Anime Evolution: Nami von Ace_Kaiser (Vierte Staffel) ================================================================================ Kapitel 10: Ein Fluch namens Liberty ------------------------------------ Prolog: Die Core-Zivilisation war eine geheime Zivilisation, ein Gespenst, das für viele Daina ein regelrechtes Schreckgespenst war. Die Cores kamen, sie raideten mit ihren schwachen, doch zahlenmäßig überlegenen Schiffen, und zogen sich wieder zurück, um ihrer hohen Verluste zum Trotz erneut anzugreifen. Wieder. Wieder. Und wieder. Das Leid, das sie damit über die Daina-Welten brachten, schien ihnen egal zu sein, musste es sogar, denn gesteuert wurden die Flotten des Cores vom Verbund der Cores, einer Iovarschen Waffe, die einst ins All geschickt worden war, um Stützpunkte für einen Aufstand gegen das Kaiserreich aufzubauen. Was daraus aber wurde, ist die wohl grausamste, geheimnisvollste und gefährlichste Macht, der sich die Daina je gegenübersahen. Die seelenlosen, nicht enden wollenden Truppen des Core, der künstlichen Intelligenz, die von ihrem Weg, Stützpunkte zu errichten, nicht abgewichen war. Aber die Stützpunkte dienten nun einem neuen Zweck, und niemand wusste, welchen. Was konnte man auch anderes erwarten, wenn die gewaltige aufgebaute Kriegsmaschinerie der kalten Logik einer Künstlichen Intelligenz gehorchte? Wenn jegliches Menschliches aus ihr verbannt war? Wenn der Core eine Aufgabe verfolgte, die den Tod aller Menschen im Sinn hatte? Nun, in einem Punkt irrten all jene, die solche Vermutungen anstellten. Es war nicht längst alles Menschliche aus dem Core gewichen. Im Gegenteil. Das Menschliche war höchst lebendig und aktiv. 1. Vor zweitausend Jahren: „Was geschieht hier?“, rief Maltran Choaster erschüttert. Er starrte auf die weite Ebene, das glücklich Sonnen beschienene Grün und verfolgte die Massenpanik, die um sich griff. Dort, wo sich Daina und Daima im friedlichen Dialog trafen, wo die Einheit der Menschheit die Perfektion geworden war, dort wo sich fast alles erfüllte, was sich Menschen mit Visionen erhofften, dort geschah das Entsetzliche. Vor Maltrans Augen verschwanden die Menschen in ihren weißen Umhängen, als hätte es sie nie gegeben. Sie gingen ohne Nachricht, ohne Hinweis. Sie waren einfach fort. „Was passiert hier? Was?“ Er sah das Entsetzen der anderen, sah sie wild durcheinander laufen, bei Freunden Schutz suchen. Hörte ihr Klagen und ihr ängstliches Wimmern bei dem Gedanken daran, vielleicht als nächstes verschwinden zu müssen – und niemals wiederzukehren. Dann geschah das Entsetzliche. Auf einen Schlag verschwanden Dutzende, Hunderte in mehreren Etappen. Riesige Lücken wurden in die Reihen der Daina gerissen, als ginge ein grimmiger Riese mit gigantischem Stab durch die Reihen und wischte sie einfach fort. Die Ruhe, die darauf folgte, wurde nur unterbrochen von den ängstlichen Schreien der Verschonten, dem leisen Weinen jener, die Freunde verloren hatten, dem Schluchzen jener, die ihr Glück darüber, verschont worden zu sein, nicht fassen konnten. Erschüttert sank Maltran auf seine Knie. Was für eine Katastrophe. Was für ein Aderlass. Kiliat Mortes trat neben ihm. Sein Gesicht war verschlossen, beinahe grotesk hart verzerrt. „Es ist der Raegi-Core. Das Kaiserreich hat den Biocomputer vernichtet. Und wie es aussieht, haben sie die Gehirne jener, die sie nicht rechtzeitig abtransportieren konnten, vernichtet, bevor unsere Entsatztruppen eintreffen konnten.“ „Aber… Aber warum? Warum haben sie das getan? Warum haben sie diese Menschen nicht einfach leben gelassen? Sie haben ihnen doch nichts getan! Wenn sie jemanden bestrafen wollen, dann sollen sie sich Soldaten nehmen, aber doch keine einfachen Daina!“ Der Ältere räusperte sich vernehmlich. „Es kann sein, dass sie glauben, den Bewusstseinen in den Gehirnen einen Gefallen getan zu haben. Den Iovar, die sie aus den Tanks geholt haben, wurde durch die Sicherheitsschaltung das Gedächtnis gelöscht, um zu verhindern, dass taktische Daten an den Feind gelangen. Sie können nicht wissen, ich welch glücklicher Welt sie gelebt haben. Und wenn sie es wüssten, hätten sie es vielleicht nicht geglaubt.“ Maltran starrte betroffen zu Boden. Wieder einmal war es das Militär gewesen, auf dessen Kosten Menschen hatten geopfert werden müssen. Wieder einmal hatten jene, denen man ein Leben in Glück und Zufriedenheit versprochen hatten, den Preis dafür gezahlt, dass das Militär diese Versprechen nicht hatte halten können. „Ich nehme an, die Offiziere konnten sich zurückziehen, oder?“, knurrte Maltran angriffslustig. „Natürlich konnten sie sich zurückziehen. Bis auf eine Handvoll, deren Gehirne ebenfalls auf Raegi stationiert waren.“ „Ich glaube es ist an der Zeit, ihnen zu zeigen, wie man so etwas besser macht.“ Abrupt wandte sich der junge Mann ab. Seine weiße Kleidung verschwand und machte einer schwarzen Uniform Platz, die von einem dunkelroten Umhang umkränzt wurde. „Ich nehme mein Amt als General an. Folge mir, Kiliat Mortes.“ „Sehr wohl, mein Lord.“ Vor zwei Stunden: Das Geheimnis der großen Schlagkraft der Streitkräfte, gerade der Flotte als kleinen, agilen Schiffen, waren ihre Offiziere. Wenngleich die Mannschaften, so die hoch automatisierten Raider überhaupt Mannschaften benötigten, aus den Drohnen des Technikprogramms bestanden und statt mit einem Gehirn mit einer einfachen Künstlichen Intelligenz ausgestattet waren, so gab es doch Offiziere, Anführer, die all das regelten, was eine K.I. nicht vollbringen konnte. Der große Vorteil, den die Offiziere des Cores hatten, war ihre Langlebigkeit. Die meisten der Offiziere kämpften bereits zweitausend Jahre oder länger auf ihren Posten und wussten zu genau was ihre Gegner tun würden. Es gab hier und dort mal eine Überraschung, die sie in den Planungen zurückwarf, aber meistens musste man nur ein paar Jahrzehnte warten, bis der Lauf der Zeit diese viel versprechenden Genies in den Ruhestand oder den Tod geschickt hatte. Die Offiziere des Cores jedoch waren unsterblich. Solange ihre Leiber in den Biotanks ruhten, alterten sie nicht, und selten kam es vor, dass sie aus dem ewigen Dämmerschlaf geweckt werden mussten. Denn die meiste Zeit hielten sie sich – wenn sie nicht in Gastkörpern auf einem Schiff an der Front oder in einer heiß umkämpften Stadt weilten – hier im Paradies der Daina und Daima auf. Und im Paradies gab es einen Bereich für sie alleine. Zivilisten war der Zugang untersagt, an jenem Ort, an dem sie arbeiteten und lebten, um endlich das zu erreichen, was ihrer aller Lebensziel geworden war. Natürlich gab es hier nicht nur Funkstationen, Schalt- und Kommunikationszentralen, Konferenzräume und unzählige Büros für die Verwaltung. Es gab auch Ruhezonen, dem Paradies nicht unähnlich, in denen sich die Offiziere und Mannschaften – ja, richtige Mannschaften und keine hirnlosen, K.I.-gesteuerten Cyborgs – außerhalb ihrer Schichten trafen um zu entspannen. Denn wenngleich ihre Körper keine Ruhe brauchten, so hatte es sich doch mehr als bewährt, dem Geist ab und an etwas Abwechslung und Wege jenseits der Routine anzubieten. Das Ligura war ein solcher Ort. Auf einer von Naguad bewohnten Welt hätte man es wohl Offizierskasino genannt. Wenngleich Admiralskasino zutreffender gewesen wäre, denn hier traf sich in der kargen Freizeit alles, was unter den Offizieren des Cores Rang und Namen hatte. Und das Casino war sehr gut besucht. Der letzte Streich, ein Aufstand im Gebiet der Naguad, war überraschend erfolgreich verlaufen, und die angespannte Stimmung der letzten Tage war gewichen. Nun fuhren die Menschen, Daina wie Daima, die als Soldaten dienten, die wohlverdiente Ernte ein und gönnten sich etwas Entspannung, um bei einem Drink und heiterer Musik darüber zu diskutieren, wie sie das größtmögliche Kapital aus der unerwartet guten Entwicklung ziehen konnten. Das allgemeine Raunen der vielen Gespräche machte es fast unmöglich, das eigene Wort zu verstehen, aber Kiliat Mortes verstand es dennoch, seinem Freund und Vorgesetzten für den letzten gelungenen Streich ausgiebig zu loben, wenngleich selbst seine kräftige Bariton-Stimme kaum gegen den Lärm ankam. Umso erschreckender war die binnen weniger Sekunden eintretende absolute Stille. Maltran Choaster sah sich überrascht um. Schließlich erkannte er den Grund der allgemeinen Stille. Die Herrin des Paradieses war zu ihnen gekommen. Es war erwartet worden, aber eigentlich hatte man eine solche Ehre nicht zu hoffen gewagt. Maltran runzelte irritiert die Stirn, als er bemerkte, dass ihr Gewand schwarz geworden war. Dies war immer ein sicheres Zeichen, dass der Herr des Paradieses der Daina und Daima eine schwere Entscheidung getroffen hatte, und diese Entscheidung war fast immer militärischer Natur. Oder um es anders zu formulieren: Von einer reinen, den zivilen Bereich verwaltenden Administratorin war sie nun auch das militärische Oberhaupt geworden. Glücklicherweise waren die meisten Herren des Paradieses aber schlau genug, nicht auch tatsächlich die Führung der Streitkräfte der Core-Zivilisation anzustreben. Die Meisten wählten einen Champion, einen erfahrenen Soldaten, für diese Aufgabe. Maltran kniff die Augenbrauen zusammen, als er den hochgeschossenen jungen Mann sah, der neben ihr den großen Saal betrat. Die Uniform, die er trug, leuchtend blau und gold abgesetzt, wies ihn als Naguad aus. Und das empfand Maltran durchaus als Affront. An diesem Ort! In dieser Zeit. Aber was ihn noch mehr irritierte, das war der goldene Stern, der am Kragen seines blauen Umhangs prangte. Ein goldener Stern mit fünf Zacken, von denen jede einzelne versilbert war. Erschrockenes Raunen ging durch den Raum. Seit eineinhalbtausend Jahren war ein fünfzackiger Stern nicht mehr vergeben worden. Nun aber stand jemand vor ihm, ihm, einem Vierzackenträger, der eine Naguad-Uniform trug, an diesem beinahe heiligen Ort. Und der junge Mann mit den braunen Haaren und den grünen Augen, die interessiert jedes Detail an diesem Ort in sich aufnahmen, der eigentlich ihr Feind sein musste und es sicherlich auch war, trug eine Insignie der Herrin des Paradieses, die ihn derzeit zum Anführer aller Streitkräfte des Cores machte. War er etwa der Champion der Lady? Wenn dies ein Scherz war, dann kein besonders guter, fand Maltran. „Meine Damen und Herren“, sagte die Herrin mit fester Stimme, und man glaubte ein wenig Belustigung daraus zu erkennen, „gestatten Sie mir, Ihnen diesen Mann zu übergeben. Sein Name ist Akira Otomo.“ Sie sah den jungen Mann an, und ihre Augen schienen dabei zu glitzern und zu strahlen. „Akira, hiermit übergebe ich dir deine Streitkräfte. Führe sie gut.“ Für einen Moment glaubte Maltran, als hätte ihm jemand den Boden unter den Füßen weg gezogen. Nicht nur, weil dieser Mann wirklich ihr neuer Anführer war. Nein, er kannte diesen Namen! Und er kannte die Namen und Geschichten, die dahinter standen. Die Logodoboro waren mit Informationen über ihn äußerst freigiebig gewesen. Und daher wusste Maltran, dass dieser Mann, Akira Otomo, auch Aris Arogad genannt, einer der Gefährlichsten in diesem Sektor der Milchstraße war. Und – der Gedanke bereitete ihm das größte Entsetzen und auch das größte Vergnügen – er war ab sofort auf ihrer Seite. Akira sah sich im Raum um, blickte einzelnen Personen in die Augen, schmunzelte hier oder warf einen wütenden Blick als Antwort auf einen anderen wütenden Blick, blieb kurz mit Wohlwollen bei Kiliat hängen und strich über ihn hinweg. Dann sah Akira Otomo die Herrin an und sagte: „Ich danke dir, Aris.“ Ein aufgeregtes Raunen ging durch den Saal. Akira Otomo hatte der Herrin einen Namen gegeben! Weder über seine Kompetenz noch über seine Loyalität konnte es fortan Zweifel geben! Dann sah er wieder im Kreis herum und ließ den Blick als letztes auf dem vierzackigen Stern an Maltrans Kragen ruhen, bevor der Blick des Terraners endlich die Augen des Core-Kriegers erreichte. Ihm war als spreche Otomo nur zu ihm alleine, und das hatte für wenige Augenblicke etwas Berauschendes: „Auf gute Zusammenarbeit.“ „Auf gute Zusammenarbeit!“, antworteten die Anwesenden laut, und Maltran wusste, er war einer der Lautesten gewesen. *** „Das war knapp“, sagte Maltran Choaster ernst. Sein Blick tadelte den Mann in der blauen Uniform, der nur verlegen grinste. „Akira, ich meine das ernst!“ „Ruhig, Maltran. Alles was ich getan habe ist ein Kommandoschiff zu verlieren. Und ich kann nicht mal etwas dafür.“ „Das ist es nicht! Es war nur ein dämliches Kommandoschiff! Wir bauen fünfzig davon im Jahr, und jedes einzelne ist in der Lage, einem Offizier zu ermöglichen, einhundert Schiffe zu koordinieren. Außerdem kann jeder weitere Offizier an Bord weitere fünfzig Schiffe koordinieren. Die Schiffe und die Drohnen an Bord sind egal. Auch wenn die beweglichen Besatzungsmitglieder und die Bodentruppen entfernt iotanisch aussehen, es sind nur bessere Roboter. Wenn wir ihre Einzelteile im Brutbecken züchten, achten wir schon darauf, dass sie weder AO noch Bewusstsein entwickeln.“ „Wie nett“, brummte Akira. Es klang vorwurfsvoll. „Du weißt, dass wir keine andere Wahl haben“, erwiderte Maltran. „Erstens würde es zu lange dauern, einen Offizier erst aus seinem Biotank zu holen, zweitens weiß der Henker, auf welcher weit entfernten Siedlungswelt er in einem Tank liegt und drittens geht der AO-Transfer des Bewusstseins schneller und sicherer. Die bereit gestellten Drohnen, die das AO eines Offiziers aufnehmen können, sind besonders hergerichtet, um ihm besonders gut zu dienen, aber auch hier gilt, wir bauen tausend im Jahr!“ „Reg dich endlich ab, Maltran. Es war ein Triebwerksausfall. Wenn, dann schimpfe auf die Koordinatoren der Wartung.“ „Ich rege mich nicht wegen der Havarie deines Kommandoschiffs auf. Ich rege mich auf, weil du bis zum letzten Moment geblieben bist, obwohl es schon anfing in der Atmosphäre zu verglühen! Du hättest früher transferieren müssen!“ „Erstens war das eine gute Gelegenheit, die Technik der Raider zu studieren und ihre Grenzen einzuschätzen“, sagte Akira und weckte in Maltran erneut das kurzlebige Schreckgespenst, der Arogad könnte seine Loyalität nur spielen um so viel Wissen wie möglich über seinen alten Gegner zu sammeln, „und zweitens bin ich wirklich schlecht darin, eigenes Material so freigiebig aufzugeben. Ihr baut vielleicht hundert Kommandoschiffe im Jahr und tausend Drohnen dazu, die Offiziere aufnehmen können. Aber genau in dem Moment, in dem ich sie opfere, stehen sie mir nicht mehr zur Verfügung. Damit habe ich ein Problem. Und schließlich und endlich musste ich sicher gehen, dass das Schiff nicht in eine bewohnte Region rast.“ „Du hast den Absturzpunkt berechnet?“ „Bis zu letzten möglichen Sekunde. Hätte eine Gefährdung von Zivilisten bestanden, hätte ich die Selbstzerstörung ausgelöst. Das wäre zwar ein weit größerer Wumms gewesen und hätte die Atmosphäre stark durcheinander gebracht. Aber immer noch besser als zwanzig Millionen Tote.“ „Du warst trotzdem waghalsig. Du hättest das einen deiner Offiziere machen lassen können“, tadelte Maltran nur noch halbherzig. „Vergiss es endlich“, brummte Akira und schritt ernst voran. „Wir haben zu viel zu tun, um uns über zerschlagene Eier zu streiten.“ Maltran holte auf und ging neben dem großen Mann her. „Das wollte ich dich ohnehin fragen. Warum hast du die Operationen in den Logodoboro-Marken nicht gestoppt? Du hast die Befehlsgewalt dazu.“ „Warum? Weil ich ein Arogad bin und die Logodoboro die Naguad an den Core verraten haben? Was geht hinter deinem Kopf vor? Denkst du, ich verkaufe mich hier auch gerade? Oder glaubst du, ich habe eine Teufelei vor?“ „Du bist eher der Typ für eine offene Feldschlacht. Also, was planst du?“ „Ich bin nun mal jetzt der Anführer der Streitkräfte des Cores. Und damit sind die Logodoboro unsere Verbündeten. Aber um dich zu beruhigen, ich habe alle Streitkräfte auf erkunden und verteidigen gesetzt und allen Offizieren im Einsatz eingeschärft, nicht von sich aus die Konfrontation zu suchen. Gerade jetzt dürfen wir uns nicht noch mehr verzetteln.“ Akira atmete schwer aus. „Wir haben zu wenige Offiziere, zu wenig Kommandoschiffe, zu wenig Schlagkraft. Bevor ich kam hat sich der Core verausgabt.“ Maltran spürte ein Gefühl der Verlegenheit in sich aufwellen. Sicherlich, die Doktrin des Cores war immer Überlegenheit des Materials gewesen. Wenn man nur genügend Schiffe und Drohnen in die Schlacht warf, gewann man irgendwann. Selbst wenn diese kleiner als ihre Gegner waren – es mussten nur genügend sein! „Zu wenig Offiziere wofür?“, hakte Maltran nach. „Zu wenig, um sich dem Liberty-Virus zu stellen.“ Erschrocken blieb der Offizier des Cores stehen. Er diente bereits seit dreitausend Jahren, konnte sich sogar noch an seine körperliche Zeit erinnern, und soweit er wusste, hatte sich in all der Zeit kein Kommandeur des Cores an den Liberty-Virus gewagt. „Das ist eine scharfe Rakete in der Panzerung, die nicht hoch gegangen ist, Akira. Besser, man rührt sie nicht an!“ „Wenn man gar nichts tut, kann sie aber hoch gehen, und das im unpassendsten Augenblick“, versetzte der Arogad spöttisch. „Und das weißt du.“ „Du weißt was wir tun müssen, um den Liberty-Virus aufzuspüren! Ist es das Risiko wert?“ Akira nickte schwer. „Ja, das ist es. Wir gehen ins Kaiserreich und bitten darum, die verlorene Core-Welt Raegi aufsuchen zu dürfen.“ „Wir bitten darum? Warum erobern wir sie nicht einfach?“ „Und lassen sie wieder zu einem Schauplatz werden von Angriff, Gegenangriff, heroischer Verteidigung bis zum letzten Mann und dergleichen?“ Akira schüttelte den Kopf. „Warum sich etwas mit Gewalt nehmen, wenn man es geschenkt kriegt?“ Maltran Choaster blieb erstaunt stehen. „Das ist purer Wahnsinn!“ Akira wandte sich halb um und grinste den Core-Offizier an. „Willkommen in meinem Leben, Maltran.“ 2. „Es kann nicht so weitergehen!“ Der energische, breitschultrige Mann schlug mit beiden Handflächen auf den Tisch. „Es darf nicht so weitergehen! Wir können, wir dürfen nicht zulassen, dass uns die Japaner verraten und verkaufen! Wir sind keine Arogad und wir wollen auch keine sein! Und egal, welche Verdienste sich Megumi Uno und Akira Otomo im Krieg erworben haben, es reicht gewiss nicht dazu, die beiden zum Herrscherpaar der Welt zu machen!“ „Ich weiß, du bist gerade logischen Argumenten nicht zugänglich, Thorsten“, sagte ein anderer Mann am Tisch, ein schlanker Inder mit dunklen, intelligenten Augen, „aber die UEMF betont jeden einzelnen Tag, dass das Besitzrecht an der Erde für Akira Otomo nur auf dem Papier existiert. Und dieser Konteradmiral der Naguad bestätigt das und sagt wieder und wieder, dass ihn nur die Naguad-rechtliche Seite kümmert, und nach der ist die Erde ein Arogad-Protektorat.“ „Es war mir wieder klar, dass du mir in den Rücken fällst, Edward. Sicher, Torum Acati hat kein Problem damit, dass wir auf der Erde sagen, dass die Kapitulation vor Aris Arogad nur zum Schein erfolgte. Aber er hat sicher auch kein Problem damit, einen Aufstand auf der Erde niederzuschlagen!“ „Was aber eine interne Angelegenheit wäre. Und Megumi Uno wird zur Niederschlagung eines Aufstandes sicherlich nicht die Naguad rufen. Im Gegenteil. Sie mischt sich im Moment nicht einmal in die Bürgerkriege oder anderen bewaffneten Konflikte der Staaten ein und lässt die diplomatische Arbeit von der UN verrichten, der die UEMF dienstlich unterstellt ist.“ „Auch das existiert nur auf dem Papier, Laury. Stattdessen dominiert die UEMF die UN, und die UEMF wird wiederum von den Japanern dominiert.“ „Wieso eigentlich von den Japanern dominiert? Nur weil der Executive Commander Japaner ist und…“ „Megumi Uno! Kei Takahara! Makoto Ino! Sakura Ino! Eikichi Otomo! Das sind fünf Japaner, die fünf der höchsten Ränge der UEMF innehaben! Willst du mir immer noch erzählen, die UEMF seien nicht von den Japanern dominiert?“ „Das sind nicht einmal zehn Prozent der Ränge. Sicher, die Zahl der Japaner ist hoch, aber immerhin war dieses Land während des Kronosier-Krieges schwer betroffen und hat besonders viele Soldaten für die Abwehr der Kronosier gestellt. Vergiss bitte nicht, dass ihre vier Top-Piloten um die ganze Welt gereist sind, um die Kronosier abzuwehren. Übrigens waren sie stets unter UEMF-Oberkommando, und nicht ein einziges Mal im Dienste des japanischen Verteidigungsheeres. Außerdem stehen immer noch einige sehr wichtige UEMF-Stützpunkte in diesem asiatischen Land.“ „Was nichts weiter als ein Beweis dafür ist, wie tief die Japaner in die Machtstrukturen der Organisation verstrickt sind. Oder glaubt ihr, Eikichi Otomo hält sich da oben alleine durch Fleiß und gute Arbeit? Einmal davon abgesehen, dass ihm Firmen gehören, die auf dem Mond Helium3 abbauen? Und dabei ist das nicht einmal die größte Gefahr.“ Der große Mann warf eine Zeitung auf den Tisch. Die fünf Männer und drei Frauen sahen sich interessiert die Schlagzeile an. Das Titelbild zeigte unverkennbar die Massendemonstration von Soldaten und Mechas vor der Ratsversammlung der UEMF. „Ich weiß nicht was ich mehr fürchten soll. Die Möglichkeit der UEMF, fünfzigtausend oder mehr Soldaten binnen kürzester Frist zu dieser Kundgebung zusammen zu rufen, oder die Möglichkeit, dass diese Menschen wirklich freiwillig gekommen sind!“ Er streckte den Rücken, bis es dort leise knackte. „Das ist überhaupt die größte Gefahr. Die da oben betonen immer wieder, dass die Kapitulation nur eine Farce ist. Aber was, wenn die Menschen sie dennoch akzeptieren? Was wenn sie eine Monarchie wollen? Bereits jetzt gibt es erste Vereine, gibt es Geheimbünde in den verschiedenen Militäreinheiten für diese Monarchie! Mit einem König Akira Otomo an der Spitze und einer Königin Megumi Uno an seiner Seite!“ „Und? Was wäre schlecht daran?“ „Was wäre gut daran? Dieser Bursche ist Soldat, hat noch nicht einmal seinen Oberstufenabschluss geschafft und ist es gewohnt zu töten. Das letzte Mal als die Rangliste der ewigen Besten auf den neuesten Stand gebracht wurde, stand die Zahl der geschätzten Toten von Akira Otomos Hand bei dreitausendvierhundertacht!“ „Hä? Ich dachte auf der Seite stehen nur die abgeschossenen Mechas und Kampfschiffe.“ „Es gibt noch eine inoffizielle Seite, Edward. Wir sollten uns also eine Frage stellen: Nehmen wir diese Entwicklung hin zur absoluten Monarchie hin? Lassen wir uns freiwillig zu Menschen zweiter Klasse machen? Geben wir selbst die geringsten Grundrechte auf, die es seit der Magna Carta gibt? Oder setzen wir wenigstens, zumindest ein Zeichen und sagen: Keinen Schritt weiter in diese Richtung!?“ Die Männer und Frauen sahen sich an. „Wie soll dieses Zeichen aussehen?“ Ein Foto flog auf den Tisch. „Sakura Ino. Admiral von Eikichi Otomos Gnaden und Kommandeurin des AURORA-Kampfverbandes. Wir entführen sie und zeigen damit klar, dass es auch Menschen gibt, die nicht so blauäugig sind, um auf den Elite-Killer reinzufallen! Sollen sie ruhig den Schein gegenüber den Naguad wahren – ein Königreich werden wir nicht!“ „Sakura Ino? Thorsten, das ist nicht dein Ernst! Sie ist eine Heldin beider Marsfeldzüge!“ „Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, Laury. Außerdem ist sie die einzige, die wir zu fassen bekommen. Wenn sie in Japan ist, wohnt sie im alten Haus von Akira Otomo. Dort ist sie für uns ein leichtes Opfer.“ Thorsten sah jedem einzelnen in die Augen. „Bis hierher und nicht weiter! Lasst es uns ihnen sagen!“ „Damit kann ich leben“, sagte Edward und nickte. Die anderen nickten ebenfalls. *** „Hallo, Michael“, sagte der große, weißhaarige Mann und lächelte freundlich, als er sich neben dem Deutschen auf die Parkbank setzte. Es war ein herrliches Wetter, um in der hannoverschen Eilenriede spazieren zu gehen, und es war ein reines Vergnügen, dabei ein Eis zu essen. „Mir hast du keins besorgt?“, tadelte Juichiro Tora. Michael Berger deutete auf den Eiswagen. „Hol dir selbst eins. Ich habe absolut keine Ahnung, was du magst. Ihr Japaner esst ja sonst nur dieses Crash-Eis mit Sirup.“ „Gibst du mir eines aus? Ich habe keine Euro dabei.“ Missmutig hielt Michael dabei inne, sein Vanille-Eis zu schlecken und drückte dem Japaner einen Fünf Euro-Schein in die Hand. „Dieses eine Mal, Magier.“ „Danke dir“, erwiderte der mit einem verschmitzten Lächeln. Als er wiederkam, grinste er noch breiter. „Erstaunlich. Du hast keine Wachen mitgebracht. Keine Bodyguards und erst Recht keine Mechas. Hast du solches Vertrauen in deine Fähigkeiten, Naguad?“ Er streckte die Hand aus. „Wechselgeld.“ „Behalt es. Ich habe heute meinen großzügigen Tag.“ „Wie nett.“ Tora ließ sich wieder auf die Bank sinken. „Also, was willst du von mir? Falls du dich erinnern möchtest, wir sind immer noch Feinde.“ „Warum bist du dann gekommen, wenn du mein Feind bist?“ Der Japaner streckte die Beine aus. „Weiß nicht. Du hast mich gerufen. Warum hast du mich gerufen?“ „Du hast neulich deinen Sohn und meine Enkelin getroffen.“ Tora sah den anderen aufmerksam an. „Du meinst Akari, den Oni.“ „Meine Enkelin“, sagte Michael ernst und fest. „Und du hast sie gut behandelt wie ich gehört habe. Was ist los mit dir? Warum hast du sie nicht dafür büßen lassen, dass du dich so lange regenerieren musstest?“ Tora sah zu Boden. „Wer bin ich, dass ich meinem einzigen Sohn das Wertvollste wegnehme, was er besitzt? Ist vergeben bei euch Daina nicht so populär wie bei uns Daima?“ „Du sprichst ein interessantes Thema an.“ Michaels scharfer Blick verfolgte den Flug zweier Tauben über der nahen Wiese. Er verlor das Interesse daran, als sie landeten, um sich über verschüttetes Popcorn her zu machen. „Vergebung ist wichtig. Vergebung verhindert, dass wir die Welt ins Chaos reißen. Aber was hat dich dazu bewegt, Vergebung zu gewähren, Daima? Abgesehen davon, dass du so schuldig wie die Sünde warst, als sie dich zerstört hat?“ Tora zog die Beine an und legte seine Ellenbögen auf den Knien ab. „Weißt du, Daina, als ich in diese Welt kam, wollte ich so vieles tun. Ich wollte sie beeinflussen, verändern, mich austoben. Kurz, ich wollte meinen Spaß haben. Und irgendwann merkte ich Veränderungen an mir. Sagen wir ich lernte dazu. In meinen Augen sind die Menschen eine verachtenswürdige Rasse. Die Dai würden vor Scham die Augen bedecken, wenn sie sehen könnten, was aus ihren Nachfahren geworden ist. Sieh sie dir an, diese Menschen, diese Terraner! Sie setzen ungehemmt Nachwuchs in die Welt, überschwemmen die Erde mit ihresgleichen, ohne den Kindern eine Perspektive geben zu können. Ohne ihnen ein Leben geben zu können! Dabei müssten sie doch wissen, dass mit besserer Medizin auch mehr Kinder zu Erwachsenen werden. Und auch das Erwachsene mehr essen als Kinder. Aber so waren sie schon immer. Sie bekamen ein Limit vom Göttlichen auferlegt, sie fraßen sich an das Limit heran, und dann schafften sie es mit einem Trick, mit einer Wende, das Limit zu dehnen, zu erweitern und weiterhin zu wachsen. Und dieses Limit ging immer auf Kosten der anderen. Sieh dir die Expansion des chinesischen Reichs an. Seine Vereinheitlichung, die Härte mit der es geführt wurde, die Verbreitung neuer Anbautechnologien für Reis und anderes Getreide erschufen ein sehr weites Limit. China hätte die Welt überschwemmen können, wenn nicht ein Kaiser auf den Gedanken gekommen wäre, dass Chinesen im Ausland ein Reich aufbauen konnten, dass seinem Reich gefährlich werden konnte. Also beschloss dieser Kaiser, sein ganzes Volk einzusperren. In dem restriktiven und hochorganisierten Land bedeutete dies absolute Macht für die Beamten. Aber die Römer waren nicht besser. Sie bauten ihre Stadt nach dem Vorbild der griechischen Stadtstaaten in Griechenland und Asien auf und lebten vom Umland. Und dann wucherten sie auf dieses Umland hinaus, auf ganz Italien und später halb Europa. Wie taten sie das? Sie lebten vom Reichtum unterdrückter Völker, das eroberte Ägypten wurde ihre Kornkammer und Widersacher wie die phönizischen Khartager wurden gezielt vernichtet. Wusstest du was die Römer mit dem Land eines besiegten Gegners gemacht haben? Sie haben seine Äcker gesalzen! Auf gesalztem Land kann nichts mehr wachsen, und das für eine sehr lange Zeit – zumindest für Menschen, die nahe dem Hungertod sind. Salz war unendlich kostbar und schwierig zu bekommen. Dennoch haben die Römer Salz in Hülle und Fülle verschwendet, nur damit sich der einmal besiegte Gegner nicht wieder erholte. Und wenn du glaubst, in der Neuzeit war es besser, dann bitte ich dich. Kaiser Karl, Richard Löwenherz, Oliver Cromwell, Napoleon Bonaparte, Richard Churchill, Josef Stalin, was unterscheidet sie alle von diesen Eroberern der Antike? Nichts! Auch sie eroberten, regierten ihre Reiche, ließen ihr Volk auf Kosten der anderen Völker leben, errichteten und verwalteten Kolonien. Und das Schlimme ist, der Besiegte von Gestern wurde als Sieger von Heute genauso wie der damalige Triumphator. Gibt es eine Gerechtigkeit? Gibt es einen Sieger, der mehr vermuten lässt, als dass die Terraner nichts weiter sind als Bestien mit einer geringen Tünche Zivilisation? Dass sie für einen geringen Vorteil alles verkaufen würden was ihnen heilig ist? Und sieh dir unsere jetzige Zeit an. Offenbar hat jemand beschlossen, dass große Kriege nicht mehr zeitgemäß sind. Stattdessen führen die Terraner nun Kriege, um ihre eigene Zahl unbotmäßig zu erhöhen, um noch mehr auf Kosten der Natur zu leben. Wundert es dich immer noch, dass ich die Terraner verachte? Mag sein, hier und da gab es einen Heiligen, aber die Terraner schlachten ihre Heiligen. Sieh dir Jesus an, Jeanne D´Arc oder Mahatma Ghandi. Die Beseeltesten, die Friedfertigsten, die reinsten werden von ihnen getötet. Terraner, die ich bessere Dai nennen würde als die Dai selbst. Aber die Terraner ereilen sie umso schneller und gründlicher, je näher sie dem Wesen der Dai sind. Anfangs wollte ich nur meinen Spaß. Später dachte ich, ich könnte diese Welt, diese Menschen wirklich verändern. Dann erkannte ich, dass ich die Erde erobern muss, um sie ändern zu können.“ Tora sah seinen Sitznachbar streng an. „Eine hinterhältige Art wie deine, einfach über Jahrhunderte ein Netzwerk aus Firmen, Wohltätigkeitsorganisationen und Netzwerken zwischen Universitäten aufzubauen und aus dem Schatten über die Terraner zu regieren wäre mir jedenfalls nie eingefallen.“ „Jedem so wie er es kann.“ „Ja, ja. Schmeichle dir nur, Daina. Und spiel weiter dein undurchsichtiges Spiel mit deinem Schwiegersohn an der Seite. Und verrate mir endlich, warum ich kommen sollte.“ „Akira.“ „Akira? Dein Enkel? Das letzte was ich gehört habe ist, dass das Core ihn entführt hat. Oder vielmehr sein KI. Ich kann es auch für dich verständlich ausdrücken. AO oder Seele. Wünsche dir mal lieber, dass er noch nicht verpufft ist wie eine Kerzenflamme in einem arktischen Sturm.“ „Du verstehst mich falsch. Ich bin nicht gekommen, um mit dir über Akira zu reden. Ich bin gekommen, um die Weichen für ihn zu stellen. Du hasst Dai-Kuzo-sama noch immer, oder?“ „Hass ist das falsche Wort. Aber ich lasse mich von ihr nicht gängeln und herumkommandieren. Auch wenn dasselbe Blut in unseren Adern fließt und sie zweitausend Jahre älter ist als ich, bin ich nicht ihr Spielzeug. Und hätte ich die Chance, dann würde ich sie stürzen und eine sinnvollere Regierung in der Dämonenwelt etablieren. Etwas mehr Demokratie, etwas weniger Absolutismus.“ „Du willst Dai-Kitsune-sama eine eigene Stimme in der Vollversammlung zugestehen?“ „Scheiße, an dieses Problem habe ich noch gar nicht gedacht!“ Die beiden Männer sahen sich an und lachten auf. „Okay, Daina. Sag es mir. Wie willst du die Weichen für ihn stellen?“ „Das Legat wurde re-etabliert.“ So wie Michael es sagte war es eine Feststellung, und gewiss keine Frage. Tora wusste das. „Verschaff mir einen Termin vor der Vollversammlung.“ „Willst du sie sprengen, töten, gefangen nehmen?“, spöttelte der Magier. „Ich will ihnen ein Bündnis vorschlagen.“ „Was, bitte?“ 3. „Es ist unglaublich!“, rief der Reporter in die Kamera. Rund um ihn war tiefdunkle, sturmgepeitschte Nacht, die nur von wenigen Blitzen erhellt wurde. Blitzen und den Düsen startender Daishis. „Sie sehen hinter mir, wie sich die Blue Razors, die neue Elite-Einheit vom umgebauten Flugzeugträger TICONDEROGA, in den Nachthimmel über den Atlantik schwingt! In diesem Moment, diesem einen Moment, ist alles hinfällig, was wir bisher wussten oder zu wissen glaubten! Die Vereinigten Staaten von Amerika unter Präsident Wilson haben sich von der UEMF losgesagt und den Verteidigungsfall erklärt! Streitkräfte der U.S.A. überall auf dem Globus wurden in Defcon 2 versetzt, dem zweithöchsten Krisenfall des Militärs. Zugleich wurden UEMF-Basen auf amerikanischen Boden unter Quarantäne gestellt! Wie aus dem Pentagon verlautete, wird den UEMF-Kräften ein Ultimatum gestellt, binnen zweier Tage geschlossen abzuziehen und amerikanischen Boden zu verlassen! Zur Begründung dieses radikalen Schritts ließ das Weiße Haus verlauten, es habe nicht tausende seiner Söhne und Töchter gegen die Bedrohung vom Mars entsandt und sich eines potentiellen Sklavenherren entledigt, um nun den nächsten in Form der Naguads anzunehmen. Weiter hieß es, dass die U.S.A. in Folge neuer Waffenprojekte in der Lage ist, fortan das eigene Land und alle verbündeten Staaten erfolgreich zu verteidigen. Da! Hinter mir sehen wir ihn schon! Die neue Trumpfkarte der Vereinigten Staaten! Der neue Mecha, der insgeheim vom Pentagon entwickelt wurde und nun von General Motors in Serie produziert wird: Der Stars and Stripes! Achtzehn Meter hoch, flug- und raumtauglich und jederzeit in der Lage, einen Hawk auszumanövrieren! Laut Pentagon werden genau in diesem Moment achthundert Modelle in Betrieb genommen und machen damit Amerika zur Nation mit der stärksten eigenen Mecha-Präsenz neben der UEMF! Es sieht ganz so aus, als erwarte Admiral Ruyter, Kommandeur der TICONDEROGA-Flotte, einen harten Schlagabtausch mit der UEMF! Dutzende Mechas starten, um das Festland abzusichern, während der Präsident die freien Länder der Erde aufruft, sich dem Widerstand gegen die Naguad anzuschließen! Moment, ich bekomme da gerade etwas rein. Es wurde ein Haftbefehl ausgegeben und ein Kriegsgerichtsverfahren ausgerufen. Admiral Richards wird nun offiziell als Kriegsverbrecher gesucht. Es ist unglaublich! Der Mann, der im Kronosier-Krieg mit seiner ENTERPRISE-Kampfgruppe wichtige Erfolge erzielt hat, der den Zweiten Marsfeldzug maßgeblich unterstützt hat, der federführend war beim Aufbau der Begleitflotte der AURORA, wird nun von seinem eigenen Heimatland als Landesverräter gesucht. Ich als freier Reporter frage mich da: Ist der Admiral so tief gesunken, seit er in UEMF-Diensten steht oder ist es mein eigenes Land? Da! Wieder startet ein Stars and Stripes und…“ „Sehr geehrte Zuschauer. Wir unterbrechen unser Live-Programm für eine Grußbotschaft unseres Sponsors und…“ *** „Executive Commander Otomo! Was sagen Sie zur neuesten Entwicklung auf dem nordamerikanischen Kontinent?“ „Nun, ich finde es höchst bedauerlich, dass sich die Regierung Wilsons dazu entschlossen hat, die gesamte Welt zu hintergehen und die bestehenden Verträge zu brechen. Ich finde es auch sehr bedenklich, dass die UEMF-Stützpunkte im Land unter Quarantäne gestellt wurden. Ich kann gar nicht aufzählen, wie viele Kapitel internationalen Rechts von den Vereinigten Staaten gebrochen wurden. Es ist mir unbegreiflich, was Präsident Wilson damit erreichen will, den Stars and Stripe hin oder her. Es bleibt nur absolute Fassungslosigkeit auf Seiten derer, die seit dem Kronosierkrieg bemüht sind, diese Welt zu beschützen.“ „Executive Commander, wie sehen Ihre weiteren Schritte aus?“ „Nun, nachdem die U.S.A. die Verträge einseitig gekündigt haben, räumen wir natürlich unsere Basen und Einrichtungen in Nordamerika. Solange sie unter Quarantäne gestellt sind, nützen sie uns nichts. Außerdem möchte ich nicht, dass zwanzigtausend Soldaten der UEMF in die Gefahr geraten, Druckmittel gegen unsere Einrichtung zu werden.“ „Wie wird das aussehen, Executive Commander? Die UEMF hat Einflugverbot auf dem Staatsgebiet der Vereinigten Staaten. Laut den neuesten Informationen hat Präsident Wilson angeordnet, einen Einflug von Einheiten der UEMF notfalls gewaltsam zu stoppen.“ „Wir werden unsere Leute da rausholen. Wie, wird sich sehr bald zeigen. Aber an dieser Stelle möchte ich Ihre Anwesenheit und die Aufmerksamkeit der Weltpresse nutzen, um aufs Schärfste zu protestieren, wie Admiral Richards behandelt wurde. Die Tatsache, dass ihm ein Kriegsgerichtsverfahren droht, ist nicht einfach nur peinlich, es ist ein Schlag ins Gesicht jedes Soldaten, der je unter diesem tapferen, umsichtigen Mann gedient hat. Und die UEMF sieht es als weiteren, persönlichen Affront an. Präsident Wilson, Sie haben sehr viel Porzellan zerschlagen, und das in einer Zeit, in der die Menschheit durch die Core-Bedrohung in allergrößter Gefahr lebt! Entschuldigen Sie mich jetzt, ich muss mich um unsere Leute in Amerika kümmern.“ „Executive Commander!“ „Commander Otomo!“ „Commander!“ „Sir, eine Frage noch…“ *** Müde rieb sich Eikichi Otomo die Augen. Verdammt, er hatte gewusst, dass der neue Präsident der U.S.A. Ärger bedeuten würde. Bereits als Außenminister hatte er sich weit mehr herausgenommen als ihm rechtlich zustand. Leider hatte dieses Wissen nicht dazu geführt, dass Eikichi auf diesen Coup d´État vorbereitet gewesen wäre. Und nun waren zwanzigtausend Soldaten der UEMF auf fünf Stützpunkten in Nordamerika gefangen, isoliert und eigentlich nicht mehr als Geiseln, solange Eikichi ihnen nicht den gewaltsamen Ausbruch befahl. „Einen schönen Geheimdienst haben wir“, tadelte Otomo die drei Männer, die vor seinem Schreibtisch standen. Tatewaki Hatake versteifte sich leicht. „Wir haben die Amerikaner vernachlässigt. Anders kann ich es nicht erklären.“ Eikichi sah den Geheimdienstoffizier aufmerksam an. Er wirkte alt, seine Wangen eingefallen und die Augen hatten riesige Ringe. Der Mann hatte die letzten dreißig Stunden nicht ein Auge zugemacht. „Gab es denn keine Warnzeichen? Der Bau dieses Stars and Stripes? Abzug geeigneter Piloten? Irgendwas?“ „Zuerst einmal müssen wir die Mentalität meiner Landsleute verstehen“, gab Admiral Richards zu bedenken. „Unser Militär ist, nun, absolutistisch organisiert. Befehle werden ausgeführt, und diese Befehle gehen vom Präsidenten ans Pentagon. Von dort sickert es die Befehlskette nach unten. Selbst wenn die meisten Soldaten gegen das Vorgehen ihres Präsidenten sind, sie werden zuerst einmal gehorchen. Und wenn wir uns in dieser Situation einen Fehler erlauben, wenn die ersten Schüsse fallen – und ich bin sicher, das wäre im Sinne von Wilson – dann haben wir verloren. Die Medien werden das Geschehen aufbauschen, es wird versucht werden, die Bevölkerung gegen die UEMF einzunehmen. Im schlimmsten Fall sucht sich die U.S.A. weltweit Verbündete und beginnt einen Krieg gegen uns.“ „Es freut mich, dass Sie in Ihrer prekären Lage wir sagen, wenn Sie von der UEMF sprechen“, sagte Eikichi ernst. „Sir, was soll ich sagen? Ich habe mich mehr als einmal gegen die Entscheidungen meiner Regierung gestellt, wenn es zum Nutzen aller Menschen war.“ Eikichi Otomo nickte. Ja, das hatte der tapfere, alte Mann. Er war einer der ersten gewesen, der der UEMF Hilfe angeboten hatte, als der OLYMP von dem Resonator-Torpedo eingefroren worden war. Und er hatte nicht gezögert auf die AURORA und damit in UEMF-Dienstverhältnisse zu wechseln, als ihm der Posten als Admiral der Begleitflotte angetragen worden war. Nein, dieser Mann war Amerikaner, aber in erster Linie Weltbürger. „Wir werden der Sache Zeit geben müssen, um zu erkennen, wie viele so denken wie Sie, Admiral. Und wie viele der Linie von Wilson folgen werden.“ „Ich befürchte ein Schisma.“ Richards grunzte ärgerlich. „Wieder mal.“ Er spielte natürlich auf den amerikanischen Bürgerkrieg an, das war Eikichi klar. Damals hatten der reiche Süden und der Hochindustrialisierte Norden um die Vorherrschaft im Land gekämpft. Ein Bürgerkrieg war sicherlich das Schlimmste, was diesem Land passieren konnte. „Wir könnten dieses Schisma provozieren“, gab der dritte Mann zu bedenken. „Abgelehnt, Admiral Acati. Ein Bürgerkrieg im militärisch stärksten Land auf der Erde ist das letzte was uns nützt.“ „Aber wir dürfen uns auch nicht von ihnen gängeln lassen“, gab der Naguad zu bedenken. „Wenn Sie mir erlauben würden, Marine-Einheiten einzusetzen, dann…“ „Und die Vorurteile, die Wilson verbreitet auch noch bestätigen? Nein, das würde unserer Sache, das würde der Verteidigung der Erde überhaupt nicht dienen. Vergessen Sie nicht, Acati, der Core ist bereits in diesem System.“ Eikichi grinste schief. „Andererseits können wir uns wirklich nicht gängeln lassen. Admiral Richards, führen Sie Plan Fahrstuhl aus.“ „Jawohl, Sir. Bekommen unsere Einheiten Feuererlaubnis?“ „Sie dürfen sich angemessen verteidigen.“ Richards nickte. „Verstanden, Executive Commander.“ *** Zwei Stunden später bremste die BISMARCK, die bisher einen stabilen Orbit in einhundert Kilometer Höhe um die Erde eingehalten hatte, scharf ab. Zeitgleich taten dies auch die SUNDER, die PRINZ EUGEN, die SCHARNHORST und fünfzehn weitere Schiffe der Zerstörer- und Fregattenklasse. Die Reduzierung der Fluggeschwindigkeit bedeutete die Störung des stabilen Orbits. Da die BISMARCK Geschwindigkeit reduziert hatte, bedeutete dies, dass eine Kraft, die Fliehkraft, die sie bisher im Orbit gehalten hatte, nicht mehr auf sie wirkte. Dafür wirkte die andere Kraft, die Schwerkraft, umso stärker auf das Schiff ein. Die Antigravitationseinrichtungen der BISMARCK verhinderten, dass das Schiff zu schnell in die Atmosphäre einsank und als gigantischer Feuerball beim Aufschlag auf die Erdatmosphäre verglühte. Auf diese Weise wurde die Reibung minimiert, und die Luftschicht der Erde wirkte nicht länger wie eine massive Stahlwand auf den riesigen Kreuzer. Eine halbe Stunde nach Manöverbeginn war das Schiff um zwanzig Kilometer abgesackt und hielt nun einen stabilen Orbit ein, das bedeutete, dass die BISMARCK permanent über dem gleichen Punkt der Erdoberfläche blieb. Nun sank das Schiff mit zwölf Kilometern die Stunde weiter ab. Drei Fregatten begleiteten den Abstieg des Kreuzers in nächster Nähe. Neun Stunden später befand sich die BISMARCK bereits in der Troposphäre der Erde und sank immer noch tiefer. Unter dem Schiff breitete sich die beeindruckende Salzwüste Kaliforniens aus. Hier unterhielt die UEMF direkt neben dem legendären Camp David eine eigene Einrichtung, und die vier Schiffe, die aus dem Orbit herabkamen, setzten allergrößte Anstrengungen und Unmengen von Energien darauf an, im Luftraum des UEMF-Stützpunktes zu bleiben. Nun wurde es Zeit, für den Fall der Fälle die eigenen Mechas auszuschleusen. Die Eagles, Hawks und Sparrows der BISMARCK nahmen Verteidigungspositionen ein, verließen aber den Bereich des Stützpunktes nicht. Im Gegenzug wagten es die amerikanischen Mechas, die sie nun begleiteten, nicht diese imaginäre Grenze zu überschreiten. Captain Roger Smith grinste still. Die Stützpunkte der UEMF galten als autarkes Staatsgebiet, deshalb hatte Wilson sie auch noch nicht angreifen lassen, bevor er nicht wusste, wie die anderen Staaten wir Russland und die EU reagieren würden. Natürlich galt das auch für den Luftraum. Ein Kriegsschiff, das direkt aus der Mesosphäre auf das Gelände herabstieg, war permanent in UEMF-Luftraum und konnte damit unmöglich das Überflugverbot verletzen, welches für die U.S.A. galt. Eigentlich eine geniale Idee, aber sehr schwierig auszuführen. Die besten Piloten der UEMF waren hiermit beauftragt worden, und dennoch hatten viele dieses Manöver bestenfalls im Simulator ausgeführt. Aber um einem Machtbesessenen Kerl wie Wilson eins auszuwischen war Smith jedes Opfer Recht. Er verspürte gegenüber diesem Präsidenten nicht einen Hauch Loyalität. Für das amerikanische Volk hingegen schon, und diesen Menschen nützte er am meisten, solange er eine hohe Position in der UEMF bekleidete und die Erde verteidigen half. Die BISMARCK setzte sanft auf der provisorischen Landefläche auf. Sofort schleuste der Kreuzer Truppen und Techniker aus. Die drei Fregatten verfuhren ebenso. Smith hatte sehr klare Anweisungen. Kein Mann durfte zurückbleiben. Material, dass er nicht abtransportieren konnte, musste zerstört werden. Die Gebäude waren zu verschonen, für den unwahrscheinlichen Fall, dass die UEMF jemals hierher zurückkehren würde. Und all das musste geschehen, ohne Porzellan zu zerschlagen, ohne den hochmütigen Stars and Stripes-Piloten eine Lektion zu erteilen. Eine Bewegung am Rande seines Sichtfeldes nahm den Kapitän kurz ein. Auf einem der Bildschirme war der Phoenix vorbei geflogen, der neueste Mecha, der UEMF. An Bord war Colonel Ataka, einer der absoluten Top-Piloten. Wenn seine Landsleute wirklich den Versuch wagten, sich mit der UEMF anzulegen, würden sie zwei Dinge schnell fürchten lernen: Den Phoenix mit seiner überragenden Bewaffnung und seinem hervorragenden Kampfpiloten und die Fähigkeit des Phoenix, Kommandofunktion zu übernehmen. „Wir beginnen die Evakuierung des UEMF-Stützpunkts Kalifornien“, sagte er bestimmt und löste damit geordnete Hektik in seiner Zentrale aus. *** An einem anderen Ort auf der Erde war gerade Nacht. Genauer gesagt Mitternacht. Im Schutze dieser Tageszeit, die in einem gesitteten japanischen Vorort natürlich eine gewisse Ruhe und Stille bedeutete, lauerten acht junge Menschen auf ihre Chance, auf die Chance. Ihr Plan war einfach und narrensicher. Sie hatten vor, Admiralin Sakura Ino aus ihrem Haus zu entführen und damit ausdrücklich klar zu machen, dass die Welt nicht damit einverstanden war, dass Akira Otomo sich selbst zum König krönte. Auf eine Seite mit den imperialistischen Amerikanern wollten sie sich nicht stellen und Sakura Ino sollte auch kein Haar gekrümmt werden, wenn es sich vermeiden ließ. Sie brauchten nur den Schock, den Augenblick, das Bewusstsein, dass es Menschen gab, die sich gegen die Bevormundung durch die Naguad wehrten. Edward saß vorne im Lastwagen und beobachtete den Haupteingang, während die anderen im Laderaum saßen und sich auf den Einsatz vorbereiteten. Sie hatten keine tödlichen Waffen dabei, aber genügend technische Ausrüstung, um auf das Gelände zu gelangen. Dazu kamen Elektroschocker und ein großzügig dosiertes Betäubungsmittel, um die Admirälin so lange auszuschalten, bis sie es in ihr Versteck geschafft haben. Alles was sie nun noch brauchten war eine Admirälin, die nach Hause kam. Doch es war still, so unendlich still. „Immer noch nichts?“, fragte Torsten ungeduldig. „Immer noch nichts.“ Edwards Stimme klang gelangweilt, sehr gelangweilt. Nun, er war ja auch schon seit fünf Stunden auf diesem Posten. Ob ihn jemand ablösen sollte? „Moment, jetzt tut sich etwas!“ Unruhig sprangen die anderen auf, drängten sich an der kleinen Sichtluke. „Was kannst du erkennen? Kommt sie nach Hause?“ „Oh Scheiße. Das sind Kommando-Soldaten! Richtige Kommando-Soldaten! Sie versuchen über die Mauer zu klettern und durch die Vordertür einzudringen! Und sie haben Maschinenpistolen dabei!“ „Wer ist das? Ein Team der Amerikaner?“ „Müssen wir nicht die Polizei rufen? Die haben bestimmt nicht vor, Ino nur zu entführen“, warf Laury ein. „Ja, klar, und dann fragen die Bullen uns gleich, was wir um diese Uhrzeit mit einem Lastwagen gemacht haben.“ „Aber können wir das zulassen?“ „Ich weiß nicht genau wie Ihr dazu steht“, knurrte Edward, „aber wenn wir denen auffallen, werden sie uns töten, so ganz nebenbei, weil wir unliebsame Zeugen sind! Ich starte den Motor und hau hier ab!“ „Wir können doch nicht verschwinden! Was ist mit unserem friedlichen Protest?“ „Der hat sich gerade erledigt, Mädchen. Aber wenn du willst, kannst du gerne da rausgehen und dich töten lassen! Da! Sie dringen ein! Die wollen Blut, ohne Zweifel. Es ist als könnte ich das bis hier fühlen! Ich starte jetzt. Moment, was… DIE KOMMEN ZU UNS! NEIN! NICHT SCHIEßEN! ICH…“ „Edward! Edward, was ist los? Edward!“ Schüsse klangen auf, Schreie hallten durch die Nacht. Torsten starrte angestrengt durch die Sichtluke, aber außer Lichtschein konnte er nichts erkennen. Dann wurde das Heck des Lasters aufgerissen und die sieben Studenten sahen in die Mündungen von Automatikwaffen. „Das war es dann wohl“, murmelte Torsten. Im Angesicht des Todes war er unendlich ruhig geworden. Die Bewaffneten drangen ein und bevor es sich die Studenten versahen, begannen sie damit, die jungen Leute zu überwältigen und auf Waffen zu durchsuchen. Auch Torsten wurde gegen eine Wand gedrückt und auf Waffen kontrolliert, während sich ein Kabelbinder schmerzhaft in seine Handgelenke schnitt. „Kindergarten ist sicher“, klang eine Frauenstimme auf. Es klang spöttisch, geradezu amüsiert. Die Sprecherin nahm ihre Kapuze ab. Zum Vorschein kam das Gesicht einer hübschen Südländerin mit Kurzhaarschnitt, die jeden einzelnen der sieben Studenten amüsiert betrachtete. „Soviel zu eurem Entführungsplan. Euer Pech, das ihr mitten in eine Militäroperation der Kronosier geraten seid. Ihr könnt eurem Kumpel danken, dass er uns rechtzeitig über diesen Wahnsinn informiert hat. Hätten wir nicht gewusst, wer ihr seid, wären vielleicht ein paar getötet worden, so wie die da draußen.“ Die Italienerin deutete in Richtung des Anwesens, wo noch immer Schüsse aufbellten. „Sie haben diesen Angriff erwartet“, stellte Torsten fest. „Ja. Und ihr Idioten seid mitten rein gerasselt. Ihr könnt von Glück sagen, dass wir schneller waren als der Trupp, der euch als lästige Mitwisser töten sollte.“ In der Tür erschien Edward. Er war reichlich bleich, aber zumindest lebte er noch. Zudem war er ungefesselt. „Das war verdammt knapp, Gina. Eine Sekunde später, und mir hätte nicht mal meine Weste geholfen.“ „Tadel mich nicht, immerhin lebst du noch. Außerdem mussten wir so lange zögern, um auch den Kommandoposten zu identifizieren. Kitsune kümmert sich gerade darum.“ „Du warst das? Du hast uns verraten?“, rief Torsten aufgebracht. „Nein, du hirnverbrannter Idiot. Ich habe euch nicht verraten, sondern eure Leben gerettet.“ Edward deutete zum Haus herüber. „Dort hinten werden die Attentäter gerade von der Elite der UEMF zerlegt. Und die meisten von ihnen wohnen in diesem Haus! Ein kleiner Haufen wie ihr wäre von ihnen binnen weniger Sekunden vernichtet worden, egal wie friedlich euer Protest ist und egal dass ihr keine tödlichen Waffen einsetzen wollt! Du hast dich zu weit vorgewagt, Torsten! Du hast alle zu weit vor gerissen! Ihr hättet alle sterben können, geht das in deinen verdammten Dickschädel hinein?“ „Es hätte aber auch klappen können, wenn du nicht gewesen wärst“, knirschte der Student. „Hätte es nicht. Dieser Bereich wird von einhundert Einsatzagenten überwacht. Permanent stehen vier Mechas auf Abruf bereit, sowie fünf Hundertschaften Infanterie, um dieses Haus zu verteidigen. Falls die Agenten vor Ort nicht ausreichen. Außerdem wären da noch acht Kampfhubschrauber, die Sensoren und natürlich einige der besten Soldaten der UEMF, die ohnehin in dem Haus wohnen. Noch Fragen?“ „Um es einfach auszudrücken: Ihr hättet es vielleicht geschafft, die Türklingel zu drücken. Vielleicht.“ Torsten brummelte unzufrieden. „Was passiert jetzt mit uns?“, fragte Laury ängstlich. Die anderen Studenten sahen auf. „Nun“, begann die Frau namens Gina, „da Ihr keine tödlichen Waffen dabei habt, gehen wir davon aus, dass ihr nicht zum kronosischen Kommando gehört. Wir werden das untersuchen, aber wenn es wirklich keine Verbindungen gibt, werden wir euch wieder auf freien Fuß setzen. Bis jetzt habt ihr nichts falsch gemacht.“ Gina sah den Mann neben sich an. „Du bist zu sanft mit ihnen, Edward.“ „Jeder darf mal einen Fehler machen. Hauptsache er lernt daraus.“ *** Es ist nicht leicht, etwas zu tun, was gegen die eigene Überzeugung ist. Das habe ich und das hatte ich immer geglaubt. Zugleich war ich mir aber auch immer sicher, dass dies nur eine Fußnote in meinem Leben war – in dem Punkt hatte ich mich geirrt, als ich erwachte und feststellen musste, dass mich Aris, nicht mein Onkel, sondern dieses kleine gerissene Biest welches den Core verwaltet, durch ein halbes Dutzend Träume gejagt hatte. Nicht um mich zu manipulieren. Sondern um zu wissen wie ich ticke, funktioniere, arbeite. Was immer sie dabei herausgefunden hat, es scheint ihr gefallen zu haben. Ich meine, Hey, sie hatte mir gesagt, ich wäre nicht so perfekt wie sie es sich gewünscht hatte, aber gut genug, um das gesamte Core-Militär zu übernehmen. Seither habe ich mich oft gefragt, ob es wirklich genetische Veranlagung gibt. Ich, ein Mischling, ein Hybride, ein kosmischer Mulatte, der Naguad-Gene, Iovar-Gene, Menschen-Gene und was weiß ich noch in sich vereint, war ich ein ungeschliffenes, unendlich kostbares Juwel? Sagte mir meine DNS, dass ich mit diesen Erbveranlagungen unbedingt ein Supermann werden musste? War ich das ultimative Zuchtprodukt meiner Familie? War ich dazu erschaffen worden, so verdammt gut zu sein? Ich betrachtete in letzter Zeit häufig meine Hände. Ich meine, mein Körper wurde mit Sicherheit in einen Biotank verfrachtet, während mein KI auf kosmischer Reise war, mein Verstand befand sich im Paradies der Daina und Daima, und die Hände die ich ansah waren nichts weiter als die Ergebnisse der Arbeit eines gigantischen Großrechners, durch dessen virtuelle Welt ich mich bewegte. Die Hände waren nicht da, das war das grausame Fazit. Dennoch sahen sie genauso aus wie die meinen, sie fühlten sich so an und als ich einmal hinein gebissen hatte, einfach nur um zu sehen was passiert, hatte ich mir eine blutende Schmarre gebissen. Dennoch standen sie sinnbildlich für das, was mit mir passiert war. Mein Verstand war hier, oder vielmehr mein KI, aber mein Körper war woanders. Damit fehlte mir auch mein Herz… Und das war immer und überall stets bei meinen Freunden, bei meinem Mädchen. Als ich aus der Abfolge der Tagträume entlassen worden war, als ich das Kommando erhalten hatte, da war meine erste Amtshandlung gewesen, die Schutzeinheit im Sektor Sol-System zu kontaktieren und mir eine Live-Sendung von der Erde einzuspielen. Es waren Nachrichten gewesen, und durch die Zeitverzögerung waren sie schon lange veraltet, fast achtzehn Stunden kalter Kaffee, aber das Datum welches genannt worden war hatte mich beruhigt. Ich war keine fünf Jahre oder noch länger in meinen Träumen fortgesperrt gewesen. Ich war auch kein ganzes Jahr weg gewesen. Es war ein Vierteljahr, und damit konnte ich leben. Meine Angst, ein Jahrhundert hier gefangen gewesen zu sein, war grotesk groß gewesen, ebenso meine Angst, Megumi und meine Freunde nicht mehr wieder zu sehen. Hundert Jahre waren nicht das Ende des Lebens für einen Naguad, aber die meisten meiner Freunde waren normale Menschen. Selbst wenn die KI-Meister unter ihnen ihre Leben verlängerten, unsterblich wurden, es gab genügend, die nicht so lange leben konnten, um mich nach einhundert Jahren noch einmal zu sehen. Es hatte mich beruhigt. Die Nachrichten hingegen hatten mich aufgeregt. Zerfiel die UEMF? Ausgerechnet jetzt, wo die Zeichen ohnehin auf Sturm standen? Und in dieser Zeit, in der meine Heimatwelt mich am meisten brauchte, kämpfte ich für den Core? In einer Zeit, in der Megumi mich brauchte? Alles was ich tun musste war zu befehlen, dass mich ein Core-Schiff zu meinem Körper brachte. Dort würde ich aus einem Kommandanten-Cyborg problemlos in meinen Leib zurückkehren können. Aber obwohl ich diese Befehlsgewalt hatte, tat ich es nicht. Was waren meine Beweggründe? Wollte ich die Truppenstärke des Cores erkunden? Seine Schwachpunkte? Die Position seiner Welten? Oder ging es mir um all das – und um die Chance, die Anführer des Cores einzuschätzen? Nein, das war es nicht, wenngleich mich die Menschen, die im Paradies lebten – ja, Menschen – beeindruckt hatten. Es gab einen wichtigeren, schwierigeren und tödlicheren Grund für all das. Für die Isolation der Erde, die ich durchbrochen hatte. Für den Krieg zwischen Naguad und Iovar, der nie wirklich beendet worden war. Den wichtigsten Grund, den ich mir vorstellen konnte: Das Liberty-Virus. Aris hatte mir tatsächlich Hinweise gegeben, als sie mich diese Traumwelten hatte erleben lassen. Hinweise, Fingerzeige, Daten und Fakten, die sich nach und nach in meinem Geist zu einem Bild zusammen fügten. Und dieses Bild wirkte wie von einem Wahnsinnigen gemalt. Noch war es nur ein löchriges Mosaik, aber ich glaubte das Thema erkennen zu können. Und wenn mein Verdacht zutraf, wenn ich wirklich erkannt hatte, was ich bereits jetzt aus den löchrigen Fakten erahnte, dann steuerten die Daina auf eine riesige Katastrophe zu, an deren Ende die Vernichtung aller besiedelten Welten stehen würde. Ich brauchte Fakten, unglaublich viele Fakten. Und ich glaubte daran, diese Fakten auf der ehemaligen Core-Welt Raegi zu finden. „Akira, bist du so weit?“ Ich sah auf. „Maltran.“ „Du warst in Gedanken versunken. Entschuldige, dass ich dich gestört habe.“ „Schon gut. Die Vorbereitungen sind also abgeschlossen.“ „Ja, Akira. Wir haben den Körper für dich vorbereitet. Er wird gerade aus dem Biotank genommen. Aber ich bin immer noch der Meinung, du solltest einen Offiziers-Cyborg nehmen.“ Bedächtig schüttelte ich den Kopf. „Nein, die Iovar sind Meister des AO. Sie werden einen Robot nicht akzeptieren. Nur ein Wesen aus Fleisch und Blut. Und Laysan hat mich bereits einmal transportiert.“ „Ich halte es immer noch für ein verantwortungsloses Risiko. Deshalb begleite ich dich ja auch.“ Langsam legte ich eine Hand auf die Schulter des anderen, auch wenn dies nur eine Virtuellwelt war. „Und dafür danke ich dir.“ In den wenigen Wochen, in denen wir zusammen arbeiteten, waren wir Freunde geworden. Und ich fürchtete den Tag, an dem ich meine Pflicht über diese Freundschaft stellen musste. „Dann loggen wir jetzt aus dem Paradies aus“, sagte er mit einem Lächeln. Übergangslos wurde meine Welt schwarz. 4. „Vitali Andrejewitsch Kuratov!“ Der groß gewachsene Blondschopf schien für einen Moment unschlüssig was er zu tun hatte. Schließlich rang er sich zu einer Verbeugung durch. Megumi Uno hob eine Augenbraue. „Oberst, das ist kein sehr militärisches Verhalten.“ Der Mann verharrte in der Bewegung als hätte ihn ein elektrischer Schlag getroffen. „E-entschuldigen Sie, Division General, aber im Moment bin ich mir noch nicht ganz sicher, was ich zu Ihnen sagen soll.“ „Division Commander klingt doch ganz gut für den Anfang. Lady Death ist mir auch Recht. Und wenn sie mich Megumi nennen wollen, würde mich das freuen, Vitali Andrejewitsch.“ Erschrocken riss der Mann beide Augen auf. Die russischen Soldaten hinter ihm raunten. „A-aber…“ „Vitali Andrejewitsch, wir haben zusammen über New York gekämpft. Wir haben über Peking gekämpft und wir haben eine Abwehrschlacht über dem Kaukasus ausgetragen, um die Kronosier von einem Angriff auf Moskau abzuhalten. Kameraden, die mit mir ihr Leben riskiert haben, dürfen mich jederzeit bei meinem Vornamen nennen.“ Der große Mann schniefte und zwinkerte eine vereinzelte Träne fort. „Division Commander, Ihre Worte ehren mich. Und ich freue mich, dass Sie sich noch an mich erinnern. Aber in diesem Fall muss ich Sie mit Ihrem Rang anreden, Ma´am. Die Zukunft der Menschheit steht auf dem Spiel.“ Die anwesenden Offiziere der Zentralebesatzung des OLYMP nickten zustimmend. „Ma´am, meine Regierung hat mich ausgesandt, damit die Roten Falken ab sofort unter Ihrem Kommando stehen. Setzen Sie uns ein wo immer Sie wollen.“ Vitali schwieg für einen Moment und sammelte Kraft für seine nächsten Worte. „Präsident Wilson hat Premier eingeladen, sich der Allianz gegen Haus Arogad anzuschließen.“ Wieder raunten die UEMF-Offiziere. „Die Entsendung der Roten Falken sollte deutlich genug zeigen, was wir von diesem Vorschlag halten. Ma´am, verfügen Sie über mich und mein Bataillon.“ „Ich danke Ihnen für diesen Vertrauensbeweis, Vitali Andrejewitsch. Sie und die Roten Falken sind auf dem OLYMP mehr als willkommen. Sie kennen sicherlich noch Colonel Makoto Ino?“ „Natürlich, Division General! Ich bin nicht so töricht, den legendären Top-Piloten Zeus zu vergessen, das Rückgrat der alten Hekatoncheiren. Wie geht es Ihnen, Sir?“ „Sie brauchen mich nicht Sir zu nennen, Vitali Andrejewitsch. Wir sind ranggleich. Und Sie sind zudem dienstälter. Sagen Sie einfach Mako zu mir.“ Der kleine Halb-Naguad und der riesige Russe tauschten einen freundlichen Händedruck aus. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen und ihren Leuten ein wenig den OLYMP. Anschließend gehen wir den Bereitschaftsplan durch und wir besprechen den Dienst. Sie kommen genau zur rechten Zeit, denn im Moment ist der OLYMP durch die Evakuierungsaktivitäten in den Staaten verletzlicher denn je. Oder anders ausgedrückt: Wir können die Roten Falken bitter gebrauchen.“ Diese Worte lösten freudige Zwischenrufe aus. Die Russen waren hellauf begeistert. „Ma´am, darf ich Ihnen bei dieser Gelegenheit gleich meine Stellvertreterin vorstellen? Major Brinkmann ist…“ „Ich weiß. Wir waren zusammen auf dem Mars.“ Megumi schüttelte der verlegenen Russin die Hand. „Es ist viel zu lange her, Elena.“ „Es kann niemals so lange her sein, dass ich je vergessen würde, Megumi. Verlass dich auf mich“, flüsterte die Frau. „Ich danke dir dafür.“ *** „DER NÄCHSTE!“ Mit einem gewissen Unbehagen erhob sich ein Kendoka, setzte seinen Men auf und trat auf die Kampffläche. Sein Gegner hatte nun schon sieben Siege in Folge erzielt und schien nicht ein kleines bisschen erschöpft. Er betrachtete kurz die Unterschiede zwischen sich und dem Gegner. Er war eins neunzig groß, wog einhundert Kilo und war zudem Kampfpilot eines Hawks. Sein Gegner war irgendwo in der Mitte von eins sechzig, wog bestenfalls fünfzig Kilo und steuerte einen Sparrow. Die Chancen sollten eigentlich auf seiner Seite sein. Aber die junge Frau, die in der klobigen Rüstung vor ihm stand, hatte in sieben Kämpfen nur viereinhalb Punkte abgegeben. Sie, das war Yohko Otomo, die derzeitige offizielle Vertreterin des Hauses Arogad und zweite Stellvertreterin der Hekatoncheiren. Und im Moment – eigentlich schon die ganze Woche – war sie mit ihrer resoluten, robusten und penetranten Art ein Schmerz im Arsch für das gesamte Kottos-Regiment. „BEGINNT!“ Die anderen Gegner hatte Yohko heran kommen lassen, darauf setzte er nun auch, wartete auf eine Lücke in ihrer Abwehr. Doch diesen Gefallen tat sie ihm nicht, sondern attackierte direkt nach der Freigabe. Bevor er es sich versah, hatte er einen Treffer am Helm eingesteckt. Der Schiedsrichter rief sie wieder in die Ausgangspositionen, eröffnete den Kampf erneut und bevor er es sich versah, lag ihr Shinai an seiner Kehle. Wütend riss sich Doitsu Ataka den Men vom Kopf. „Verdammt, Yohko, was ist los mit dir?“ „Was soll los sein? Ich habe nur eine Strähne, das ist alles!“ „Verkauf mich nicht für dumm! Dieses Training, deine Dienstauffassung, einfach alles schreit doch geradezu, das etwas nicht mit dir stimmt! Warum schleifst du die Leute so? Wir sind bereits die Besten!“ „Ist es schlecht, wenn man noch besser werden will? Außerdem ist das Kendo freiwillig. Ich zwinge niemanden dazu, hier…“ „Hier Kanonenfutter für dich zu spielen? Komm, selbst ein Blinder sieht doch, dass mit dir etwas nicht stimmt. Es wundert mich, dass Yoshi noch nicht aufgetaucht ist, um dir den Hosenboden stramm zu ziehen!“ „Vorsicht, ich bin Ihre Vorgesetzte, Major Ataka!“ „Lieutenant Colonel Ataka, schon vergessen? Und kehre hier nicht das Dienstverhältnis vor, wenn ich mir Sorgen um dich mache! Was ist es? Machst du dir wieder Sorgen um Akira? Steigt dir die Arbeit über den Kopf? Ich bin dein Untergebener und ich bin dein Freund! Ich bin dazu da um dir zu helfen, wenn es dir schlecht geht! Ich bin dazu da, um dir zu zu hören. Yohko, warum verausgabst du dich so sehr? Warum drillst du die Leute bis sie umfallen? Das passt doch alles nicht zu dir.“ Wütend riss sie sich ebenfalls den Men vom Kopf. „Warum sagst du nicht einfach, dass du nicht verlieren kannst? Predigen Sie jemandem, den es interessiert, Reverend!“ „YOHKO!“, rief Doitsu aufgebracht und griff nach ihrem Handgelenk. „Einem anderen als dir hätte ich schon die Hand gebrochen, mit der er mich festhält“, zischte sie wütend. Doitsu sah sie ernst an. „Nein, das hättest du nicht und das würdest du nie. Verstehst du jetzt endlich, dass etwas mit dir nicht stimmt?“ Wieder sah sie ihn wütend an, dann verletzt. „Es… Es…“ „Ist es Akira? Oder jagt Yoshi dich wieder mit dieser kleinen Box? Ist es die Verantwortung?“ „Nein, es… Es…“ Verlegen sah sie zu Boden. „Entschuldige, Doitsu-chan, ich wollte nicht… Ich wollte mich nicht so aufführen wie ich es getan habe. Aber ich dachte, wenn ich hart arbeite, wenn ich wirklich an mir und meinen Kottos feile, dann fällt es vielleicht nicht mehr so ins Gewicht, dass ich absolut kein Talent für KI habe.“ Mit Tränen in den Augen sah sie ihn an. „Was unterscheidet mich so sehr von Akira? Warum hat er diese Fähigkeiten und ich nicht? Warum geht es nicht? Sind es die Elwenfelt-Gene? Oder bin ich einfach unfähig?“ „Jeden anderen der es gewagt hätte, dich unfähig zu nennen würde ich jetzt niederschlagen. Und jeder andere in diesem Raum auch.“ Die anwesenden Piloten der Hekatoncheiren erhoben sich teilweise und murmelten ihre Zustimmung. „Deshalb hör auf, so einen Quatsch zu reden. Du bist jung, weit jünger als ich. Und dennoch erkenne ich dich als meine Vorgesetzte an. Ich bin nicht nett genug, um jemanden über mir zu dulden der schlechter ist als ich, das solltest du wissen. Und ich bin nicht eng genug an die UEMF gebunden, um nicht notfalls alle Brocken hinzuschmeißen, wenn mir etwas nicht passt. Du bist eine gute Pilotin und eine gute Anführerin. Wir alle respektieren dich. Egal ob du dein KI beherrschst oder nicht.“ „Aber Akira ist so mächtig mit seinem KI, und ich… Und ich… Warum denke ich so oft, dass es vielleicht richtig so ist? Dass ich mein KI nicht beherrschen sollte? Dass ich meinen Bruder nicht einholen, nicht überflügeln darf?“ „Ich bin sicher, Yohko, Akira wäre der erste, der dir gratulieren würde, wenn du besser geworden wärst als er. Yohko, denke nicht an KI. Wir haben viele hervorragende Soldaten in unseren Reihen, die auch ohne KI beispielhaft sind und ihren Weg gehen. Dein Bruder mag KI beherrschen, aber dein Vater ist mit seiner KI-Kontrolle miserabel, sonst hätte ihn der Resonanztorpedo damals auf dem OLYMP nicht eingefroren. Es liegt also auch in der Familie.“ Doitsu wischte ihren Einwand mit einer Handbewegung fort. „Nein, Yohko, du wirst jetzt nicht das bisschen KI-Kontrolle über das Eikichi verfügt als Argument verwenden. Denn bevor du dich beschwerst, dass du dein KI nicht verwenden kannst, muss ich dich was fragen: Denkst du wirklich, die KI-Kontrolle wurde deinem Bruder in die Wiege gelegt? Oder mir? Oder Yoshi?“ „Nein.“ „Und denkst du wirklich, dass sie dir einfach verliehen wird, nur weil du tolle hellblaue Augen hast?“ „Nein.“ „Und warum reitest du lieber darauf herum, dass du dein KI nicht kontrollieren kannst, anstatt dir von einem KI-Meister in der Ausbildung helfen zu lassen?“ „Weiß nicht. Zuviel zu tun. Immerhin muss ich mit Megumi ein ganzes Sonnensystem verwalten.“ „Yohko“, mahnte Doitsu streng. „Ist ja gut. Was würdest du mir raten?“ „Futabe-sensei ist noch immer auf der AURORA. Sobald wir aufgebrochen sind, wirst du dich zu einigen Sitzungen mit ihm treffen, verstanden? Und dann werden wir mal sehen, ob wir dir nicht etwas beibringen können. Okay?“ „Okay. Und danke, Doitsu-chan. Du bist ein echter Freund.“ Der hoch gewachsene Mann aus einer Yakuza-Familie strich der jungen Frau vollkommen unmilitärisch über ihr Haar. „Ist in Ordnung, Yohko. Ich finde es einfach nur gut, wenn ich auch mal für dich da sein kann.“ In dieses traute Bild platzte eine Lautsprecherdurchsage: „Die Hekatoncheiren bemannen sofort ihre Mechas! Ich wiederhole, die Hekatoncheiren bemannen sofort ihre Mechas! Über dem nordamerikanischen Kontinent sind Kämpfe ausgebrochen!“ Die beiden wechselten einen schnellen Blick. Die anwesenden Piloten reagierten sofort und sprangen auf. Und allen ging ein Gedanke durch den Kopf: Brach nun alles zusammen, was sie so mühevoll erkämpft hatten? *** „Hier kommen sie.“ Daisuke Honda grinste abfällig, als von den Stars and Strikes, die rund um das UEMF-Gelände patrouillierten, eine Wand aus Raketen auf sie zuraste. „Condor eins, hier Condor eins. Treibsand eins, hören Sie?“ „Treibsand eins hier. Ich höre dich laut und deutlich, Mako.“ „Okay, mein Freund, dann sperr die Lauscher auf. Ich nehme zweihundert Mechas in Fernkoordination. Die Raketen überschreiten in acht Sekunden die Grenze auf unser Gebiet.“ „Bestätigt.“ Daisuke hatte kaum ausgesprochen, als sein Raketenabwehrsystem begann, Feuer und Blei zu spucken. Mit und neben ihm erwachten Dutzende Abwehrsysteme weiterer Mechas zum Leben. Die Mahlstrom-Luftabwehrpanzer begannen, ebenfalls koordiniert von dem Long Range Area Observer in einhundert Kilometern Höhe über dem Gelände. „Warum haben sie überhaupt das Feuer eröffnet? Sie müssen doch wissen, dass das Wahnsinn ist.“ „Nun, entweder liegt es daran, dass ein Bataillon Hawks die Belagerer verstärkt hat“, resümierte Makoto, „oder daran, dass wir hier beinahe fertig mit dem Aufbau sind und das Pentagon einfach keinen Vorwand findet, um uns anzugreifen, weshalb sie jetzt einfach frustriert auf die Feuerknöpfe drücken, hoffen zu gewinnen und die Geschichte dann so erzählen wie es ihnen genehm ist. Oder, als dritte Variante, es liegt daran, dass Robert Kazama, ehemals Lieutenant der Hekatoncheiren und bis vor wenigen Sekunden Lieutenant Colonel der Air Force, den einzigen Phoenix im Besitz der Amerikaner gestohlen hat, um mit ihm zur UEMF zu desertieren.“ Daisuke pfiff anerkennend. Von einem Hekatoncheiren, selbst von einem Ehemaligen, der zudem im Temporalfeld gefangen gewesen war, erwartete er Schneid und Hingabe für die gesamte Menschheit. Aber dass sich der japanischstämmige Amerikaner für die UEMF und gegen sein eigenes Militär entschieden hatte, war eine sehr mutige Entscheidung. Zudem entzog er so den Phoenix, ihren derzeit stärksten Mecha, dem Zugriff ihrer Gegner. Denn nichts anderen waren die Amerikaner im Moment. Gegner. Auch wenn dieser Gedanke schmerzte. Auch wenn die Kämpfe über New York und anderen großen Städten dieses eigentlich wundervollen Landes verraten und verkauft wurden. „Erste Welle abgewehrt. Jetzt haben sie ja einen Grund, also werden sie sich nicht lange mit Raketensalven aufhalten. Sie werden angreifen, um die BISMARCK und ihre Begleitschiffe am Boden festzunageln. Kriegst du das hin, oder soll ich Hilfe schicken?“ „Schick die Hilfe besser zu den anderen vier UEMF-Stützpunkten. Ich komme klar.“ Daisuke schluckte einmal kurz und wünschte sich für einen Moment, Akira selbst zu sein. Bis er sich daran erinnerte, dass auch Akira nur mit Wasser kochte – was er auch noch anbrennen ließ – und normale Raketen abfeuerte. Er zog die beiden Herakles-Schwerter von seinem Rücken und atmete aus. „Hergehört, Hekatoncheiren. Wir ziehen uns drei Kilometer aufs Gelände zurück. Das gilt auch für die Mahlstrom-Panzer. Dort erwarten wir den Gegner, damit es keine Fragen gibt, wer zuerst auf wessen Gelände gekommen ist.“ Hinter ihm zerstörte eine Detonation gerade ein Wartungsgerüst und in seinem Helm klangen Dutzendfach die Bestätigungen auf. Die Zahl der Angreifer war enorm, um nicht zu sagen riesig. Er hatte zweihundert Mechas und vier Schiffe auf seiner Seite, alleine die BISMARCK wäre mehr als genug gewesen, um mit dem Gegner fertig zu werden, wenn sie nicht mit sämtlichen Luken geöffnet auf dem Boden ruhen würde, nicht viel besser als eine Schildkröte auf dem Rücken. „Genug. Hier erwarten wir sie. Der Angriff wird aus nur einer Richtung erfolgen. Sie werden versuchen, mit purer Masse durchzubrechen und zur Evakuierung zu gelangen. Dort werden sie so viele unserer Kameraden und so viel Ausrüstung wie möglich töten und vernichten. Das darf nicht sein. Verstanden?“ „Roger!“ „Da überschreiten sie die Grenze und befinden sich nun auf offiziellem Territorium der UEMF“, klang Makos Stimme erneut auf. „Viel Glück, mein Freund.“ „Danke.“ Sie jagten heran, feuerten erneut die Raketen ab. Aber wieder waren es die Abwehrgeschütze, die diese Wand lichteten und schließlich aufrieben. Die Mahlstrompanzer zogen sich noch weiter zurück, es war nun an ihnen, eingeschifft zu werden. Das dünnte ihre Feuerkraft merklich aus. Unwillkürlich veranlasste Daisuke seinen Phoenix, die Schwerter fester zu umfassen. Nun würde sich bald zeigen, wie gut er mittlerweile geworden war. „DRAN UND DRAUF!“ „Nicht so eilig!“ Es schien als würde der Daishi Epsilon aus dem Nichts auftauchen. Plötzlich war er da, und nicht nur einfach da, sondern mitten zwischen dem Angriffsstoßtrupp der U.S. Air Force. Der Epsilon zerteilte einen Stars and Stripes mittig, knapp über dem Cockpit, mit einer perfekt geführten Artemis-Lanze. Dann schoss er eine volle Salve Raketen auf den führenden Hawk ab, der dadurch hart zu Boden gerissen wurde und liegen blieb. „Unbekannte Einheit, was tun Sie da?“, blaffte Daisuke. Verwundert registrierte er, dass der Angriffskeil stockte und schließlich abbrach. Drei Ausfälle. Vier. Der Mann war gut. Und was noch erstaunlicher war, er vernichtete seine Gegner, ohne die Piloten zu töten. Für einen winzigen Augenblick dachte Daisuke, Akira wäre zurückgekehrt. Aber nur für einen winzigen Augenblick. „Aber, aber, Dai-chan, ich helfe dir. Darf ich das nicht mehr, so von Haus-Krieger zu Haus-Krieger?“ Die Stimme kannte Daisuke nur zu gut. Er hasste sie längst nicht so sehr wie Akira das vor dem zweiten Marsfeldzug getan hatte. Aber er kannte sie und wofür sie stand. „Henry, was machst du da?“ „Dir helfen. Oder weißt du es nicht zu schätzen, dass ich den Angriff unterbrochen habe? Ihr dürft jetzt übrigens auch mitspielen. Das sind mir doch ein paar zu viel.“ „Henry William Taylor!“, blaffte Daisuke. Neben dem Epsilon wurde einem Eagle der Sensorkopf abgeschlagen. Verdammt, war der Bursche gut. „Was ist jetzt, kommt ihr spielen, oder kriege ich den ganzen Spaß alleine?“ Daisuke schnaubte auf. „Dass ich mal froh sein würde, dich in einem Mecha zu sehen… Hekatoncheiren, zum Angriff!“ 5. Michi Torah betrachtete den Fernseher aus halb geöffneten Augen. Er wirkte verschlafen, aber das schien nur so. In Wirklichkeit raste sein Gehirn. Es liefen gerade Berichte aus aller Welt, Staaten, die die UEMF verließen und die Stützpunkte schlossen, waren das Thema. Acht autonome Republiken hatten sich den Amerikanern bereits angeschlossen, aber sie setzten ihre Forderungen bei weitem nicht so radikal durch wie es die U.S.-Truppen taten. Acht von über zweihundert, das war zu verschmerzen, selbst wenn eines dieser Länder das stärkste erdgebundene Militär besaß. Aber was wenn dieses Beispiel Schule machte? Eines war Michi klar, die Amerikaner hatten einen handfesten Komplex, weil sie im Kronosier-Krieg Hilfe der Russen und der UEMF hatten annehmen müssen. Und es lag ihnen schwer auf der Seele, dass der UEMF-Rat das oberste Gremium dieser Institution war, mit Eikichi Otomo als Vorsitzendem und Executive Commander. Sie hatten nicht einen einzigen Vertreter im Rat, und das musste sie seit jeher gezwickt haben. Es war offensichtlich, dass die Amerikaner diesen Komplex nun versuchen würden auszuradieren. Sie würden ihre Verbündeten versuchen dazu zu bewegen, ebenfalls aus dem Bündnis auszutreten, vor allem die Staaten, die noch immer in der NATO organisiert waren. Was das westliche Europa anging, so sah Michi nicht viele Chancen. Frankreich war nur lose mit der NATO assoziiert und hatte bereits erklärt, dass es nicht aus der UEMF austreten würde. In Deutschland befanden sich einige der wichtigsten Militärbasen der U.S.A., aber auch die größte der UEMF in Mitteleuropa. Bestenfalls würden sich die Deutschen neutral verhalten, im schlimmsten Fall die Amerikaner vor die Tür setzen, da jene mit dem Austritt aus der UEMF und der Ausweisung der Truppen mehr Verträge gebrochen hatten als Michi Finger an beiden Händen hatte. Sorgen machten ihm jene Staaten, die kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und kurz vor den kronosischen Offensiven in die NATO gekommen waren. Militärisch gesehen waren diese Republiken nicht viel mehr als Spielbälle der Amerikaner, ihr Militär nicht besonders hoch gerüstet, dennoch würde die amerikanische, regierungsfreundliche Presse jede einzelne dieser Nationen feiern als wäre es Russland selbst, das sich auf ihre Seite schlug. Sorgenvoll schüttelte Michi den Kopf. Es war nicht so als würde wieder mal der Allmachtsgedanke bei ihnen zuschlagen, das Hegemonie-Prinzip, welches die Amerikaner seit ihrem ersten Präsident Wilson verfolgten. Nicht gegen eine UEMF, die mehr Kampfschiffe im Weltall hatte als die Amerikaner auf dem Wasser. Nicht nur, jedenfalls. Nein, seine größte Sorge war, dass die U.S.A. die Koalition verlassen hatten, weil dies Teil einer größeren Strategie war. Die Reste der kronosischen Organisation? Eine neue Verschwörung? War eines der anderen Häuser der Naguad in der Operation verwickelt, wollten sie den lebensnotwendigen Rückhalt für Akira Otomo in seiner Heimat unterminieren, um innenpolitisch besser da zu stehen? Es gab so verdammt viele Möglichkeiten. Letztendlich fühlte er sich mehr als unwohl wenn er daran dachte, dass die AURORA schon in wenigen Wochen aufbrechen würde, um Akira zu suchen. Sie würden die Erde allein zurück lassen und… Nein, das war unfair gedacht. Eikichi Otomo, Torum Acati, Admiral Richards, das waren alles sehr fähige Männer, die die Erde schon weitestgehend zusammenhalten würden. Außerdem waren sowohl die beiden Plattformsysteme als auch der Mars weiterhin fest in der Hand der UEMF und stellten damit ein nicht unbeträchtliches Druckmittel dar. Eikichi konnte die Amerikaner jederzeit vom Nachschub an Helium 3 abschneiden, und der hoch industrialisierte Staat würde das nicht besonders lange durchhalten. Und das war noch der freundlichste Weg, über den der Executive Commander verfügte. Andererseits hatten die Amerikaner bereits einmal zu überraschen gewusst, nämlich als sie den Stars and Stripe aus dem Hut gezaubert hatten, einen Mecha, der in eine Leistungsklasse mit dem Hawk eingeordnet werden musste, wenngleich seine Modulbewaffnung leicht von Vorteil für ihn war. Was, wenn das nicht die einzige Innovation war? Was, wenn die Amerikaner sich nun stark genug fühlten, um einen offenen Krieg zu beginnen? Nicht gegen die UEMF, aber gegen die Naguad? Torum Acati würde eine solche Provokation nicht hinnehmen. Und wie Aris Taral reagieren würde, konnte Michi nicht einmal ansatzweise sagen. Der alte Mann war Sakuras und Makotos Großvater, und er war ein sogenannter Bluthund. Die Bluthunde der Arogads waren, so sagte man, die besten und gefährlichsten Leibwächter aller neun Naguad-Häuser. Und Aris Taral war dazu abgeordnet worden, das Leben seiner Großnichte Yohko zu schützen. Ob der Taral bereits einen Plan in der Tasche hatte, um den amerikanischen Präsidenten… Nun, diesen Gedanken dachte Michi lieber nicht zu Ende, denn egal wie viele Verträge die Amerikaner gebrochen hatten, eine solche Tat würde ein absoluter, nie da gewesener Affront sein, der Dutzende Staaten in ihr Lager treiben würde. So gesehen sollte Aris Taral den Mann besser beschützen. Das Programm wurde unterbrochen, ein Live-Bericht angekündigt. Interessiert setzte sich Michi auf. Das Bild wechselte, zeigte die kalifornische Wüste, ein Stück der BISMARCK und eine ausgewachsene Prügelei zwischen Mechas. Mittendrin war ein gigantischer Daishi, den Michi auf den ersten Blick als Epsilon identifizierte. Er focht Seite an Seite mit einem Phoenix, und selbst ein Laie wie er selbst konnte erkennen wie hilflos die amerikanischen Hawks und Stars and Stripes gegen diese beiden Gegner waren. Plötzlich ließen die beiden Mechas von ihren Gegnern ab, flogen zur BISMARCK. Die anderen Hawks der UEMF gaben ihnen Deckungsfeuer und hielten die amerikanischen Einheiten davon ab, nach zu stoßen. Dann erbebte die Kamera und der Kreuzer erhob sich vom Boden. Dutzende Mechas landeten auf dem Deck der BISMARCK, jederzeit bereit, etwaigen Verfolgern eine blutige Nase zu verpassen. Na, das war ja ein Klasse Einstand für den neuen Mecha der Amerikaner, der als so überlegen gepriesen worden war. Michi erkannte mehr als fünf von ihnen am Boden. Konnte es etwas Demoralisierenderes geben? Dies hier war nicht Pearl Harbour, aber vielleicht die amerikanische Völkerschlacht bei Leipzig. Zufrieden schloss der junge Mann die Augen. Es würde schwer werden, sehr schwer. Aber leicht war es für sie ohnehin nie gewesen. „Schlaf jetzt ja nicht ein“, tadelte Akari und zwickte ihn in die Seite. „Einschlafen? Ich? Mit der schönsten Frau dieser Welt im Arm? Niemals.“ „Schmeichler“, murmelte sie und schmiegte sich an ihn an. Alleine das war es wert, durch all den Ärger zu gehen, entschied Michi Torah. Blieb noch sein persönlichstes Problem. Juichiro Tora, sein Vater… *** „Bitte lassen Sie mich auf unserer heutigen Sitzung“, sagte Juichiro Tora und ließ seinen Blick über die anwesenden Legaten schweifen, „einen ganz besonderen Gast vorstellen. Sie kennen ihn sicher alle. Es ist Michael Berger.“ Irritiert raunten die Legaten auf. „Wenn das ein Witz war, Legat Tora, dann war es kein besonders guter.“ „Wieso Witz?“ Er drückte einen Knopf auf seinem Tisch. „Bitte lassen Sie Herrn Berger nun ein.“ Hinter ihm öffnete sich eine Tür und der hoch gewachsene Deutsche trat ein. Erschrockenes Raunen empfing ihn. Einige griffen zu ihren Waffen. „Keine Sorge, Herrschaften. Ich bin weder bewaffnet noch bereitet sich in diesem Moment ein Einsatzkommando darauf vor, diese Versammlung auszuheben.“ Michael trat ans Fenster, sah hinaus auf die Silhouette einer amerikanischen Großstadt. „Abgesehen davon, dass die UEMF in diesem Land keine wirklich Macht mehr hat. Meinen Glückwunsch, das war ein sehr geschicktes Manöver, Legat Wilson.“ Der Angesprochene versteifte sich. „Was wollen Sie damit sagen, Mr. Berger?“ „Ach, ist Ihnen die andere Anrede lieber, Mr. President?“ „Bitte, lassen wir doch die kleinlichen Sticheleien und kommen zum eigentlichen Grund deines Besuchs, Michael“, bat Juichiro Tora ernst. „Du hattest mir gegenüber ein Bündnis erwähnt.“ „Richtig. Ein Bündnis. Und zwar zwischen dem kronosischen Legat, und meinem Naguad-Haus Fioran.“ „Das ist Verrat!“ „Nicht mehr als das, was Sie hier im Namen von Haus Elwenfelt tun“, konterte Michael. „Also, meine lieben Legaten, wollen Sie sich ansehen, was Elwenfelt in dieses Bündnis einbringen wird?“ Interessiert beugte sich der Vorsitzende Legat, Gordon Scott, der bis jetzt nur zugehört hatte, vor. „Na, dann lassen Sie mal sehen, Michael.“ Epilog: Als der Biotank geöffnet wurde, streckten sich hilfreiche Hände dem kleinen Jungen entgegen. Er hustete und blickte sich irritiert um, aber er lebte und war laut den Anzeigen am Tank gesund. „Akira?“, hauchte er und sah sich um. Die hilfreichen Hände gehörten sowohl zu speziell aufgerüsteten Cyborgs, aber auch zu Freiwilligen, die eine gewisse Zeitspanne ihres Lebens außerhalb des Paradies in ihren eigenen Körpern verbrachten. „Ich bin hier, Laysan“, sagte einer der Cyborgs, unverkennbar als Offizier ausgezeichnet. Die Helfer halfen dem Jungen, sich abzutrocknen und legten ihm frische Kleidung an. „Akira, bist du das wirklich?“ Ängstlich sah der junge Naguad an dem großen Roboter hoch. Der ging in die Hocke und lächelte, soweit es die starren, unfertigen Züge zuließen. „Natürlich bin ich das. Aber ich werde nicht lange in diesem Körper bleiben. Wenn du einverstanden bist, dann verpflanze ich mein AO wieder in deinen Körper. Wir bilden dann wieder ein Team, Laysan. Wäre das in Ordnung?“ Der kleine Junge sah zögerlich in das Gesicht des Cyborgs, dann in die Augen. „Ja, das ist in Ordnung, Akira.“ „Gut.“ Die Augen des Cyborgs leuchteten unwirklich hell auf, dann erhob sich die Maschine und stellte sich selbst in eine Ecke. Zugleich umhüllte den jungen Laysan eine hell strahlende, weißliche Aura, die mit jeder Sekunde an Intensität zunahm. Der Junge wuchs, wurde größer, seine Haarfarbe, seine Augen veränderten sich, und nur wenige Augenblicke später stand Akira Otomo an der Stelle, wo vor kurzem noch der kleine Granadar gestanden hatte. Auf der Brust des Otomos ruhte der schwarze fünfzackige Stern, der ihn zum Oberbefehlshaber über alle Streitkräfte des Cores machte. „Akira, alles in Ordnung?“ Maltran Choaster, der seit über eintausend Jahren zum ersten Mal wieder in seinem eigenen Körper steckte, sah den Arogad besorgt an. „Keine Sorge, Maltran. Das hier ist eine Art AO-Rüstung. Laysan befindet sich in der Mitte und schläft.“ „Kostet eine solche AO-Rüstung nicht immens viel Kraft?“, fragte der Iovar zweifelnd. „Nur, sie zu erschaffen. Danach genügt ein Funke Energie, um sie zu erhalten.“ Akira Otomo klopfte seinem Untergebenen auf die Schulter. „Komm, lass uns diesen unsinnigen Krieg beenden gehen.“ „Ich halte es immer noch für ein unverantwortbares Risiko! Auch wenn ich mich heimlich mit einem Kampfschiff und einem freien Offizierscyborg ins System schleiche, damit du jederzeit eine Rückzugsmöglichkeit hast. Akira, warum riskierst du soviel?“ Der junge Mann von der Erde wandte sich dem Iovar zu. Er schnaubte frustriert. „Der Liberty-Virus, Maltran. Der Liberty-Virus.“ General Choaster erschauderte. Der Halb-Naguad rührte tatsächlich an der größten Gefahr in diesem Universum. Aber seltsam, irgendwie war Maltran Choaster, dass ausgerechnet dieser Mann vor ihm das Wunder vollbringen konnte. „Akira, warte, du verrückter Kerl!“ Eilig ging er dem Arogad nach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)