurück. Essen machte doch Spaß, wie man sah. Jemand musste es diesen Mädels nur beibringen. Und irgendwann würden sie auch lernen, mit ihrem Gewicht nicht zu kokettieren. Ein halbes Kilo mochte für sie das Universum sein, aber die Männer, um deretwillen sie all das zelebrierten, verstanden von diesem Thema sowieso nichts. *** Es ging langsam voran. Die AURORA machte sich bereit zum Aufbruch. Die Desertion der Staaten, wie der Abgang der U.S.A. und weiterer Republiken aus der UEMF hinter vorgehaltener Hand genannt wurde – andere, nicht ganz so wohlmeinende und wesentlich direktere Menschen nannten es offen Verrat an der Menschheit – hatte den Aufbruch der AURORA um Wochen verzögert. Lediglich der Umstand, dass noch immer zehntausende Soldaten und Millionen von Bürgern die Rettung des legendären Blue Lightnings wünschten, hatte dazu geführt, dass der UEMF-Rat nicht erneut über das Projekt beriet. Nun, notfalls wäre die Expedition auch gegen die Entscheidung des Rates aufgebrochen, mit der Autorität von Solia Kalis war das nicht wirklich ein Problem. Aber die Ausrüstung hätte enorme Lücken gehabt, die nicht so ohne weiteres geschlossen werden konnten. Man konnte Eisen, Uran, Wasser und Kupfer ohne Probleme aus Asteroiden abbauen, wenn ein guter Prospektor viel versprechende Kandidaten unter den Himmelskörpern fand, aber Papier abzubauen war, nun, sehr problematisch. Das gleiche galt für andere Rohstoffe, die man nicht - noch nicht – auf der AURORA herstellen konnte. Ein kniffliger Punkt waren Erdölprodukte. Zwar fuhren im Innenraum und auf den verschiedenen Decks nur Elektrowagen, und es wurde nicht ein einziges Gramm Kohlendioxid produziert. Geheizt werden brauchte bei einer Durchschnittstemperatur von zwanzig Grad auch nicht. Aber man brauchte die fertigen Endprodukte in der Düngung, bei der Herstellung von Plastikprodukten, als Schmiermittel und letztendlich in der Pharma-Industrie. Deshalb wäre es eine Dummheit gewesen darauf zu hoffen, auf einem Asteroiden tief im All Erdöl abbauen zu können,. Also hatten die vorgefertigten Grundstoffe an Bord genommen werden müssen. Man hätte auch alle fertigen Endprodukte aufnehmen können, aber letztendlich waren Rohstoffe teuer. Und niemand konnte es sich leisten, fünfzig Quadratmeter Plastikschüsseln zu verstauen, wenn nur zwanzig Stück gebraucht wurden. Außerdem schuf diese Methode Arbeitsplätze. Okay, der ganze Kahn produzierte nur für den eigenen Bedarf und nahm überdies enorme Vorräte mit. Die Bevölkerung war zu einem hohen Prozentsatz im nicht produzierendem Gewerbe, Soldaten der UEMF und Dienstleister verschiedenster Couleur. Deshalb musste die AURORA fremdfinanziert und mit regelmäßigen Währungsspritzen von außen aufrecht gehalten werden. Tatsächlich aber war es hauptsächlich Buchgeld, das immer wieder in den internen Kreislauf geworfen wurde. Ein paar Millionen existierten tatsächlich in bar, dazu kamen ein halbes Dutzend Währungen, welche die Bewohner beim Einzug an Bord gebracht hatten. Aber das Gros der Transaktionen lief über Geld, das nur in Computern existierte. Bedrucktes und geprägtes Geld hatte das Riesenschiff nur an Bord, weil es sich realer anfühlte, wenn man es in der Tasche spürte. Um eine Inflation oder einen Boom zu vermeiden, gab es eine eigene Währung an Bord, die AURORA-Mark. Ihr Wechselkurs auf Dollar, Euro und Yen war festgeschrieben, um Währungsspekulationen zu vermeiden, und noch schlimmer, auf die AURORA als Zahlungsmittel beschränkt, all dies nur, damit gewissenlose Geschäftsleute das Gigantschiff nicht auf eine völlig andere Weise attackierten und vernichteten. Seltsamerweise trug diese Wechselkursfixierung aber zur Stärkung der mit ihr vernetzten Währungen bei, und andere Nationen hatten bereits angefragt, ebenfalls einen festen Wechselkurs mit den AURORA-Mark zu erhalten, auch wenn sie niemals auch nur einen einzigen Pfennig wechseln würden. Im Mikrokosmos der AURORA jedoch war das die optimale Lösung, denn wenn das Geld für sich blieb, auf der AURORA blieb und zudem von realem Geld auf der Erde gestützt wurde, dann konnte es keine Inflation geben, und damit keine Destabilisierung der AURORA-Mark. Und das waren nur zwei der Probleme, mit der die Führungskräfte von UEMF und AURORA zu kämpfen hatten. Ein anderes war die Ausbildung der Hekatoncheiren. In der letzten Mission hatten sie etliche gute Piloten verloren, andere waren abgeworben worden und wieder andere hatten selbst um Versetzung gebeten. Mit dem Hintergedanken, ihre Erfahrung Piloten auf der ganzen Welt zur Verfügung zu stellen, waren die meisten Vorgänge auch genehmigt worden, was dazu führte, dass die Offiziere der Hekatoncheiren dreißig Prozent Neuzugänge einarbeiten mussten. Und wer zu ihnen gehören wollte, der musste erst einmal beweisen, dass er für die Elite der Menschheit gut genug war. Lieutenant Colonel Marus Jorr hörte sich die geduldig die Verwünschungen, Beschwerden und das Gejammer seiner Kids an, die gerade aus den Simulatoren stiegen. Seine Kids, das waren zehn Mecha-Piloten der Erde, die alle einen Platz bei den Hekatoncheiren, genauer gesagt in sein Briareos-Regiment haben wollten. Rechnerisch standen diese Plätze auch zur Verfügung, aber jeder wusste, dass die Hekatoncheiren selbst im letzten Moment noch Leute austauschten, wie sie beim Aufbruch nach Kanto bewiesen hatten. Politische Klüngel, Empfehlungsschreiben der Vorgesetzten, Nationalitäten, Vergangenheit, Orden und was man auch immer anführen konnte zählten hier nicht. Es gab nur Leistung und Effizienz. Und dies bedeutete, dass er die zehn Piloten, die in sein Regiment wollten, so hart herannahm, dass ein Marine-Ausbilder ihn wegen Kameradenschinderei angezeigt hätte. Aber Marus wusste ganz genau, was dieser Mannschaft, was diesem Schiff und diesen Mecha-Piloten bevorstand. Deshalb konnte und durfte er nicht nett sein. Deshalb musste er hart sein. Knallhart, erbarmungslos und unbestechlich. Immerhin ging es nicht nur um die Leben der Männer und Frauen, die er in Eagles, Hawks und Sparrows steckte, sondern auch um die gesamte AURORA mit einhunderttausend Bewohnern. Er hatte es erlebt, was die Hekatoncheiren leisten konnten – allerdings auf der Gegenseite. Er war stellvertretener Anführer des Kommandos AO-Meister gewesen, das mit Torum Acati die AURORA angegriffen hatte. Die Hekatoncheiren und ihre AO-Meister, nein, KI-Meister, hatten es ihm und seinen Leuten nicht leicht gemacht und sie gestoppt und gefangen genommen. Nun, Marus zählte sich selbst zur Elite der naguadschen Streitkräfte und war im Nachhinein froh, dass es so und nicht anders gelaufen war. Aber das bedeutete auch, dass die Messlatte für die Aufnahme in die Truppe verdammt hoch war. Viele Offiziere dieser Einheiten konnten es mit ihm und den AO-Meistern des Kommandos aufnehmen, und sie würden in das Gebiet eines Volkes fliegen, das AO-Kraft nicht so geheimnisvoll behandelte wie die Naguad. Im Gegenteil, wahrscheinlich konnte das Kaiserreich mit seinen kämpfenden AO-Meistern Regimenter, vielleicht Divisionen aufstellen. Marus würde lieber in Unterzahl gegen sie kämpfen wollen als schlechte Piloten wie Schafe zur Schlachtbank zu führen, um mal ein terranisches Sprichwort zu bemühen. „Wie sieht es aus, Marus?“, erklang eine freundliche Stimme neben dem Naguad. Der Mann aus einer Nebenfamilie der Arogad fuhr leicht zusammen. Niemand konnte sich an ihn anschleichen, außer er war ein Fiorad-Attentäter. Wie er erschrocken feststellte, gab es aber doch jemand der dieses Wunder vollbrachte. Und dieses Wunder trug die Colonel-Abzeichen auf den Schultern und das Emblem der Briareos an seinem Kragen. Sein Namensschild wies ihn als einen der besten und fähigsten Hekatoncheiren aus, die er kannte: Futabe. „Gut, Sir. Aber ich werde einen Teufel tun und ihnen das sagen.“ Yoshi Futabe nickte seinem Stellvertreter und Chef des First Head-Bataillons anerkennend zu. „Ein guter Gedanke. Könnte von Akira stammen.“ Er grinste den AO-Meister linkisch an. „Sie haben eine ganze Menge von Ihrem Cousin, Marus.“ Der Arogad winkte verlegen ab. „Stellen Sie mich nicht auf ein so hohes Podest. Mit Akira Otomo kann ich nicht mithalten. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich das überhaupt will.“ „Aber Akira hätte ganz genauso gehandelt. Nein, er HAT ganz genauso gehandelt. Er hat Stunden vor dem Sprung nach Alpha Centauri noch Hekatoncheiren aus der Aufstellung geschmissen und gegen Ersatzleute ausgetauscht. Teilweise gegen den Willen der Einheitsführer. Aber ich befürchte, unsere Verluste wären um etliches höher gewesen, wenn er es nicht getan hätte.“ Yoshi Futabe seufzte schwer. Er galt nicht nur unter den Terranern als lebende Legende. Seine Treffsicherheit mit seinem Eagle-Mecha, den er alleine beherrschte, obwohl es offiziell ein Zweisitzer war, hatte noch jeden in Staunen versetzt, egal ob Mensch, Anelph oder Naguad. „Ich bin leider nicht so hart wie Akira. Ich würde mich von Tränen weichkochen lassen, von Gebettel, vom Gerede für eine zweite Chance, und, und, und…“ Wütend auf sich selbst atmete er schnaubend aus. „Aber in unserer Situation ist das furchtbar falsch. Es tötet die Leute, die wir mitnehmen, obwohl es Bessere gibt, die da draußen auf ihre Chance warten. Doch bisher habe ich diese Lektion noch nicht verinnerlichen können. Akira konnte es, und ich frage mich, wie er das geschafft hat.“ „Nun, Sir, wenn Sie mich fragen, dann hat sich Division Commander Otomo stets gefragt, was mit den Menschen passiert, die er liebt und die Seite an Seite mit ihm kämpfen, wenn diese noch zusätzlich auf schlechtere Piloten aufpassen müssen. Oder wenn er Piloten zugelassen hätte, die um des eigenen Ruhmes willen Kameraden in Stich gelassen hätten.“ „Gute Antwort, Marus. Sehr gute Antwort. Aber ich bin dennoch froh, dass ich nur die Unterschrift unter eine Versetzung setzen muss. Sagen müssen Sie es ihnen, Marus, und dafür danke ich Ihnen. Ich bin wirklich immer noch nicht hart genug.“ Marus Jorr lachte leise. Er hatte die Aufzeichnungen der Konflikte unmittelbar vor dem Zweiten Marsfeldzug gesehen. Damals war der Mann vor ihm siebzehn gewesen, ein Alter, in dem ein Naguad nicht einmal als volljährig galt, geschweige denn ein Terraner. Dennoch hatte er besser gekämpft als die meisten erfahrenen Piloten. Und er hatte besser geführt. Auf dem Mars und später bei der AURORA-Mission hatte er immer wieder bewiesen, warum er Hekatoncheire war, warum er Anführer war. Dieser Mann war dazu geboren worden um zu befehlen, um Taktiken in letzter Sekunde umzuwerfen und mit Argusaugen über alle seine Leute zu wachen. Über wirklich alle, vom letzten Piloten bis zum letzten Hilfstechniker. Deshalb war es Marus relativ leichtgefallen, seine Versetzung zu den Hekatoncheiren, und seine Arbeit unter diesem berühmten jungen Mann zu akzeptieren. Ja, er hatte sich sogar hoch geehrt gefühlt, dass das Haus ihn in dieser wichtigen Einheit sehen wollte. Es war eine Ehre, und der Ruhm der Arogad würde durch sie noch weiter wachsen. Was noch viel besser war, die Erde würde sicher sein, solange es die Hekatoncheiren gab, davon war der AO-Meister fest überzeugt. „Nun, weich ist nicht das Wort, mit dem ich Sie beschreiben würde, Sir“, sagte der Colonel nachhaltig. „Das würde ich auch nicht. Der Mann ist eine äußerst gefährliche und präzise Waffe“, klang eine vertraute Stimme hinter ihnen auf. Erschrocken fuhr Marus Jorr herum. Okay, zwei, nein, drei Leute außer einem Fioran-Assasinen konnten sich an ihn heranschleichen. Einer von ihnen war ein Bluthund, der andere ein, nun, Verbrecherfürst traf es wohl, aber reichte nicht ganz aus. „General Ino. Colonel Ataka.“ „Bleiben Sie bequem, Lieutenant Colonel“, sagte Makoto Ino freundlich. Der Chef des Poseidon-Generalsstab war zwar genetisch nicht so eng mit Akira Otomo verwandt wie er selbst, aber dafür hatte er die steilere Karriere hinter sich. Genauer gesagt, in diesem Haifischbecken aus blutjungen, hoch talentierten und kometenhaft aufsteigenden Terranern war er einer von denen, die ganz vorne an der Spitze schwammen. Manchmal wunderte es Marus, wie diese Welt solche Menschen hatte formen können, und wie sie zusammengefunden hatten, um derart Großartiges zu leisten. Dann dachte er an die Erfolge der Hekatoncheiren und der AURORA und sagte sich, dass es anders gar nicht funktioniert hätte. Sie gehörten zu den besten was die Erde zu bieten hatte. „Yoshi, ich wollte dir ein paar Fragen zu den Hekatoncheiren stellen. Es geht um die Zusammenarbeit mit dem Red Team und dem Otome-Bataillon. Wie sieht deine Aufstellung aus? Sind deine Bataillone bereit?“ Otome-Geschwader. Was für ein treffender Name. Defacto bezeichnete er das neue Kommando von Colonel Yohko Otomo. Nachdem sie als so genannte Youma Slayer erwacht war, hatte Major Hina Yamada ihr das Kommando über ihr Bataillon angeboten, eine Einheit, die hauptsächlich aus den Slayern bestand, also Frauen, die von einem Daimon namens Dai-Kuzo-sama zu KI-Meistern erweckt worden waren. Dieses Bataillon war mittlerweile nicht mehr länger nur auf dem Papier so groß; Rekrutierungen viel versprechender weiblicher UEMF-Soldaten hatten es längst auf diese Größe anwachsen lassen. Und ein viel versprechendes Training hatte Erfolge gezeitigt, die keiner so früh erwartet hatte. Es hieß, Dai-Kuzo hätte jede der Frauen, die nun im Otome-Bataillon dienten, „erweckt“, wie immer dieser Vorgang aussah. Jedenfalls hatte Yohko angenommen und ihre Gyes aufgegeben. Für eine solche Chance, für so eine Einheit hätte Marus das vielleicht auch gemacht. Aber die Otome nahmen, wie der Name schon sagte, nur weibliche Mitglieder auf. Auch wenn er sich ziemlich sicher war, dass die wenigsten von ihnen „unschuldige Maiden“ im klassischen Sinne der Bedeutung des Names Otome waren. „Das First Head unter Lieutenant Colonel Jorr wird diese Woche bereit sein. Er hat mir gerade versichert, dass die Rekruten es packen.“ „Allerdings steht uns noch eine Menge Arbeit bevor. Dazu eine Menge Training“, warf der Naguad wohlweislich ein. „Natürlich. Ich habe nichts anderes erwartet. Was ist mit Second und Third Head?“ „Major Olivier Laroche ist sich bei der Hälfte seiner Rekruten noch nicht sicher. Aber am Wochenende gibt er mir seine endgültige Aufstellung. Und Captain Leary hat ihr Bataillon bereits als komplett gemeldet.“ Yoshi Futabe räusperte sich. „Du erinnerst dich hoffentlich daran, dass sie so bald wie möglich zum Major befördert werden soll.“ „Nun, sie bringt die Leistungen, die wir von ihr erwarten. Sobald sie ihr Jahr im Rang eines Captains um hat, kriegt sie ihren Kick die Karriereleiter rauf. Zeichnet sie sich zuvor im Kampf aus, kriegt sie ihn früher.“ „Verstehe.“ Die junge Frau war eine Klassenkameradin von Akira an der Oberstufe der Fushida-Schule hier auf der AURORA gewesen. Aber sie darauf zu reduzieren wäre ihren Fähigkeiten als Mecha-Pilotin und Kommandeurin nicht gerecht geworden. Sie war im Feld von Second Lieutenant zum First Lieutenant befördert worden, genauer gesagt während der Kämpfe um Lorania, wo sie sich bei der Eroberung der Axixo-Basis und danach bei der Verteidigung Loranias verdient gemacht hatte. Nach den Gefechten hatte sie eine Kompanie übernehmen müssen und war vom First Lieutenant zum Captain aufgestiegen. Mittlerweile kommandierte sie ein Bataillon, und es ärgerte Yoshi ein wenig, dass er seinen Willen nicht durchsetzen und sie zum Major befördern konnte, bedeutete doch dies, dass seine Einschätzung ein paar dämlichen Vorschriften weichen mussten, die besagten, dass kein Offizier der UEMF über zwei Ränge befördert werden konnte, wenn nicht erstens ein zwingender Grund vorlag und zweitens ein Jahr im letzten Rang verbracht worden war. Yoshi fand, dass seine Meinung ein zwingender Grund war, aber da sie bereits zwei Beförderungen schnell hintereinander erhalten hatte, musste der Colonel eifrig zurückrudern, war er doch selbst über zwei Ränge befördert worden, um das Kommando über das Biareos-Regiment übernehmen zu können. Nun, für ihn hatte schließlich auch einen zwingenden Grund gegeben. „Wie sieht es denn bei dir aus, Doitsu? Was machen deine Gyes denn so?“ Der große Mann schob seine Brille die Nase wieder herauf, was einen Schimmer auf den Gläsern entstehen ließ. „Fourth Head unter Lieutenant Colonel Kenji Hazegawa ist bereit. Fifth Head unter Major Takashi Mizuhara ist bis Ende der Woche bereit. Sixth Head unter Major Cassiopeia Sourakis hat drei Piloten heim geschickt. Wir kriegen drei von der Reserveliste, die ich persönlich ausgesucht habe.“ „Interessant. Und was ist mit Dai-chan?“ Marus Jorr musste an sich halten, um nicht zu schmunzeln. Der lockere Ton, in dem der Chef des Flottenhauptquartiers und die beiden Regimentskommandeure sich unterhielten täuschte leicht darüber hinweg, was hier besprochen wurde. Einige der besten Piloten und Anführer der Menschheit waren hier gerade versammelt. Was immer sie sagten hatte direkten Einfluss auf die Zukunft der Erde. Aber, das ließ sich nicht leugnen, sie waren nun einmal Freunde. Das hatte sie überhaupt erst in die Lage gebracht, die Erde verteidigen zu müssen. Andererseits war sich Marus sehr sicher, dass die Welt heute in kronosianischer Hand wäre, wenn sich diese Freunde nicht gefunden hätten. „Colonel Daisuke Hondas Kottos sind ebenfalls fast bereit.“ Makoto griff nach seinem Notepad und scrollte ein paar Daten. „Seventh Head-Bataillon unter Lieutenant Colonel Ryu Kazama ist bereit. Eighth Head-Bataillon unter Major Goram Van hat zwei Piloten ausgetauscht, ist aber bis Ende der Woche bereit. Wie Sie wissen ist Van einer der KI-Meister, die auf Wunsch Ihres Hauses in die UEMF eingetreten sind, Colonel Jorr. Er ersetzt Azumi-chan. Sie wird das Titanen-Regiment kommandieren, dass das Aufzugsystem CASTOR und POLLUX beschützen wird. Eigentlich ein netter Karrieresprung.“ „Auf diese Weise haben wir viele Kompaniechefs und gute Piloten verloren“, brummte Yoshi missmutig. „Die Erfahrung der Hekatoncheiren wollen sie auf die anderen Einheiten verteilen, ha!“ „Und Ninth Head-Bataillon unter Major Elena Kowalewa meldet ebenfalls Bereitschaft“, setzte General Ino seine Aufstellung seelenruhig fort. „Wenn jetzt noch das Otome-Bataillon das Training abschließt, bin ich bereit, bis Ende der Woche aufzubrechen und das Kaiserreich unsicher zu machen.“ „Ich glaube, das unsicher machen können wir uns sparen. Akira ist in dieser Richtung“, scherzte Makoto. Die anderen Offiziere lachten gehorsam, aber es war ein halbherziges Lachen. Denn irgendwie war es nicht ganz auszuschließen, dass sie in ein furchtbares Chaos stießen, verursacht von ihrem verschollenen Anführer. „Und?“, fragte Makoto Ino ernst und deutete auf die zehn Mecha-Piloten, die um die Simulatoren standen und sich unterhielten. „Womit haben Sie diese Leute gequält, Colonel Jorr?“ Ein flüchtiges Lächeln ging über die Züge des Arogads. „Wir haben einen Avatar programmiert, basierend auf dem Kampfstil von Akira Otomo. Sie sind zu zehnt gegen ihn angetreten. Und obwohl es nur eine Simulation war, eine Hochrechnung basierend auf seinen bisherigen Kämpfen…“ „Haben sie verloren“, vervollständigte Makoto. „Das wundert mich nicht. Akira ist ein absoluter Ausnahmepilot. Neben Lady Death vielleicht der Beste in diesem Sektor der Galaxis.“ „Es war eine Hochrechnung. Ein Algorhythmus, basierend auf seinen Fähigkeiten“, schränkte Jorr ein. „Das ist es ja, was es so erschreckend macht“, sagte Doitsu Ataka und schüttelte sich. „Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie Akira einmal in einem Manöver gegen alle Hekatoncheiren angetretet war.“ Marus riss die Augen auf. „Gegen alle? ALLE? Wie lange hat es gedauert, bis er zerstört wurde?“ Die Hekatoncheiren wechselten nervöse Blicke. „Prime Lightning hat sich wegen Überhitzung abgeschaltet. Er wurde nicht abgeschossen. Damals… War die Teamwork noch nicht so gut, und…“ „Nein, daran lag es sicher nicht. Daran liegt es nie. Es ist wohl eher so, dass dieser Mann in einer ganz anderen Liga spielt als wir anderen.“ Fahrig strich sich der Lieutenant Colonel über den Kopf. „Verdammt, ich wünschte, ich würde ihm nicht nur im Aussehen ähnlich sein.“ „Seien Sie vorsichtig mit dem was Sie sich wünschen, Marus. Denn mit seinen Fähigkeiten ist auch der Ärger verbunden, den er sich beinahe täglich eingehandelt hat. Und den wir gerade für ihn zu schlichten versuchen“, tadelte Makoto ernst, seine Augen lächelten leicht. „Gut zu wissen, dass selbst er einmal Hilfe braucht“, erwiderte der Arogad. Seltsamerweise beruhigte es ihn. 2. Die letzten Wochen waren wie ein Traum gewesen, mal ein Albtraum, mal ein Märchen. Gina Casoli war sich nicht ganz sicher, in welchem Extrem sie sich gerade befand, aber auch jetzt fühlte es sich an wie ein Traum. Sie stand in einem Ring mit Mamoru Hatake, und polierte dem Offizier der Bodentruppen nach allen Regeln der Kunst die Fresse, wenn man es mal so banal ausdrückte. Zum Glück trugen sie beide Kopfschützer und Mundschutz, sonst hätte der breitschultrige Mamoru sicherlich schon einen Zahn verloren. Es tat gut, sich derart zu verausgaben. Es tat gut, jemanden zu haben, den man nach Herzenslust verprügeln konnte. Denn das hinderte sie am denken. Seit sie wieder an Bord der AURORA war, hatte sie jede irgendwie verfügbare Arbeit an sich gerissen, um die schreckliche Leere zu füllen, die in ihr herrschte. Es sollte sie ablenken, betäuben, aber irgendwie funktionierte es nicht. Sobald sie zur Ruhe kam, ging es weiter, kamen die bohrenden und schmerzenden Fragen, die Ungewissheit und die Pein. Vor zwei Wochen war ihr Angriff auf Brasilien und die dortige Kronosier-Station beinahe spektakulär gescheitert. Zwar hatten sie einen Biocomputer hochgenommen und die Insassen befreit, und zwar hatten sie Corinne Vaslot, die Agentin in ihrem Körper, wieder in den eigenen verfrachten können – mehr oder weniger – aber dieser Körper war mitsamt dem Biotank, in dem er geruht hatte, entführt worden. Tage später, nachdem die Ungewissheit um die Frau, mit der sie fast ein Jahr den Körper geteilt hatte, ihren absoluten Höhepunkt erreicht hatte, da war Futabe-sensei an sie heran getreten und hatte ihr verkündet, dass man nun bereit war, Ai Yamagata wieder in ihren Leib zu versetzen. Dies war geschehen, aber Ai war seitdem noch nicht aufgewacht. Man hatte sie aus dem Tank geholt, aber seitdem schlief sie. Es war kein Koma, es war keine Verwundung. Nein, sie schlief nur, und nichts und niemand konnte sie wecken. Seither war es still in ihr geworden. Die Gedanken der beiden Frauen echoten ab und zu in ihrem Geist, aber es waren nur Schatten aus vergangener Zeit. Kurze Funken, die entstanden, wenn ihre Gedanken mit denen von Ai oder Corinne kollidierten. Ja, sie hatte immer noch die Gedanken der beiden Frauen im Kopf. Genauer gesagt existierte in ihrem Geist eine komplette Kopie des Gedächtnis sowohl der Japanerin als auch der Französin. Schlimmer noch, selbst ihre Gefühle waren in dem kleinen italienischen Kopf gespeichert, und das gab ihr die tröstende Illusion, doch nicht allein in ihrem Schädel zu sein. Ai regenerierte, so hatte es der alte Mönch gesagt, und so hatte Gina es hingenommen. Aber all das belastete sie, all das brauchte ein Ventil und all das musste irgendwann raus. Die Ungewissheit, die Angst um die beiden, das war es, was sie fertig machte. Und nun prügelte sie auf den Mann ein, den sie noch vor allen anderen einen Freund nannte, ausgerechnet auf den Mann, der damals in Buenos Aires die Tür zu einer Welt jenseits ihrer Vorstellungskraft aufgestoßen hatte. Eine Welt, die sie nur aus Megumis Romanen gekannt hatte, und von der sie nun ein fester Bestandteil war. Er nahm ihre Schläge hin, ihre Tritte, konterte, aber ohne ihre Bewegungsabläufe zu unterbrechen. Sie konnte wie in einer Trainingsrunde die Bewegungen und Angriffe abspulen, aber wie in einem echten Kampf die Schäden spüren, die ihre Schläge und Tritte anrichteten. Mamoru nahm sie hin. Im Hintergrund erklang ein Gong, und Gina, die den rechten Fuß bereits zum Tritt ausgestreckt hatte, zog das Bein wieder zurück. Mamoru schnappte sich ein Handtuch, warf es ihr zu und löste seinen Kopfschutz. Dann goss er sich einen halben Liter Wasser über sein Haar und griff nach einem weiteren Handtuch. „Du hast einen Tritt wie ein Dampfhammer“, sagte er ernst und bedeutete der Italienerin, sich neben ihn zu setzen. Er reichte ihr die Wasserflasche. „Man kann kaum glauben, dass du Capuera erst seit ein paar Wochen praktizierst.“ „Capuera, Karate, Judo, Aikhido, Thai-boxen und noch ein paar exotische Kampfsportarten, deren Namen ich eigentlich nicht mal kennen darf“, erwiderte sie und nahm einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche. Dann tickte sie sich auf die Stirn. „Es ist alles hier drin. Die Bewegungsabläufe, das Gefühl für Geschwindigkeit und Kraftaufwand und das Gefühl, jeden Schlag, jeden Tritt und jeden Heber schon eine Million Mal gemacht zu haben. Nur mein Körper kommt manchmal nicht mit.“ „Wow. Es muss sehr interessant sein, wenn man so viel Wissen von zwei anderen Menschen auf einen Schlag übernimmt. Das bezieht sich doch nicht nur auf den Kampfsport, den Corinne und Ai-chan beherrscht haben, oder?“ „Nein. Ich weiß jetzt auch, wie ich am besten bei einer Observation im Schatten bleibe, welches die Körperpunkte sind, an denen ich einen Menschen schnell und lautlos töten kann und wie sich eine Drahtschlinge anfühlt.“ Sie schüttelte sich. „Das Gros dieses Wissen habe ich von Ai, ist das zu glauben? Dieses kleine, unschuldig dreinblickende Mädchen…“ „Stille Wasser sind eben tief, oder?“ Mamoru grinste. „Was hast du noch so gelernt? Kannst du jetzt einen Hawk steuern?“ „Leider nein, das hatte keine der beiden im Repertoire. Aber ich könnte ein Flugzeug in der Luft halten, ein Scharfschützengewehr abfeuern und auf achthundert Meter eine Streichholzschachtel treffen, Ferrari fahren, Boote und Yachten lenken… Ich weiß noch gar nicht, was da alles in meinem Kopf lauert.“ Müde senkte sie den Kopf und rieb sich den Nacken mit dem Handtuch ab. „Es ist wie ein Traum, wie ein großer Traum, in dem ich noch nicht weiß, ob er gut oder böse ist. Wahrscheinlich beides. Ich kann jetzt so viel, ich weiß so unendlich viel, es macht mir erst bewusst, wie klein ich zuvor war. Wie… Wie WENIG ich war.“ „Wenig?“ Mamoru runzelte die Stirn. „Du und wenig?“ Der Japaner streckte die Beine von sich und seufzte. „Als wir uns kennenlernten war ich sehr von dir beeindruckt. Von deinem Mut, deinen Fähigkeiten, deiner Geschicklichkeit und vor allem deiner unverbrüchlichen Treue. Du warst für mich von der ersten Sekunde an ein Freund und mein bester Verbündeter, Gina. Damals hast du schon vor Tatkraft und Energie nur so gesprüht, und das hat sich bis heute nicht geändert. Du bist vielleicht besser geworden, aber du bist nicht bei schlecht gestartet.“ „Dann bei mittelmäßig?“ „Mach dich nicht kleiner als du bist. Es reicht doch vollkommen, dass Akira das immer bei sich selbst versucht“, tadelte Mamoru. „Ich bin nicht Akira.“ „Aber du erinnerst mich an ihn. Es gibt da nur einen klitzekleinen Unterschied zwischen euch.“ „Ja, ich bin eine Frau und er ist ein Mann“, stellte sie säuerlich fest. „Den Unterschied meinte ich nicht. Es ist etwas anderes. Und mindestens ebenso deutlich.“ „Und? Was ist das für ein Unterschied?“ „Du lässt dich nicht so hängen wie er. Es war immer verdammt leicht, Akira in sein Schneckenhaus zu treiben. Okay, wenn er wieder raus kam, dann war man besser ein paar Meilen entfernt. Aber man konnte ihn wirklich schnell dazu bringen, an sich selbst zu zweifeln. Das fehlt dir vollkommen. Du zweifelst nie an dir.“ Er stieß Gina einen Finger gegen die Schulter. „Also hör auf Trübsal zu blasen. Das passt überhaupt nicht zu dir.“ Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihre Züge. „Vielleicht hast du Recht.“ „Natürlich habe ich Recht.“ Er musterte die junge Frau aus Buenos Aires mit einem Schmunzeln. „So, und jetzt lass uns überlegen, was wir für Ai-chan und Corinne tun können.“ „Ist gut“, murmelte sie und kam langsam auf die Beine. „Mamoru?“ Sie sah ihn unsicher an. „Danke. Danke, dass du für mich da bist.“ Mit einem freundlichen Lächeln schloss der große Mann das Mädchen in die Arme. „Dafür brauchst du dich nicht zu bedanken, kleine Schwester. Nicht für etwas selbstverständliches.“ Gina schniefte leise, als die ersten Tränen zu fließen begannen. 3. Zwei Wochen war sie nun schon her, die Revolution. Zwei Wochen, in denen sich das friedliche Stadtbild vor ihm in eine Wüste aus Stein und Flammen hätte verwandeln können, was sie aber nicht getan hatte. Michael Fioran war dankbar dafür. Sehr dankbar, denn sein Pakt mit den Legaten war ein Spiel mit einem unglaublich heißen Feuer, das mehr zerstören als erwärmen konnte. Aber wenn er seine Karten gut ausspielte, wenn er sein Ziel nicht aus den Augen verlor, dann konnte und würde diese Stadt nicht in Feuer und Asche versinken. Dann würde diese Stadt, New York, die sich mühte, links und liberal zu sein, diesen Anspruch beibehalten können. Teufel, als die Kronosier damals angegriffen hatten, ein halbes Jahr nachdem Akira in Primus gestiegen war, hatte er zusammen mit Megumi und Lady Death sowie Dutzenden MiGs, Tornados und diversen Tomcats von der ENTERPRISE verhindert, dass diese riesige, friedliche Stadt bis auf den nackten Fels herabbrannte, auf dem sie stand. Das war nicht geschehen. Die New Yorker hatten die Verwüstungen hingenommen, sich ans Aufräumen gemacht, eine Siegesfeier für Blue Lightning gefordert und in einer Petition mit zwei Millionen und ein paar Unterschriften eine Behandlung gefangener Kronosier nach der Genfer Konvention verlangt. Nun, vor zwei Wochen waren Wilson und Bowman aus der UEMF ausgebrochen, hatten deren Streitkräfte provoziert und versucht den Abbau der Stützpunkte in den U.S.A. zu verhindern. Sie hatten alles dafür getan, damit dieses Land im Krieg versinkt. Aber sie hatten versagt. Ein wenig zitterte Michael bei dem Gedanken, wie lächerlich diese Geplänkel doch waren, wenn man bedachte, wie groß die Bedrohung durch den Core war. Wenn die Kämpfe zwischen Naguad und Core hier, auf dieser Welt ausbrachen, dann würden die Großstädte dieser Welt als erstes attackiert werden. Der Core kannte keine Genfer Konvention, und wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann kannten die Terraner sie auch nicht wirklich. Und dann würde diese Region, würde diese Stadt in Asche versinken und dieser herrliche, von Menschen erschaffene Anblick würde vergehen. Er fragte sich, ob die New Yorker immer noch so liberal und links waren, wenn sie nicht mehr in Millionen gezählt wurden. Der Core, ihr großer Feind, unterstützte das Legat. Und das über ihren Mittelsmann Tora. Der Magier pflegte diese Kontakte seit vierhundert Jahren, befand sich seitdem in einem ewigen Kampf gegen die Naguad, die sich dem Schutz der Erde verschrieben hatten. Wenn er nun in den Reihen des neuen Legats war, der vom vorletzten überlebenden Legaten gegründet worden war, dann bedeutete dies, dass der Core wieder Kontakt zu ihnen hatte. Und das bedeutete, dass das Legat über einen Teil der Macht verfügen würde, den die Core-Zivilisation verhieß. Von den Naguad und speziell den Elwenfelt hatten die Kronosier nicht viel zu erwarten. Die Besitzverhältnisse über die Erde waren klar definiert und von allen großen Häusern angenommen worden. Das hieß, dass Haus Elwenfelt automatisch auf die Eroberungen der Kronosier verzichtete, die diese Terraner mit dem Elwenfelt-Genom erreicht hatten. Von dieser Seite war also keine Unterstützung zu erwarten. Und so blieb nur noch der Core. Der Feind, den er und Eri seit Jahrhunderten bekämpften. Wütend krampfte Michael die Hände zu Fäusten zusammen. Seine Aufgabe war schwer, aber sicher nicht unmöglich. „Wenn ich Sie störe, werde ich wieder gehen“, erklang eine angenehme Stimme hinter ihm. Überrascht wandte sich Michael Berger um, er hatte die Tür nicht gehört und auch nicht das KI des anderen gespürt. Die Überraschung verwandelte sich in mühsam unterdrückte Wut, als er seinen Gast erkannte: Juichiro Tora, der Magier, der Kontaktmann des Cores, der KI-Akrobat. „Am besten in die nächste Sonne“, zischte Michael. Vieles konnte er vergeben, aber sicher nicht den Tod von Helens Cousin und Karens Mann von der Hand der Handlanger Toras. „Friede, Fioran, Friede. Ich habe nicht vor, mich in Ihrem Büro häuslich einzurichten.“ Der große Mann grinste wölfisch. „Aber ich dachte mir, Sie wollen sich vielleicht gerne mit meinen Gästen unterhalten, bevor ich sie vor das Legat lade.“ Irritiert hob Michael eine Augenbraue. Gäste? „Langer Rede, kurzer Sinn. Hallo, Engel.“ Die Frau, die sein Büro im geheimen Hauptquartier des Legats betrat war ihm beinahe so vertraut wie seine eigene Frau. Und sie war noch um einiges mächtiger als Eri. Man konnte wohl mit einiger Sicherheit sagen, dass sie die größte KI-Meisterin dieses Planeten war. Erschüttert sah Michael sie und ihre beiden Begleiter an. „Was? Dai-Kuzo-sama, Kitsune, Dai-Kuma-sama? Was macht ihr hier?“ „Begrüßt man so jemanden, den man ein paar Jahre nicht gesehen hat?“, tadelte die große Spinne und setzte sich in die bequeme Couchecke. Kitsune setzte sich in einer äußerst sittsamen Pose daneben, Kuma-sama, der Herr der Bären-Dämonen, trat hinter das Sofa und musterte mit kalten Augen den Raum. „Bietest du nichts zu trinken an, Michael? Ich habe wirklich Durst, weißt du?“ Das war natürlich nur eine Floskel. Eine Dai hatte nie Durst, außer sie wollte es. Und sie würde auch nur dann in diesem Turm sein, wenn sie es wollte. Diese Erkenntnis ließ Michael innerlich zusammen zucken. „Natürlich. Was soll es denn sein, Dai-Kuzo?“ „Wasser ist in Ordnung.“ „Kitsune?“ Entgegen ihrer polternden Art und ihrem losen Mundwerk antwortete die Fuchsdämonin nicht. Sie schüttelte lediglich verneinend den Kopf und lächelte den Fioran freundlich an. Kuma brauchte er gar nicht erst zu fragen. Der große, stiernackige Mann mit dem schulterlangen braunen Haar würde sich melden, wenn er etwas brauchte. Aber so wie er sich benahm war er als Leibwächter für Dai-Kuzo hier und ordnete alle Bedürfnisse, die er eventuell verspüren mochte, ihrer Sicherheit unter. Michael orderte Wasser über seine Sprechanlage und lud mit einer Handbewegung Tora an, sich ebenfalls zu setzen. Danach nahm er auf dem einzigen Sessel Platz. Nervös faltete der Naguad die Hände vor dem Gesicht und sagte: „Dai-Kuzo, wenn es um meine Anwesenheit im Hauptquartier des neuen Legats geht, dann…“ „Ich bin froh, dich hier zu treffen. Es war eine ziemliche Überraschung für mich als ich deine Präsenz gespürt habe. Dai-Tora war leider so dreist, mir nicht zu sagen was mich hier erwarten würde.“ Sie warf dem Magier einen tadelnden Blick zu, den dieser mit einem süffisanten Lächeln erwiderte. „Dai-Tora?“, fragte Michael verblüfft. „Dai-Tora-sama, bitte, wenn wir meinen Titel schon auf japanisch erörtern.“ Der Magier räusperte sich. „Der Herr der Tigerdämonen.“ „Du bist ein Dai“, stellte Michael tonlos fest und kämpfte gegen das Gefühl an, dass ihm jemand den Boden unter den Füßen gezogen hatte. Wie machte das Sinn? Wie passte das zusammen? Wenn sein ewiger Feind Tora ein Dai war, ein Dämon, nein, sogar ein König unter den Dämonen, was war passiert? Waren er und die große Spinne wirklich Feinde? Was, wenn sie es nicht waren? Das passte irgendwie zusammen, schrecklich zusammen, und für eine Sekunde rechnete Michael nicht damit, dass er dieses Treffen überleben würde. „Und all die Jahre…“ „Dai-Kuzo hat mich angesprochen“, berichtete der Tigerdämon im Plauderton. „Und ihre Argumente waren für mich stichhaltig genug, um unsere kleine Fehde einmal beiseite zu schieben. Ansonsten gebe ich ja nicht viel auf das, was sie sagt, aber diesmal war… Sie sehr überzeugend.“ „Kleine Fehde nennst du das? Du hast gegen mich rebelliert, Tora. Du hast versucht, die Macht zu erlangen, die ich seit zehntausend Jahren inne habe. Und du hast die Dämonenwelt verlassen.“ Die Bürotür öffnete sich, und eine unbeseelte Drohne servierte das Wasser für die große Spinne. Nun, Michael musste in einem Anflug innerer Ruhe zugeben, dass die Drohnen wirklich praktisch waren, solange die Kronosier darauf verzichteten, menschliches Klon-Fleisch in ihren Geschöpfen zu verbauen. Sie neigten dazu zu stinken, wenn das Fleisch abstarb und nicht bemerkt wurde. Abgesehen davon, dass Michael es als Greuel ansah, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, lebendes Gewebe für eine Drohne zu verwenden. Zwar bezog sich das nur auf die Muskeln, um die Kosten für eine Drohne zu senken, aber Verbrechen blieb Verbrechen. Der Gedanke amüsierte ihn. Immerhin war dies das Legat, und die Kronosier trugen einen riesigen Berg an Verbrechen und Greuel vor sich her. „Danke. Ich war am verdursten“, sagte Dai-Kuzo und nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas. „Eure Fehde war nicht gespielt?“, hakte Michael nach. „Gespielt? Spinnst du? Wir haben uns gegenseitig bis aufs Messer bekämpft.“ Die große Spinne seufzte. „Obwohl wir es hätten besser wissen müssen. Obwohl du es hättest besser wissen müssen, mein Gefährte.“ Der Tigerdämon warf wütend die Arme hoch. „Fängst du schon wieder damit an? Dies ist eine neue Zeit und eine neue Welt. Die Daina auf dieser Welt sind auf einem guten Weg, und ich sehe keinen Grund, warum wir uns weiterhin isolieren sollten. Du erlaubst es einigen Dämonen, in die Menschenwelt zu kommen. Warum erlaubst du es nicht endlich allen und lässt sie mit den Menschen zusammen leben? Ich meine, jetzt, in einer Zeit in der KI-Meister offen auftreten, ist die Chance auf allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz am höchsten.“ „Das ist eine Grundsatzfrage, die ich dir einfach beantworten kann. Wenn wir die Dämonenwelt verlassen, wird der Liberty-Virus instabil, und alles fängt von vorne an.“ „Ich bin dafür, dass wir die Dämonenwelt verlassen. Vernichten. Auflösen. Ich glaube wirklich, dies wäre der richtige Weg für uns. Wir könnten unseren eigenen Staat auf der Erde gründen und mit den anderen Staaten eine fruchtbare Kommunikation aufbauen. Wir würden uns als Senpais in dieser Welt etablieren. Siehst du das nicht?“ „Es ist nicht so als hätten wir das nicht oft genug probiert“, erwiderte Dai-Kuzo mit einem wütenden Knurren. „Aber du weißt was passiert, wenn zu viele Dämonen die Schutzzone verlassen.“ „Gerüchte! Ausreden! Das ist nur was du glaubst. Das ist nur was du hoffst! Ja, hoffst! Damit du deine allmächtige Stellung über dein hehres Volk nicht verlierst!“ „Du würdest anders reden, wenn SIE hier wären.“ „SIE sind aber nicht hier. Und SIE werden auch nie hier sein. Es gibt SIE schon seit Jahrtausenden nicht mehr.“ „Falsch. Man hat sie schon seit Jahrtausenden nicht mehr gesehen, das ist ein Unterschied. Ein Riesenunterschied. Es bedeutet nicht, dass es SIE nicht mehr gibt. Und wenn wir uns eine Blöße erlauben, wenn wir alles riskieren, verlieren wir alles. Siehst du das nicht ein?“ „Bist du wirklich hier, um mich mit den gleichen Plattitüden der letzten Jahrtausende zu langweilen? Genau aus diesem Grund, wegen deiner engstirnigen Haltung, habe ich dich bekämpft. Ich habe das Leben als Mensch in Kauf genommen, um dich irgendwann zu stürzen. Ich will nicht deinen Tod, aber ich will das Recht auf freie Entscheidung eines jeden Dais, wo er leben will – in der Dämonenwelt oder unter den Menschen.“ „Du weißt, dass wir diese Freiheit der Entscheidung nicht haben, dank IHNEN.“ „Falls sie noch existieren. Falls sie sich überhaupt noch für uns interessieren. Falls sie diese Region überhaupt noch beobachten.“ „Und wenn sie es tun? Was wirst du machen? Wenn alles zerstört werden wird? Denkst du, du hast eine zweite Chance eine Dämonenwelt aufzubauen? Denkst du, du kannst deinen Fehler wieder gut machen?“ „Wenn ich mich irre, irre ich mich. Ich werde dann sehen, was ich tun kann, um den Schaden zu begrenzen. Aber ich glaube nicht daran, dass es SIE noch gibt, und deshalb glaube ich auch nicht daran, dass SIE uns zerstören werden, wenn wir die Dämonenwelt auflösen. Außerdem sind die Menschen stark, sehr stark. Einige von ihnen haben die Macht, um Dai zu werden, das weißt du.“ „Ist das das Ergebnis deiner Experimente? Deiner furchtbaren, menschenverachtenden Experimente? Wie vielen Menschen hast du das KI genommen, bevor du und deine Youmas auf dem Mars vernichtet wurdet?“ „Ich habe getan was ich musste. Hätte ich damals nur ein wenig länger das KI sammeln können, hätte ich die Dämonenwelt vernichten können.“ Tora grinste gehässig. „Deshalb hast du mir auch deinen Favoriten auf den Hals gehetzt. Er hat sehr mächtige Verbündete, das muss ich zugeben. Einige von ihnen können Dai werden, wenn ihnen das jemals bewusst werden würde.“ „Ich habe ihn nicht geschickt. Er ist von alleine gekommen. Und er wird auch diesmal seinen Weg gehen.“ „Trotzdem. Ich hätte nicht damit prahlen dürfen, wie kurz ich davor stand, die Dämonenwelt zu vernichten, oder? Dadurch hast du deine Planungen erheblich beschleunigt. Und deine Agenten unter den Kronosiern haben den Rest erledigt. Ich muss zugeben, ich hatte Blue Lightning nicht eher in meinem Fokus, bevor er nicht ein zweites Mal auf dem Mars landete. Es war ein Fehler. Ich hätte ihm viel Leid ersparen können. Ich hätte ihn benutzen können.“ „Vielleicht“, wandte Dai-Kuzo ein. „Andererseits ist er durch diese Leiden erst gewachsen. Und jetzt ist er vielleicht groß genug, um sogar IHNEN die Stirn zu bieten.“ „Entschuldigt, wenn ich mich einmische, aber ich hätte da ein paar Fragen“, sagte Michael ernst. „Frage ruhig, Michael.“ „Erstens: Ihr beide habt miteinander kommuniziert, während ihr einander bekämpft habt?“ Dai-Kuzo wirkte ein wenig verblüfft. Doch dann nickte sie. „Wir… Wir haben einen sporadischen Kontakt gehabt, um… Um unsere Aktionen aufeinander abzusprechen. Keinem von uns wäre es gedient gewesen, den… Den Einfluss auf die eigene Seite zu verlieren.“ „Wie ist das zu verstehen? Waren wir etwa Schachfiguren in eurem Spiel? Haben wir Naguad all die Jahre umsonst gekämpft? Hast du gelogen und wolltest den Core gar nicht vernichten?“ „Es ging nie darum, den Core zu vernichten oder Tora zu töten, Thomas. Der Core weiß schon seit Jahrtausenden von der Erde und der Dämonenwelt. Es ging immer nur darum zu verhindern, dass die Verbündeten des Cores die Macht auf der Erde an sich reißen. Denn das hätte Tora erlaubt die Dämonenwelt zu vernichten und uns IHNEN preis gegeben.“ „Falls es sie überhaupt noch gibt“, knurrte der Magier unwillig. „Unsere Kämpfe waren ernst und hart. Es ging immer um das Schicksal der ganzen Welt, niemals um weniger. Aber es wäre fatal gewesen, wenn eine der Seiten aufgespalten worden wäre, bevor die andere Seite vor einem Sieg gestanden hätte. Ich hätte alle oder keinen vernichten müssen.“ „Unsere Kämpfe waren also nicht sinnlos?“, fragte Michael. „Nein, natürlich nicht. Die Naguad waren wertvolle Verbündete für mich. Und eine lange Zeit sah es so aus, als würden wir Tora endlich in die Ecke drängen können, um seine Organisation auszuschalten und damit die Frage zu klären, was mit der Dämonenwelt passiert. Aber dann machte seine Organisation Kontakt mit dem Core und seine Protégés schwangen sich selbst zu Herren und Kronosiern auf.“ „Wovon ich mir einen Vorteil versprach. Leider hatte ich keine Kontrolle über das Legat. Und leider habe ich nie geahnt, was unbegrenzte Macht aus labilen Gemütern machen kann.“ Der Tigerdämon schüttelte sich. „Ich musste selbst ins Legat eintreten, mich ihnen regelrecht anbieten, um wieder Einfluss auf sie zu erlangen.“ „Und jetzt, drei Jahre nachdem der Mars erobert wurde, ist das Legat immer noch ein Machtfaktor, den wir nicht ignorieren dürfen.“ „Ich verstehe. Nächste Frage. Wer sind SIE?“ „SIE?“ Dai-Kuzo wechselte einen unsicheren Blick mit Tora. Der übernahm das Wort. „SIE sind die Götter, Michael. Die Götter, die aus den Himmeln herabgestiegen sind, um die Dai auszurotten. Ich glaube ja, dass sie mittlerweile tot sind, aber diese schreckhafte Frau glaubt noch immer an ihre Existenz und daran, dass wir uns besser verstecken sollten, um ihrem Zorn zu entkommen.“ „Götter?“ „Schreckliche Götter, die alle Dai gejagt und vernichtet haben, derer sie habhaft werden konnten. Nur in den Dämonenwelten unter dem Liberty-Virus waren wir Dai sicher“, fügte die große Spinne hinzu. „Die letzte Frage, die ich habe lautet wie folgt: Was tust du hier, Dai-Kuzo-sama?“ Ein spöttischer Zug spielte um ihre Lippen. „Wahrscheinlich das gleiche wie du, Michael. Ich erhoffe mir einen temporären Waffenstillstand in einer Zeit, in der alles im Umbruch ist. Um genauer zu sein, ich befürchte, dass die Götter wieder auftreten werden, und ich sehe keinen Grund, jene sich gegenseitig schwächen zu lassen, die sie vielleicht gemeinsam aufhalten können.“ Michael nickte widerstrebend. „Und deshalb bin ich gekommen. Ich habe auch ein Geschenk mitgebracht, quasi als Einstand. Es ist etwas, was der Core sicherlich gut gebrauchen kann.“ „Dann war es also doch die Mühe wert, deine Anwesenheit zu ertragen?“, spottete Tora. „Entscheide selbst“, erwiderte die große Spinne amüsiert. „Ich hatte neulich eine sehr nette Konversation mit einer Dai von Iotan. Was sie mir gesagt hat, dürfte alle Operationen des Cores in diesem Sektor der Galaxis beeinflussen.“ „Mit einer Dai? Du hattest Kontakt zu einer anderen Dämonenwelt?“ Erstaunt zog der Magier die Augenbrauen hoch. „Nein, nur zu einer Dai. Sie sagte mir zwei Dinge. Erstens: Nag Prime hat keine Dämonenwelt.“ Erstaunt sah Tora die Frau an. Nur langsam wich die Starre von ihm, die jene Worte begleitet hatte. „Das… Wenn das wahr ist, dann ist das für den Core eine extrem wichtige Information.“ Die große Spinne grinste wölfisch, als sie nachsetzte. „Und zweitens: Iotan hat eine Dämonenwelt!“ *** „Leben ist ein erstaunliches Phänomen“, dozierte Michi Torah vor seiner Klasse und hob dabei den rechten Zeigefinger. „Es geht mir dabei nicht unbedingt um die Tatsache, dass es Leben an sich gibt, so unmöglich und unwahrscheinlich es für einen ausgebildeten Wissenschaftler auch klingt, aber wir existieren, also ist Leben möglich.“ Beifallsheischend sah er sich um, aber er bekam keine Standing Ovations. Ein wenig bedrückt fuhr er fort. „Ich komme zum Punkt. Lassen wir einmal Quarks, Gluonen und dergleichen beiseite und betrachten ein schlichtes Atom. Was haben wir dann?“ Eine Hand reckte sich eifrig nach oben. „Ja, Akari?“ „Von was für einem Atom sprechen wir?“ „Wir gehen vom einfachsten aus, dem Wasserstoff-Atom.“ „Dann ist es einfach. Wir haben ein Proton und ein Neutron im Kern, und ein Elektron, dass diesen Kern umkreist.“ „Danke, Akari, aber das ist nur halb richtig. Du beschreibst Deuterium, eine in der Natur vorkommende, aber nicht vorherrschende Form von Wasserstoff. Dennoch, Deuterium ist mir für meine Erläuterungen gerade recht.“ „Deuterium?“ „Schwerer Wasserstoff. Normalerweise wiegen ein Neutron und ein Proton jeweils ein den Atomkern umkreisendes Elektron auf, aber bei Wasserstoff gibt es lediglich einen Kern, der aus einem Proton besteht. Deuterium verfügt über eine höhere Masse, weil es zusätzlich ein Neutron hat. Das Gewicht des Atoms erhöht sich immens, weshalb diese Atome auch Schwerer Wasserstoff genannt werden. Die Vorkommen von Deuterium im Wasserstoff, dem häufigsten Element des Universums, liegen aber nur gut bei einem Achtel Prozent der Gesamtmasse. Es gibt noch eine dritte Form, das Tritium, bei der sich zwei Neutronen an den Kern anlagern. Diese Form wird Superschwerer Wasserstoff genannt. Beide gelten als natürliche Isotopen des Wasserstoffs und…“ „Kommen wir doch zurück zum Kern deiner Aussage. Wir haben nicht Physik, sondern Biologie.“ „Ja, Sensei. Nun, was erhalten wir, wenn wir Deuterium betrachten?“ „Ein Isotop?“ „Das ist gut aufgepasst und auch richtig, aber darauf wollte ich nicht hinaus. Was wir erhalten ist ein riesiger Hohlraum. Das Elektron umkreist den Kern mit einer solchen Geschwindigkeit, dass die Illusion von fester Materie entsteht. Gehen wir einen Schritt weiter, stellen wir uns ein Wassermolekül vor. Wie wird das aussehen?“ „Ein Sauerstoffatom und zwei Deuteriumatome haben sich verbunden.“ „Das ist richtig. Was bekommen wir also? Noch mehr Hohlräume. Wobei auch hier wieder die scheinbar feste äußere Hülle nichts weiter ist als das oder die Elektronen, das oder die superschnell um den Atomkern rast. Und nun stellen wir uns etwas komplexeres vor, sagen wir einen Menschen. Woraus besteht dieser im Endeffekt?“ „Aus einem ganzen Haufen Atomen und Molekülen?“ „Das ist die richtige Antwort. Und genau das wirft meine Frage auf: Wie kann etwas, das im Endeffekt nur auf der Illusion sich bewegender Elektronen beruht, so stabil sein? Jedes Molekül, jedes Atom, eigentlich jeder Mensch besteht aus einer riesigen Menge Hohlraum, selbst wenn wir den Platz zwischen den Atomen nicht berücksichtigen, der auch noch reichlich vorhanden ist.“ „Das ist sehr interessant und ich verstehe dein Problem. Aber hast du auch eine Lösung anzubieten, Michi?“ „Natürlich, Sensei. Gravitation und Fliehkraft. Im Prinzip sind alle toten und lebenden Dinge gefesselt durch diese zwei Kräfte, die sie in Balance halten. Die Fliehkraft, die die Elektronen bewegt und Masse, sprich eingenommenen Raum simuliert und Gravitation, die all das beisammen hält. Im Prinzip sind wir alle, ist alles um uns herum wie ein Sonnensystem, nur unendlich komplexer. Noch so ein Punkt, den ich ansprechen möchte. Materie ist Illusion.“ „Halt, halt, das führt jetzt zu weit. Wie ich schon sagte, wir haben Biologie. Zu welchem interessanten Fazit kommst du also? Sind wir nur Illusionen, oder gibt es tatsächlich existent? Und gibt es für diese Existenz einen biologischen Beweis?“ „Ich bin überrascht, Sensei. Die gleichen Fragen habe ich mir auch gestellt.“ „Du bist nicht der erste Schüler, der mit dieser These aufwartet, junger Mann. Also, dein Ergebnis?“ „Wir existieren. Wir sind zwar gigantische Hohlräume, Illusionen von Materie, aber wir existieren. Wie so etwas leben kann weiß ich zwar nicht, aber ich vermute, dass das KI dabei eine wichtige Rolle spielt. Vermutlich ist KI das, was das Leben erst zusammenhält.“ „Hm. Du hast dir gerade Arbeit aufgehalst, junger Mann. Schreibe bitte bis zur nächsten Stunde eine Abhandlung über KI und stelle sie dann der Klasse vor. Ich bin schon sehr gespannt auf deine Interpretation. So, die Stunde ist beendet. Ihr könnt alle gehen. Nur Michi bleibt noch.“ Als sich der Lehrsaal in einen Leersaal verwandelt hatte, setzte sich der Lehrer auf seinen Schreibtisch. „Michi, ich habe hier einen interessanten Brief bekommen. Du sollst für militärische Aktivitäten freigestellt werden. Was bedeutet das? Bist du ebenso wie Akari Mitglied der Hekatoncheiren? Bei der Jugend heute wundert mich eigentlich nichts mehr.“ „Nein, Sensei. Aber ich arbeite daran. Es wird hart werden, aber ich kann meinen Meister nicht enttäuschen. Wenn ich ihn das nächste Mal sehe, egal ob Materie Illusion ist und wir eigentlich gar nicht existieren, will ich, das er stolz auf mich ist.“ „Dein Meister?“ „Mein Ausbilder in KI-Kontrolle und Schwertkampf. Akira Otomo. War es das dann, Sensei?“ „Ja, du kannst gehen.“ Als der junge Mann mit dem weißen Haarschopf das Klassenzimmer verlassen hatte, strich sich der Lehrer nachdenklich über sein Kinn. „Hm, Akiras Schüler? Jetzt wird mir einiges klar.“ Er lächelte still. 4. „Du wolltest uns sprechen, Vater.“ Der groß gewachsene Mann mit den braunen Haaren verneigte sich bei diesen Worten aus seiner sitzenden Haltung auf der blauen Tatami fast bis zum Boden. Die aschblonde Frau, die neben ihm auf einer rosa Tatami hockte, verbeugte sich ebenfalls förmlich. Der Mann vor dem sie sich verbeugten, musterte beide streng. Sein Sohn Mizuki und seine Schwiegertochter Lina waren weit gereist, um zu ihm zu kommen. Genauer gesagt waren sie auf die AURORA gekommen, um ihn in seinem Domizil im dortigen Shinto-Tempel aufzusuchen. Der alte Mönch wusste das Engagement der beiden zu schätzen. „Ihr braucht euch nicht zu verbeugen, meine Kinder.“ Futabe-sensei sah mit Wohlwollen auf die beiden. „Der Respekt für das Oberhaupt gebietet…“, begann Mizuki ernst, wurde aber von seinem Vater unterbrochen. „Wie laufen die Unternehmungen in Europa, Sohn?“ Der braunhaarige Mann lächelte verlegen. „Wie du gesagt hast, hatten wir mehrere Infiltrationen von kronosianischen Supercomputern. Ich habe die Escaped einsetzen müssen, die uns laut Kooperationsvertrag mit der UEMF zustehen. Yodama-samas Firmen in Europa dürften damit vorerst sicher sein.“ „Wenn ich dazu etwas sagen dürfte“, mischte sich die blonde Frau ein – eigentlich ein respektloses Verhalten. Aber erstens war sie Familie und Yoshis Mutter, und zweitens die Sicherheitsexpertin für die japanische Holding, unter der mehr als siebzig weltweit verteilte Firmen unter der Leitung von Naguad standen. „Nach den Erfahrungen mit Gina Casoli und ihren beiden, nun, Gästen, ist es uns gelungen, ein KI-Verfahren zu entwickeln, welches aufgepflanztes KI entdeckt. Dabei ist es egal, ob es sich um einen Proto-Youma handelt, ob ein fremdes Bewusstsein implantiert wurde oder ob es sich um ein KI-Biest handelt. Wir bilden bereits die firmeneigenen Sicherheitskräfte in dieser Technik aus. Und es wird auch nicht mehr lange dauern, bis ein Scanner existiert.“ „Das sind gute Neuigkeiten.“ Der alte Mann nickte ernst. Dann senkte er den Blick. „Es gibt einen wichtigen Grund dafür, dass ich euch gerufen habe. Ihr wisst, während ihr eure Aufgaben in Europa erfüllt habt, habe ich auf Yoshi aufgepasst. Aber ich muss leider eingestehen, das ich versagt habe. Er ist mit Jarah Arogad zusammen und ich sehe mich außerstande, diese Beziehung zu beenden.“ „Mit Yohko? Die beiden geben bestimmt ein niedliches Paar ab“, murmelte Lina. „Nichts da!“, blaffte Mizuki wütend. „Vater, du kennst meine Einstellung! Ich lasse nicht zu, dass der Erbe des Futabe-Haushalts eine untergeordnete Stellung in einem Naguad-Haus einnimmt! Wir arbeiten schon zu lange mit den Arogads zusammen, um eine solche Entwürdigung hinzunehmen!“ „Sie lieben sich. Was kann man da ändern?“ „Er ist erst zwanzig! Er wird sich neu verlieben! Er steht gerade erst am Anfang eines Lebens, das tausend Jahre dauern kann!“ Wütend sah Mizuki auf. „Ich wäre stolz auf einen Sohn, der im Kampf für die UEMF fällt! Aber nicht auf meinen Jungen, wenn er Prinzgemahl einer zweitrangigen Erbin wird!“ „Mizuki, wollen wir uns nicht erst einmal alle beruhigen und…“ „Ich will mich aber nicht beruhigen! Ich will das Beste für unseren Jungen!“, blaffte der Japaner wütend. Plötzlich fuhr er herum. In seiner Hand lag wie hingezaubert eine schussbereite Pistole. „WER IST DA?“ *** Gute achtzig Lichtjahre entfernt, auf Naguad Prime, ging das Leben in der Hauptstadt beinahe seinen regulären Gang. Die Schäden an den Türmen der Arogads und Logodoboros wurden ausgebessert, der Plan um die Vorstädte vom radioaktiven Staub zu befreien war bereits beendet worden. Millionen Menschen hatten ihre Vorstädte wieder beziehen können und waren zu ihren alten Leben zurückgekehrt. Im Turm der Arogads ging es hingegen etwas hektisch zu. Er würde eine neue Spitze erhalten, und das war eine ganz eigene Mammutaufgabe für sich. „Achtung. Achtung. An alle Bürger des Turms, an alle Besucher des Turms. Die Künstliche Intelligenz und der Strom werden für die nächste halbe Stunde abgeschaltet werden. Grund ist die Integration der neuen Spitze. Bitte verhalten sie sich ruhig und diszipliniert und warten sie in den Sammelräumen mit Notbeleuchtung. Wir danken für ihre Kooperation.“ Hätte Helen Arogad über ihren Körper verfügt, dann hätte sie geseufzt. Eine halbe Stunde abgeschaltet. Das bedeutete, dass sie dreißig endlos lange Minuten blind, taub und stumm war. Aber besser so als permanent fünfzigtausend fehlerhafte Prozesse korrigieren und Anschlussfehler riskieren zu müssen. Dennoch. Als man sie vor Jahren in den Turm gebracht hatte, war sie im Koma gewesen. Sie erinnerte sich nur noch an wirre Träume, die sich vor allem um ihre beiden Kinder Akira und Yohko gedreht hatten. Wie würde es sein, wenn der Strom weg war? Würde sie schlafen können? Das erste Mal seit zehn Jahren? Oder würde sie eine volle halbe Stunde in absoluter Finsternis verbringen? Helen fragte sich, ob der Tod vielleicht so war und nicht anders. Absolutes Vegetieren in totaler Finsternis. Die Abschaltung kam für sie überraschend, obwohl sie diese selbst initiiert hatte. Dann kam die Finsternis und einen Augenblick später glaubte sie zu frieren. Aber das war Einbildung. Das musste Einbildung sein, denn sie hatte ihren Körper nicht mehr gespürt, seit sie in der virtuellen Welt des Turms erwacht war. Ja, sie hatte jetzt eine sehr wichtige Aufgabe, und alles was sie dafür hatte hergeben müssen war, ihre Kinder berühren zu können, ihren Mann, ihre Eltern, ihre Freunde. Hätte sie ihren Körper gespürt, hätte sie sicherlich nun trocken geschluckt. Solche Gedanken brachten nichts, sie machten nur einsam, verzweifelt. Sie war hier in diesem Tank gefangen und würde es noch eine sehr lange Zeit sein. Vielleicht eine kleine Ewigkeit. Vielleicht für immer. Wobei immer eine verdammt lange Zeit sein würde. Ob sie miterleben würde wie ihre eigenen Kinder selbst Kinder zeugen würden? Was würden Akira und Yohko ihnen sagen? Eure Großmutter lebt in einem Tank? Auch diesen Gedanken schob sie beiseite. Sie konnte nicht bei ihrer Familie sein. Sie hatte eine wichtige Aufgabe, und das war weit wichtiger als bloß zu existieren und zu verzweifeln. Doch dann war da etwas, was ihre schwarze Welt durchbrach. Sie erkannte es sofort als AO-Aura, als große, mächtige AO-Aura. Sie war ihr nahe, sehr nahe. Und sie war gefärbt vor Blutdurst und Vernichtungswut. Erst war es nur diese eine, dann waren es zwei, drei, vier, sechs, acht, zwölf! Und sie kamen ihr näher und näher. Genauer gesagt dem Standort ihres Tanks, in dem ihr hilfloser Leib ruhte, solange der Strom abgeschaltet war. Ein Attentat! *** „Es ist mir egal!“, blaffte Megumi Uno wütend. „Ich werde keine weitere Verzögerung hinnehmen!“ „Aber General Uno, die Desertation der U.S.A. und anderer Verbündeter und die Evakuierung unserer Stützpunkte in jenen Ländern hat gezeigt, wie verwundbar die Erde ist! Und da ist immer noch der Angriff durch das unbekannte Riesenschiff! Wir können das nicht ignorieren! Bis wir ein neues Verteidigungskonzept ausgearbeitet haben, müssen die AURORA und ihre Flotte unbedingt im System bleiben!“, begehrte Julian Gardio auf. „Es stehen sechs Milliarden Leben auf dem Spiel!“ „Es stehen noch viel mehr Leben auf dem Spiel, wenn wir Akira nicht bald finden!“, rief Megumi wütend. „Erinnern Sie sich bitte daran, dass da ein riesiges Imperium mit achthundert Milliarden Leben existiert, das wirklich nachtragend sein kann, wenn Akira nicht wiedergefunden werden kann!“ „General, bitte, können wir nicht sachlich bleiben und die verständlichen Emotionen beiseite schieben? General, bitte, lassen Sie uns vernünftig darüber reden. Alles was wir wollen ist doch nur ein weiterer Aufschub.“ „Kein Aufschub! Besinnen Sie sich mal auf die Tugenden der UEMF, Ratsvorsitzender Gardio! WIR haben damals IMMER improvisiert, das beste aus dem gemacht was wir vorgefunden haben! WIR hatten NICHTS und haben ALLES gewonnen!“ „Sie reden so als wären Sie dabei gewesen“, murmelte Gardio wütend. „ICH WAR DABEI!“ Wütend stierte Megumi Uno den Ratsvorsitzenden nieder. „Wenn Sie die Güte hätten sich zu erinnern, ich war, bin und bleibe Lady Death, die zweitbeste Mecha-Pilotin der Erde! Ich habe in jeder großen Schlacht gesteckt, seit ich das erste Mal mit meinem Hawk aufgestiegen bin! Ich habe die zweithöchste Abschusszahl in der ewigen Bestenliste und ich diene nun schon seit sechseinhalb Jahren! Das Sie hier sitzen können anstelle eines kronosischen Gouverneurs verdanken Sie mir, Akira, Yohko und Makoto! Vergessen Sie das bitte nicht! Wir haben zusammen diese Welt gerettet, und das mehr als einmal! Ich habe mein Blut schon so oft für die Verteidigung dieser Welt vergossen, dass ich es schon nicht mehr zählen mag, und Akira hat… Akira hat… Er hat noch so viel mehr getan, so viel länger gekämpft und so viel mehr gelitten! Für Sie! Für mich! Für uns alle! Und nun wollen Sie mir sagen, dass das alles nichts mehr wert ist? Dass wir die Möglichkeit haben, diesmal ihm zu helfen, aber dass er zurückstecken muss? Dass die Menschheit, die er gerettet hat, ihn nicht retten wird? Das akzeptiere ich nicht!“ „Sie haben meine Cousine gehört“, sagte nun auch Sostre Kalis ernst. „Wir fliegen in drei Tagen ab, ob mit oder ohne ihre Zustimmung. Und das ist mein letztes Wort als Vertreter der Daness auf dieser Welt.“ Gardio setzte zu einer Antwort ab, aber Fredricsson legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Lass es, Julian. Sie haben Recht und das weißt du. Außerdem, willst du wirklich als der Mann in die Geschichte eingehen, der Akira Otomo die Hilfe verweigert hat?“ „Ich will ihm seine Hilfe nicht verweigern! Ich will dabei nur vernünftig sein!“ „Die Zeit für Vernunft ist vorbei! Jetzt beginnt die Zeit des Handelns!“ Megumi Uno fuhr hoch, und mit ihr drei Hekatoncheiren, Sostre Daness und Aris Taral. „Guten Tag, meine Herren. Ich kehre zu meinem Kommando zurück!“ Draußen auf dem Gang holt Sostre seine Cousine schnell ein und hielt sie fest. „Solia, war das wirklich nötig? Musstest du so hart mit ihnen umspringen?“ „Was sollte ich machen? Es geht um Akira! Akira, Sostre!“ Spontan schloss der Daness das Mädchen in seine Arme. „Ich vermisse ihn ja auch. Und ich kann nicht einmal ansatzweise erfassen, wieviel Schmerz in dir ist, jetzt wo er irgendwo da draußen verschollen und in der Hand des Cores ist. Aber ich unterstütze dich so gut ich kann, das verspreche ich dir.“ „Danke“, hauchte sie ergriffen. Familie war schon was tolles. Dann ging alles rasend schnell. *** An einem anderen Ort, fast in einer anderen Welt, schwebte eine junge japanische Frau in einem Biotank. Ihr Name war Ai Yamagata, und sie war Agentin des Geheimdienstes der UEMF. Sie war während der Kanto-Mission von ihrem Gegner Torum Acati getötet worden. Genauer gesagt hatte er ihr KI einem eigenen KI-Blast von enormer Stärke ausgesetzt, und als sie danach wieder zu sich gekommen war, da war sie bereits im Verstand von Gina Casoli gewesen. Ihr Körper wurde seither in diesem Biotank am Leben erhalten. Ein neuartiges Verfahren hatte das Wunder vollbracht, ihren Verstand, also ihr KI, wieder in ihrem Körper zu verpflanzen, aber irgendetwas war schief gelaufen. Gina Casoli hatte Dutzende Tests über sich ergehen lassen, KI-Meister hatten sie mehrfach überprüft, mit ihr gearbeitet und sie analysiert, aber auch sie konnten später nur zustimmen, was Gina selbst gesagt hatte: Der Transfer von Ai Yamagata aus ihrem Verstand heraus hatte stattgefunden. Aber auf den Monitoren der Überwachungseinheit zeigten sich nur die Herzfrequenz, die Atmung, die Sättigung des Blutes mit Sauerstoff und zuletzt der Blutdruck. Die Anzeigen für Gehirnaktivität blieben leer und blind. Diese und ähnliche Gedanken gingen Gina durch den Kopf. Immer wenn sie vor diesem Tank stand, fragte sie sich, ob Megumi sich so gefühlt hatte, als Akira Otomo schwer verwundet in einem solchen Tank gelegen hatte. Und ob sie sich auch gefragt hatte, ob und wann er diesen… medizinischen Sarkophag verlassen konnte. Ihr Fall war schlimmer. Ai brauchte nicht geheilt zu werden. Ai war nicht da. Kurz und bündig, sie existierte nicht in ihrem Körper. Auch diese erschütternde Feststellung hatten die KI-Meister bestägigen müssen, allen voran Futabe-sensei. „Wo bist du, Ai-chan? Wo bist du nur?“ Frustriert legte sie die Stirn auf das Schutzglas und ihre Rechte flach daneben. Was war schief gegangen? Was hatte sie – ja, sie - falsch gemacht? Als sich eine Hand auf die ihre legte, nur vom Schutzglas getrennt, dauerte es einen Moment, bis sie begriff. Ihr Kopf ruckte hoch, gerade rechtzeitig um zu sehen, dass Ai einen tiefen Atemzug tat. Dann öffnete sie die Augen und fixierte Gina. „Do… Do… DOKTOR SCHNEIDER!“ *** Mizuki Futabe war gewiss kein Feigling. Und erst recht kein Idiot. Außerdem war er sehr stolz darauf, dass er in der Lage war, sich jederzeit zu verteidigen. Seine bescheidenen Fähigkeiten, das KI zu manipulieren, hatte er dafür so perfekt trainiert wie es ihm möglich war. Von den Fähigkeiten seines Vaters und sogar denen seines Sohns war das noch Meilen entfernt, zugegeben. Seine Generation schien das latente Talent für KI übersprungen zu haben. Aber er konnte seinen Mann stehen. Eigentlich. Als die Waffe aus seiner Hand gerissen wurde, schrie er auf, mehr erschreckt und wütend, denn vor Schmerz. Das Wesen, das die Waffe nun im Maul trug, musterte ihn interessiert und wich dann zum Eingang zurück. Wich war dabei die richtige Formulierung, denn der große weiße Hund flog. Vor einem groß gewachsenen Mann, der in einem effektvollen Schatten stand, legte er die Waffe ab. Eine Hand glitt aus dem Schatten hervor und tätschelte den Schädel des Tieres. Er winselte freudig und löste sich auf. Dann trat der Mann aus dem Schatten hervor. „Das ist ein KI-Biest, richtig?“, stellte Mizuki fest, während er sich die schmerzende Rechte hielt. „Ein KI-Biest. Entstanden aus einem Hundegeist, der keine Erlösung finden konnte und freiem KI, das ich gesammelt habe, um ihm einen Körper zu geben.“ Der große Mann seufzte schwer. „Er sucht eine Aufgabe, etwas worauf er stolz sein kann. Ich gebe sie ihm.“ „Du hast ihn als Killer abgerichtet?“ „Als Helfer. Er unterstützt mich, wo er es kann. Ich gebe zu, das ist recht oft. Und die Mädchen lieben ihn.“ Der große blonde Mann verzog sein Gesicht zu einem Lächeln. „Vor allem Yohko ist ganz vernarrt in ihn.“ Die Frau stand auf und war mit zwei schnellen Schritten bei dem Neuankömmling. Sie schloss ihn in die Arme. Dann hielt sie ihn von sich, um ihn genau zu betrachten. „Schön, dich wiederzusehen, mein Sohn. Du hast ein wenig zugenommen. Sorgt Sakura-chan gut für euch? Und wann stellst du uns deine Freundin vor?“ „Moment! Ich habe dieser Beziehung nicht zugestimmt! Was machst du überhaupt hier, Yoshi? Solltest du nicht bei deiner Einheit sein? Sie trainieren? Und was sollte diese pathetische Szene mit dem KI-Biest?“ „Ich dachte mir, wenn wir hier seine Zukunft diskutieren hätte er ein Recht, ebenfalls mitzureden“, meldete sich der Priester zu Wort. „Und die pathetische Szene mit dem KI-Biest ist entstanden, weil Spike es nicht mag, wenn jemand eine Waffe auf mich richtet. Er hat noch nicht kapiert, dass normale Kugeln mir nichts anhaben können.“ „Willst du mich mit billigen Effekten beeindrucken? Ich bin vielleicht nicht so ein großer KI-Meister wie du, aber meine Fähigkeiten reichen immer noch, um dir eine Lektion zu erteilen!“ Mizuki maß seinen Sohn mit einem wütenden Blick. „Nun, nun“, sagte Lina und trat zwischen ihre beiden Männer. „Wollt ihr unsere Wiedervereinigung wirklich mit Plattitüden und männlichen Drohgebärden beginnen?“ „Keine Sorge, Mutter. Ich denke, ich weiß, was ich tue.“ Ein spöttisches Grinsen spielte um Yoshis Züge. „So? Da bin ich aber gespannt.“ Mizuki ging in Abwehrhaltung. „Gib mir deinen besten Angriff, Sohn!“ Yoshi fiel vor seinem Vater auf die Knie und senkte die Stirn bis auf die Arbeit. „VATER, BITTE! Erlaube mir die Beziehung mit Yohko Otomo! Ich liebe sie aus ganzem Herzen und will den Rest meines Lebens mit ihr zusammen sein!“ Der ältere Futabe erstarrte. Er löste seine Abwehrstellung auf und seufzte. „Gut, der Angriff hat gesessen. Das gestehe ich dir zu, Yoshi. Aber deshalb bin ich immer noch nicht überzeugt. Du sollst kein Leben zweiter Klasse führen. Wir Futabes haben eine lange Tradition, und ich will nicht, das sie mit mir endet. Verstehst du mich nicht? Nag Prime ist unendlich weit entfernt, und deine Aufgaben liegen hier.“ „Nein, Vater. Meine Aufgaben liegen da, wo Akira ist.“ Yoshi sah auf. „So wie du es mir vor Jahren gesagt hast. Und daran halte ich mich noch immer.“ Mizuki räusperte sich vernehmlich, um seine Verlegenheit zu überspielen. „Vielleicht denke ich ja mal drüber nach. Wenn du versprichst, mit ihr nicht nach Nag Prime zu ziehen und euren Kindern japanisch statt Nag-Alev beibringst, würde ich vielleicht… Vielleicht zustimmen.“ Yoshi Futabe kam auf die Beine, ging einen schnellen Schritt vor und schloss seinen Vater in die Arme. „Danke, Vater. Danke. Du weißt nicht was mir deine Zustimmung bedeutet!“ Ein wenig peinlich war es dem steifen Japaner schon, von seinem erwachsenen Sohn umarmt zu werden, auch wenn es in einer eigenen Halle ohne Zeugen geschah. Aber er genoss auch dieses Gefühl der Nähe sehr. Außerdem kam ihm diese Szene sehr bekannt vor. Er sah zu seinem Vater herüber, der freundlich lächelte, dann zu seiner Frau, an deren Nasenspitze er absehen konnte, dass sie wieder einmal sehr genau wusste, was er dachte. Erst langsam, dann nachdrücklich, klopfte er seinem Sohn auf den Rücken. *** Zwanzig waren es. Zwanzig Auren, die vor Blutdurst und Hass nur so troffen. Und sie wusste es, wusste es sehr genau, sie war das Ziel. Ihre Gedanken flossen für ihren Geschmack etwas träge seit sie nicht mehr mit dem Hauptcomputer vernetzt war, aber es war noch schnell genug, um ein paar Dinge zu begreifen. Erstens, es wollte sie jemand tot sehen. Zweitens, dieser jemand war schlau vorgegangen und hatte gewartet, bis die neue Turmspitze integriert und das Computersystem abgeschaltet wurde. Dadurch war sie blind, taub und wehrlos. Drittens, ihre potentiellen Mörder kamen näher, immer näher. Unruhe wühlte in ihrem Geist. Blind, taub, wehrlos, und außerdem stumm. Warum war sie so nachlässig gewesen und hatte keine Posten vor ihren Tank gerufen, bevor sie das Netz abschaltete? Nun büßte sie für den Fehler mit ihrem Leben. Nun würde sich alles erübrigen, was sie bisher im Tank vermisst hatte. Aber sie würde noch mehr verlieren. Abgesehen davon dass sie ihre Kinder nicht berühren konnte, würde sie Akira und Yohko auch nicht mehr SEHEN können, wenn sie hier starb. Und ihr Traum, doch irgendwann wieder an Eikichis Seite leben zu können würde nie in Erfüllung gehen. Der Widerwille regte sich nur langsam in ihr, aber er war plötzlich da. Dieses Gefühl, etwas zu verpassen, dass etwas nicht so erfolgte wie sie es sich von Herzen wünschte, das da etwas war… Wofür es sich zu kämpfen lohnte! Vom Funken war es ein unendlich langer Schritt zum glühen. Darauf folgte ein strahlendes Glimmen, entfacht von ihrem Willen zu überleben und genährt vom Wunsch, jene die sie liebte mit ihren eigenen Augen sehen zu können. Während die KI-Schatten immer näher kamen, erinnerte sich Helen Otomo daran, dass sie selbst einmal eine KI-Ausbildung erhalten hatte und das sie eine fähige KI-Meisterin gewesen war, die ihrem Vater hatte das Wasser reichen können. Also wurde das Glimmen ein flackerndes Feuer, welches mit jedem Herzschlag mehr aufloderte. Sie wollte leben! Sie würde leben! Sie MUSSTE leben! Dann war das flackernde Feuer eine Feuersbrunst, die sie von den Zehenspitzen bis zum Haaransatz erfüllte! Einen Augenblick später fiel sie ins Bodenlose. Luka Maric fing die junge Frau auf, die zusammen mit einem Schwall Nährflüssigkeit aus dem Tank geschossen kam, bevor sie auf dem Boden aufschlagen konnte. Der Berater und wichtigste Vertraute von Oren Arogad sah kurz nach hinten. „Sie ist bei Bewusstsein, Oren.“ Der derzeitige Hausratsvorsitzende nickte und gab damit einem mehrköpfigen Sanitäterteam den Befehl, seine Enkelin medizinisch zu versorgen. Die Männer und Frauen lösten die Anschlüsse von ihren Leib, entfernten die Atemmaske und den Kunststoffmantel, in den sie gehüllt gewesen war. Kurz darauf saß sie, nießend und hustend auf einer Liege, mit einer dicken Decke auf der Schulter. Oren kniete sich vor ihr nieder und sah sie besorgt an. „Helen, mein Schatz, geht es dir gut? Erkennst du mich?“ „Natürlich erkenne ich dich. Ich habe dich hunderttausendmal gesehen, wenn ich mit meinem Avatar durch den Turm gereist bin.“ Erschrocken hielt Helen inne. War das ihre Stimme gewesen? Merkwürdig. Sie klang genauso wie die synthetische Stimme, die sie mit Hilfe des Computers konstruiert hatte. „Bist du in deiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt? Verspürst du Taubheit, Beklemmung, etwas das nicht ist wie es sein sollte?“ Wieder nieste Helen Otomo. Verdammt, die Nährflüssigkeit musste ihr in die Nase gedrungen sein. „Ich fühle mich etwas schwach, aber gut.“ Nach einem weiteren Nieser musterte sie die beiden Männer böse, von denen man im Turm sagte, eigentlich hätten sie als Zwillinge geboren werden sollen. „Ihr zwei! Soll man bei einem Alter von zweitausend Jahren noch solche Streiche aushecken? Mich mit fingierten KI-Bildern zu erschrecken, damit ich glaube mein Leben sei in Gefahr. Alles nur, damit ich den Tank verlasse.“ Sie sah Luka böse an. „Du hast die KI-Projektionen gemacht, Onkel Luka.“ Dann ging ihr Blick zu ihrem Großvater. „Und du hast alles organisiert, Opa!“ Die beiden Männer fanden die Decke plötzlich sehr interessant. „Danke“, brummte Helen unwirsch und musste erneut niesen. „Ich glaube, ich habe so einen Kick gebraucht, damit ich endlich selbst aus meiner Lethargie rauskomme. Es war wohl zu bequem im Tank…“ „Es ist in Ordnung, Helen. Nun geh dich waschen, lass noch ein paar Checks von den Medizinern durchführen, iss etwas und schlaf erstmal. Danach wirst du dir erstmal alles ansehen, was du nur durch Kameras kanntest. Ist das in Ordnung, Helen?“ Für ein paar Sekunden schien sie wieder verärgert zu sein, aber dann strahlte sie mit ihrem Lächeln derart, dass den beiden alten Männern das Herz überging. „Natürlich, Großvater.“ Als der Zug aus Helen Otomo und den Medikern den Raum mit dem zerborstenen Biotank verlassen hatte, trat eine dritte Person dazu. Agrial Logodoboro runzelte die blasse Stirn und nickte dann anerkennend. „Ahnt sie auch nur, welch großes Potential sie in sich trägt? Helen ist etwas sehr besonderes. Es wundert mich nicht, dass sie Akiras und Yohkos Mutter ist.“ „Sie neigt dazu, etwas zurückzustecken. Aber wenn es sein muss handelt sie kompromisslos“, erwiderte Oren ernst. „Sie ist ein Mensch, der für sein Leben gerne gibt. Ein Mensch, dem man nichts anderes wünscht als alles Gute in dieser Welt. Deshalb bin ich dir dankbar, dass du uns dabei geholfen hast, sie aus ihrer Stasis zu wecken, Agrial.“ „Luka hatte den größeren Anteil. Ich habe die AO-Felder lediglich so weit modifiziert, um den Blutdurst zu simulieren. Das war keine große Aufgabe, Oren.“ „Keine große Aufgabe, sagt sie“, brummte Luka. „Demnächst hält sie Meister Tevell noch für ein kleines unreifes Mädchen.“ Agrial hüstelte verlegen. „Nun.“ „Ich will es gar nicht wissen. Überhaupt nicht wissen.“ Ergeben warf Luka Maric seine Arme in die Luft und verließ den Raum. „Ich bin in meinem Büro.“ Agrial schmunzelte. „Ein guter Mann. Und auch Helen ist ein guter Mensch. Es war mir eine Ehre, ihr helfen zu können, Oren. Warum können nicht alle Naguad, alle Iovar und alle Menschen so sein wie sie?“ Oren grinste. „Wer weiß, vielleicht werden sie das eines Tages ja.“ „Träumer“, tadelte sie mit einem Lächeln. „Schuldig im Sinne der Anklage.“ *** Alles ging so furchtbar schnell, so präzise, so fix. Bevor sich Aris Taral versah, hatte er bereits drei der hervorragend trainierten Angreifer getötet, einen weiteren von Megumis Seite abgedrängt den fünften zum Kampf gestellt. Bevor er richtig Atem schöpfen konnte, war die kurze, intensive Schlacht auch schon wieder vorbei. Schwer atmend sah er in die Runde. „Wer noch lebt soll laut hier schreien.“ „Hier!“ „Hier.“ „Hier.“ „Hier.“ Aris sah auf. „Megumi?“ „Was bilden sich diese Idioten ein? Das ich ein Wachspüppchen bin? Ich bin Kampfpilotin, trainiert für Dutzende Arten des Kampfes mit und ohne Waffen! Wie kann man nur so dumm sein und mich attackieren?“ Aris wandte sich um. Megumi stand zornbebend vor drei Angreifern, die sich vor Schmerz auf dem Boden wälzten. Ihre Augen versprühten Funken und ihre Fäuste waren noch immer angriffslustig vorgestreckt. „Ich hätte diese langsamen Idioten mit Leichtigkeit töten können! Dazu brauchte ich nicht einmal meine KI-Fähigkeiten!“ Wütend knurrend schritt sie über die von ihnen besiegten Männer hinweg. Einer von ihnen zog aus dem Ärmel eine Klinge hervor. Doch Megumi blieb nur stehen und sah ihn an. Dieser Blick war so eiskalt, dass Aris Taral meinte, der Boden rings um den Mann müsse sich in Eis verwandelt haben. „Versuch es ruhig, wenn du sterben willst, Kleiner.“ Ergeben ließ der Attentäter das Messer fallen. Während hinter ihnen aufgeräumt wurde, zählte Aris seine Leute durch und stellte zufrieden fest, das keiner ausgefallen war. Nun, bei Fioran-Attentätern hatte er das auch nicht anders erwartet. Aber er war doch sehr ärgerlich darüber, dass es tatsächlich drei Angreifer bis zu Megumi geschafft hatten. Die Frau, die er beschützen sollte. „Das waren ein paar hervorragende Techniken, Cousinchen“, sagte Sostre und reichte ihr einen heißen Kaffee. „Hier, dem Sieger die Beute.“ „Danke.“ Sie griff ein wenig zu hastig nach dem Becker und konnte das Zittern ihrer Hände kaum unterdrücken. Doch Aris begriff, das dieses Zittern nicht aus Angst entstand, sondern aus einem Überschuss an Adrenalin. „Wurden Sie als Leibwächter trainiert, Lady Kalis?“, fragte Aris ernst. Megumi sah auf. „Seit wann siezt du mich, Onkel Aris? Bleib ruhig beim du.“ „Ich bin mir nicht so sicher, ob das ungefährlich ist“, scherzte der Bluthund, hatte ihr Lachen auf seiner Seite und schon gewonnen. Megumi pustete in ihren Kaffee und lächelte wehmütig. „Es ist schon sechs Jahre her, da hat Akira mir das Leben gerettet. Ich wurde von drei Daishis angegriffen. Meine Eltern waren wenige Sekunden zuvor gestorben und ich glaubte, ich müsse ihnen folgen. Dann war Akira in Primus da, und rettete mein Leben. Ich hatte nach ihm gerufen, gefleht das er kommt um mich zu retten. Und dann war er plötzlich da und machte Hackfleisch aus den Daishis, die mich angegriffen hatten. In diesem Moment hatte ich einen Entschluss gefasst. Ich würde nun meinerseits Akira beschützen, auf ihn achten, für ihn da sein. Das hat nicht immer geklappt, vor allem nicht so wie ich es mir gewünscht habe, aber damals hat mir Onkel Jerry eine Leibwächterausbildung angedeihen lassen. Zusammen mit meinem Kampf- und Waffentraining war das ein enormes Paket, aber ich möchte diese Zeit nicht missen. Ich weiß nicht, ob es an diesem Training liegt oder an der Nahkampfausbildung, aber ich bin nun mal nicht so leicht zu besiegen. Und vor allem kann mich niemand töten, bevor ich nicht Akira gefunden habe. Vorher darf ich einfach nicht sterben!“ „Hey, Hey, nun werde mal nicht depressiv“, warf Sostre ein. „Sobald wir losgeflogen sind, folgen wir einfach den Explosionen, und Schwupps haben wir ihn gefunden.“ „Nett, dass du mich aufheitern willst, Sostre“, sagte Megumi und lächelte, bevor sie noch einen Schluck Kaffee trank. „Und ich hoffe, wir kriegen von den Iovar die Koordinaten der Core-Welt, die wir suchen, um dort nach Hinweisen zu suchen, wo Akira gefangen gehalten wird. Aber ich bezweifle doch, dass Akira diesmal so leicht zu finden ist. Der Core ist gefährlich, geheimnisvoll und groß.“ „Unterschätzt du den Jungen da nicht ein wenig?“, warf Sostre mit einem Lächeln ein. „Überschätzt du ihn nicht ein wenig? Er ist auch nur ein Mensch“, erwiderte Megumi mit einem schmalen Lächeln. „Er ist nicht nur ein Mensch. Er ist der Mensch, den du liebst, Megumi. Und alleine das gibt ihm eine Unterstützung, die ihn zu etwas ganz besonderem macht.“ Misstrauisch beäugte Megumi ihren Verwandten. „Sag mal, du willst doch nichts von mir, oder? Nicht die Venus oder die Monde des Jupiters, oder sonst etwas ausgefallenes?“ „Wo denkst du hin? Glaubst du ich versuche dich aufzubauen, um ein paar lausige Planeten oder Monde abzustauben?“ Sostre winkte ab. „Deimos mitsamt der Großwerft reichen mir völlig.“ Megumi lachte auf. „Blöder Kerl.“ „Immerhin bin ich nicht so schlimm wie Akira. Zählt das nicht?“ Wieder lachte sie. „Doch. Das zählt.“ Aris Taral schmunzelte. Und er fühlte Zuversicht. Eine unglaubliche Zuversicht. Was sollte denn hier jemals schief gehen? Diese jungen Leute konnten alles erreichen, wenn sie sich nur den Herausforderungen stellten. Und er hatte das Privileg, dabei zu sein. Das machte ihn stolz. Epilog: Als das Ärzteteam Ai Yamagata aus dem Tank befreit hatte, gaben sie die junge Frau nach einem ersten medizinischen Checkup zur Befragung frei. Doch die erste war Gina. Sie schloss die Japanerin in die Arme und störte sich weder an der noch an Ai haftenden Flüssigkeit, noch an den Polymer-Resten. „Wo warst du nur? Ich habe mir solche Sorgen gemacht, Ai. Tu mir das bitte nie wieder an, hörst du?“ „Es ist schön, dich wieder mit meinen eigenen Augen zu sehen“, erwiderte die Asiatin. „Aber jetzt ist keine Zeit für eine Wiedersehensfeier. Ich war an einem unglaublichen Ort. Und ich bringe eine dringende Nachricht für Megumi.“ „Hä? Was für ein Ort?“ „Später. Ich erzähle später alles. Kann ich vorher eine Verbindung zu Megumi bekommen?“ Wortlos zückte Gina ihr Handy und reichte es der Japanerin. Die Nummer war schon vorgewählt. Nach ein paar Sekunden hatte Ai Kontakt. „Ich bin es. Ja, ich bin gerade aufgewacht. Nein, ich werde wohl nicht in den Tank zurückmüssen. Megumi. Megumi. Megumi! Danke. Ich habe dir etwas wichtiges zu sagen. Wir müssen sofort aufbrechen, oder wir sind zu spät! Was? Ja, ich erkläre es später ausführlicher. Aber jetzt müssen wir los! Was? Ja, danke. Danke. Ja, ich bin da. Danke. Tschüss.“ Ai legte auf und reichte das Handy an Gina zurück. „Und? Hattest du Erfolg? Fliegen wir ab?“ Alarm brandete auf und verkündete, dass der Antrieb der AURORA in Betrieb genommen wurde. Ai lächelte. „Ich denke schon.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)