Anime Evolution: Nami von Ace_Kaiser (Vierte Staffel) ================================================================================ Kapitel 6: Zweiter Traum ------------------------ In eigener Sache Bevor ich beginne, an der aktuellen Folge zu schreiben, möchte ich mein ganz persönliches Forum, diese meine Geschichte dazu nutzen, um etwas niederzuschreiben, was mir auf dem Herzen liegt. Man möge mir verzeihen, dass ich damit Platz für die eigentliche Geschichte wegnehme. Inspiration ist so eine Sache. Sie kommt nicht von irgendwo und ist sowohl fast geschenkt als auch hart erarbeitet. Ich bin dankbar für jeden Funken Inspiration, den ich erhalte, und ich liebe es, mich mit den Arbeiten anderer zu beschäftigen. Spielfilme, Anime, Musik, Mangas, Fantasy- und Science Fiction-Bücher gehören zu meinen Hobbys. Wenn ich sehe, lese, erfahre und höre, wie andere Menschen ihr Herzblut in ihre Arbeiten legen, wenn ich spüre, wie viel Spaß mir die Filme und Texte machen, wenn mir ein Lied wirklich wie ein Ohrwurm nachhängt, dann kann ich nicht anders als dankbar für diese Mühen zu sein. Dann kann ich nicht anders als motiviert zu sein. Motiviert, etwas als Dankeschön zu tun. Ich erschaffe meine eigenen Welten, meine eigenen Figuren und lasse sie Abenteuer erleben, um anderen eine Freude zu machen. Ich weiß, ich werde die meisten Menschen, die mich mit ihren Arbeiten inspirieren, nie erreichen, und der eigentliche Zweck meiner Dankbarkeit wird damit nicht erfüllt. Aber ich bemühe mich, um meinen Dank auszudrücken. Wenn schon nicht ihnen gegenüber, dann jedermann, der mich gerne liest, der meine Geschichten mag und mich durch Lob und Kommentar motiviert, mehr zu schreiben. Ihr, meine Leser, steht stellvertretend für all die anderen, die ich auf meinem liebsten Weg nicht erreichen kann. Deshalb kann und will ich weiterhin mein Bestes tun, damit euch erfreut, was auch diese anderen Menschen erfreuen sollte, die mich inspirieren und motivieren. …Wobei ich meine lieben Kollegen von der Fanstory-Fraktion dabei ausnehmen und hervorheben möchte. Ihr seid mir ebenso Freude und Inspiration sowie Motivation. Danke an alle, die mich lesen und die mir helfen, besser und besser zu werden. So, genug mit den Sentimentalitäten, aber das musste eben einfach mal raus. Prolog: Meine Emotionen waren verborgen. Verborgen unter einer Maske, einer Theatermaske. Die linke Hälfte war zu einem grotesken Lächeln verzerrt, die rechte Hälfte greinte und weinte eine einsame Träne. Im Moment entsprach meine Gefühlswelt der rechten Hälfte, denn was ich sah, war wirklich zum weinen. Menschen waren schon seit jeher eine merkwürdige Spezies. Sie stammten von wilden Tieren ab, die sich durch Organisation und einem ausgeprägten Sozialverhalten die Evolutionsleiter hochgedient hatten. Als diese mussten es ihre natürlichen Instinkte eigentlich besser wissen, wie man sich in der Gesellschaft zurecht fand, als sich selbst an den Außenrand zu drücken. Das Problem war wahrscheinlich der Nestgeruch. Es gab zu viele kleine Fraktionen und es gab zu viele Menschen. Niemand konnte alle Menschen in einem Umkreis von nicht einmal einem Kilometer kennen, geschweige denn am Geruch oder sozialen Verhalten einschätzen. Ein solches missgewirtschaftetes soziales System brachte natürlich so etwas hervor. Außenseiter. Ob sie diese Rolle selbst gewählt hatten oder hinein gedrängt worden waren, war mir nicht klar. Wer konnte sich da auch sicher sein? Immerhin standen dort unten in der Gasse keine verunstaltet geborene Mutanten, sondern normale Menschen wie ich, die sich nur durch ihren Haarschnitt, einigen übertriebenen Piercings und den Messern in den Händen von mir unterschieden. Was versprachen sie sich davon, andere Menschen zu bedrohen? Was davon, sie zu verletzen? Was davon, sie zu nötigen, zu missbrauchen? Ihr Opfer war eine junge Frau, eine Schülerin, die es eigentlich hätte besser wissen müssen, als ihnen in diese Gasse zu folgen. Nun, es würde eine Lektion für ihr Leben werden. Was dachte sie sich dabei? Sah sie nur die beiden Messer, oder erkannte sie einen der Burschen wieder? War sie verzweifelt? Oder vielleicht nur verstört? Begriff sie, was die Männer von ihr wollten? Ich bezweifelte es. Die Angst, die sie ausstrahlte, stachelte die beiden Messergötter an, ließ sie sich groß und mächtig fühlen. Ich bemerkte es an ihren Worten, die von drohend einschmeichelnd wurden. Sie hatten nun Macht über die Schülerin, erschreckende Macht. Und sie würde sich dieser Macht ergeben oder so gut sie es konnte verdrängen, was die beiden mit ihr vorhatten. Ob sie das Mädchen nun ausraubten, quälten, oder schlimmeres planten. Unter meiner Maske lächelte ich zynisch. Langsam hob ich mein Handy ans Ohr, drückte die Wahlwiederholung und sagte: „Sie sind gerade an der Gasse vorbeigefahren. Die beiden Schläger und ihr Opfer sind ganz hinten, und wenn Sie sich nicht beeilen, Herr Polizeichef, kommen Sie beträchtlich zu spät.“ Ich wartete die Antwort gar nicht ab, deaktivierte das Telefon und steckte es ein. Dann ging ich in die Hocke und sah tiefer in die Gasse hinab. Auf der Straße quietschten Reifen, ein Rückwärtsgang wurde eingelegt, und kurz darauf brandeten Autoscheinwerfer in die Gasse. Die beiden Messerspezialisten erstarrten in ihrem Tun. Als kurz darauf die Rufe: HALT! POLIZEI! erklangen, erwachten sie aus ihrer Starre und versuchten Fersengeld zu geben. Leider hatten sie sich eine Sackgasse ausgesucht. Die beiden Polizisten, die aus dem Wagen hervor stürzten, hatten keinerlei Probleme, die beiden einzukassieren. Das Opfer jedoch… Die junge Frau benahm sich nicht wie ein Opfer. Im Gegenteil, leise und ernst redete sie auf die beiden Polizisten ein, während ihr Blick durch die Gasse streifte und dann auf dem Dachsims hängen blieb, auf dem ich stand. Schließlich fixierte sie mich. Trotz der Dunkelheit erahnte sie meine Position. Aber sie sagte nichts, denn Telefonanrufe an die Polizei waren nicht strafbar. Ich winkte locker aus dem Handgelenk herab in die Gasse und wandte mich um. In was war ich da wieder rein geraten? 1. „Steh auf! Ich sag es dir nur einmal.“ Verschlafen richtete ich mich in meinem Bett auf. „Guten Morgen, Yohko.“ „Ich gebe dir gleich einen guten Morgen. Warum muss ich dich eigentlich wecken?“ Ich brummte vor mich hin, schlug das Deckbett beiseite und stand auf. Müde ergriff ich den Yukata, stieg in meine Hausschuhe und schlurfte an meiner bitterbösen Schwester vorbei ins Bad. „Warum ich mich um dich kümmere, möchte ich gerne wissen.“ „Vielleicht, weil Eikichi und Mom mir das Haushaltsgeld gegeben haben und ich dir dein Taschengeld auszahle?“ Eine Sekunde später steckte ich in einem wirklich gemeinen Würgegriff, unter Catchern als „Der Schläfer“ bekannt. „Willst du etwa sagen, ich helfe dir aus profaner Geldgier und nicht weil ich deine liebe und Treusorgende Schwester bin?“ „Streich doch bitte das lieb und Treu sorgend, ja?“, krächzte ich. Sie ließ mich mit einem herzhaften Fluch zu Boden fallen. „Du bist ein Versager und wirst ein Versager bleiben, Akira!“ Wütend stapfte sie an mir vorbei und ging in die Küche. „Der Kaffee wird kalt.“ Ich räusperte mich ein paar Mal und vergewisserte mich, dass Yohko es nicht geschafft hatte, mich zu erwürgen. Dann setzte ich den Weg ins Bad fort und widmete mich einigen unangenehmen Tätigkeiten meines Lebens. Verdammte Pickel. Die meisten Jungs in meiner Klasse waren ihre schon komplett los, nur ich musste mich mit ihnen quälen – in dem Maße, meine ich. Streuselkuchen war nur einer der freundlicheren Spitznamen, mit denen ich mich abgeben musste. Nach einer kurzen Dusche sah die Welt aber schon anders aus, aber der Kaffee war natürlich wirklich schon kalt geworden. Yohko schien das eine gewisse Genugtuung zu bereiten, auch wenn sie es nicht zeigte. „Kaufst du dir wieder was? Ich hätte dir auch ein Bento machen können“, murmelte sie, während ihr Blick über die Morgenzeitung ging. „Erstens will ich nicht in deiner Schuld stehen“, brummte ich als Erwiderung, „und zweitens traue ich dir nicht. Du bringst es fertig und machst es extra scharf. Oder nimmst Abführmittel. Oder…“ „IDIOT!“ Ich konnte mich gerade noch ducken, um einem erheblich beschleunigten Toast mit Banane auszuweichen. Hoheitsvoll wie sie sich gerne gab, erhob sie sich und verließ die Küche. Das aufräumen überließ sie wie immer mir. Ich seufzte und stellte alles zwischen zwei Bissen in die Spüle. Wer hatte denn auch schon außer mir so einen Drachen als Schwester? „Nun beeil dich endlich. Du kommst sonst zu spät.“ „Was kümmert dich das? Du gehst doch sowieso vor, oder?“ Kurz darauf wurde die Haustür sehr laut und sehr nachhaltig zugeschlagen. Diesmal hatte ich sie wohl richtig wütend gemacht. Seufzend ging ich in mein Zimmer, zog die Schuluniform an und griff nach meiner Tasche. Ein schneller Check ergab, dass sie weder lebende noch stinkende Objekte enthielt. Außerdem waren meine Arbeitsmappen nicht mit Herrenmagazinen gefüllt worden. Meine Schwester konnte recht erfinderisch sein, wenn sie meinte, ich hätte aus welchen Gründen auch immer Strafe verdient. Ein weiterer Check betraf meine Schuhe. Okay. Sie waren auch nicht präpariert. Das schien ein guter Tag zu werden. Ich trat vor die Tür und schloss hinter mir ab. Hm, es schien ein schöner Tag zu werden, die Sonne schien bereits, und die Kirschbäume hatten bereits die ersten Blüten angesetzt. Vielleicht würde ich heute auch einmal etwas Spaß in der Schule haben können. Mein Weg führte mich zur nächsten Bushaltestelle. Yohko war natürlich schon einen Bus früher gefahren. Wahrscheinlich wieder mit Megumi-ojou-sama, der heimlichen Königin des ersten Jahrgangs. Frustriert spielte ich mit dem Zahlenschloss meiner Tasche. Megumi, das waren mindestens fünfundzwanzig Welten Distanz von mir. Im Bus war ich der einzige Schüler der Fushida High. Aber später in der U-Bahn füllten sich die Waggons mit den schwarzen Uniformen. Und auf dem Weg zur Schule wurden die Fußwege von einer schwarzblauen Woge eingenommen. Es gingen etwas über zweitausend Schüler zur Oberstufe, und ich war nur einer davon. Man hätte meinen können, ich hätte mich in dieser Menge verloren, aber nix da. Um mich herum hatte sich ein Vakuum gebildet, eine Sicherheitsdistanz mit mindestens drei Metern Umfang. In Laufrichtung waren es noch einmal fünf Meter, und wann immer ich den Blick schweifen ließ, zuckten die Mädchen erschrocken von mir fort. Oh, es war so verdammt frustrierend. So enervierend und peinlich. „Morgen, du Verlierer. Hast du wieder die Welt gerettet?“ Eine starke Hand schlug auf meine Schulter. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um den Besitzer zu identifizieren. „Playstation“, erwiderte ich. „Morgen, Sempai.“ Mamoru Hatake meinte es gut mit mir. Nun, so gut wie man es mit Akira Otomo, oder wie ich meistens genannt wurde, Otomo-Pest, meinen konnte. „Hast du wenigstens gewonnen?“ Ich zog ein Resumée von letzter Nacht und grinste. „Mehr oder weniger.“ „Da. Jetzt redet er auch noch mit Hatake-sempai. Wenn nun seine Idiotie auf ihn abfärbt?“ Wütend ballte ich meine Rechte um den Griff meiner Tasche. Das hatte ich gehört. Schlimmer noch, das sollte ich hören. Mamoru Hatake grinste mich an. „Mach dir nichts draus, Kumpel. Sei lieber froh, dass du kein Mädchen bist, sonst würdest du jetzt Reißzwecken in deinen Schuhen finden.“ Ich unterdrückte eine harsche Antwort und den Hinweis auf mein Sammelsurium spitzer und scharfer Gegenstände. Ihm machte das natürlich Spaß. Der Schönling badete ja geradezu in der Bewunderung anderer. „Kannst du nicht jemand anderem auf die Nerven gehen, Sempai?“, murmelte ich. „Aber, aber. Würde ich das tun, würde dir ja keiner sagen, dass du heute nach der Schule zum Kendo kommen musst. Eine Gastmannschaft hat sich überraschend angekündigt. Sensei hat entschieden, dass wir ein kleines Turnier machen. Ataka-kohai, du und ich bilden unser Team.“ „Ein drei gegen drei?“ „Nein, drei gegen fünf. Ataka-kohai und ich nehmen zwei von ihnen. Du kriegst einen. Damit sie sich nicht so vollkommen schlecht fühlen, nach vier Niederlagen.“ „Danke, ich verzichte“, zischte ich wütend. Manchmal hasste ich mein Leben. „Aber, aber. Du fliegst aus dem Kendo-Club, wenn du ablehnst. Du hast schon zu viele Trainingsstunden geschwänzt, okay?“ Mamoru legte einen Arm um meine Schulter und drückte mich. „Hey, ich meine es wirklich nur gut mit dir, okay?“ „Wer es glaubt.“ „Hm. Es ist wirklich leichter dich zu treten als nett zu dir zu sein.“ Sein linker Handballen schlug gegen meinen Hinterkopf. „Vergiss es nicht. Nach der Schule, klar, Otomo-Pest?“ „Ja, ja“, erwiderte ich. Oh, ich könnte diesen Schönling manchmal wirklich, wirklich so richtig nach Strich und Faden… „Ich gehe dann schon mal vor. Pflichten als Klassensprecher. Ich bin einfach zu beliebt, weißt du?“ In einer affektierten Geste legte er eine Hand an die Schläfe, was einen kollektiven Begeisterungsschrei bei den Mädchen auslöste. Er grinste, zeigte mir das V-Zeichen mit der Rechten und ging vorweg. Da war ich nun wieder, im Mittelpunkt meines eigenen Vakuums. Und ich spürte eine Menge neidischer, zorniger und einige empörte Blicke in meinem Nacken. Nach einem Abstecher zu den Schuhboxen – gut, kein faules Obst drin, keine Reißzwecken, Rasierklingen oder Nägel in den Schuhen – erreichte ich endlich meine Klasse. Mein Platz war das Pult ganz hinten links am Fenster. Weit, weit weg von den Lehrern, weit, weit weg vom Rest der Klasse. Um genau zu sein, weit, weit weg in meiner eigenen Welt. Die Welt war groß und bunt, und sie ging mir wirklich am A… „Akira Otomo!“ Ich sah auf. Hatte ich tatsächlich den Beginn der Homeroom verschlafen? Ino-sensei sah mich wütend an. Und ehrlich gesagt, Zornesadern, die auf ihrer Stirn pochten, machten sie nicht gerade hübscher. Dabei war sie eine Legende an unserer Schule. Die goldene Göttin wurde sie genannt, wegen ihrem goldblonden Haar, das sie stets zu einem straffen Knoten im Nacken zusammenband. „Was denn?“, brummte ich wütend und wandte mich wieder dem Fenster zu. „Aufstehen, Otomo-san! Verbeugen!“, half Hina Yamada mir aus, unsere Klassensprecherin. Weiß der Henker, warum ein so talentiertes und zudem beliebtes Mädchen ausgerechnet den Pult neben mir hatte. „Jajajajajaja.“ Mit einem tiefen Seufzer erhob ich mich und entrichtete die vorschriftsmäßige Verbeugung, um den Respekt vor unserem Lehrer auszudrücken. Danach konnte die Homeroom-Stunde beginnen. Zum Glück vergingen die zehn Minuten der täglichen Orientierung, ohne dass die goldene Göttin mich erneut aufs Korn nahm. „Akira“, zischte Hina mir zu, während wir auf den Beginn der eigentlichen ersten Stunde bei Yamaguchi-sensei warteten, „du lässt mich schlecht aussehen.“ „Halt den Rand“, zischte ich zurück. „Der einzige, der hier schlecht aussieht bin ich! Also mach hier keinen Kasper! Ich sorge schon dafür, dass Ino-sensei dich in Ruhe lässt, ja?“ Der Blick, den sie mir zuwarf, konnte ich nicht in Worte fassen. Nun, sie war verletzt. Ich war immerhin die Otomo-Pest, und Widerworte von mir waren in etwa so peinlich wie ein Liebesgeständnis. Aber darin lag noch eine Verstörtheit, ein merkwürdiger Schmerz, den ich nicht identifizieren konnte. Oh, ich konnte netter zu ihr sein. Aber warum sollte ich das? Ich erinnerte mich noch zu gut daran, wie sie als eine der ersten gelacht hatte, als mich Yoshi Futabe Otomo-Pest genannt hatte. Oh, ich hatte wirklich Lust, mein Pult zu schnappen und aus dem Fenster zu werfen. Weit, weit aus dem Fenster. Die Pausen waren das Schlimmste. Ich meine, ich war ein absoluter, isolierter Einzelgänger. Mein bestes Erlebnis in einer Pause war, wenn ich das Dach erreichte, ohne dass ich verspottet oder überhaupt bemerkt wurde. Das Dach. Mein Refugium. Mein Zufluchtsort. Hier herrschte die Pest, also ich. Denn wenngleich die anderen Schüler mich mieden, schnitten und als willkommenes Ventil für ihren eigenen Frust ansahen, so wagten sie es doch nicht, an einen Ort zu kommen, an dem sie mit mir alleine waren. So tapfer war keiner von ihnen. Es gab viel zu viele Gerüchte darüber, was Otomo-Pest mit zwei Fingern anrichten konnte. Und angeblich hatte es an meiner alten Schule einige unerklärliche Todesfälle gegeben, die mehr oder weniger mir zugeschoben wurden. Nun, mir war es Recht. Ich konnte auf dem Dach sitzen, mich gegen den Maschendraht lehnen und in die Wolken starren. Hunger hatte ich keinen. In meinen Pausen hatte ich nie Hunger. Denn das hätte bedeutet, runter in die Mensa zu müssen, und unter Leute zu gehen. Ich hasste das. Mein Magen war natürlich anderer Meinung, aber ich ignorierte ihn. Als sich die Tür zum Treppenhaus öffnete, spannte ich mich an. War ja klar gewesen. Meine Ruhezone konnte mir nicht ewig Schutz gewähren. Irgendwann hatten sich ja meine Feinde, Gegner, und solche, die mich aus Prinzip nicht mochten, zusammenrotten müssen, um dem gefährlichen Freak eine Lektion zu erteilen. Nun, sollten sie doch. Ich würde mein Fell teuer verkaufen. „Puh, hier ist ja wirklich nichts los. Wie schön.“ Verblüfft sah ich sie an. Hier? Und wie es schien, alleine? Wollte sie mich fertig machen? Das konnte ich nicht glauben. „Uno-kun?“, fragte ich irritiert. „Ah, Otomo-Pest. Es stimmt also. Hier kommt keiner hoch, damit sie sich nicht an deinen Pickeln anstecken.“ Sie grinste mich an, ging neben mir in die Hocke und zeigte mir das V-Zeichen. Was bildete sich diese dumme Kuh ein? Und vor allem, was hatte sie vor? Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ sie sich neben mir – viel zu nahe – zu Boden sinken. Zwischen ihre Beine stellte sie eine Bento-Box an und begann sie auszuwickeln. Zwei Etagen, und beide gut gefüllt. „Na, dann hau ich doch mal rein!“, sagte sie lächelnd, brach ihre Stäbchen auseinander und begann zu essen. Sie sah zu mir herüber, mit einem wirklich schiefen Blick. „Isst du nichts?“ „Steht es irgendwo geschrieben, dass es Pflicht ist?“, blaffte ich. „Hey, Hey, Waffenstillstand. Ich habe dir nichts getan, okay?“ „Du musst nicht hier sein. Und du musst auch nicht neben mir sitzen!“ „Wieso? Mache ich dich nervös?“ Sie lächelte mich an, und ich war mir wirklich sicher – irgendeine Fiesheit nahm gerade ihren Anfang. Uno-kun war niemals, niemals einfach so freundlich zu mir. Das konnte nicht sein, andernfalls wäre die Hölle bereits zugefroren. „Natürlich. Immerhin bist du ja die Königin des Ersten Jahrgangs, oder? Jeder Junge, der neben dir sitzt, muss nervös sein.“ „Hm. War das ein Kompliment?“ „Ist mir egal, wie du das aufnimmst“, brummte ich. „Hm. Dann nehme ich das Kompliment. Freu dich, dafür gibt es eine Belohnung. Hier, iss!“ Sie reichte mir eines der Sandwichs aus der zweiten Etage. „Kein Hunger.“ Plötzlich war sie mir nahe, so erschreckend nahe. Uns trennten nur ein paar Millimeter, und ihr Blick war schlicht und einfach düster und zornig. Ich war mir sicher, mit diesem Blick hätte sie sogar Takashi einschüchtern können, unseren Schulsprecher. „Willst du mir etwa sagen, ich stehe eine geschlagene Stunde früher auf, um dieses Bento zu machen, biete dir was davon an und du isst es nicht? Hast du solche Todessehnsucht, Akira?“ „I-ich kann ja mal probieren“, stotterte ich und ergriff das Sandwich. „So ist es gut“, sagte sie und kehrte von extrem schrecklich zu extrem niedlich zurück. Extrem niedlich? Wieso sah ich sie so? Sie war doch nur eine von diesen verwöhnten, arroganten Tussen, die mir gerne das Leben schwer machten. Außerdem war sie die Freundin meiner Schwester, und so was nannte man einen vergifteten Brunnen. „Essen“, ermahnte sie mich mit hochgezogener Augenbraue. Gehorsam biss ich hinein. Was war es wohl? Zu scharf? Mit Abführmittel behandelt? Mit lebenden Würmern belegt? Eine Kakerlake vielleicht? Nun, der erste Bissen schmeckte. „Nicht schlecht.“ „Echt? Und das ist nicht nur ein Kompliment?“, hauchte sie erschrocken. So erschrocken, dass ich ein Stück abrückte. „Was ist denn mit dir los, eh? Guck mal, ich bin es, die Otomo-Pest. Seit wann sollte ich wohl Komplimente machen, hä?“ „Oh. OH!“ Übergangslos begann sie zu strahlen. „Na, dann probier doch auch mal hiervon. Bei den Omeletts bin ich mir immer nicht so sicher. Sag Ah.“ „Uno-kun. Das sind die Stäbchen, die du benutzt hast!“, sagte ich scharf. „Und? Denkst du, ich habe irgendeine ansteckende Krankheit?“ „Nein, das nicht, aber wenn du dich mit der Otomo-Pest anstecken willst, nur zu.“ Wieder rückte ich etwas weiter ab, nur hatte ich diesmal einen Stahlpfosten im Rücken. „Nun iss schon dein verdammtes Omelett und sag mir deine Meinung“, fauchte sie. Zwei zu null für Megumi Uno, dachte ich und aß das Mistding. „Gut“, brachte ich nach diversem kauen und schlucken hervor. „Wirklich? Das freut mich. Ich habe hier noch mehr, was du mal probieren kannst!“ „Uno-kun, das ist wirklich keine gute Idee! Ich…“ Hastig beugte ich mich vor, wollte mit einer Hand ihr Bento schließen. Da rauschte ihr Schädel herab und mir auf den Hinterkopf. Mann, Mann, Mann, konnte noch ein anderer Mensch außer mir einen so harten Kopf haben? „Autsch. Autschautschautsch. Das gibt nen blauen Fleck. Was hast du mit deinem Kopf gemacht, Akira, mit Beton ausgegossen?“ Wäre die Situation nicht so lächerlich gewesen, ich hätte drüber lachen können. Bei der Jagd nach ihrem Bento – ich hatte es schließen, sie sich für ein zweites Exempel ihrer Kocherei bedienen wollen – war ich etwas schneller gewesen und ihr Kopf war auf meinen nieder gerauscht. Nun saß ich hier, mit einer beginnenden Beule am Hinterkopf und halb über sie gebeugt. Genauer gesagt über ihre Beine. Und ihr Bento hatte ich dabei auch noch halb umgestoßen. „Ich mache Kendo“, murmelte ich. „Entschuldigung. Ich habe dich verletzt. Und ich habe dein Mittagessen umgestoßen.“ „Na, du kannst ja doch nett sein, wenn du willst. Ich…“ „Otomo, du Bastard!“ Übergangslos fühlte ich mich am Kragen gepackt, hoch gerissen und hart am Kiefer getroffen. Bevor ich überhaupt richtig reagieren konnte, hatte ich zwei Zentren des Schmerzes. Zum Hinterkopf gesellte sich nun der Kiefer. Verdammt. „Wie kannst du es wagen? Wie kannst du Megumi-chan hier hoch locken und über sie herfallen? Wenn das Mamoru, ihr Freund, erfährt, bist du Scheibentoast!“ „Yoshi! Lass ihn los! Er hat nichts getan!“ Ich sah auf. Natürlich. Ich steckte im Griff von Yoshi Futabe. Dem Klassenschönling. Was Mamoru für die ganze Schule war, das war er für Klasse und Jahrgang. Ich dachte manchmal, dass dieser strahlend blonde, Pickelfreie Strahlemann mehr Geld für sein Äußeres ausgab als manches Mädchen. „Das ist eine Männersache, Megumi! Außerdem hat dieser Arsch genügend Prügel verdient, um ihn…“ Ich musste lächeln. „Du machst da einen Fehler.“ „Was meinst du mit Fehler, du ekliger WHOAAA!“ Als Yoshi fiel, ließ er mich im Reflex los. Er schlug hart auf und sah verwundert hoch. „Was ist passiert?“ „Du hast dein Gewicht auf einem Bein konzentriert. Das habe ich dir weggetreten. Das ist alles.“ „Du Hund! Ich…“ Er kam schnell wieder hoch, ging mich wütend an… Und fand sich eine Sekunde später erneut am Boden wieder. Ich hielt mir kurz die Rechte. Harter Kiefer. Hätte ich dem Schönling nicht zugetraut. „Und du solltest nicht unüberlegt angreifen, okay? Du bietest Dutzende Eröffnungen, Idiot.“ „Der Schlag war nicht von schlechten Eltern. Und ich habe ihn nicht mal kommen sehen. Aber das macht nichts. Ich…“ „YOSHI-SAMA!“ Was war heute eigentlich los? Warum kamen alle, wirklich alle auf mein Dach? Warum konnten sie nicht bleiben, wo der Pfeffer wächst? Irritiert betrachtete ich die Traube aus Mädchen, die nun Yoshi umschwärmte. Wieder trafen mich böse Blicke, als ich als Urheber seiner Verletzungen erkannt wurde. Dass er zuvor meinen Kiefer, zudem ohne Vorwarnung, malträtiert hatte, tat natürlich nichts zur Sache. „Lass gefälligst Yoshi-sama zufrieden, oder kein Mädchen der Schule spricht auch nur noch ein Wort mit dir, klar, Otomo-Pest?“ „Ooh, Uno-sama hat er auch geschlagen. So ein Tier!“ „Wartet, er hat mich nicht geschlagen, das ist…“ „Komm einfach erst mal mit. Wir bringen dich ins Bad und dann kühlen wir die Beule. Und du Mädchenschläger, um dich kümmern wir uns auch noch, klar?“ „Ich…“ Ärgerlich und verzweifelt ließ ich die Arme sinken. Natürlich. Das war ja wieder so klar. So offensichtlich und so einfach. Es war natürlich Akira Otomo, der ewige Außenseiter. Ach, wie einfach war es doch, mich falsch zu verstehen. Und normalerweise wäre ich damit zufrieden gewesen, aber Megumi hatte mich verteidigen wollen, und diese Schnepfen hörten ihr nicht einmal zu und… Und vielleicht war das der Plan. Vielleicht wollten sie ihren Spaß haben, mich glauben machen, dass Megumi mich mochte, und dann wenn es mich besonders verletzte, mir so richtig geben. „Scheiße“, murmelte ich, als die Bande das Dach verlassen hatte und sackte am Zaun zu Boden. „Verdammte, verdammte Scheiße.“ Ich war ja auch nur ein Mensch, ein einfacher, zerbrechlicher Mensch. Was ich ertragen konnte hatte Limits. Aber das scherte ja keinen. Und das Bento? Wer kümmerte sich darum? Ich musste es ihr wiedergeben. Irgendwie, auch wenn ich um ihre Klasse besser einen Bogen machte. Ich konnte nicht alle ihre Mitschüler verprügeln, nur um ihr die Box wiederzugeben. Ich nahm mir noch ein Sandwich. Es schmeckte wirklich gut. Eine Schande, so ein gutes Essen zu vergeuden. Den Rest des Tages verbrachte ich isoliert. Ich meine noch isolierter als sonst. Anscheinend hatte die Geschichte vom Mädchenschläger Otomo schon die Runde gemacht. In meiner Klasse und auch während der Kurse wurde ich ignoriert. Danke. Warum ging das nicht gleich so? „Verschwinde“, knurrte ich, als ein Schatten auf meinen Pult fiel. „Aber, aber. Wer wird denn gleich so ausfallend werden?“ Ich sah auf und erkannte Kei Takahara, den Transferstudenten, der erst seit einigen Tagen in unserer Klasse war. „Was willst du?“ „Hm, wie wäre es mit dich retten?“ Wortlos hielt er mir eine digitale Kamera vor die Nase. Das Bild auf dem Rückendisplay zeigte Megumi und mich, gelehnt an den Drahtzaun. Grinsend drückte Kei die Vorwärtstaste und rief die nächsten Bilder auf. „Ich war oben auf dem Dach, weil ich ein paar Panoramabilder machen wollte. Und da kamen mir ein paar schöne Bilder von Megumi-chan gerade recht. Hier, siehst du? Diese Bilder entlasten dich total. Ich kann sie vervielfältigen und herumzeigen. Nicht einmal die einzelnen Bilder kann man verwenden, um dich in die Scheiße zu reiten und…“ „Hast du es nicht kapiert“, fragte ich frustriert. „Denen da“- ich deutete auf die anderen in der Klasse –„geht es nicht um die Wahrheit. Denen geht es nur darum, ihre Vorurteile zu pflegen und ein wenig auf anderen herum zu hacken, damit sie sich selbst besser fühlen können.“ „Aber das ist ein Beweis! Ich meine, ein Beweis! Das können sie nicht ignorieren und…“ „Du hast es nicht verstanden, oder?“, seufzte ich. „Okay, probieren wir es mal so. Hey, alle mal hergehört! Kei und ich sind ab sofort ganz dicke Freunde!“ Die Reaktion der anderen hatte ich erwartet. Offenes Entsetzen, ein paar getuschelte Bemerkungen und ein paar Blicke, die den weißblonden Jungen streiften, die mit fies schon nicht mehr umschrieben werden konnten. „Hast du es jetzt verstanden, Kei? Ja? Dann sieh zu, dass du Land gewinnst, bevor sie wirklich glauben, du würdest dich mit mir abgeben.“ Die Miene des kleinen Jungen wurde hart. „Und du hast etwas anderes nicht verstanden, Akira. Was meinst du wohl, wen würde sich ein Transferstudent aus dieser Horde Arschlöcher als Freund aussuchen, hm? Hey! Stimmt! Akira und ich sind ab jetzt ganz dicke Freunde! ER gibt wenigstens nichts auf Gerüchte!“ „Idiot. Du hast dich gerade selbst isoliert, weißt du das?“ Kei grinste schief. „Isoliert war ich schon seit ich herkam. Und ein richtiger Freund ist mir lieber als fünf Oberflächliche. Wie sieht es aus, Akira? Sind wir jetzt Freunde?“ „Wenn du genügend Mumm hast, um es zu ertragen?“ „War das ein ja?“ Frustriert schnaubte ich auf. „Das war ein vielleicht. Wir reden in ein paar Tagen noch mal.“ „Immerhin“, bemerkte Kei und ging auf seinen Platz zurück. Die Blicke der anderen ignorierte er. Dummkopf. Warum machte er sich sein Leben freiwillig schwer? Englisch hatten wir in der Siebten bei Haruna-sensei mit der gesamten Klasse. Und sie wartete mit einer Überraschung. Ich meine, es war damals eine Überraschung gewesen, dass meine kleine Wunderschwester ein Schuljahr übersprang und in meine Klasse versetzt worden war, aber das hier, das war eine wirkliche Überraschung. Zuerst wurde uns eine Transferstudentin vorgestellt. Eine Amerikanerin namens Joan Reilley, die erstens ziemlich gut aussah und zweitens einen Sitz schräg rechts von mir bekam. Zweitens gab es einen sehr uninteressanten Vortrag von einem Polizeioffizier zum Thema Vigilanten. Menschen, die das Recht in eigene Hände nahmen, es durchsetzten und ihre eigenen Regeln jenseits der Gesetze gingen. Und ein noch uninteressanterer Vortrag zum Thema Kuroi Akuma, dem bekanntesten Vigilanten in unserer Stadt. Kuroi Akuma, ein selten dämlicher Name. Die Medien hatten diesen Namen geprägt, und seither wurde ich ihn nicht mehr los. Ja, ich. Denn der Mann mit dem dunklen Anzug und der Theatermaske war niemand anderes als Akira Otomo. Nicht, dass ich ein Held sein wollte, die Medien gingen brutal, ja, regelrecht fies mit mir um. Was ich den Verbrechern antat, wurde so übertrieben, dass die Leser der Tageszeitungen mit den Tätern beinahe mehr Mitleid hatten als mit den Opfern. Aber das war mir egal. Ich hatte nicht drum gebeten so zu sein wie ich war. Und ich hatte nicht um die Fähigkeiten gebeten, die ich hatte. Aber ich war fest entschlossen, sie zu nutzen. Auf die eine oder andere Art. „Hey, Otomo. Joan Reilley, Kalifornien.“ Irritiert sah ich auf. Diese Amis. Der Polizeioffizier redete doch noch. Konnte sie mit ihrer Selbstvorstellung nicht warten, bis er fertig war? Oder war sie… Hm. Ich runzelte die Stirn. Eine Austauschschülerin, die kurz vor einem Vortrag über einen stadtweit gesuchten Vigilanten in meine Klasse kam, und die nun Interesse an mir zeigte… War das eine Warnung an mich? Stand ich schon unter Verdacht? „Halt die Klappe! Wir haben immer noch Unterricht!“, zischte ich. „Was denn? Seit wann stört das Akira Otomo?“, erwiderte sie mit einem Lächeln. „Bist du nicht der Typ, vor dem sogar die Lehrer an der Mittelstufe gekuscht haben?“ „So entstehen Gerüchte“, entgegnete ich mit einem matten Lächeln. „Hm. Dann bin ich enttäuscht. Ich dachte, du wärst eine richtig harte Sau.“ „Tut mir Leid. Ich bin hier nur der Aussätzige. Und wenn du nicht aufpasst, steckst du dich bei mir an.“ Ihr Lächeln war entwaffnend und extrem frech. „Was muss ich denn tun, um mich anzustecken, O-to-mo-sa-ma?“ Ich grinste fies. Für die Undercover-Polizistin, für die ich sie hielt, war sie reichlich frech. Irgendwie gefiel mir das. „…Deshalb bittet die Polizei um eure Mithilfe. Wenn Ihr verdächtige Personen seht, verlangt niemand von euch, selbst einzuschreiten. Aber Ihr könnt meine Kollegen per Handy benachrichtigen und sie zum Ort des Verbrechens lotsen“, sagte der Polizeioffizier, unseren Disput stoisch ignorieren. Na Klasse, genau mein Thema. Genauer gesagt, meine Tat von letzter Nacht. Ein verräterisches Grinsen huschte über meine Zügel. Das hatte Spaß gemacht. „Also, Otomo, was unternimmt man hier so nach dem Unterricht?“, fragte Reilley. „Was weiß ich? Ich für meinen Teil gehe nach Hause.“ „Was ist da dran denn interessant?“ Ich machte eine ausufernde Bewegung, die den halben Raum umfasste. „Keine Spinner. Selige Ruhe. Und meine Manga-Sammlung.“ „Ph, Manga-Sammlung. Wie viel?“ „Eintausenddreihundertelf.“ „Genre?“ „Quer durch den Garten.“ „Gut. Dann komme ich mit. Mal sehen, was du so zu bieten hast, Akira.“ „Hey, Moment mal, ich…“ „Ich freu mich drauf.“ Mist, Gottverdammter! Nach der abschließenden Homeroom-Stunde bei Ino-sensei, zehn Minuten, um den Tag Revue passieren zu lassen, waren wir entlassen. Und ich hatte vier neue Probleme, mit denen ich mich herumschlagen musste. Erstens war da das kleine Turnier, zu dem mich Mamoru-Halbgottarschloch befohlen hatte. Na, der würde sich freuen mich zu sehen, sobald er die Gerüchte über Megumi gehört hatte. Zweitens war da immer noch Megumis Bento-Box. Meine stille Hoffnung, dass sie noch mal hochkommen oder jemand das Mistding holen würde, hatte sich nicht erfüllt. Mist. Problem drei war Kei Takahara, der kleine Fotofreak. Warum musste sich der Bengel das Leben selbst schwer machen? Er sagte zwar, er wäre schon vorher isoliert gewesen, aber gegen das was ich jeden Tag erlebte, konnte das nicht schlimm gewesen sein. Immerhin, mich rührte sein Versuch, mich zu retten. Aber die Mädchen würden in ihrem gerechten Zorn auf die Otomo-Pest nicht einmal Mutter Theresa zuhören, wenn sie sich für mich einsetzte. Das letzte Problem trat gerade an meinen Tisch heran. „Also, ich bin fertig. Können wir dann, Aki-chan?“ Ich ächzte ausgiebig und sah Joan Reilley direkt an. „Was, wenn ich nein sage?“ „Das traust du dich nicht“, stellte sie grinsend fest. „Ich habe noch Kendo“, sagte ich ausweichend. Tatsächlich. Ich traute mich wirklich nicht, ihr eine Abfuhr zu erteilen. Obwohl das wahnsinnig cool gewesen wäre und… Nein, ich durfte den Fakt nicht ignorieren, dass sie eine auf mich angesetzte Polizeioffizierin war. Das machte es interessant, wenn ich sie mit nach Hause nahm. „Ich gehe jetzt nach Hause. Beeil dich, wenn du mit willst“, fauchte Yohko zu mir herüber. Yoshi, der Klassenschönling, hob irritiert eine Augenbraue. Dann stießen seine drei Gehirnzellen zusammen und er erinnerte sich daran, dass sie meine Schwester war. „Gehst du wieder mit Uno-kun?“, fragte ich beiläufig. „Nein, sie hat noch was vor. Wieso?“ „Sie hat ihre Bento-Box vergessen. Nimmst du sie für sie mit?“ Unschlüssig sah sie mich an, kam dann mit schnellen Schritten auf mich zu, entriss mir die Box und stapfte wütend davon. „Wow. Die ist ganz schön geladen. Deine Freundin, Aki-chan?“ „Meine Schwester“, brummte ich. „Meine kleine, bösartige und fiese Schwester.“ „Oh, dann bist du ja die männliche Version von Cinderella, was? Hast du noch mehr Schwestern? Es sind doch immer drei Schwestern, oder?“ Für einen Moment musste ich mit einem Lachanfall kämpfen. Wenn ich meinen Cousin Makoto hinzuzählte, der ab und an gerne als Mädchen herumlief - und diverse Frauen traumatisierte, weil er hübscher war als sie – außerdem Ino-sensei alias meine Cousine Sakura, kam das mit viel Wohlwollen und Augen zudrücken mit drei Schwestern hin. „Ich habe nur eine Schwester“, erwiderte ich atemlos. „Gott sei Dank. Drei von der Sorte wären mein Tod.“ „Du magst wohl keine Mädchen, was?“ „Oh, das ist es nicht. Die Mädchen mögen mich nur nicht.“ „Hm? Freu dich, das hat sich gerade geändert.“ Sie zwinkerte mir zu. Ja, klar. Schon klar. Auffälliger ging es doch gar nicht mehr. Ich stand auf, ergriff meine Tasche. „Kendo, sagtest du? Kann ich zugucken kommen?“ „Tu was du nicht lassen kannst.“ „Oh, toll.“ Mit strahlendem Lächeln ging sie links neben mir. Mist, womit hatte ich das verdient? Warum ging ein hübsches Mädchen neben mir her? Warum entfernte sie sich nicht mit Lichtgeschwindigkeit von mir, wie alle anderen? „Hey, Akira. Jetzt geht es wohl los, was?“ Kei klopfte mir gönnerhaft auf die Schulter. „Ich werde ein paar Aufnahmen machen, um deinen Sieg festzuhalten, ja?“ Indigniert sah Joan Reilley den kleineren Kei Takahara an. „Wer bist du denn?“ „Ich bin Akiras Freund“, stellte er sich vor. „Und du?“ „Ich bin Aki-chans Freundin.“ Für einen Moment glaubte ich, dass zwischen den beiden statische Elektrizität wie ein Lichtbogen hin- und herzuckte. „Auszeit, ja? Macht von mir aus was Ihr wollt, aber lasst mich da raus, ja?“ Wütend beschleunigte ich meine Schritte. Puh, zwei Freunde an einem Tag. Was hatte ich der Welt angetan? In der Halle war es wie erwartet. Der stoische, ruhige Doitsu Ataka hatte die ersten beiden Kämpfe, und gewann sie souverän. Er nahm seinen Men ab, schob seine Brille wieder die Nase hoch und lächelte dünn. Dabei funkelten seine Brillengläser auf. Und die Mädchen auf den Zuschauerplätzen kreischten begeistert. Der nächste war ich. Wütend setzte ich meinen Men auf, schnappte mir mein Shinai und ging aufs Kampffeld. Unser Gegner war die Jindai, und ihre Leute waren gut, richtig gut. Wie war das gleich? Sempai hatte gesagt, sie sollten sich besser fühlen, oder? Na, meinetwegen. Kendo bot mir wenigstens etwas Abwechslung und die Chance, ein wenig Frust abzubauen… Da konnte ich auch mal verlieren. Ohne mit der Wimper zu zucken ließ ich mich zweimal treffen und verlor haushoch gegen die Nummer vier der angetretenen Jindai-Kendoka. Natürlich kassierte ich Pfiffe und Schmährufe, aber ich hatte mich ja auch nicht mit Ruhm bekleckert. Ich nahm meinen Men ab und ging zu Hatake-sempai. „War es das, was du dir vorgestellt hast?“ Sein Schlag traf mich nicht überraschend, aber hart genug, um mich zu Boden zu werfen. „Idiot! Kannst du auch mal ernsthaft sein? Wer hat dir gesagt, dass du verlieren sollst?“ „Ach, bist du sauer wegen der Geschichte mit Uno-kohai?“, erwiderte ich wütend. „Da hast du jetzt ja ein schönes Ventil gefunden, eh?“ Wütend starrte er mich an. Und begann zu schreien. Es war kein Wutschrei, es lagen, Schmerz und Überraschung darin. „Hatake-sempai!“ „Hatake-sempai!“ „Schon gut! Ich war unvorsichtig! Ich hätte nicht auf Otomos Panzerung schlagen dürfen. Mist, mein rechtes Handgelenk ist wohl verstaucht.“ „Sempai. Ich ziehe mich schnell um und…“ „Nein. Du bist nicht für das Turnier eingetragen. Doitsu, was ist mit dir?“ „Keine Lust. Ich habe schon zwei Siege eingefahren. Meine Schulter tut weh.“ Mamoru sah mich an, mich alleine, mich direkt. Und mir gefiel dieser Blick überhaupt nicht. „Du hast ja bisher noch nichts getan, Otomo-Pest. Los, rein mit dir.“ „Aber Hatake-sempai! Otomo?“ „Hatake-sempai, wenn wir mit dem Captain der Jindai reden, dann…“ „Rein mit dir, Akira. Und bring mir zwei Siege! Dann drücke ich bei der Sache mit Megu-chan ein Auge zu, okay?“ Gut, gut, er verstand es zumindest, jemanden zu motivieren. „Und blamier mich nicht vor ihr, klar?“ Ich folgte seinem Blick auf die Tribüne. Dort erkannte ich Megumi. Sie hatte also meine Niederlage mitbekommen. Und das Mädchen, das sich gerade neben sie setzte – ein Kraftakt, so wie Megumi umlagert war – war niemand anderes als Joan. Ich setzte den Men wieder auf, umklammerte mein Shinai und wandte mich barsch ab. „Zwei Siege. Kommen sofort, Sempai.“ „AKI-CHAN! SIEG FÜR MICH!“ Ich hielt irritiert inne. Diese Amerikaner. War denen denn gar nichts peinlich? „UND FÜR MEGUMI-CHAN!“ Warum konnte ich nicht auf der Stelle tot umfallen? Das hätte vieles leichter gemacht. Ich trat auf den Platz zurück. Mein Gegner war der zweitbeste Kendoka der Jindai-Auswahl. Und er war nach meiner peinlichen Vorstellung sehr, sehr siegesgewiss. Nun, das war er nur, bis der Kampf freigegeben war. Bevor er sich versah, hatte ich ihn bereits an der Kehle getroffen und mir meinen ersten Punkt geholt. Den zweiten ergatterte ich mit einem Tsuki auf sein rechtes Handgelenk. Für einen Augenblick rechnete ich damit, dass mir einer der Kampfrichter einen halben Punkt abzog – weil mein Kampfschrei nicht laut genug war, nicht das Ziel richtig benannt hatte, oder weil mein Hakama auf dem Boden schleifte, oder es nicht tat – also war ich entsprechend überrascht, als mein zweiter Punkt anerkannt und mein Sieg bestätigt wurde. Damit hatten wir das Mini-Turnier gewonnen und Jindai eine peinliche Niederlage beigebracht. Doch damit war es noch nicht vorbei. Die Nummer eins der Kendoka der Jindai wartete schon, erpicht darauf, wenigstens einen Teil der Ehre des Teams zu retten und einen regulären Sieg zu erzielen. Auf den Rängen jubelte jemand, es war für mich nicht schwer zu erraten wer, während die restlichen Zaungäste schwiegen. Konnte mir auch egal sein. Aber Jubel tat überraschend gut. Irgendwie. Nach Beginn des Kampfes ging mich mein Gegner sofort an. Eine alte Regel im Kampfsport besagte, dass der erste Treffer entscheidend war. Aber der erste Treffer war nicht immer mit dem ersten Angriff identisch. Und so kassierte mein Gegner einen Treffer auf dem Men. Hatte ich erwartet, das würde ihn vorsichtiger machen? Im Gegenteil. Nun wurde er wütend. Und Wut war nicht nur ein schlechter Ratgeber, sondern auch gegen die Regeln. Von einem Kendoka wurde erwartet, die Lage stets zu überblicken. Wer Zanshin, Kontrolle über die Situation, nicht erlangte, konnte leicht einen halben Punkt verlieren. Wieder griff mein Gegner an, vehement und mit einem Karatake. Für mich wirkte es, als würde er sich in Zeitlupe bewegen. Es war für mich keine Schwierigkeit, einen schnellen Schritt vorzugehen und seinen Rumpf mit einem Tsuki zu treffen. Hätten wir echte Schwerter benutzt, hätte ich ihn gerade aufgespießt. Ein zynischer Gedanke, der ein noch zynischeres Grinsen auf mein Gesicht zauberte. Zweiter Punkt und Sieg. Fast perfekter Sieg für die Fushida. Und ich ärgerte mich, dass ich meinen ersten Kampf so locker verschenkt hatte. Ja, das war die Mühe wert gewesen, wirklich wert gewesen. Egal, was mir die nächsten Tage passierte, diese beiden Siege konnte mir niemand mehr nehmen. Ich wandte mich ab und grüßte meinen Sempai. „AKIRA! HINTER…“ Ich hatte die Warnung nicht einmal zu Ende gehört, da wirbelte ich bereits herum. Mein Gegner führte einen frustrierten, zudem regelwidrigen Sturmangriff auf mich aus, erneut mit einem Karatake, einem Hieb von oben herab. Ich nutzte die Gunst der Stunde, schlug ihm mit meinem Shinai die Beine weg. Als er hart auf dem Rücken aufschlug, führte ich einen harten Hieb auf sein rechtes Handgelenk aus, er verlor sein Shinai und ich schlug es fort von ihm. Anschließend legte ich ihm die Spitze meiner Waffe auf den Men. „Nicht dein Tag heute, was?“ „Regelverstoß! Fünfter Kampf wird für die Jindai gewertet!“ Das war ja klar gewesen, so klar gewesen. So fürchterlich klar. Es hatte ja so kommen müssen. Und prompt meldete sich der Ärger, der Zorn meiner Mitschüler. Frustriert wandte ich mich wieder um und verließ die Halle. Es hätte noch gefehlt, dass ich mit Obst und faulen Eiern beworfen werden würde. Aber die ließen sich auf einer Schule eben nicht so schnell auftreiben. Wütend und frustriert schlug ich gegen meinen Spind. Und noch einmal. Und wieder. Und… „Ist ja gut. Wir wissen alle, wie stark du bist. Also lass den armen Schrank heile.“ „Sempai. Ich…“ „Bleib ruhig. Wir haben gewonnen. Und gegen die Schiedsrichterentscheidung haben wir bereits formellen Protest eingelegt. Es wird nicht viel bringen, aber bei den Nationalen Meisterschaften wird sich die Jindai warm anziehen müssen. Denn das was ihr Kapitän heute abgezogen hat, werden wir ihnen Dutzendfach heimzahlen.“ Mamoru schlug mir mit der Rechten hart auf die Schulter. „Gut gemacht. Aber wann sehe ich mal deine ganze Kraft, eh?“ „Ist deine Hand nicht verstaucht?“ „Das Handgelenk, wohlgemerkt. Es geht wieder. War wohl nur ein Schreck oder so.“ Ich seufzte. „Ich habe mich leider nicht lächerlich gemacht. Tut mir Leid, beim nächsten Mal vielleicht.“ „Verdammt, Akira. Ich wollte nicht, dass du verlierst. Kapierst du nicht, dass es auch Menschen gibt, die dich nicht quälen wollen? Die es gut mit dir meinen? Wann habe ich dir je was Schlimmes getan?“ „Letzten Monat hast du mir das Handgelenk verdreht, davor dein Shinai über meinen Hinterkopf gezogen, außerdem über meinen Hintern, achtzig bis neunzig Mal, und…“ „Ach! Das sind doch nur Trainingsmaßnahmen. Komm drüber weg. Du stehst ab sofort auf Platz vier. Für die Vorausscheidungen gehörst du zum festen Kader, verstanden?“ „Vorausscheidungen? Ich soll ein ernsthaftes Turnier mitmachen?“ „Nein, du sollst dir ein Tütü anziehen und uns anfeuern. NATÜRLICH sollst du mitmachen! Also, Otomo. Komm in Zukunft öfters zum Training, ja?“ Mamoru wartete meine Antwort gar nicht ab. Gut. Sie wäre auch nicht sehr schmeichelhaft ausgefallen. „Ah, Akira. Ein mieser Kampf und zwei gute. Du machst dich.“ „Was ist denn heute mit euch allen los? Hat jemand Bestechungsgelder verteilt damit ihr alle nett zu mir seid?“ Doitsu Ataka, nur mit einem Handtuch bekleidet, hob abwehrend beide Hände. „Friede, Otomo. Friede. Ich tu dir nichts. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob ich das könnte.“ „Wir können es ja mal ausprobieren.“ „Oh, gerne. Aber bitte erst nach den Meisterschaften.“ Er trat zu seinem Spind und zog seine Uniform hervor. „Weißt du was, Otomo?“ „Nein, aber du wirst sicherlich platzen, wenn du es mir nicht sagst, oder?“ „Gut erkannt.“ Er grinste herüber. „Megumi-chan und er… Weißt du, warum man sie nie zusammen in der Schule sieht?“ „Was interessiert es mich? Ob sie in der Schule oder in der Freizeit zusammenhocken, ist mir scheißegal.“ „Das ist ja der springende Punkt. Sie hocken nicht zusammen. Oder um es mal für einen Idioten wie dich auszudrücken: Sie sind nicht zusammen, klar?“ „W-was interessiert mich das? Ich habe mit Mädchen nichts am Hut!“ „Das könnte die Mädchen vielleicht gar nicht interessieren“, erwiderte Ataka amüsiert. Mir fiel Joan Reilley ein, bei der genau das der Fall zu sein schien. „Mist.“ „Und um deine Welt mal ein wenig zu erweitern, Megumi-chan war heute nicht hier, um Mamoru zu bewundern.“ Entsetzt starrte ich ihn an. Konnte das…? Nein, unmöglich. Was aber wenn doch…? Nein, das war einfach… Definitiv und unendlich nein. „Warum war sie dann da?“, hörte ich mich fragen, aber mir war, als hätte ein anderer die Kontrolle über meinen Körper übernommen. „Natürlich, um mich zu sehen“, erwiderte Doitsu mit einem breiten Grinsen, das gar nicht zu dem steif auftretenden, unterkühlten Elite-Schüler passte. „Ja, klar, und im Strickunterricht basteln sie Handgranaten.“ Doitsu lachte leise. „Der war gut. Netter Konter, Otomo.“ „Du mich auch.“ „Habe ich schon einer anderen Sau versprochen.“ „Punkt für dich.“ War sie etwa doch…? Nein, nein, und nochmals nein. Fünfundzwanzig Welten, Otomo, schon vergessen? 2. „Wow! Blauer Sturm der Rosen, Band eins bis zehn, Kriegstagebücher, komplett, Sage der Juwelendrachen, Band eins bis vier… Das ist keine schlechte Auswahl. Shojo, Shonen und Erwachsenen-Mangas gut gemixt und… Du liest Musik-Mangas?“ Erstaunt sah Joan Reilley mich an. Ich zuckte die Achseln. „Was spricht dagegen Musik-Mangas zu lesen? Ein guter Zeichner kann der Geschichte auch Leben einhauchen, wenn man die Musik nicht hören kann. Warum kennst du dich eigentlich so gut aus?“ „Sag mal, lebst du hinterm Mond, Aki-chan? Mangas sind doch mittlerweile ein weltweites Kulturgut.“ „Ich dachte, Comics haben einen so schlechten Ruf bei euch.“ „Haben sie auch. Aber es stört die Leser nicht mehr.“ „Hey, sieh mal hier. Lost Science Paradise komplett!“ „Was, komplett? Ich glaube, ich poliere mein Altjapanisch mal auf, um das lesen zu können. Wollte ich schon immer mal, Kei-kun.“ Frustriert trat ich an meinen Schrank heran und riss den beiden die acht Bände der Serie aus der Hand. „Das sind meine Schätze, ja? Geht da vorsichtig mit um!“ „Menno. Heißt das, wir dürfen uns nichts hiervon ausleihen?“, maulte Kei. „…Nicht alles. Einige Mangas, wie die von Studio Scirocco, sind absolut tabu. Die lese ich beinahe täglich.“ „Schade. Dabei sind das die besten. Die kennt sogar bei uns drüben jeder. Leihst du mir wenigstens Youma-Königin? Das ist immerhin nur ein Begleitmanga zum Kinofilm.“ „Nichts da, Joan. Alles von Scirocco ist und bleibt hier.“ „Du bist aber fies. Langsam verstehe ich die anderen Schüler deiner Schule.“ „Besitzergreifendes Machtdenken nennt man so was, Aki-chan.“ „Macht mich nicht wahnsinnig. Lesen dürft ihr sie ja, aber die Mangas verlassen dieses Zimmer nicht. Ist das in Ordnung?“ Meine stille Hoffnung, die beiden verärgert zu haben, erfüllte sich nicht. Sie strahlten mich an und suchten sich jeder einen Manga heraus. „Danke.“ Ich schüttelte den Kopf und verließ mein Zimmer. „Akira. Ich mache gerade Tee. Wollen deine Freunde auch welchen? Himmel, ich hätte nie gedacht, dass ich dieses Wort mal mit dir in Verbindung bringen würde.“ „Sehr komisch, Yohko“, brummte ich und setzte mich in die Küche. „Aber nachvollziehbar. Und, hast du die Bento-Box für mich zurückgegeben?“ „Natürlich nicht! Man kann doch keine benutzte Box zurückgeben. Ich habe sie abgewaschen und werde sie Megumi-chan morgen zurückgeben. Allerdings könntest du das auch selbst tun, wenn du mal fünf Minuten früher aufstehen würdest.“ „Ja, klar. Ich gebe Megumi ihre Box selbst zurück, ohne dass ich von drei Dutzend Mädchen als Kriegsverbrecher abgeurteilt werde“, spottete ich. „Hat dir schon mal jemand gesagt, wie ichbezogen du bist, Akira? Vor unserer Haustür ist sie jedenfalls noch alleine, oder?“ Ich stutzte. Teufel, Yohko hatte Recht. „Außerdem soll ich dich fragen, wie es dir geschmeckt hat.“ „Woher weiß sie das denn?“ Meine kleine Schwester sah zu mir herüber und grinste fies. „Ich wusste es. Gutem Essen konntest du noch nie widerstehen. Hoffentlich hast du nicht wieder die Sachen mitgegessen, die auf dem Boden lagen.“ Ich fühlte, wie sich meine Nackenhaare aufrichteten. Genau deshalb mochte ich meine Schwester nicht. Sie kannte mich zu gut, einfach viel zu gut. „I-ich habe das Sandwich abgeklopft. Sollte ich es denn umkommen lassen?“ „O-nii-chan, du isst alles, oder?“ „Du bist fies, Yohko.“ „Du hast es verdient. Isst Megumis Essen und bedankst dich nicht mal dafür. Hol das morgen früh nach, verstanden?“ Unter ihrem Blick gab es keine Widerworte. Außerdem hatte sie ja Recht. UND die Hölle war gerade garantiert dabei, zu zu frieren. Definitiv. „Habs kapiert.“ „Gut, gut. Hier, bring das Mal deinen Freunden rüber.“ Sie drückte mir ein Tablett in die Hand. Drei Tassen Tee und Knabberkram. „Wenn du schon mal jemanden mitbringst, dann sollten wir dafür sorgen, dass sie nicht sofort wieder aus dem Haus stürmen, oder? Außerdem sind es Klassenkameraden.“ „Heißt das, wenn ich ihnen keinen Tee bringe, lassen sie mich in Ruhe?“ Yohko lachte hinter vorgehaltener Hand. „Nein, ehrlich gesagt glaube ich das nicht. Die zwei wirst du nicht mehr so schnell los.“ „Yohko-chan, entschuldige, aber hast du mein Handy gesehen?“ Erschrocken fuhr ich in Richtung Tür herum und hätte beinahe das Tablett fallen lassen. „DU? HIER?“ „Yo, Akira. Ja, ich bin es. Dein bester Freund Yoshi Futabe.“ „Bester Freund ist nicht gerade die Formulierung, die mir im Zusammenhang mit dir einfällt. Was willst du hier?“ „Yohko und ich lernen zusammen. Hast du was dagegen?“ „Ihr lernt zusammen?“ Wütend starrte ich den Blondschopf an. „Whoa, langsam, Akira. Wenn Blicke töten könnten, würde jetzt jemand meine Asche wegfegen. Wir sind beide im Mathe-LK und im Mandarin-LK. Sie kennt die Sprache, ich Mathe. Wir helfen uns gegenseitig.“ „Ach, ist das so?“ Ich wandte mich halb um. „Yohko, wenn dieser… Wenn Yoshi die Nachhilfe auf andere Themen als Mathe und Sprachen erweitert, dann ruf mich.“ „Ach, wie nett. Du willst mich beschützen?“, spöttelte sie. „Ich denke, das kann ich alleine.“ Betreten senkte ich den Kopf. War klar, so klar. Warum hatte ich mich auch hinreißen lassen, das kleine Monster für einen Moment, für einen winzigen Moment nicht als das zynische Biest zu sehen, das sie war, sondern wie das kleine, tapsige Mädchen, das ich immer zum spielen mit raus genommen hatte? So sah halt die Quittung aus. „Aber trotzdem danke, O-nii-chan. Es ist wenigstens nett gemeint.“ Sie schnappte sich zwei Teetassen und trat an mir vorbei auf den Gang. „Dein Handy liegt auf meinem Schreibtisch, Yoshi. Ich gehe schon mal ins Wohnzimmer vor.“ „Oh, danke. Und Akira, nichts für ungut. Megumi hat es mir erklärt. Ich habe mich hinreißen lassen und… Jedenfalls war dein Schlag nicht von schlechten Eltern.“ „Yoshi?“ „Ich komme! Akira, hast einen gut bei mir, okay?“ Was war nur mit meiner schönen, tristen Welt los? Yoshi redete normal mit mir, entschuldigte sich sogar, Mamo-Halbgott holte mich ins Turnier-Team, Doitsu bemerkte meine Existenz, in meinem Zimmer warteten meine beiden Freunde und Megumi-chan war nett zu mir. Warum konnte nicht alles so bleiben wie es immer gewesen war? Warum konnten die mich nicht alle in Ruhe lassen? Warum… Nein, es war nicht immer so gewesen. Es hatte andere, bessere Zeiten gegeben, aber ich hatte nie geglaubt, dass ich zu ihnen zurückkehren konnte. Und auch jetzt wollte ich mir keine Hoffnung machen. Das bisschen Licht war doch nur ein dummes kleines Intermezzo, bis die Protagonisten in diesem Spiel genug von mir hatten. Das dicke Ende kam bestimmt. Als ich mit dem Tablett eintrat, erwartete Joan mich lächelnd. Sie spielte mit einer Theatermaske, indem sie das weiße Plastik um ihren Zeigefinger wirbeln ließ. Erwartungsvoll sah sie mich an. „So, so. Du bist also dieser geheimnisvolle Vigilant, der die Verbrecher in diesem Stadtteil seit Monaten in Atem hält.“ Ich grinste dünn, stellte das Tablett auf meinem Schreibtisch ab und reichte jedem einen Becher. Kei sah beim lesen nicht mal auf. „Danke.“ „Na klar. Ich bin Kuroi Akuma. Und was sind meine Beweggründe?“ „Hm. Du wirst geschnitten und bist gefrustet. Außerdem ein extrem talentierter Kampfsportler, dem nicht die Anerkennung zukommt, die er eigentlich verdient. Was liegt da näher, als ein paar Typen aufzumischen, die es nötig haben?“ „Hm. Aufmischen gut und schön. Aber ich habe noch nichts davon gehört, dass unser Vigilant Schülern der Fushida aufgelauert hat. Wäre das nicht der logischere Schritt, wenn er gefrustet ist und geschnitten wird?“, warf Kei ein, ohne von seinem Manga aufzusehen. „Hm, zugegeben.“ „Außerdem mischt er die Leute nicht auf. Ich habe gehört, Kuroi Akuma würde seine Ziele ausschalten, aber nicht misshandeln. Gut, gut, die Presse ist nicht sehr nett zu ihm – ungefähr genauso gerecht wie unsere Mitschüler mit Akira – aber soweit ich weiß wird er nicht wegen Körperverletzung gesucht.“ „Stimmt.“ „Und zuguterletzt“, brummte Kei, sah kurz auf und gähnte, „habe ich die gleiche Maske auch. In Shibuja kriegst du sie an jeder Ecke. An der da hängt sogar noch das Preisschild.“ „Pech. Du hast mich nicht erwischt, Joan.“ Amüsiert setzte ich mich auf mein Bett und verschränkte die Arme vor der Brust. Danke, Kei. Punkt für mich. „Aber du bist trotzdem der Vigilant, der die Stadt in Atem hält, oder?“, fragte sie mich direkt. „Warum interessiert dich das? Bist du mein Fan? Oder ein Undercover-Agent der Polizei?“ „Im Moment bin ich Joan Reilley, die bei Akira Otomo, einem Jungen aus ihrer Klasse, beim Tee zusammensitzt und Mangas liest“, stellte sie ernst fest. „Und ich möchte ungern einem zusammengeschlagenen und schwer verletzten Akira Otomo sagen müssen: Das musste ja mal irgendwann passieren. Meinst du nicht, jetzt wäre eine gute Zeit, um aufzuhören, bevor wirklich noch was passiert?“ Ich grinste schief. „Wie seid ihr auf mich gekommen?“ Kei sah aus den Augenwinkeln zu mir herüber und grinste. „Nicht schlecht, Akira. Das war kein Geständnis. Abgesehen davon, dass man eine Bandaufnahme von diesem Gespräch nicht vor Gericht als Beweis verwenden könnte.“ „Oh, keine Sorge. Ich trage kein Band bei mir. Und verkabelt bin ich auch nicht. Soll ich mich ausziehen, um es euch zu zeigen?“ Sie nestelte am ersten Knopf ihrer Bluse. „Gerne doch.“ Ich verschränkte die Arme hinter meinem Kopf und ließ mich gegen die Wand sinken. „WAS?“ Irritiert sah Kei dabei zu, wie Joan die ersten Knöpfe löste. „Was tust du da?“ „Euch zeigen, dass ich nicht verkabelt bin.“ Kurz darauf flog ihre Uniformbluse in meine Richtung. „Untersuch sie ruhig.“ „Macht es dir nichts aus, hier nur im BH zu sitzen?“, fragte Kei erstaunt. „Ist es das erste Mal, dass du eine Frau halb nackt siehst, Kleiner?“, fragte sie amüsiert. „Ich habe zuerst gefragt.“ „Nein, es macht mir nichts aus. Bei euch beiden ist das in Ordnung. Soll ich den Rock auch noch ausziehen?“ „Der BH wäre mir lieber“, erwiderte ich und warf die Bluse zurück. „Unter den Drahtbügeln könnte man was verstecken.“ „Warte, ich drehe mich um und…“ „Schon in Ordnung, ich glaube dir ja. Zieh dich bitte wieder an, Joan.“ Keis vorwurfsvoller Blick traf mich. „Wie, du traust ihr? Sie hätte sich glatt noch weiter ausgezogen.“ „Hm, da gehen wohl mit jemandem die Hormone durch, was? Ist ne schwierige Zeit, ich kenne das. Hm, vielleicht kriegst du ja eine Privatermittlung von mir, wenn Ort und Zeit stimmen, Kei-chan.“ „Auf deinem roten Gesicht könnte man jetzt ein Schnitzel braten, Kei. Du brauchst dringend eine Freundin, was?“ „Schaut mal, wer da redet. Wenn du dir dein Minenfeld ausdrücken würdest, dann wärst du hübsch genug, um mir eine zu besorgen.“ „Mach dich nicht kleiner als du bist, Kei-chan. Du bist auch niedlich.“ „Männer sollten aber nicht niedlich sein. Und überhaupt. War es klug, dass du dein kleines bisschen Tarnung aufgegeben hast, Miss Reilley?“ Joan schmunzelte. „Was für eine Tarnung? Ich wäre schwer enttäuscht gewesen, wenn Aki-chan mich nicht vom ersten Moment an enttarnt hätte.“ „Und was soll das alles hier? Du folgst einem Vigilanten in sein Haus und erwartest was?“ Kei verdrehte die Augen. „Du bist komisch, Miss Reilley.“ „Ich dachte, vielleicht kann man vernünftig mit ihm reden. Vielleicht hört er ja auf, bevor wirklich jemand ernsthaft verletzt wird. Oder noch schlimmer, er selbst.“ Ich grinste dünn. „Ich frage noch mal. Warum ich?“ „Größe, Sportlichkeit, Schulbildung, Kombinationsgabe, die Fähigkeit unseren letzten drei Fallen auszuweichen… Sarah ist deshalb ganz schön sauer auf dich. Äh, Sarah ist meine Vorgesetzte.“ Während sie die letzten Knöpfe schloss, zwinkerte sie mir zu. „Außerdem mag ich dich wirklich. Und ich würde es ganz übel nehmen, wenn dir etwas passieren würde, Aki-chan.“ „Was, wenn du den Falschen hast? Dann läuft da draußen immer noch ein Vigilant herum, während du deine Zeit mit mir verplemperst.“ „Aber, aber. Selbst wenn ich mit dir falsch liege, Aki-chan, kann man nicht von Zeit verplempern reden. Schule macht mir Spaß, und du bist viel interessanter als ich erwartet habe.“ Sie kniff die Augen zusammen und lächelte mich an. „Wollen wir Freunde sein, Aki-chan?“ Ich lachte prustend. „Was, bitte?“ „Was spricht dagegen? Du gehst nicht auf deine Schulkameraden los, die dich schneiden und ärgern. Stattdessen rettest du Unschuldige vor Verbrechern. Ich glaube, wir haben da was gemeinsam, nur das ich das Recht dazu habe, Kriminelle zu jagen. Aber das ist ein winziger Unterschied, der…“ „…zwischen mir und einer Verurteilung steht“, vollendete ich. „Der von dir korrigiert werden kann, wenn du nach der Schule zur Polizei gehst. Wir brauchen smarte Jungs wie dich.“ „Danke. Ich denke drüber nach. Aber solltest du jetzt nicht da rausgehen und den richtigen Kuroi Akuma jagen?“ „Ich denke, ich bleibe erstmal hier. Ich habe den Manga noch nicht zu Ende gelesen. Andererseits…“ Sie legte das Buch beiseite, kam zu meinem Bett herüber und beugte sich über mich. „Mann, das muss man wirklich mal gesehen haben. Du hast ja wirklich ein Minenfeld im Gesicht. Sag mal, gibt es eine Salbe dafür, damit das so schlimm aussieht? Da muss man doch was gegen tun. Ohne siehst du bestimmt ganz niedlich aus.“ „Lass meine Pickel in Ruhe, ja? Die waren da und die bleiben da und… Auuuu.“ „Stell dich nicht so an. Du bist ein Mann und keine Memme.“ „Autsch! Ich bin wohl doch ne Memme. L-lass das.“ „Halt still. Das Geheimnis ist, nicht zu drücken, sondern die Poren auseinander zu ziehen. Und gegen die Schwellungen, die von Entzündungen unter der Haut hervorgerufen werden, habe ich eine Creme, die wirkt wirklich super.“ „Autsch!“ „Und für die Lippen habe ich Balsam. Wenn ich mit dir fertig bin, erkennt dich keiner wieder, Aki-chan!“ „Ich bin eine Memme, hörst du? Eine Memme! Ich ertrage den Schmerz nicht! Nein! Nein! YOHKO-CHAAAN!“ *** Eine gute Stunde später hockte ich in einer Ecke und blies Trübsal. „Ist es wirklich in Ordnung, ihn da so sitzen zu lassen?“, fragte Yoshi fröstelnd. „Ach, das gibt sich bis morgen. Mein Bruder hat noch nie lange geschmollt.“ „Du hast mich auch verraten“, brummte ich aus meiner Ecke. „Du solltest mir helfen, nicht Joan.“ „Hey, es war aber eine gute Idee. Und morgen nehmen wir etwas Make-up zum decken, und niemand wird dich wieder erkennen. Warum mir das nicht selbst eingefallen ist… Tsss. Was bin ich nur für eine Schwester.“ „Wie dem auch sei. Ich freue mich schon darauf, dich morgen wieder zu sehen, Aki-chan. Wahrscheinlich erkenne ich dich an dem Pulk aus Mädchen, der um dich herumdrängt. Aber mach dir keine Sorgen darum. Ich werde mich schon zu dir durchkämpfen. Yohko, hat mich gefreut. Komm, Kei.“ „Bis morgen, Akira. Und danke für die Mangas. Kriegst sie morgen zurück.“ „Ich gehe dann auch mal. Wollen wir morgen wieder zusammen lernen, Yohko?“ „Gleiche Zeit? Das wäre nett. Ich backe Plätzchen und…“ „Yoshi, hast du noch einen Moment?“ „Oh, es kann sprechen. Was ist denn, Mr. Depression?“ „Alleine.“ „War ja klar. Kaum bringe ich mal einen Jungen mit nach hause, zerrt ihn mein Bruder vor seine Manga-Sammlung, und ich kann mir einen neuen suchen. Männer.“ Sie zwinkerte uns zu. „Du hast da eine wirklich nette Schwester.“ „Ich kenne nur ihre schlechten Seiten“, erwiderte ich. „Dann hast du ja noch jede Menge wundervolle Dinge, die du an ihr entdecken kannst.“ Er setzte sich neben mich. „Also, was kann ich für dich tun, Akira?“ „Ich bin aufgeflogen.“ „Trottel. Es kann ein Trick sein.“ „Möglich. Aber ich stehe zumindest auf ihrer Liste.“ Frustriert schlug ich auf den Fußboden. „Ich hätte es gerne leichter, nicht schwerer.“ „Tja, kann man nicht ändern. Soll ich vielleicht…?“ „Nein. Ich komme schon klar. Ich wollte nur, dass du es weißt und ein wenig auf deine Umgebung achtest, ja? Nicht, dass sie mehr wissen. Es wäre schlecht für uns.“ „Verstehe.“ Er erhob sich. „So, ich sage Yohko Tschüss. Und ich bin wirklich gespannt darauf, wie du morgen aussiehst.“ Ich lachte rau. „Definitiv anders als heute.“ „Ist vielleicht mal ganz nett, Akira. Denk drüber nach. Bis nachher.“ Ich winkte in seine Richtung. „Bis nachher.“ *** „Du gehst aus, O-nii-chan?“ „Das mache ich doch jeden Abend. Ich drehe nur ein paar Runden um den Block.“ „Ja, aber… Seit letzter Woche folgt dir immer jemand, und…“ Das hatte sie bemerkt? Für einen Moment fragte ich mich, ob ich meine Schwester wirklich kannte. Sie schien auch Qualitäten zu haben. „Keine Sorge. Dein Bruder ist nicht wehrlos.“ „Soll ich die Polizei rufen?“ Ich lachte leise. Das wäre ja mal eine Idee, oder? Die Polizei rufen, um die Polizei verhaften zu lassen… „Nein, ich kann das alleine.“ Betreten sah sie zu Boden. „Was Joan vorhin gesagt hat, O-nii-chan, vielleicht hat sie ja Recht und es ist wirklich Zeit für dich… Vielleicht solltest du aufhören, bevor…“ „Aufhören womit?“ „Du weißt was ich meine.“ „Nein, weiß ich nicht, Yohko.“ „Dann bleib einfach zu Hause, O-nii-chan. Bleib hier und ich muss keine Angst mehr um dich haben, ja?“ Konsterniert sah ich meine kleine Schwester an. War das heute der Tag der Überraschungen? Was passierte noch? Eine Invasion von Außerirdischen? „Vielleicht. Später“, brummte ich als Antwort, schlüpfte in meine Schuhe und ging. Irrte ich mich, oder weinte Yohko? Fünf Busse, drei Stationen U-Bahn und eine Taxifahrt brachten mich meinem Ziel mal näher, mal brachten sie mehr Distanz. Letztendlich wollte ich nur meine Verfolger abschütteln. Was mir natürlich nur wenig nützte, wenn sie wussten, wohin ich unterwegs war. Mein Ziel war ein Shinto-Schrein auf einem Hügel, der eigentlich fast schon in der Nachbarschaft stand. Genauer gesagt das Wäldchen, welches auf dem Hügel wuchs. „Ich habe dich früher erwartet.“ Ein Schatten stieß sich von einem der Bäume ab und kam auf mich zu. „Joan.“ „Ganz recht. Du willst wissen, was dich verraten hat? Niemand kann eine bestimmte Stelle in diesem Wald betreten, nicht einmal die Shinto-Priester im Tempel. Nur du gehst da ein und aus. Wir mussten dann nur noch ein paar Dinge zusammenzählen.“ „Indizien, in einem Prozess nicht viel wert, oder?“, spottete ich. „Wie ich schon sagte, Aki-chan. Ich will dich nicht einbuchten. Ich will, dass du damit aufhörst, bevor jemand verletzt wird.“ Langsam ging ich an ihr vorbei. „Versuch mich aufzuhalten, wenn du kannst.“ „Aki-chan. Hör auf mich! Es ist zu gefährlich für einen Einzelnen, die ganze Welt retten zu wollen!“ Kurz hielt ich an, sah zurück. „Du weißt es?“ „Ich dachte, das hätten wir geklärt! Ja, ich weiß, dass du Kuroi Akuma bist.“ Ich entspannte mich ein wenig. „Ach so. Umsonst Sorgen gemacht.“ Ich ging weiter, immer weiter. „AKIRA!“ Ich reagierte nicht. „AKIRA!“ Sie hielt mich am Arm fest, riss mich zurück. „Lass es. Bitte.“ „Ich bin nicht der, für den du mich hältst, Joan. Tut mir Leid, aber es gibt da nichts, womit ich aufhören kann.“ Mit diesen Worten löste ich sanft ihren Griff um meinen Unterarm und ging weiter. Sie ging mir nach, prallte auf die Barriere und wurde zurückgeschleudert. „AKIRA!“ Ich lächelte matt. Die Barriere tat ihr Werk. „Du kommst spät“, stellte eine männliche Stimme fest. Ich wandte mich um und sah einen hoch gewachsenen Mann in einer nachtschwarzen Rüstung. Auf seinem Rücken hing ein Schwert, das fast so groß wie er war. „Ich hatte die Polizei zu Hause. Sind wir vollzählig, Doitsu?“ „Yoshi fehlt noch. Aber du solltest dich beeilen, das Fenster öffnet sich gleich.“ Ich nickte, während wir zu zweit weitergingen. „Falls nachher noch Zeit ist, kommst du mit in die Stadt?“ „Was denn? Willst du wieder einzelne Menschen retten, während du hier gerade die ganze Welt rettest? Philantroph.“ „Hört, hört, wer da spricht“, spottete ich. „Akira ist da“, stellte eine Frauenstimme fest. Ami Shirai trat neben mich und klopfte mir anerkennend auf die Schulter. Sie trug ebenfalls schwarz, allerdings als leichtes Stoffoutfit, das verbarg, wie stabil es wirklich war. Sie wirkte wie ein weiblicher Ninja, eine Kunoichi, aber ich bezweifelte, dass diese so mächtig wie sie werden konnten. „Hallo, Ami. Was macht die Schulterwunde?“ „Fast verheilt. Wie nett. Die Otomo-Pest macht sich Sorgen um mich.“ „Ami“, mahnte ich lächelnd. „Ich stimme mich nur auf meine Rolle ein. Hm, willst du dich nicht langsam umziehen?“ „Das solltest du wirklich, Akira. Es geht gleich los. Wo bleibt überhaupt Yoshi?“ „Keine Sorge, Daisuke, er wird rechtzeitig hier sein. Im Gegensatz zu mir darf er nicht gesehen werden, wenn er in den Wald kommt.“ „Haben sie dich enttarnt?“, fragte der andere besorgt. Auch er trug eine schwarze Rüstung, aber diese wirkte weniger wie eine Ritterrüstung, mehr wie die Holzrüstung eines Samurai. „Ich sollte von vorne herein den Lockvogel spielen, oder?“ Ich grinste zynisch. „AKARI!“ „Meister.“ Der kleine Schrein vor meinen Füßen begann aufzuleuchten. Kurz darauf erschien ein hässlicher Oni mit Hörnern und einer weißen, struppigen Mähne vor mir. Ich streckte die Hand aus. Der Oni seufzte, löste die Maske mit den Hörnern und gab sie mir. Dahinter erschien das Gesicht einer hübschen Frau mit langen schwarzen Haaren. Ich zog mir die Maske über den Kopf. Die Hörner verschwanden und machten dem Theatergesicht Platz. Zugleich erschien der schwarze Anzug. Meine KI-Rüstung. Jeder Krieger in unserem Team hatte eine eigene Vorstellung davon, wie eine KI-Rüstung aussah, und das schlug sich in ihr nieder. Auch wenn der elegante Anzug nicht nach viel aussah, er war sehr widerstandsfähig und hatte mir schon das Leben gerettet. Zwischen uns landete Yoshi. Er trug einen goldenen Trainingsanzug und hatte seinen Bogen geschultert. „Entschuldigt die Verspätung. Überall sind Polizeiposten.“ „Wissen wir. Akira ist aufgeflogen, eh?“ „Etwas in der Art. Können wir?“ „Das Tor wird bald offen sein, Yoshi-sama. Meister, soll ich?“ Ich nickte. Der Oni langte in seinen Schrein und zog eine Waffe hervor. Es war ein schwarzes Katana. Kurz darauf begann Akari zu leuchten, wurde zu einem Ball aus Helligkeit und legte sich um das Schwert. Mit einer routinierten Bewegung legte ich die Waffe an. „Also dann, retten wir die Welt, Leute. Wo ist Emi?“ „Immer noch verletzt. Sie braucht noch zwei Tage, sagt Makoto.“ Ich nickte. Sie hatte Glück, dass sie noch am Leben war. „Es ist soweit, Meister“, klang Akaris Stimme auf. Vor uns öffnete sich ein dunkler Strudel über dem Schrein. Doitsu sprang zuerst hindurch. Ich folgte als zweiter. 3. „Ich halte das nicht für richtig. Ein Mann, der Make-up auflegt ist…“ „Halt still, O-nii-chan. Niemand wird was sehen, versprochen. Zufällig haben wir den gleichen Hautton, und ich kann die Entzündungen gut abdecken.“ Yohko sah mich tadelnd an. „Mit dem blauen Auge kann ich dir nicht viel helfen. Ich kann es teilweise abdecken, aber die Schwellung wird zu sehen sein.“ Sie trat näher an mich heran und stieß dabei mit der Hüfte gegen meine linke Schulter. Für einen Moment sah ich Sterne und ächzte leise. Beinahe wäre ich vom Stuhl gefallen. Wie aus weiter Ferne rief eine Stimme nach mir. Es kostete mich Kraft und Überwindung, sie zu verstehen. „O-nii-chan! Komm wieder zu dir! O-nii-chan!“ Ich stöhnte auf und hob abwehrend eine Hand. „Tut mir Leid, ich hätte früher ins Bett gehen sollen, Yohko.“ „Von wegen früher ins Bett! Akira, du bist verletzt. Dein Verband ist durchgeblutet. Ich… Ich bin gegen gekommen, und da muß er wieder aufgebrochen sein. Ich…“ Tatsächlich. Meine rechte Brust floss etwas Klebriges, Warmes herab. Ich erhob mich, musste kurz mit einem Schwindelgefühl kämpfen und eilte in mein Zimmer. Das Hemd wechseln. Den Verband erneuern. „O-nii-chan.“ Yohko stand in der Tür und sah mich mit Tränen in den Augen an. „Warum hörst du nicht auf damit? Joan-chan hatte Recht. Irgendwann wirst du vielleicht sterben.“ Ich grinste dünn. Vielleicht war das mein Schicksal, aber das konnte ich meiner Schwester kaum unter die Nase reiben. Vorsichtig ging ich in die Hocke, holte eine Box unter meinem Bett hervor. Ich nahm mir frisches Verbandszeug und einen Flakon mit einer gelblichen Flüssigkeit. Als ich die Wunde freigelegt hatte, eine wirklich miese und tiefe Stichwunde, ausgeführt von einem beachtlich langen und spitzen Horn, begann sie sofort wieder zu bluten. Mit einem frischen Tuch reinigte ich Wunde und Brust, trank danach den Flakon halb leer und leerte den Rest über der Verletzung. Es dampfte, als die Flüssigkeit in der Wunde wütete. Ich ächzte, als der Schmerz mich zu übermannen drohte. „O-nii-chan!“ Mit zwei schnellen Schritten war Yohko bei mir und stützte mich. „Es… Es geht schon, Yohko. Es geht schon wieder. Siehst du, die Wunde hat aufgehört zu bluten.“ Meine kleine Schwester sah mich aus verheulten Augen an. „Warum tust du das alles? Warum tust du dir das an?“ „Befehl von Eikichi“, raunte ich, während sie mir einen Druckverband anlegte. „Vater hat dir…? Aber warum?“ „Es ist besser, wenn du nicht zuviel weißt.“ Sie half mir ins neue Hemd, und ich war dankbar dafür. Selbst mit der Heilflüssigkeit würde ich meinen Körper heute nicht schwer belasten dürfen, da war mir jede Stütze recht. Auch in die Schuluniformjacke musste sie mir helfen. „Danke, Yohko. Und jetzt geh und wasch dein Gesicht. Du willst doch nicht mit so verquollenen Augen in die Schule gehen?“ „Erklär es mir“, verlangte sie. Ich schüttelte den Kopf. „Akira!“ „Beeil dich. Megumi wird gleich hier sein, um dich abzuholen.“ DAS wirkte. Sie sah mich noch einmal verletzt und ängstlich an, dann ging sie. Ich ließ mich auf mein Bett sinken. Verdammt, verdammt, ich hatte die Heilung nicht benutzen wollen. Es waren nur noch so wenige und keiner wusste, wie lange wir noch kämpfen würden. Und der Preis, um neue zu machen war hoch, so unendlich hoch. Entschlossen nahm ich einen blauen Flakon und leerte ihn in einem Zug. Wenigstens von den Energietränken gab es genug. Als Yohko wieder in mein Zimmer sah, bekam sie ihren üblichen Bruder präsentiert. „Du gehst nicht an diese Box, hast du verstanden? Du hast keine Ahnung, was die verschiedenen Flakons bewirken. Außerdem sind einige von ihnen so wertvoll, dass ich dich übers Knie lege, wenn einer fehlt, klar?“ Sie schniefte. „Schon klar, O-nii-chan.“ Sie reichte mir ein Bento. „Hier, Megumis Box.“ Ich nahm sie entgegen. Mist, das auch noch. Gemeinsam verließen wir das Haus, aber ich hatte mir schon vorgenommen, ein paar Minuten rumzugammeln, nachdem ich Megumi ihr Eigentum zurückgegeben hatte. Mein üblicher Bus kam fünf Minuten später, das war kein großes Ding. „Geht es?“, fragte Yohko besorgt. „Keine Sorge. Ich fühle mich gut“, beruhigte ich sie. Als wir durch das Tor auf die Straße traten, blieb ich entsetzt stehen. War ja klar gewesen, so schrecklich klar. Nicht nur das Megumi bereits auf Yohko wartete, nein, jetzt waren wir kaum eine Handbreit auseinander. Noch schlimmer, wenn ich nur etwas schneller gewesen wäre, hätte ich sie umgerannt. Und das mit dieser Schulterwunde… Danke. „Guten Morgen, Uno-kun“, brummte ich und hielt ihr ihre Bento-Box hin. „Ich habe gestern alles aufgegessen, als du weg warst. Hat sehr gut geschmeckt. Wirklich. Und ich mache das irgendwie wieder gut, versprochen.“ Warum griff sie nicht nach der Box? Warum sah sie mich stattdessen so vorwurfsvoll an? Nein, das war nicht vorwurfsvoll, das war… Hä? Langsam hob sie die Hände, legte sie entsetzt vor den Mund. „A-akira? Akira?“ „Soll ich dir meinen Ausweis zeigen?“, versetzte ich. Ihr Blick huschte zu Yohko herüber. Sie deutete mit der Rechten auf mich. Da wir aber immer noch sehr nahe beieinander starrten, bohrte sich ihr Zeigefinger in meine Nase. „Nhey!“ „Y-yohko, was ist denn… Ich meine… Akira?“ Meine Schwester nickte. „Akira.“ „Aber… Aberaberaberaber… Aber… Akira?“ „Mnimmst du bnitte dnen Fninger aus mneiner Mnase?“ „Was? Oh. OH!“ Entsetzt zuckte sie zurück und verbeugte sich. „Entschuldige, Akira, das wollte ich nicht. Aber ich war so überrascht, dass… Tut mir Leid.“ „Schon in Ordnung. Obwohl ich nicht die geringste Ahnung habe, was du für ein Problem hast. Hier, deine Box.“ Zögernd nahm sie die Box entgegen. Dann reichte sie mir eine andere. „Hier, Akira. Weil es dir gestern geschmeckt hat, dachte ich, ich mache gleich zwei Bentos. Ich bin extra früher aufgestanden. Du wirst doch nicht ablehnen? Wir könnten zusammen auf dem Dach essen und…“ „Sag mal, was ist denn mit dir los? Hat dich jemand unter Drogen gesetzt?“ „Nun nimm schon das Bento an!“, zischte Yohko mir zu. „Denk an all das gute Essen da drin.“ Nun, das stimmte. Ein wirklich gutes Argument. Ich grinste schief und nahm ihr die Box ab. „Danke. Wir können ja wirklich zusammen essen, wenn es dir nichts ausmacht, aufs Dach zu kommen.“ „O-okay. Einverstanden.“ Sie sah wieder auf und strahlte mich an. War sie vielleicht wirklich auf Drogen? Megumi Uno, die Königin des Jahrgangs strahlte mich an. Normalerweise hätte ich jetzt einen Komplott vermutet, um mich wirklich, wirklich gemein hinters Licht zu führen. Aber ich spürte, dass sie es ernst meinte, schrecklich ernst – was auch immer sie gerade tat. „G-gehst du mit uns zur Schule, Akira?“ „Natürlich geht er mit uns zur Schule. Komm, Akira, der Bus fährt gleich.“ „Ich denke nicht, dass es eine gute Idee ist, wenn ihr ausgerechnet mit mir gesehen werdet. Immerhin bin ich ja als Otomo-Pe… WHOA!“ „Hör auf zu sabbeln, komm endlich. Megumi, du den anderen Arm.“ „Gerne doch!“ „Nicht so fest! Zieht doch nicht so. Uno-kun, musst du dich so an meinen Arm hängen?“ „Stell dich nicht so an. Du bist doch ein Mann, oder?“, tadelte Yohko. Eine halbe Stunde später waren wir auf dem Schulweg, umringt von hunderten Uniformen der Fushida. Und ich schwitzte Blut und Wasser. Wie ich es gewohnt war, trafen mich hunderte Blicke. Und mit Yohko und Megumi links und rechts von mir hätte ich der Mittelpunkt von Hass und Zorn sein müssen und… Nun, anscheinend waren an der Schule gratis Drogen verteilt worden, und nur ich hatte keine abbekommen. Ich sah in entsetzte Gesichter, heruntergeklappte Kiefer und hochrote Wangen. „Häng dich nicht so an mich, Uno-kun“, ermahnte ich das hübsche Mädchen. „Die kommen ja alle auf falsche Gedanken.“ „Was ist so falsch daran?“, fragte sie. „Und warum nennst du mich nicht Megumi? Yohko hat mir erzählt, dass du mich Zuhause immer so nennst.“ „YOHKO!“ „Was denn? Willst du dich jetzt bei mir beschweren, dass du Megumi-chan beim Vornamen nennen kannst?“ „N-nein. Aber ich…“ „Morgen! Na, Akira, was hat die Quetscherei gestern eingebracht?“ Kei klopfte mir auf den Rücken, kam um Yohko herum… Und starrte mich an wie einen Geist. „Wow. Wow. Wow. Hast du eine plastische Chirurgie hinter dir?“ „Möchtest du gerne meinen Fuß in deinem Hintern haben?“ „Nein, danke. Für so etwas bin ich noch nicht bereit. Dazu ist unsere Beziehung zu jung“, scherzte der weißblonde Bursche. Er zog seine Kamera aus der Uniformjacke. „Sag Cheese, Akira.“ „Machst du mir Abzüge von dem Foto?“ „Ich kann was viel besseres, Megumi-chan. Ich kann ein Foto von euch beiden machen.“ „Akira. Bist du das?“ „S-sempai! Das ist nicht so wie du denkst! Ich…“ „So, so. Was denke ich denn?“ „Keine Ahnung. Aber es ist definitiv falsch, Hatake-sempai.“ „Was ich gerade denke, kannst du nicht mal ahnen, Kleiner“, brummte Mamoru und schloss sich uns schweigend an. „Yohko-chan. Morgen. Akira, entschuldige noch mal wegen gestern. Ich habe total überreagiert. Nanu? Mamoru, was macht der denn hier?“ „Was machst du hier? Gestern schlägst du Akira noch und heute gehst du neben ihm her?“ „Wenn ich mal feststellen darf, ich gehe neben seiner hübschen Schwester her, ja?“ „Oh. Das mache ich auch gerade.“ „WAS?“ „Friede, Jungs, Friede. Noch mehr Aufmerksamkeit, und die Amis richten ein Dutzend Spionagesatelliten auf uns.“ Ich hätte mir den Schweißfilm von der Stirn gewischt, wenn ich meine Arme hätte bewegen können. In einem beachtlich großen Pulk – für meine Begriffe – traten wir auf den Schulhof. Auch hier das gleiche Bild. Entsetzte Gesichter, heruntergeklappte Kiefer und… hochrote Köpfe. Mann, ich war mir nicht sicher, ob ich diese Droge jemals ausprobieren wollte. „Morgen, Aki-chan.“ Ich drehte den Kopf. Mehr war leider nicht drin. Joan lehnte auf der Innenseite der Mauer und sah mich schmunzelnd an. „Hast ja gestern doch nichts gemacht. Zumindest ist mir nichts zu Ohren gekommen.“ „Hä? Hä?“ Megumi sah im schnellen Wechsel von mir zu Joan und zurück. „Wie, nichts gemacht? Habe ich da was nicht mitbekommen?“ Joan stieß sich von der Wand ab und kam zu uns herüber. „Schätzchen, dein Freund hier ist Kuroi Akuma, der Vigilant, der die Stadt in Atem hält“, raunte sie. „Wusstest du das nicht?“ „F-freund? Das ist jetzt aber… Ich meine, ich… F-freund?“ Irritiert zog Joan die Augenbrauen zusammen. „Die hört wohl nur was sie hören will, was?“ „Ich bin mir nicht sicher, worauf du hinaus willst, Joan.“ „Was ist hinter der Barriere, Aki-chan? Und wie erzeugst du sie?“ „Welche Barriere?“ Himmel, dies war die Schule! Und Mamoru und meine Schwester sollten nicht erfahren, was ich so verzweifelt zu verheimlichen versuchte. „Komm schon. Ich bin heute Abend wieder da. Und morgen Abend. Und den Abend danach. Du kannst die Sache abkürzen, wenn du mir gleich sagst, was ich wissen will.“ Meine Schulterwunde begann plötzlich zu pochen. Und zu schmerzen. Und ich sah Sterne vor meinen Augen. Danke, danke, das war genau das, was ich gebrauchen konnte. Ich spürte meine Knie weich werden, aber übergangslos fühlte ich mich gestützt. Besorgt sah Megumi mich an. „Geht es?“ „Leise“, flüsterte ich. „Ja, es geht wieder.“ Joan zog die Stirn in Falten. „Warst du gestern doch aktiv? Ich habe dir doch gesagt, dass… Warte mal, warte mal, das fällt mir jetzt erst auf.“ Sie trat vor mich, nahm mein Kinn in die Rechte und drehte mein Gesicht hin und her. „Hm. Hm. Hm. Gute Arbeit, Yohko. Vor allem das blaue Auge hast du gut abgedeckt, aber ich sehe natürlich die Schwellung noch. Mann, Aki-chan, so wie du jetzt aussiehst könnte ich mich glatt in dich verlieben.“ Übergangslos hatte ich das Gefühl, mein rechter Arm würde zerquetscht werden. „Autsch.“ „Ja, so siehst du ja richtig süß aus. Wie wäre es? Wollen wir zwei es mal miteinander probieren?“ „W-was soll das denn? Du bist erst einen Tag an der Schule, und schon willst du mit Akira gehen? Das ist doch nicht dein Ernst!“ „Was denn? Noch nie was von Liebe auf den ersten Blick gehört, Megumi-chan?“ „Ich kenne ihn viel länger als du!“, fuhr sie die Amerikanerin an. Entsetzt spürte ich, wie mein Herzschlag aussetzte. Hatte ich das wirklich gehört? Ich sah zu Megumi herüber, die wütend zu Boden sah. „Ist doch wahr. Sie kommt hier einfach her und glaubt sie kann dich einfach so haben. Das ist nicht fair. Das ist einfach nicht fair. Ich war viel früher da.“ „Akiiiraaaaa! Was hast du mit Megumi-chan angestellt? Das glaube ich nicht, das glaube ich einfach nicht!“ „Was ein wenig Pickel ausdrücken doch alles erreichen kann“, murmelte Yoshi amüsiert. Er legte einen Arm um Mamoru und drückte ihn weiter. „Komm, Sempai. Das kannst du später unter vier Augen mit ihm klären. Yohko-chan?“ „Bin schon auf dem Weg.“ „Hey, Leute, geht doch nicht weg! Mist!“ Was passierte hier gerade? Und warum starrten mich nun noch mehr Leute an? „Megumi, ich…“ „Du brauchst nicht sofort zu antworten. Aber wenn wir Mittagspause haben, dann…“ Sie wurde rot, ließ mich los und lief in die Halle mit den Schuhboxen. Vielleicht hätte ich gleich etwas erwidern sollen. Vielleicht hätte ich mir nie die Pickel ausdrücken lassen dürfen. Vielleicht hätte ich ihr sagen sollen, dass ich umfallen würde wie eine gefällte Eiche, wenn sie mich los ließ. Verdammt, die Wunde raubte mir eine Menge Kraft. Ich schlug hart auf dem Boden auf. Mein Blick verschwamm. Alle Geräusche erklangen, als kämen sie aus weiter Ferne, und dann durch fünf Kilo Watte. „Akira? Akira?“ Das war Kei. „Was ist denn hier passiert? Komm, ich helfe dir.“ Doitsu. Ich fühlte mich gepackt und hochgehoben. Eine sichere Hand legte sich genau auf meinen Verband. Das musste Doitsu sein. Er hatte mir die Wunde in der letzten Nacht verarztet. „Mist“, murmelte er und ich wusste Bescheid. „Akira, mach jetzt bloß nicht schlapp.“ „Was ist denn mit ihm? Warum ist er zusammengebrochen?“, klang Joans Stimme auf. „Na, wenn dir das hübscheste Mädchen der Schule plötzlich ihre Liebe gesteht, würdest du wohl auch zusammenklappen“, sagte Kei. Und so wie er es sagte, klang es als würde er es wirklich glauben. Vielleicht war das sogar der Fall. Ich grinste matt. Nun, zumindest stellte ich mir vor, ich würde es tun. „Danke, Jungs“, murmelte ich. Eigentlich tat es sehr gut, ausnahmsweise mal nicht alleine zu sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)