Anime Evolution: Nami von Ace_Kaiser (Vierte Staffel) ================================================================================ Kapitel 4: Hebt die BISMARCK ---------------------------- Prolog: Es war ein Anblick, der das Herz stehen lassen konnte. Die beiden mächtigen Schiffsrümpfe, die BISMARCK und die HINDENBURG, einst geplant und konstruiert um einmal die ersten Schlachtschiffe der Menschheit zu sein, wurden auf Befehl des Executive Commanders der United Earth Mecha Force, namentlich der legendäre Top-Pilot Blue Lightning Akira Otomo, aus den Werften der ARTEMIS-Plattform geschleppt und im Atlantik versenkt. Roger Smith beobachtete dieses gewaltige Schauspiel mit Tränen in den Augen. Er, der jüngste amerikanische Offizier, dem jemals das Kommando über ein See-Schiff anvertraut worden war, weinte. Und fragte sich, ob dies Schwäche oder Leidenschaft war. Diese gewaltigen Schiffe, dafür gedacht, den Krieg zurück zu den Kronosiern zu tragen, sollten auf den Wunsch eines achtzehnjährigen Kriegsversehrten Oberstufenschülers versenkt werden, um den Platz in den Werften frei zu machen, für die YAMATO und die KAMI sowie den Zerstörer LOS ANGELES. Sinnvoll war dieser Plan schon, wie Smith zugab, aber mussten diese Giganten dafür wirklich auf den Grund des Atlantiks versenkt werden? Jedenfalls, als altem Seefahrer brannte ihm das Herz vor Scham und vor Mitgefühl für die stolzen Rümpfe, die ihren letzten Gang antraten. Akira Otomo, was war er für ein Mensch? Konnte man einem Achtzehnjährigen die Verantwortung, die UEMF zu lenken, die letzte Verteidigungslinie der Menschheit, überhaupt zumuten? Mit dem Namen Blue Lightning verband Roger genau wie jeder andere Soldat auf der Erde Tapferkeit, höchstes Können, tödliche Präzision und einen höchst erfolgreichen Angriff auf die kronosische Mars-Basis am Fuß des Nyx Olympus-Schildvulkans. Aber das zu wissen und zu begreifen, dass dieser Akira Otomo seit seinem vierzehnten Lebensjahr für die Menschheit kämpfte war ein Unterschied. Roger wollte es begreifen, wollte die Verehrung, die er für Blue Lightning empfand, auf Colonel Otomo, nein, Executive Commander Otomo übertragen. Aber es fiel schwer, wenn man nur diesen Jungen mit den harten Gesichtszügen sah. Roger wusste, dass Akira Otomo die richtige Entscheidung traf, genauso wie er es geschafft hatte, den OLYMP neu zu organisieren, nachdem die fünfzigtausend Besatzungsmitglieder dem Resonatortorpedo zum Opfer gefallen waren. Aber konnte das wirklich dieser Oberstufenschüler sein? Konnte auch diese Entscheidung richtig sein? Konnte die Rettung wirklich nur im Umbau der KAMI, der YAMATO, der LOS ANGELES und der Fertigstellung der GRAF SPEE liegen? Gab es keine andere Lösung? Hätte man die Schiffsrümpfe nicht in einen stabilen Orbit bringen und später einsammeln können? Nein, die Rümpfe hätten einem unauffälligen Beobachter zu viele Rückschlüsse auf die Technik gewährt. Ganz davon abgesehen, dass sie von den Kronosiern gestohlen werden konnten. Warum dann nicht in der Wüste? Warum in eintausend Metern Tiefe mitten im Atlantik? In einem der unzugänglichsten Gebiete der Welt? Gerade weil es unzugänglich war? Konnte er dieser Entscheidung vertrauen? Konnte er Akira Otomo vertrauen? Konnte er als Kapitän an diesem Einsatz teilnehmen? Konnte er ein Schiff unter seinem Oberkommando führen? Ein Stich ging durch sein Herz, als die BISMARCK über den Rand der Plattform hinausschoss und gemächlich hinab kippte. 1. „KLASSE!“ Oberst Vitali Andrejewitsch Kuratov zog den Hawk über eine Schicht Wolken hinweg, durchbrach sie und zog eine enge Schleife um die kleine Wolkenbank. Unter ihm zogen neun weitere Hawks ihre Bahn. Sie alle gehörten zu den Roten Falken, dem absoluten Elite-Regiment der russischen Armee. Entstanden war diese Truppe aus den Piloten, die anfangs in ihren MiGs Seite an Seite mit Blue Lightning gekämpft hatten, in Amerika, in Europa, in China und nur selten über russischem Boden oder einem der Satellitenstaaten. Selbstlos und vor allem ohne zu zögern hatten die Russen jedem Staat Hilfe geleistet, und oft genug war es Vitali vorgekommen, dass Blue Lightning sie anführte. Als dann die ersten Hawks außerhalb der UEMF verteilt wurden, hatte es das Dilemma gegeben, dass ausschließlich junge Leute den Kontakt mit der K.I. etablieren konnten. Bis zu diesem Punkt, an dem ein dreißig Jahre alter Pilot in einen Hawk steigen konnte, war es ein sehr weiter Weg gewesen. Aber er hatte sich gelohnt. An dem Tag, an dem der erste Hawk, der erste Sparrow, der erste Eagle von einem Piloten beliebigen Alters gesteuert werden konnte, anderthalb Jahre nach den Kämpfen um Erde und Mars, hatte sich Vitali einen alten Wunschtraum erfüllt und sowohl jene Piloten zusammengezogen, die in ihrem MiGs Seite an Seite gegen die Daishis der Invasoren gekämpft hatten als auch jene russischen jungen Mecha-Piloten, die nicht im UEMF-Sold standen. Oder nicht mehr. Denn nach dem Ende des Krieges waren viele nach Hause gekommen und bildeten nun das Rückgrat der Verteidigung. Kuratov grinste still, während er sich mit seinem Hawk wieder in die Formation einfügte. Es gab keine russische Schiffsklasse in der UEMF. Es gab auch keine hochrangigen Offiziere an Bord der AURORA aus seinem Land. Und es gab nur wenige Kapitäne und Offiziere innerhalb der UEMF, die aus seinem Heimatland kamen. Aber das war alles Teil des großen Preises für die nahezu unverbrüchliche Loyalität, der von der UEMF gewährt worden war. Dafür, dass die Russische Republik eine genauso starke Mecha-Abwehr aufbauen durfte wie die störrischen Amerikaner, war ihnen militärische Souveränität gewährt worden. Damit verbunden war zwar die Bedingung, dass russische Einheiten im Weltraum automatisch unter UEMF-Kommando standen, aber Vitali wusste, dass das nur ein kleiner Preis für die Sicherheit und die Souveränität seiner Nation war. Außerdem wusste er nur zu gut, dass die United Earth Mecha Force, deren Mitglied er als nomineller Verbündeter ja war, ihre Streitkräfte jederzeit besiegen konnte. Auch die der Amerikaner, und das war ihm eine große Beruhigung. Immerhin hatte die UEMF Blue Lightning, Lady Death, Thunderstrike und Zeus, die vier überragendsten Mecha-Piloten aller Zeiten. Ausgesprochen Akira Otomo Megumi Uno, Yohko Otomo und Makoto Ino. Vier Namen, die jedem, der im Krieg gedient hatte, wohlige Schauer offenen Entsetzens über den Rücken jagte. „Sind Sie zufrieden, Oberst?“, klang die Stimme von Elena Brinkmann auf, seiner Stellvertreterin im Rang eines Oberstleutnant. „Sehr zufrieden. Es war ein langer Weg, bis ich mich in einen Hawk setzen durfte, aber es hat sich gelohnt. Auf so ein Baby wartet man gerne.“ Brinkmann, Deutschrussin aus Sibirien, zwinkerte ihm vom Monitor der Direktkommunikation zu. „Sie zeigen auch ein beachtliches Talent, Herr Oberst. Aber die wahren Fähigkeiten offenbart ein Mecha erst, wenn er die hinderliche Atmosphäre hinter sich gelassen hat.“ Interessiert sah Vitali auf. Elena Brinkmann war während des Krieges einer der jungen Menschen, die auf einem Hawk trainiert worden waren und hatte sowohl für ARTEMIS als auch in der Marsmission gekämpft. Als sie siegreich mit Akira Otomo zurückgekehrt war, hatte dies ihren Wert für das Militär ins Unermessliche gesteigert; ihr war eine eigene Schwadron anvertraut worden, verbunden mit der Beförderung zum Major. Wenn die erfahrene Offizierin so etwas sagte, dann hatte es Hand und Fuß. „Gut. Dann schauen wir uns die Welt doch mal von oben an. Rote Falken, mir nach!“ Vitali trat die Pedale der Düsen durch und der Hawk machte einen Satz in die Höhe. Der Andruck war stark, aber der perfekt angeglichene Druckanzug reduzierte die gefühlte Belastung um bis zu vier Gravos. Modernste Technik, basierend auf intensiver Forschung, hatte diesen Wunderanzug hervorgebracht. Die anderen Maschinen folgten. Vitali genoss den Andruck. Genoss das Arbeitsgeräusch des Hawks, genoss die Konversation mit der K.I., genoss einfach alles. Endlich in einem Hawk. Endlich konnte er nachempfinden, was Akira erlebt hatte, was er hatte durchmachen müssen. Es reichte noch lange nicht, um mit dem legendären Piloten gleich zu ziehen, aber Vitali bezweifelte ernsthaft, dass das einem Menschen außer Megumi Uno gelingen konnte. „Zehn Kilometer. Oberst Kuratov, haben Sie sich eigentlich schon entschieden?“ „Entschieden für was?“, fragte er verwundert, während sein Hawk auf zehn Komma fünf kletterte. „Die Petition über den Besitzstand der Erde.“ „Ach, DIE Geschichte.“ Kuratov seufzte. „Wie oft soll ich denn noch erklären, dass das ein Bluff von Akira ist. Ich kenne den Jungen. Lieber würde er mit seinem Mecha durch die nächste Sonne fliegen, als sich die Arbeitslast aufzubrummen, zwei Sonnensysteme verwalten zu müssen. Es ist ein Fake, aber ich bin froh, dass unsere Regierung dabei mitspielt. Es sichert uns die Souveränität von den Naguad zu und…“ „Hat Sie noch niemand über den Inhalt der Petition informiert?“, fragte Elena erstaunt. „Geht es nicht um eine Beschwerde gegen die Regierung wegen Eikichi Otomos Kapitulation vor den Naguads?“ „Nicht die Petition. Ich meine die andere. Wenn Division General Otomo und Colonel Uno wieder auf die Erde kommen und…“ „Ach so, diese Petition.“ Für einen Moment kämpfte er mit den Kontrollen. „Hören Sie, auch wenn es Megumi Uno und Akira Otomo sind, ich glaube nicht, dass eine internationale Ehrengarde, bestehend aus den besten Piloten weltweit sinnvoll ist.“ „Aber sie müssen doch geschützt werden! Und wenn nicht von unseren besten Piloten, von wem dann?“ „Die beiden können auf sich selbst aufpassen. Ich weiß es. Ich war oft genug mit ihnen da oben.“ „Und das ist ja auch der Grund, warum Sie diese Ehrengarde anführen sollen, Herr Oberst! Wir…“ „Moment mal, bin ich jetzt im falschen Film?“ Elf Kilometer. „Sie haben die Petition nicht gelesen? Wir dachten, dass Sie, ein Veteran des New York-Angriffs und Begleiter in so vielen Schlachten für die beiden doch…“ „Oberstleutnant! Wissen Sie wie das klingt? Als würden wir die Monarchie einführen, mit Akira Otomo und Megumi Uno als Königspaar! Und die besten Krieger der Erde verteidigen sie! Was soll dieser Blödsinn?“ „Was ist Blödsinn daran, dass jene, die von ihnen beschützt wurden, sie nun beschützen?“, konterte die Offizierin. Natürlich. Es war zu erwarten gewesen. Elena hatte zu lange in der UEMF gedient. Hatte zu oft gesehen, was die zwei geleistet hatten. Und was die vier beim zweiten Marsangriff auf die Beine gestellt hatten. Er selbst war ja nicht besser, hatte Otomo alias Blue Lightning immer in Schutz genommen… Zwölf Kilometer. „Wir brauchen keine Monarchie, Oberstleutnant“, erklärte Kuratov trotzig. „Das mag sein. Aber vielleicht brauchen Blue Lightning und Lady Death unseren Schutz?“ „Breitbandmitteilung aus Moskau“, meldete die K.I. Vitali horchte auf. „Text?“ „Nachrichten aus dem Nag-System. Sie sind gerade frisch rein gekommen.“ „So? Durchstellen.“ „…wiederhole: Akira Otomos Körper wird zur Erde zurückgeschafft.“ Ein eisiger Schauer ging durch seinen Körper. So hatte er sich nicht mehr gefühlt, als vor drei Monaten die Meldung gekommen war, Akira sei auf einem der Monde Loranias tödlich vergiftet worden. Damals hatte sich alles binnen eines Tages zum Guten gewendet. Aber konnte Otomo immer Glück haben? „Wie die UEMF-Spitze verlauten ließ haben unbekannte Angreifer das KI des Division Comanders gestohlen und aus dem Nag-System gebracht. Der Körper, der von Colonel Uno zurückeskortiert wird, ist also nicht mehr als eine leere Hülle. Aber die UEMF hat sofort verlauten lassen, dass alles in der Macht der Erde stehende getan wird, um das KI des Commanders zurückzuholen!“ Vitali ließ seinen Hawk stoppen, warf ihn herum und raste auf die Erde hinab. „Oberst Kuratov! Was tun Sie?“ „Wir kehren zum Luftwaffenstützpunkt zurück! Ich glaube, jetzt ist ein wirklich guter Zeitpunkt, um ein paar Dinge zu organisieren!“ Sein KI gestohlen. Er konnte mit derlei Dingen nicht viel anfangen. Neulich war eine Warnung als Bericht durch alle Geschwader gegeistert, in der vor kronosischen Agenten gewarnt worden war, die als pures KI in eigentlich zuverlässigen Personen implantiert worden waren und nun Spionage betrieben. Wie alles was mit den Kronosiern zu tun hatte, war auch das in Vitalis Augen möglich, also war die Idee, dass Otomos KI aus dem Körper gestohlen worden war, nicht von der Hand zu weisen. Und er konnte nichts tun. Nur sein Bestes geben. „Folgen Sie mir!“ „Bestätigt!“ *** Als ich erwachte, tat mir der Kopf weh. Außerdem war die Perspektive merkwürdig verschoben. Nicht nur, dass ich die Umgebung, die nur langsam schärfer wurde, wie durch eine milchige Scheibe sah, alles wirkte so groß, so gewaltig. Meine Gedanken flossen träge, und ich spürte kaum meine Gliedmaßen. Geschweige denn konnte ich sie bewegen. Ich brummte missmutig. Das hätte ich besser nicht gemacht, denn nun beugte sich ein groteskes, riesiges Gesicht zu mir herunter, musterte mich besorgt und rückte etwas in meinem Gesicht zurecht. Wieder brummte ich, was das riesige Gesicht noch besorgter aussehen ließ. Es sah zur Seite. „Er ist wach.“ „Unmöglich. Die Dosis ist genau berechnet“, zischte eine männliche Stimme zurück. „Er kann nicht wach sein! Nicht hier! Nicht jetzt!“ Das riesige Gesicht wandte sich wieder mir zu und etwas berührte mich im Gesicht. „Und wenn wir die Dosis erhöhen?“ „Willst du Laysan töten?“, zischte die andere Stimme wieder. Laysan… Töten… Laysan klang irgendwie nach einem Mädchen… Mühsam hob ich die rechte Hand, es erschien mir, als müsste ich einen Berg bewegen. „Er… Er bewegt den Arm.“ „Still, sie kommen!“ Die Perspektive änderte sich, das riesige Gesicht verschwand. Stattdessen erschienen andere Gesichter über mir, harte, wütende Gesichter, die zu riesigen, uniformierten Körpern gehörten; in deren Händen schwere, tödliche Waffen lagen. „Papiere, bitte.“ „Hier, bitte, Hauptmann. Darf ich fragen, was vorgefallen ist?“ „Hm. Ryudan Koromando und Layss Koromando. Das ist?“ „Laysan, unser Kind. Es hat einen schweren Gen-Defekt. Wir wollen ihn auf Kordya beheben lassen.“ „Laysan Koromando hat keine Papiere.“ „Doch, warten Sie einen Augenblick. Ich habe den Kinderausweis hier, außerdem die ärztliche Empfehlung für Kordya.“ Die Miene des Hauptmanns wurde ernster und ernster, je länger die Stimme suchte. Endlich wurde ihm ein weiterer Ausweis gereicht. „Hm. Gut. Sie befinden sich seit achtzehn Stunden im Orbit?“ „Seit achtzehn oder neunzehn, ich müsste auf meinen Terminplaner gucken, um es genau sagen zu können.“ „Gut. Dann kommen Sie nicht in Frage. Diese beiden Männer werden trotzdem etwas an Ihnen durchführen, was wir einen Tiefenscan nennen. Bitte.“ Zwei der uniformierten Männer traten vor. Ich wandte den Kopf und erkannte zwei Personen. Einer gehörte das riesige Gesicht; aus der Distanz war es eher das einer hübschen Frau. Daneben saß ein junger Mann. Perspektive… Verdammt. Perspektive! Alles war so groß für mich, weil es groß war! Ich steckte nicht mehr in meinem Körper, oder ich hatte einen wirklich miesen Albtraum! Wütend bäumte ich mich auf, aber Fesseln hielten mich zurück. „Was ist mit dem Kind?“ „Ein Erstickungsanfall!“ Die Frau löste sich aus dem Tiefenscan, kam zu mir herüber. Ihre Hände zitterten, als sie außerhalb meines Sichtfeldes hantierte. Ich brummte wütend, versuchte, die Stimmbänder unter Kontrolle zu bringen und mich bemerkbar zu machen! Stattdessen wurde mein Blick schummrig. „Jetzt geht es unserem Kind besser. Aber wir müssen so schnell es geht in die Spezialklinik auf Kordya.“ „Hm. Wir beenden den Tiefenscan bei ihnen beiden, danach steht einer weiteren Passage nichts mehr im Weg.“ Ich sah wieder alles wie durch einen Nebel. Die Männer neben mir benutzten KI, oder meinetwegen AO, um in den Geist der beiden Erwachsenen einzudringen. Dies taten sie, um… Um was? Um mich zu finden. Diese Erkenntnis war beruhigend, aber auch sehr sinnlos. Warum scannten sie das Kind nicht? Warum versuchten sie nicht, mich hier zu finden? Ich hätte gelacht, wenn ich diesen Körper so gut beherrscht hätte. „Kein Befund. Gut. Wir danken für ihre Kooperation. Und um auf Ihre Frage zu antworten, Ryudan Koromando, wir suchen nach dem entführten Meister Aris Arogad. Falls Sie also irgendetwas Verdächtiges sehen, zögern Sie nicht, das Militär und die Polizei zu informieren. Dreißig Millionen Naguad warten auf eine Spur.“ Der Mann salutierte, und die Abordnung ging. Ich war hier, genau vor seine Nase. Der Mann hätte mich retten können, wenn er das Kind ebenfalls einem Tiefenscan unterzogen hätte. So aber blieb ich in der Hand meiner Feinde. Wer war das überhaupt? Verbündete des Cores? Agenten von Haus Logodoboro? Verdammt, verdammt. War Haus Koromando an der Verschwörung beteiligt? „Schick Laysan schlafen“, kommandierte der Mann. „Aber…“ „Wir können es nicht riskieren aufzufliegen, bis wir unseren Kontaktmann treffen. Das Risiko, dass er doch jemanden auf sich aufmerksam machen kann ist zu groß. Immerhin reden wir hier von Aris Arogad.“ Leiser fügte er hinzu: „Unserem Sohn wird nichts passieren. Sie haben es versprochen.“ Die Frau lächelte unsicher und hantierte wieder außerhalb meines Gesichtsfeldes. Dann wurde es nach und nach dunkel um mich herum, während Layss Koromando mein Gesicht liebkoste. Oder eher das ihres Sohnes. Ein interessanter Gedanke, der mich selig einschlafen ließ. Ein Sohn. Sie hatten mich nicht in ein Mädchen implantiert. 2. Der Vorgang war ungewöhnlich. So ungewöhnlich, dass er sicherlich irgendwann einmal in einem Geschichtsbuch stehen würde. Bestimmt im dem des Hauses Arogad, eventuell auch bei den Daness, und vielleicht auch im offiziellen Geschichtsbuch des naguadschen Imperiums. Eridia Arogad saß in einem bequemen Sessel in einem der unbeschädigten Büros knapp unter der Turmspitze. Auf ihrem Schreibtisch lagen etliche Unterlagen, die zusammen ein Chaos bildeten, welches einem aufrührerischen Imperium gerecht werden konnte. Vor ihr standen drei Personen. Weitere fünf standen an den Wänden und versuchten nach Möglichkeit nicht allzu sehr aufzufallen. Die Personen vor ihrem Schreibtisch waren Sostre Kalis, derzeitiger Erbe des Ratsvorsitzes der Daness, Megumi Uno alias Solia Kalis, die Nummer zwei auf dieser Position und seit neuestem alleinige Eigentümerin des heimatlichen Sonnensystems sowie Vern Attori, Stabschef des Hauses Daness, der in dieser wichtigen Angelegenheit natürlich zugegen war. Eri seufzte und erhob sich. „Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Ihr brecht heute noch auf.“ Sie sah zu Attori herüber. „Gibt es Einwände bei den Daness?“ „Nein, Meister Arogad.“ Der Sekretär straffte sich. „Dass Meister Kalis Offizier der UEMF ist, erleichtert uns einige Zugeständnisse. Mitne war über vieles nicht sehr erfreut.“ „Das kann ich mir denken. Aber defacto wird Megumi“- Der Daness hüstelte ärgerlich – „wird Solia Kalis in ihr ureigenstes Gebiet zurückkehren.“ Der Sekretär nickte zufrieden. „Was uns auf die Zusammensetzung ihres Stabes bringt. Außerdem hat Mitne Daness gefragt, ob die Idee einer sofortigen Heirat mit Aris Arogad die… Dinge nicht stabilisieren würde.“ Eri lächelte dünn. „Die beiden sind verlobt, und die halbe Galaxis hat dabei mitgehört. Reicht das nicht? Ich habe nämlich ein ernsthaftes Problem damit den unbeseelten Körper meines Enkels mit einer jungen Frau zu verheiraten, die es besser wissen sollte.“ „Oma!“, rief Megumi entrüstet und biss sich gleich auf die Lippen. Dass sie die Arogad Oma nennen durfte und es immer noch tat, war eigentlich ein Geheimnis. Sostre grinste, enthielt sich aber eines Kommentars. „Was? Es ist nicht sicher, dass wir Akira wiederkriegen, dass er in seinen Körper zurückkehren kann. Und in einem verdammten Tank wird sein Leib Jahrtausende alt, wenn es sein muß. Willst du mit einer Leiche verheiratet sein, Megumi?“ „Wie kannst du so etwas sagen?“, hauchte die junge Frau und war den Tränen nahe. „So etwas nennt man realistisch sein, Mädchen. Die Ewigkeit ist eine lange Zeit und die Zukunft ist ungewiss. Eine Frau kann nicht nur von Luft und Gedanken leben, glaub mir das. Ich habe es nie.“ „Oma!“ Yohko bekam rote Ohren. Sie war eine der Personen an der Wand und stand genau zwischen Franlin und Joan Reilley. „Nun tu nicht so als wären das neue Informationen für dich, Jarah Arogad.“ Mit einem Grinsen, das man bei einem Mann als schmierig bezeichnet hätte, verwendete sie Yohkos Naguad-Namen und sah danach zu Yoshi, der ganz rechts stand und nun sehr verlegen hüstelte. „Also ist die Heiratssache vom Tisch. Ich verweigere einfach meine Zustimmung. Ihr bleibt verlobt, bis Akira wiederkehrt oder ich die Verlobung aufhebe.“ „Das kannst du nicht tun“, hauchte Megumi. „Ich kann eine Menge. Und ich werde nicht zulassen, dass du dich noch mehr verletzt als ohnehin schon. Ich bin für tausende Wunden in deiner Seele verantwortlich, und ich werde den Teufel tun, dir noch weitere Wunden zuzufügen.“ Sie ergriff eines der Dokumente und warf es Sostre zu. „Ich nehme an, du begleitest sie, Junge.“ „So ist es… Oma.“ „Gut. Dies sind die Dokumente, die Solia Kalis zur Herrin über die Erde machen. Sie sind defacto noch immer Arogad-Protektorat, und Solia ist lediglich Verwaltungsberechtigt und darf eigene Steuern erheben - beziehungsweise sein lassen – aber mit Auflösung der Verlobung fällt das System als Ausgleichszahlung für den Wortbruch an Daness.“ Erstaunt raunten die Anwesenden auf. „Außerdem ernenne ich dich als Akiras Verlobte ebenfalls zur Verwalterin seiner Domäne Lorania im Kanto-System sowie aller weiteren Bereiche, die Akira Treue geschworen haben, beziehungsweise, die von ihm erobert wurden.“ Sie setzte sich wieder und schob einen weiteren Packen Dokumente über den Tisch. „Vern Attori, dies sind die Durchschriften für die Daness.“ Der Sekretär nickte und nahm die Unterlagen an sich. „Akiras Körper dürfte jetzt an Bord der KON sein, Torum Acatis Flaggschiff. Der Admiral wird als offizieller Vertreter des Imperiums das Kommando über alle imperialen Schiffe im System übernehmen sowie über alle Haus-Schiffe, die ihm zur Verfügung gestellt werden. Er wird eine Regionaladmiralität einrichten, ich nehme an, dass das auf dem Nyx Olympos geschehen wird. Der Junge denkt zu dramatisch, finde ich. Außerdem wirst du deinen eigenen Stab mitnehmen, Megumi… Ich meine Solia. Mit Gina Casoli hast du bereits eine fähige Zuarbeiterin, habe ich mir sagen lassen. Ich gebe dir auch Henry Taylor mit. Es war sein eigener Wunsch. Außerdem wird dich Jarah Arogad begleiten, als unsere Repräsentantin. Sie wird die Interessen der Arogads in dem eroberten System überwachen.“ „Das klingt sinnvoll“, brummte Vern Attori. „Außerdem will ich, dass du einen Umweg über das Kanto-System machst und einige deiner Freunde abholst. Jetzt, wo Akira in der Hand des Gegners ist, denke ich, sollten die fähigsten Verteidiger möglichst nicht in der Galaxis verstreut sein, sondern an einem Ort konzentriert werden, an dem wir sie bestmöglich schützen können.“ Megumi hob zaghaft eine Hand. „Kann ich Sora Fioran bekommen?“ Eri senkte den Blick. „Es… geht ihr noch nicht so gut. Sie hat Akiras Verschwinden als eigenen Fehler interpretiert. Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte sich…“ „Genau deswegen will ich sie haben. Wenn sie Akira nicht mehr beschützen kann, dann soll sie seine Schwester und mich beschützen. Akira würde es so wollen.“ „Ich teile sie dir zu. Noch etwas?“ „Habt ihr noch Platz für einen kleinen Star an Bord?“, warf Joan schüchtern ein. „Selbstverständlich.“ „Es wird noch eine weitere Person mitkommen. Yohko, du wirst sie in deinen persönlichen Stab aufnehmen. Abgesehen davon, dass wir auch Yoshi Futabe mit deinem persönlichen Schutz beauftragen.“ Der blonde Bursche streckte sich stolz. „Sag ihnen bitte, dass er reinkommen kann“, wandte sich Eridia an die fünfte Person an der Wand, das Hologramm von Helen Otomo. Kurz darauf öffnete sich die Tür und ein weißhaariger Mann kam herein. Er wirkte tatkräftig, Energie geladen und bestimmt nicht, als wäre er bereits vierhundert Jahre alt. „Aris Taral, zu deinen Diensten, Schwester.“ „Aris“, sagte sie mit einem Schmunzeln, „wird euch ebenso begleiten wie Franlin. Aris, Yohko und Megumi sind jetzt deine.“ Der Taral, ein Bluthund, wenn nicht DER Bluthund, verzog das Gesicht zu einem Grinsen. „Kriege ich eine Kompanie Attentäter der Fioran für diesen Job?“ 2. Einen Monat später: Nach über zwei Wochen Flug erreichte die AURORA den Heimatplaneten. Als das gewaltige Schiff, eigentlich ein fliegender Planetoid, in den Orbit um die Erde ging, wurde der Gigant mit Feuerwerk begrüßt. Es gab keinen Fernsehsender, der nicht über dieses Ereignis und die Abenteuer des Raumriesen berichtete, Live-Reportagen aus dem ausgehöhlten Riesen waren gang und gäbe. Besonders begehrt waren natürlich die Kapitäne der Begleitschiffe und die Offiziere der Hekatoncheiren. Aber auch viele Zivilisten kamen zu ihren fünfzehn Minuten Ruhm. Der Sprung von Alpha Centauri zur Erde hatte lange gedauert. Nachdem Admiral Sakura Ino das Schiff auf der Flucht immer hart am Limit gehalten hatte, war ihnen der letzte Sprung beinahe zum Verhängnis geworden. Sie hatten regelrecht schleichen müssen, um das heimatliche Sonnensystem zu erreichen. Auch der Flug zur Erde war unter äußerster Vorsicht erfolgt. Aber nun hatten sie es geschafft, und ein paar tausend Techniker von den Plattformen OLYMP und ARTEMIS standen bereit, um die Triebwerke, den Sprungantrieb und die Waffen zu warten. Etliche Schiffe des Begleittross mussten ebenfalls eine Werft aufsuchen. Die BISMARCK und die PRINZ EUGEN hatten sogar die Riesenwerft auf Deimos anlaufen müssen. Deshalb waren sie vor der Presse nicht etwa sicher. Auf dem Mars wurde um die beiden Schiffe ein ähnlicher Trubel veranstaltet wie auf der Erde um die AURORA. Die Menschen in den großen Städten hatten die Gelegenheit genutzt. Hatten sie bei dem Abflug des Giganten Okaiiri-Parties veranstaltet, in der sie den Menschen, Anelph und Kronosiern eine sichere Heimkehr gewünscht hatten, so waren es diesmal Itterashai-Feiern, in denen die gesunde Heimkehr des Kommandos festgestellt wurde. Die eins Komma drei Millionen Anelph, die im Resonatorfeld festgefroren waren, hatten noch über einen Monat Zeit, bevor der Torpedo seine Arbeit einstellte und ihren Zeitablauf auf das normale Maß beschleunigte. Genug Zeit, um die AURORA für den Sprung zum Mars wieder fit zu kriegen, auf dem die Anelph in Zukunft siedeln sollten. Bereits jetzt war die Anelph-Gemeinde auf dem Mars mit Feuereifer dabei, Martian City massiv zu erweitern, um Platz für die vielen Menschen zu schaffen. Es wurde bereits darüber diskutiert, einen Teil von ihnen auf der Erde anzusiedeln, um den Druck vom Mars zu nehmen, denn mit über einer Million Flüchtlingen gleich bei der ersten Mission hatte niemand gerechnet. Andererseits wurde aber auch schon wieder davon gesprochen, mehrere tausend Anelph nach Lorania zurückzubringen, in ihre eigentliche Heimat, falls die Lage stabil blieb und beide Welten weiterhin nominelles Eigentum von Akira Otomo und Megumi Uno blieben. Aber das gab den eins Komma drei Millionen keine Heimat. Jedenfalls, die Nachrichten waren sowohl schlecht als auch gut, die von der AURORA mitgebracht wurden; auch die Nachrichten, die mit der Wurmlochkommunikation aus dem Imperium kamen waren beides: übel und gut. Offiziell wurde Akira Otomo als komatös bezeichnet. Alle Beteiligten waren sich darüber einig, dass der Raub seines KIs und das spurlose verschwinden aus dem Nag-System nicht nur die Presse überfordert hätte. Eine lange Diskussion über KI hätte sich angeschlossen und damit geendet, dass Krankenhäuser eigene Abteilungen für KI-Schäden hätten einrichten müssen, weil so viele junge und ältere Menschen damit experimentiert hatten. Dass er in einem Biotank zur Erde geschafft wurde, sahen die meisten Menschen positiv. Es war immerhin seine zweite Zeit in solch einem Tank und letztes Mal war ja auch alles gut gegangen. Immerhin. Und natürlich warteten die Menschen auf die Ankunft von Megumi Uno. Ob sie nun an die Farce glaubten, die Akira sich erlaubt hatte oder ob sie einfach nur auf der sicheren Seite sein wollten, an vielen Orten entstanden Vereine, Versammlungen und kleinere Orden, die – so verrückt die Idee auch war und so unsinnig es war sie zu unterstützen – offiziell die Regentin unterstützen wollten. Heikel bei der Geschichte waren die Vereine und Orden, die innerhalb des Militärs entstanden, zumeist ins Leben gerufen von Männern und Frauen, die Seite an Seite mit Akira Otomo und Megumi Uno und den anderen beiden Hekatoncheiren gekämpft hatten. Natürlich förderten diese… Ideen die Einigkeit der Menschen, und der äußere Feind, der immer näher rückte, namentlich die Schiffe des Cores, von denen einige bereits innerhalb des Systems bekämpft worden waren tat sein übriges. Eine Einigkeit, welche die Menschen in diesen unruhigen Zeiten dringend gebrauchen konnten. Sorgen machten den Offiziellen der Menschheit eher die Menschen, die mit Uneinigkeit glänzten. Eikichi Otomo betrachtete das lebensgroße Hologramm vor seinem Schreibtisch, welches seine Frau darstellte. Die Expedition der AURORA hatte einen Projektor von Lorania mitgebracht, was Eikichi in die Lage versetzte, seine Frau nach acht Jahren wieder zu sehen. Und mit Hilfe der Standleitung über die Wurmlochverbindung konnte Helen Otomo sogar mit ihr reden. Damit belegten sie nicht einmal ein zehntel der Bandbreite, und das war etwas, was sich Eikichi gerne erlaubte. „Wo sind sie jetzt?“, fragte Eikichi und rieb sich die Nasenwurzel. „Sie haben das Kanto-System erreicht. Zusammen mit einer großen Flotte, die den Schutz des Systems übernehmen wird. Immerhin rebellieren die umgebenden Marken noch immer und im Moment ziehen wir alle loyalen Schiffe ab, um sie zu sammeln und für den Gegenangriff auszurüsten.“ „Also schon wieder Krieg, Helen. Schon wieder.“ „Ja und nein, Schatz. Nach Ansicht unserer Regierung sind es Polizeiaktionen.“ „Nur weil die Mandarine einen anderen Namen bekommt, ist es dennoch eine Mandarine, Helen.“ Der Executive Commander seufzte. „Und, was denkst du dabei, Sakura?“ Die junge Frau, die auf dem einzigen Stuhl vor Eikichis Schreibtisch Platz genommen hatte, vollbrachte die unglaubliche Leistung im sitzen stramm zu stehen. Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte salutiert. „Sie haben Akira nicht gefunden. Also hat man ihn aus dem System rausgeschmuggelt. Vermutlich ist er bereits in einer der Marken, die Logodoboro kontrolliert. Von dort aus wird er womöglich noch weiter aus dem Imperium geschafft, wenn wir Pech haben bis ins Herz des Core-Gebiet, von dem wir nicht einmal wissen, wo es liegt. Ich denke, dass wir von hier aus die einzigen Chancen haben, um ihn wieder zu finden. Alles andere liegt dann in Akiras Hand.“ Sie lächelte dünn. „Würde mich nicht wundern, wenn sie ihn uns in einem halben Jahr wieder zurückbringen, weil sie ihn nicht bändigen können.“ Eikichi lachte verstohlen und tarnte es mit einem Husten. „Da ist was Wahres dran.“ „Schatz“, tadelte Helen. „Du redest über unseren Sohn.“ „In der Tat“, erwiderte Eikichi mit Stolz in der Stimme. Nun musste auch das Hologramm seiner Frau schmunzeln. „Dennoch wäre es besser, wenn wir ihn vorher finden. Kann Kei keinen Vorstoß mit der SUNDER unternehmen? Sie ist immer noch unser kampfstärkster Kahn.“ „Nein, denn er wird Megumi zur Erde begleiten. Genau wie dein Bruder. Außerdem vereinigen wir die Slayer hier. Das bedeutet, Michi Torah und einige andere kommen ebenfalls zurück.“ „Du planst etwas“, stellte sie fest. Eikichi lächelte sardonisch. „Sagen wir, ich warte auf meine Gelegenheit. Und sie wird kommen, verlass dich drauf.“ „Mit was rechnest du, wenn ich fragen darf?“ „Nein, du darfst nicht fragen, Admiral.“ Eikichi warf Sakura ein Datapad zu. „Übrigens, der Bericht kam gerade herein. Die 2. Flotte ist vor einer Stunde ins System zurückgesprungen. Die Nachricht stammt von Admiral Bhansali auf der KAVEMN.“ „Hatte die Flotte schwere Verluste?“ „Hauptsächlich Blechschaden. Die Rochenschiffe sind dem Kampf, so weit es ging, aus dem Weg gegangen. Aber das steht da alles drin. Und es hängt noch ein separater Bericht an, der an dich persönlich adressiert ist.“ „An mich persönlich? Aber du bist der Executive Commander, Eikichi.“ „Es ist in der UEMF normalerweise üblich, den Dienstweg einzuhalten. Das bedeutet, dass Kommodore Genda seinen Bericht natürlich zuerst an dich richtet. Du kannst ihn dann an mich weiterreichen.“ Wie elektrisiert begann sie das Datapad zu scrollen. Ein Bericht von Tetsu! Mit tränenden Augen begann sie zu lesen. „…die Fluchtkapseln leer ausgestoßen… …innerhalb des Wracks versteckt… …die Rochen haben uns ignoriert und die zerstörte Korvette nicht durchsucht… …Keine weiteren Verluste in der Crew…“ Nun begann sie vollends zu weinen. Tränen fielen auf das Datapad und liefen darauf herab. „Ich dachte, ich hätte ihn in den Tod geschickt. Ich dachte, ich hätte ihn auf dem Gewissen. Ich…“ Eikichi stand auf, kam um den Schreibtisch herum und drückte seine Nichte an sich. „Siehst du, Sakura, alles entwickelt sich wieder zum Guten. Bei Akira wird es genauso sein.“ Helen lächelte. Es war ein sehr überzeugtes Lächeln. *** Als Takashi Mizuhara den jungen Kei Takahara auf sich zuschießen kam, seufzte er. Nein, es hatte eher die Ausmaße eines verzweifelten Grunzens, in dem mindestens fünf Jahrhunderte Leidensgeschichte der Menschheit konzentriert waren. Vor allem, nachdem er die missmutige Miene des Konteradmirals gesehen hatte. Der jüngste Mann, der jemals in diesen Rang befohlen worden war, hatte das falscheste aufgesetzt, was man nur lächeln schimpfen konnte. Ohne um Erlaubnis zu fragen setzte er sich zu Takashi an den Tisch und sah dabei zu wie der Mecha-Pilot sein Essen durcheinander rührte. Endlich seufzte der riesige Mann, für den die Bezeichnung Gorilla eine völlige Untertreibung gewesen wäre. „Was willst du, Kei?“ Einen Moment blinzelte Takashi, dann seufzte er erneut und fügte an: „Korrektur. Ich weiß was du willst. Was ich fragen sollte ist, warum du es schon wieder willst!“ „Ich habe doch noch gar nichts gesagt“, verteidigte sich der Offizier wütend. Nein, wie ein Konteradmiral sah er nicht aus, obwohl er mehr als einmal bewiesen hatte, dass er nicht nur ein Menschenführer sondern auch ein guter Raumfahrer war. Es hieß, er habe einen IQ von knapp unter zweihundert und einige Eigenschaften, die man Autisten nachsagte, phänomenales Gedächtnis, herausragende mathematische Begabung und exzellentes räumliches Denken – für Raumschlachten das A und O. Aber Takashi wusste noch mehr von dem jungen Mann. Er war einst Mitglied von Akiras Zorn gewesen, der berüchtigtsten Jungengang ihrer Region. Sie war nicht wegen ihrer Brutalität berüchtigt gewesen, grausamen Finessen oder dergleichen, sondern weil sie all ihre Kämpfe immer gewann. Dass Kei kein verdammter Einsiedler oder Autist geworden war lag wohl genau daran, dass er seitdem wusste, wie man aus sich heraus ging. Und einen Mann umwarf, der dreißig Kilo mehr wog als man selbst. Vorzugsweise mit einem Schwinger unter das Kinn, und wenn das nicht in Reichweite war, mit einem Schlag auf den Solar Plexus oder einem herzhaften Tritt in die Weichteile. Takashi buchte das unter Umgang mit Menschen und Etablierung von Befehlsstrukturen ab. „Aber du wolltest etwas sagen. Ich kenne dich, Kei. Ich kenne dich. Und ich kenne dein Lieblingsthema. Seit vier Wochen höre ich es mir jeden Tag an. Wie geht es Ami? Wo ist Ami? Behandelst du Ami gut? Hast du Ami heute schon gesehen? Verdammt, Kei, wenn du dir solche Sorgen um sie machst, warum heiratest du sie dann nicht?“ Der junge Offizier wurde rot und musste husten. Verlegen sah er zur Seite. „Ich mache mir nur Sorgen um sie.“ „Das merke ich! Seit vier Wochen jeden Tag mindestens einmal! Warum gehst du nicht Kenji auf die Nerven? Der sieht sie genauso häufig wie ich. Oder warum sprichst du nicht mit ihr selbst, wenn du die Gelegenheit hast? Die Slayer sind oft genug auf deiner SUNDER, oder?“ „Ich spreche ja mit ihr.“ Unwillkürlich ballte der kleine Mann die Hände zu Fäusten und sah für einen Moment richtig erwachsen aus. „Deshalb frage ich dich ja… Ach, vergiss es.“ „Moment. Vielleicht ist das jetzt eine gute Idee, um das Thema zu klären. Kei, wenn ich es nicht besser wüsste, denn du hast ja Ban Shee, dann würde ich sagen, dass du eifersüchtig bist. Warum entwickelst du soviel Interesse an ihr? Und warum ausgerechnet jetzt? Ich dachte immer, sie wäre eine Abgelegte von Yoshi und nur eine Freundin für dich.“ „I-ich habe kein Interesse an ihr direkt. Es ist nur, dass ich in letzter Zeit ein wenig Arbeit in sie investiert habe. Und mit meinem Ersten Offizier habe ich auch nichts.“ Misstrauisch und vorsichtig äugte er zu dem großen Piloten herüber. Wie der Riese immer wieder in seinen Sparrow passte, war ihm ein absolutes Rätsel. „Wie küsst sie denn so? Hat sich da… Was verbessert?“ Takashi starrte den Jüngeren an wie einen Geist. „Woher soll ICH das denn wissen? Sehe ich so aus, als würde ich mit ihr rumknutschen? Abgesehen davon, dass sie dafür eine Trittleiter braucht.“ „Was? Aber… Aber… Ich habe doch so oft mit ihr GEÜBT! Und sie hat doch gesagt, sie will mit DIR…“ Etwas schien Klick zu machen. Dem folgte ein weiteres Klick, und noch ein Klick, und dann begann das verstehen. Die Miene des Admirals verdüsterte sich mit jeder Sekunde ein wenig mehr. „Wenn nicht mit dir, mit wem dann? Aber sie hat doch gesagt, dass… Sie hat doch…“ Takashis Kiefer klappte herab. „Du bist ein Idiot, Kei. Hast wohl zuviel Zeit in der Nähe von Akira verbracht, was?“ „Das mit dem Idiot stimmt wahrscheinlich“, seufzte Kei deprimiert. „Und ich habe auch noch… Und ich dachte… Tut mir Leid, Sempai, ich… Aber wenn ich nur wüsste, mit wem sie nun rumknutscht.“ „Das kann ich dir sagen. Es ist nicht schwer zu erraten, für wen sie sich interessiert und mit wem sie sich küsst, mein guter Freund.“ Die Miene des großen Mann war ernst, aber die Augen blitzten vor Spaß und guter Laune. „Wer? Nicht, dass ich eifersüchtig bin, aber ich wüsste es halt gerne.“ „Hörst du dann auf, mir auf die Nerven zu gehen?“ „Warum sollte ich dir auf die Nerven gehen? Ich…“ „Verdammt, Kei! Ich kenne dich.“ „Also gut, ja, ich nerve dich nicht. Hast du das so empfunden? Tut mir Leid.“ „Nein, tut es dir nicht“, stellte Takashi mit Bestimmtheit fest. „Und die Antwort auf die Frage, auf wen Ami es abgesehen hat, ist: Du, Kei Takahara. Auf dich ist sie scharf.“ „Was? Aber… Quatsch! Mit mir übt sie ja nur das küssen, seit… Warte, vier Wochen.“ Das grinsen, dass nun die Miene des großen Takashis zierte, konnte es ohne weiteres mit einer Buddhastatue aufnehmen. Fett, satt und hochzufrieden. „Und?“ „Seit vier Wochen, immer wenn wir uns sehen können. Und dann… Und dann… Oh, Mist. Mist. Mist. Mist.“ Es rummste leicht, als die Stirn des Konteradmirals Bekanntschaft mit dem harten Tisch machte. „Und ich habe mich auch noch elend gefühlt, als ich dachte, ich würde sie ausnutzen. Und mich für meine Gefühle geschämt. Und für die niederen Begierden, die… Hm, nein, dafür habe ich mich eigentlich nicht geschämt. Nicht wirklich.“ Er sah wieder auf. „Und was mache ich nun?“ „Sieh es mal so. Du bist an Bord eines Frachters und untersuchst ihn nach Schmuggelware. Der Kapitän hält dich mit flotten Sprüchen bei Laune, während deine Leute das Schmuggelgut suchen. Aber sie finden nichts. Dann findest du aber heraus, dass er doch schmuggelt. Nämlich Frachtschiffe. Was also machst du?“ „Ich kassiere das Schiff ein.“ „Eben.“ Wieder grinste Takashi und wechselte von fetter Buddha auf Na was habe ich dir gesagt? „Sie sind DA! Gerade ist die KON in den Orbit gegangen! In einer halben Stunde landen sie!“ Die aufgeregten Worte unterbrachen die Diskussion der beiden. Die KON. Das bedeutete, Megumi und die anderen kamen zurück. Und bei sich hatten sie Akiras leblosen Körper. Beide sprangen auf und verließen die Kantine im Laufschritt. Eigentlich mussten sie nicht hetzen, denn eine halbe Stunde war eine Menge Zeit und der Empfang war vorbereitet. Aber sie wollten es. Sie waren es ihren Freunden schuldig. Als sie sich im laufen trennten, Kei beim Weg zu seinem gedockten Schiff und Takashi auf dem Weg zu seinem Bataillon, grienten sie sich zu. Takashi hob den rechten Daumen und rief: „Kassier sie ein, Kei. Und du hast wirklich nichts mit Ban Shee?“ „Werde ich machen. Was hast du eigentlich mit Ban Shee? Willst du sie vielleicht haben?“ „Wieso, kriege ich sie günstig?“, konterte der Mecha-Pilot. Kei lachte, winkte noch mal und lief weiter. Dieses Abenteuer nahm zwar die Ausmaße einer unendlichen Geschichte an, aber es wurde mit jedem Tag interessanter. *** „Das sind sie“, sagte Captain Alvarez, Kapitän des Bergungsschiffs MADRID nicht ohne Stolz in der Stimme. Roger Smith beugte sich über den Bildschirm des Sonars. „Sie liegen eng beieinander“, sagte er gedehnt. „Ich hätte erwartet, dass sie im Fall weiter auseinander gedriftet wären.“ „Lassen Sie sich nicht täuschen, Kommodore. Beide Schiffe liegen über siebzig Meter auseinander. Allerdings sind diese Größenverhältnisse bei den gewaltigen Rümpfen nicht der Rede wert.“ „Hm“, meldete sich eine dritte Stimme zu Wort, „als die BISMARCK und die HINDENBURG aus der Werft geschleppt wurden, waren sie keine zwanzig Meter voneinander entfernt. Ein erhöhter Abdrift von fünfzig Meter ist unter diesen Umständen und einem Fall von einhundert Kilometern verdammt wenig.“ Roger wandte sich zum Sprecher um. „Sie reden so, als wären Sie dabei gewesen, junger Mann.“ „Ach, rede ich so?“, fragte der junge Bursche mit den schneeweißen Haaren amüsiert. Er trat zu den beiden Offizieren und fragte: „Sind die Rumpfschäden zu erkennen? Sie haben zwei Tauchboote da unten, richtig, Captain Alvarez?“ „Si. Die NAUTILUS I und II. Beide schaffen es bis in eine Tiefe von zweitausend Metern. Sie untersuchen die beiden Schiffe schon seit zwei Tagen. Es gibt keine Rumpfschäden. Und es scheint auch nicht zu Verformungen gekommen zu sein.“ Der weißhaarige Mann grunzte zufrieden. „Gut. Es würde sich nicht lohnen, die Schiffe zu bergen, wenn wir erst eine Richtbank für sie bauen müssten. Aber es war zu erwarten gewesen, dass sie diesen Gewaltakt aushalten.“ „Es war zu erwarten gewesen? Abgesehen davon, dass hier eine halbe Milliarde Dollar auf dem Grund des Atlantiks liegt, was wäre so schwer daran gewesen, die Schiffe in einem stabilen Orbit zu parken?“, wandte Roger Smith ein. Die Art des jungen Mannes machte ihn ein wenig wütend. „Nun, Kommodore, das können Sie mir doch am besten beantworten. Beide Schiffe waren ausgebrannt und bestanden lediglich aus dem Rumpf und einigen Innenausbauten, abgesehen vom Zellensystem und den Innenverstrebungen, richtig? Ein Teil der Innenwände wird ersetzt werden müssen, aber das ist nicht unmöglich. Dennoch. Ich kann mir kein schöneres Geschenk für die Kronosier vorstellen als zwei nagelneue, nur leicht abgebrannte Kreuzerrohbauten, die bequem erreichbar in einhundert Kilometern Höhe fliegen.“ „Man hätte sie in den Van Allen-Gürtel packen können. Die Radioaktivität dort ist teilweise extrem hoch und hätte sie abgeschreckt. Und die Molekularverdichtete Struktur gegen die kosmische Primärstrahlung und den Sonnenwind hätte die Kontamination in Grenzen gehalten.“ Der weißhaarige Bursche grinste schief. „Ich muß zugeben, daran habe ich auch gedacht. Aber man hätte es damals den Kronosiern auch nicht leicht machen sollen, erstklassige Aufnahmen von unseren brandneuen Kreuzerkonstruktionen zu machen – abgesehen davon, dass wir die Strukturverdichtung überhaupt erst von ihnen übernommen haben und dass diese Strukturverdichteten Schiffsrümpfe auch ihre Schiffe in die Lage versetzt, beinahe unbegrenzt im Van Allen-Gürtel zu operieren.“ Der junge Mann stützte sich schwer auf dem Tisch ab und atmete tief ein. „Aber sie haben diese Strukturverdichtung. Und deshalb konnte man sich beinahe sicher sein, dass wir sie auf dem Grund des Atlantiks nur zwischen parken würden. Ich habe es gehofft, und diese Hoffnung wurde nicht betrogen.“ Ein eiskalter Schauer ging über Rogers Rücken. Oh nein, das konnte doch nicht wahr sein. War der junge, weißhaarige Mann, der so tat, als hätte er die BISMARCK und die HINDENBURG persönlich in den Teich geschmissen etwa der, der die BISMARCK und die HINDENBURG persönlich in den Teich geschmissen hatte? „Colonel? Ich dachte, Sie…“ Der weißhaarige Bursche winkte ab. „Ich nehme nur eine Auszeit von meiner Auszeit.“ Er deutete auf den Verband auf seinem rechten Auge. „Ich tauge gerade nicht besonders als Pilot und so, aber ich wollte selbst einen Blick auf die beiden Schiffe werfen, Sie verstehen, Roger?“ „Natürlich, Sir.“ „Nachricht von den Tauchbooten. Welches Schiff soll zuerst gehoben werden?“ Der Kapitän des Bergungsschiffs sah Roger Smith fragend an. Der wiederum sah zu dem weißhaarigen Burschen. Der junge Mann deutete auf den westlichen Schiffsrumpf. „Das da. Hebt die BISMARCK.“ „Aye, Sir. Hebt die BISMARCK!“ „Aye! Befehl an NAUTILUS I und NAUTILUS II: Hebt die BISMARCK!“ In diesem Moment wurde das Schiffswrack mit Trossen verbunden. Die Trossen führten in die acht Kabelrollen der MADRID, und jede einzelne Kabelrolle wurde von einem Zehntausend PS-Motor angetrieben. Dennoch, als die Bergung begann, würde es noch etliche Stunden dauern, bis das Schiff die Wasseroberfläche erreichte. Zwei Tage und elf Stunden später war es endlich soweit. Im Innendock der MADRID schäumte das Wasser, die Kabelrollen begannen zu kreischen, die Motoren heulten bei der Überlastung, und mit einem Ruck wurde ein Teil der BISMARCK an die Wasseroberfläche gehievt. Nun würde es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die vorderen Zellen ausgepumpt waren und das Schiff mit eigenem Auftrieb im Innendock des Bergungsschiffs schwimmen konnte. Der Weißhaarige sah fasziniert dabei zu. „Wollen Sie es haben, Roger?“, fragte er plötzlich. „Sir?“ „Wollen Sie die BISMARCK kommandieren?“ „Ja, Sir.“ „Dann untersteht das Schiff ab sofort ihrem Kommando.“ „Danke, Sir.“ „Danken Sie mir nicht zu früh. Denn da Sie jetzt der Verantwortliche für das Schiff sind, denken Sie sich mal eine Möglichkeit aus, das Ding zurück in den Orbit und auf die ARTEMIS-Plattform zu schaffen.“ „Sir, wir haben mit zwei Fregatten, einem Zerstörer und der GRAF SPEE den Mars erobert. Dagegen wird das hier doch eine Kleinigkeit werden, oder?“ Akira Otomo grinste den jüngsten Kapitän eines Seekriegsschiffs an. Nun war er auch der jüngste Kapitän, der je das Kommando über einen raumtauglichen Kreuzer bekommen hatte. 3. Als die KON in den Orbit um Lorania schwenkte, tat sie das nicht allein. In ihrem Gefolge waren etliche, genauer gesagt vierundachtzig Schiffe aller Klassen der vereinigten Hausflotte von Arogad und Daness. Weitere vierzehn Kreuzer und Zerstörer der Elwenfelt hatten sich angeschlossen. Dazu kam die Flotte, die sie bereits erwartete. Neben dem Naguad-Kontingent der ehemaligen Strafexpedition und den eigenen Schiffen der Anelph waren dies die terranischen Einheiten der AURORA unter dem Kommando von Makoto Ino. Weitere fünfunddreißig Anelph-Schiffe waren bereits in das System gesprungen und auf dem Weg zur Hauptwelt. Eine Fähre nahm Megumi Uno und ihren Stab auf und brachte sie auf den Raumhafen von Demiral Space Port. Dort erwartete die junge Frau neben den Hekatoncheiren eine Abordnung der UEMF sowie Dutzende hochgestellte Persönlichkeiten der Anelph. Stela Sida Ryon, die kleine Schwester von Ban Shee und Tochter des alten Admiral Ryons, der den ersten Exodus angeführt hatte, war als Vorsitzende des Komitees ebenso anwesend wie Admiral Gennusuke Riada, der die Amtsgeschäfte der Anelph-Regierung übernommen hatte, nachdem diese im Zuge der AURORA-Evakuierung und den Angriffen der Core-Raider kollabiert war. Im Moment waren die beiden Akira Otomos kommissarische Stellvertreter im System und damit offiziell Angestellte des Hauses Arogad. General Yonn Desartes, Anführer von Ruhm und Ehre, der Fünften Banges-Division, dass auf Befehl von Eri Arogad zur UEMF desertiert war, hatte einen weiten Schutzkordon errichtet, obwohl das eigentlich unnötig war. Wenn Megumi vor etwas geschützt werden musste, dann nicht vor der Wut, sondern vor der Begeisterung der Anelph. Die Lage hatte sich geändert. Alles hatte sich geändert. Die Angriffe der Raider, die zurückkehrenden Anelph-Schiffe, die über das halbe Imperium verteilt gewesen waren, der offene Schutz der Häuser Arogad und Daness, all das hatte die Anelph nicht weiter auseinander getrieben, sondern zusammengeschweißt. Es gab Übergriffe, oh ja, Angriffe auf die Naguad-Besatzungstruppen, heftige Abrechnungen mit dem Inlandgeheimdienst Auge Iram in den Medien und eine schonungslose und knallharte Aufarbeitung der Vergangenheit und der Gräuel unter der Besatzung durch das Imperium. Aber das Chaos war kleiner als alle Beteiligten befürchtet hatten. Die Gefahr, der Core, schweißte sie alle enger zusammen. Und das absolute Wunder, welches die Anelph erlebt hatten, plötzlich mit den Naguad auf einer Stufe zu stehen, hatte zu einer sehr großzügigen Laisser Faire-Einstellung geführt. Machen lassen und sehen was passiert. Mehrfach war Makoto Ino die Präsidentschaft angetragen worden, oder der Rang eines planetaren Gouverneurs, immerhin war er im Moment der ranghöchste Vertreter von Haus Arogad im Sonnensystem, aber der kluge Bursche hatte abgelehnt. Nun aber war die zukünftige Frau des Besitzers ins System gekommen und landete auf der Hauptwelt Lorania. Auf einer Welt, auf der in einem halben Jahr mehr Wunder passiert waren als in einem halben Jahrhundert zuvor. Noch vor einem Jahr hätte niemand auch nur einen Cent bei der Wette verschwendet, ob Naguad und Anelph jemals ernsthaft Seite an Seite existieren konnten. Aber nach den Angriffen der Raider und den heldenhaften Taten der Besatzer, um diese Welt und dieses System zu verteidigen, hatte sich vieles geändert. Hatte sich alles geändert. Hinter dem großen Podest waren fünf Fahnen gehisst worden. Die linke gehörte der UEMF, die rechte Lorania. In der Mitte war die Arogad-Hausfahne gehisst worden, rechts davon die des Hauses Daness und links die des Imperiums. Auf dem Podest erwarteten Megumi neben drei Dutzend Kameras über dreihundert Menschen, wobei die Anelph den Hauptanteil stellten. Offiziell in Empfang genommen wurde sie aber unter der Federführung von Makoto Ino. Und als die Fähre gelandet war und die Ausstiegsluke geöffnet wurde, erklang die Hymne des Imperiums, dicht gefolgt von der Hymne der Anelph. Die gut dreihunderttausend Zaungäste, die dem Ereignis hinter den streng bewachten Absperrungen beiwohnten, untermalten das Geschehen mit einem Geräuschorkan, der einem startenden Kreuzer der Bismarck-Klasse Ehre gemacht hätte. Zuerst empfing Makoto die junge Frau als Offizierin im Rang eines Colonels der UEMF mit einem strengen Salut. Danach empfing er sie als langjährige Freundin, die einen furchtbaren Verlust erlitten hatte. Anschließend wurde Megumi Uno alias Solia Kalis von den anderen Anwesenden begrüßt. Ihr folgten Sostre Daness, der derzeitige Erbe des Hausvositzes, Yohko Otomo alias Jarah Arogad, Aris Taral, der Großvater von Sakura und Makoto Uno und endlich Joan Reilley. Auch wenn der Umstand, der diese beeindruckende Truppe hier zusammengebracht hatte, nicht der Beste war – offiziell lag Akira im Koma, inoffiziell wusste jeder, der an diese Möglichkeit glaubte, dass dem jungen Offizier das KI aus dem Körper gestohlen worden war – Joan Reilley war durch ihre erfolgreichen Auftritte auf Central in Nag-System noch berühmter geworden und im wahrsten Sinn des Wortes zum Kitt geworden, der zuerst Lorania und die Erde und nun das ganze Imperium mit Lorania zusammengefügt hatte. Der Jubel, der bei ihrem Anblick aufkam war so laut, dass die offizielle Begrüßung unterbrochen werden musste. Eine Gelegenheit, die Yoshi Futabe benutzte, um zusammen mit Admiral Acati ebenfalls auf die Tribüne zu kommen. Ihnen folgte Megumis neuer Stab, der ebenfalls nicht beachtet wurde, was Gina Casoli, Henry William Taylor, Franlin Litov und Sora Fioran wohl nur Recht sein konnte. Der Anblick von Sirgej Elwenfelt hingegen, der als Letzter die KON verließ, wirkte wie eine kalte Dusche auf die Menge. Sirgej war offizieller Vertreter des Hausrates der Elwenfelt. Und mit den Elwenfelt hatte Lorania keine guten Erfahrungen gemacht, bis letztendlich das Naguad-Militär die Macht im Kanto-System übernommen hatte. Megumi nutzte die Pause und trat an das Rednerpult. Ihre Worte würden nicht nur über den Platz verteilt werden, sondern im ganzen System. Und von dort würden sie im ganzen Imperium verstreut werden und sogar die Erde erreichen. „Mein Name ist Megumi Uno. Ich bin Offizierin der United Earth Mecha Force. Aber ich bin auch Solia Kalis, offizielle Hausangehörige des Hauses Daness.“ Kurz unterbrach sie sich und lächelte Jora Kalis zu, einer nahen Cousine, wie sie mittlerweile wusste. „Dieses Sonnensystem hat vor einem Vierteljahr kapituliert und ging in den persönlichen Besitz des Hauses Arogad über. Aris Arogad, zweiter Erbe des Hausvorsitzes der Arogad, bekam dieses System und das System der Terraner als persönliches Lehen. Diese Welt steht seit diesem Tag unter dem Schutz von Haus Arogad!“ Jubel brandete auf, der lange Zeit nicht verklingen wollte. Megumi hob eine Hand, und es wurde leiser. „Als offizielle Verlobte von Aris Arogad nehme ich seine Pflichten wahr. Seine neueste Verwundung verhindert, dass er hier sein kann. Aber sein Wille ist es, und ich führe ihn aus. Es tut mir Leid, dass ich nicht die Selbstständigkeit verkünden kann. Lorania und das Kanto-System bleiben ein Teil des Imperiums, genau so wie die Erde und der Mars. Aber es ist mir eine Freude, dem Volk der Anelph mitzuteilen, dass das Kanto-System mit dem heutigen Tag nicht nur persönlicher Besitz des Hauses Arogads ist, sondern vom Status einer Mark zum Status eines Bezirks aufsteigt. Alle Bürger des Sonnensystems werden damit ab sofort vollberechtigte Bürger des Naguad-Imperiums.“ Wieder brandete Jubel auf, den Megumi stoisch abwartete. Nur ein leichtes Kräuseln der Lippen verriet ihre Gefühle. Erneut bat sie um Ruhe. „Damit verbunden sind etliche Änderungen, neue Rechte, aber auch neue Pflichten. Wir alle sind uns der Gefahr durch den Core mehr als je zuvor bewusst. Die Angriffe auf Lorania, abgeschlagen von Naguad, Anelph und Menschen zeigen uns zu deutlich, was uns in Zukunft erwartet. Auch der Verrat von Haus Logodoboro und die Bedrohung des Kanto-Systems durch die umliegenden Marken, die von der Verräterfamilie kontrolliert werden, können und dürfen wir nicht ignorieren. Wir gehen schweren Zeiten entgegen, aber wir gehen ihnen gemeinsam entgegen. Ich habe Zusagen der UEMF erhalten, dass die Anelph bei der Verteidigung ihrer Heimat nicht alleine sein werden. Die Allianz zwischen unseren Völkern wird fortgeführt und ausgebaut, gerade weil wir nun Angehörige des Hauses Arogad geworden sind. Auch Haus Arogad hat umfassende Hilfe zugesagt. Eine Haus-Flotte hat sich bereits in diesem System versammelt, zwei weitere werden unter der Führung von Admiral Eridia Arogad noch innerhalb des nächsten Monats eintreffen. Zwei weitere Flotten werden diese begleiten. Eine wird von Haus Daness gestellt, die andere von der Raummarine des Imperiums. Das Kanto-System wird von allen Seiten vom Core und vom Verräterhaus Logodoboro bedroht, aber wir drehen den Spieß um! Von Lorania aus werden wir unsere zusammengezogenen Truppen führen, um die umliegenden Marken und Bezirke von den Truppen des Cores und der Logodoboro zu befreien und die Bevölkerung zu retten! Von Lorania aus werden wir diesen Teil des Imperiums stabilisieren und Hoffnung und Wohlstand wiedererlangen!“ Erneut wurde gejubelt, länger und lauter als zuvor. Für die Anelph hatte sich in den letzten Monaten alles geändert. Wirklich alles. Sie waren vom besiegten Volk zum gleichberechtigten Partner aufgerückt, wie es von Anfang an hätte sein sollen. „Ich übergebe nun das Wort an Meister Sirgej Elwenfelt, der dem Volk der Anelph im Namen seines Hauses eine wichtige Mitteilung zu machen hat.“ Die beiden wechselten sich ab, und für den Elwenfelt erklangen Pfiffe. Es war noch nicht lange genug her, dass die Elwenfelt mit purer Waffengewalt versucht hatten, das System zu erobern. Es wurde so laut, dass Sirgej nach mehreren Versuchen aufgeben wollte. Megumi nickte Joan Reilley zu. Die junge Frau, ein Superstar auf Dutzenden Welten, trat von Makotos Seite neben den Elwenfelt, und es wurde merklich leiser. „Lasst Sirgej Elwenfelt sprechen“, sagte sie ruhig, und merkwürdigerweise konnte man sie problemlos verstehen, „und entscheidet danach, ob es gut oder schlecht war. Ich, Joan Reilley, bitte die Anelph darum. Und ich lege auch ein Live-Konzert drauf.“ Das schien zu wirken, die Pfiffe wurden weniger und verstummten danach ganz. Sirgej Elwenfelt dankte ihr mit einem Nicken. „Ich bin zu jung“, begann er mit zittriger Stimme, „um selbst miterlebt zu haben, was passiert ist, nachdem unser Core das Kanto-System entdeckt hatte. Ich bin zu jung um zu wissen, wie viel Unrecht den Anelph angetan wurde. Und ich bin zu jung, um zu verstehen, was in einem Volk vorgehen muss, das so grausam und nachdrücklich behandelt wurde.“ Wieder klangen Pfiffe auf, aber sie waren selten. „Als Haus Logodoboro die Maske fallen ließ und sich als Verbündeter des Cores erwies, als ein Daness-Schiff gekapert wurde, um den Turm der Arogads zu vernichten, wurde mir aber vieles klar. Als die Elwenfelt dem Ruf des Cores folgten, der eine prosperierende Zivilisation der Daima im Kanto-System entdeckt hatte, waren sie nicht alleine. Experten und Wissenschaftler der Logodoboro begleiteten sie. Die erste Kontaktaufnahme mit den Anelph verlief sehr zufrieden stellend und es schien, als würde eine gemeinsame Zukunft im Miteinander möglich sein.“ Die Menge raunte, wütend und unzufrieden. „Dann aber gerieten die Logodoboro in einen Hinterhalt in der Hauptstadt Demiral und wurden massakriert. Meinen Vorfahren blieb nichts anderes übrig, als ihnen militärisch zu Hilfe zu kommen. Es entstand eine Situation, eine Spirale der Gewalt und Gegengewalt, die damit endete, dass das imperiale Militär dieses System gewaltsam unterwarf. Folge waren lange Jahrzehnte der Unterdrückung, des Misstrauens und der Schmerzen und Tränen für die Anelph. Als offizielles Mitglied des Hausrats entschuldige ich mich im Namen aller Elwenfelt für das, was wir ihnen angetan haben.“ Sirgej trat einen Schritt vom Rednerpult zurück und verbeugte sich tief und lange. Als er danach erneut vor das Pult trat, waren die Pfiffe verstummt. „Wie wir heute wissen, ist das Haus Logodoboro, oder zumindest seine Führung, ein Verbündeter des Cores. Die Aufgabe der Logodoboro war es stets, Unruhe zu stiften und das Militär beschäftigt zu halten. Hier im Kanto-System hatte es hervorragend geklappt. Logodoboro hat Elwenfelt und Anelph perfekt gegeneinander ausgespielt und aufeinander gehetzt. Wir haben den Logodoboro vertraut, sind ihnen zu Hilfe gekommen und haben ihr Wort vor das der Anelph gestellt. Auch dafür entschuldige ich mich im Namen aller Elwenfelt.“ Erneut trat er einen Schritt zurück und verbeugte sich noch länger. Tränen glitzerten in seinen Augen. „Wir wurden verraten und verkauft. Und die Anelph bezahlten die Rechnung. Wir haben Jahrzehnte und einen Aris Arogad gebraucht, um das endlich zu erkennen. Und wir haben nicht vor, vor unserer Verantwortung zu fliehen. Wenn das Volk von Lorania zustimmt, dann wird Haus Elwenfelt seinen eigenen Beitrag leisten, um die Anelph vor dem Core zu schützen – als gleichberechtigte Partner und Waffenbrüder in den Kämpfen, die kommen werden. Haus Elwenfelt wird zwei Flotten detachieren und der Koalition unterstellen, die sich in diesem System dem Core und dem Verräterhaus entgegenstellt. Das heißt, wenn die Anelph uns dulden. Ich erwarte hier und jetzt keine Antwort. Aber ich hoffe, dass wir Elwenfelt eine Chance erhalten, um wieder gut zu machen, was uns in der Vergangenheit missraten ist und so viel Leid über die Anelph brachte.“ Letztendlich pfiff niemand mehr. *** „Und?“ Eikichi Otomo wandte sich ab, sah vom Hologramm fort auf das einzige Ding, das neben dem Schreibtisch in seinem Büro stand, den Papierkorb. Er hatte unnötige Details schon immer gehasst und sich nie mit Aktenschränken, Sitzecken oder Kaffeemaschinen abfinden können. Ein Büro musste funktionell sein und seinen Benutzer widerspiegeln. Dieses Büro war schlicht und effizient. „Sieh mich bitte an, wenn ich mit dir rede.“ Die Worte klangen harsch, aber sie waren mit einer Sanftheit vorgetragen worden, die das Herz rührte. Nur zögerlich sah Eikichi wieder zum Bildschirm herüber. „Helen, ich…“ „Ich bin in drei Welten aufgewachsen, Eikichi. Ich wurde in Japan geboren, erlebte Jugend und Kindheit dort und in Deutschland. Ich sah meinen Cousin sterben und den Mann meiner Cousine, während ich die dritte Welt erlebte, die Subkultur der exilierten Naguad. Ich habe zuviel gesehen und zuviel erlebt, um überrascht zu sein oder verärgert oder zornig. Ich weiß, dass man nur mit Ruhe alles erreicht, nur mit Konzentration alles Wesentliche aufnimmt und nur mit Ausgeglichenheit gutes AO erzeugt und benutzen kann. Eikichi, dass diese Logodoboro meinen Sohn entführt haben, hat mich aufgeregt, weit mehr als damals, als ich in diesen Verkehrsunfall geriet, der mich…“ Das Abbild von Helen Otomo, über sechzig Lichtjahre entfernt, schluckte hart. „…in diesen Tank gezwungen hat. Aber jetzt ist die Zeit um zu entscheiden was wir tun. Er ist nur ein Mann, einer von unendlich vielen, richtig?“ „Ja, er ist nur ein Mann. Er ist nur Akira Otomo. Und da draußen sind sechs Milliarden Menschen, die ich davor beschützen muss, vom Core übernommen zu werden, entkernt zu werden, ihrer Leben beraubt zu werden. Einmal ganz davon abgesehen, dass sich das Kaiserreich noch nicht für uns interessiert hat und dass es sicherlich noch Dutzende Daima-Welten da draußen gibt, von denen wir nichts wissen, weder ihre Möglichkeiten, noch ihre Absichten. Aber… Dennoch.“ Seine Hände krampften. Tränen verließen seine Augen. „Dennoch! Er ist mein Sohn! Ich kann ihn nicht aufgeben und ich werde es auch nicht. Selbst wenn ich alleine gehen muß, ich werde ihn retten!“ „Ich werde ihn auch nicht aufgeben, Eikichi. Wir wissen nicht, wohin er geschafft wurde. Seine Spur verliert sich schon wenige Stunden nach dem Vorfall in der Vorstadt. Wir können aber sicher sein, dass sie ihn aus dem System geschafft haben. Mittlerweile dürfte er in einer der Marken angekommen sein, die von Logodoboro kontrolliert werden. Und von da an wird er weitergeschafft werden, bis zu einer Core-Welt. Andernfalls hätten sie ihn auch einfach töten können, die Entführung hätte keinen Sinn gehabt.“ „Du willst sagen, wir müssen ihn auf den Core-Welten suchen?“ „Auf den Core-Welten, die wir nicht kennen und die wir erst noch finden müssen.“ Eikichi wischte sich die Augen trocken. „Eine unmögliche Aufgabe. Ihn zu finden ist…“ Helen lächelte sanft. „Du vergisst, wer er ist, Eikichi. Er ist dein Sohn, er ist mein Sohn. Er wird wie ein Leuchtfeuer strahlen und uns den Weg zu ihm weisen. Akira Otomo ist die Summe all dessen, was uns ausmacht. Er ist der Erbe von Naguad-Blut, Iovar-Blut, Daina- und Daima-Blut, Terraner-Blut, und selbst das Blut der Dämonen pocht in ihm. Er ist von seinem Bluterbe das interessanteste Wesen in diesem Teil der Galaxis, und nur ein Mensch übertrifft ihn noch.“ „Nur Yohko, weil sie die Elwenfelt-Gene erhalten hat“, murmelte Eikichi bestätigend. „Sie wird nicht zögern, sich auf die Suche nach ihren Bruder zu machen.“ „Ja, das wissen wir beide. Und sie wird von dem Leuchtfeuer, das Akira sein wird, angezogen werden. Die beiden Geschwister finden einander. Du musst nur daran glauben, Eikichi.“ „Hm, vielleicht ist das gar nicht nötig. Vielleicht hat Sakura Recht und wir müssen nur lange genug warten, und sie bringen uns Akira freiwillig wieder. Wie lange der Core es wohl mit ihm aushält?“ Helen Otomo versuchte, ein ernstes Gesicht zu machen, aber das glucksen verriet sie. Als sie schließlich hinter vorgehaltener Hand kicherte, tadelte sie ihren Mann. „Eikichi, du bist schrecklich.“ „Nein, ich bin nur ein Vater, der seinen Sohn kennt. Wie lange halten sie es wohl mit ihm aus? Einen Monat? Zwei?“ „Nach einem Jahr gehört ihm wahrscheinlich die Core-Zivilisation“, bestätigte Helen todernst. Nun war es an Eikichi zu lachen. „Ich weiß genau, warum ich dich geheiratet habe“, stellte er vergnügt fest. Übergangslos wurden beide wieder ernst. „Und?“, fragte Helen erneut. „Du schickst mir Aris, hm?“ „Ja. Und Karl ist zusammen mit der AURORA zurückgekehrt, richtig?“ „Damit ich das richtig verstehe, dieser Torum Acati, der Akira beinahe getötet hätte, kommt her, um eine Regionaladmiralität aufzubauen?“ „Der Rat schickt eine Flotte, um den Schutz der Erde auszubauen. Nicht ganz aus Eigennutz. Schiffe, die nicht im Imperium sind, können von den Häusern nicht gegeneinander ausgespielt werden. Du weißt, wir haben das angekündigte zweite Verräterhaus noch immer nicht enttarnt.“ „Sind sie zuverlässig?“ „Sie werden auf Aris Taral hören.“ „Dann haben wir Kapazitäten frei.“ Eikichi sprach es nicht aus, aber die erfahrensten Kapitäne und Mannschaften der Menschheit hatten die Troja-Mission begleitet oder bildeten in der Zweiten Flotte die Patrouillen in den umliegenden, unbewohnten Systemen. Drei Viertel der menschlichen Streitkräfte waren bestenfalls grün, wenn nicht als Rekruten einzustufen. Zum Glück waren einige Schiffe während der Troja-Mission Veteranen geworden. Wenn Mannschaften und Offiziere neu verteilt wurden, würde das die neuesten Schiffe der Menschheit effektiver machen. „Ich werde eine Freiwilligenbrigade aufstellen. Ausschließlich Freiwillige. Sie werden Akira suchen gehen.“ „Wirst du mitgehen?“ „Nein. Mein Platz ist hier.“ „Wen willst du schicken?“ „Die AURORA. Defacto ist sie Akiras persönliches Eigentum, seit die UEMF vor ihm kapituliert hat. Es ist legitim, sie auszusenden. Natürlich müssen wir den Kasten erst generalüberholen. Ich werde sie aussenden, selbst wenn sich nur zwanzig Mann melden, um das Schiff ins Ungewisse zu fliegen.“ „Wohin wirst du sie senden?“ „Zur einzigen Stelle in diesem Universum, die uns eine Spur finden lässt.“ „Das Kaiserreich“, stellte Helen tonlos fest. „Das Kaiserreich.“ Eikichi Otomo nickte schwer. *** Es war wie immer harte Arbeit. Hart für Sakura, hart für ihre Offiziere. Sie befanden sich seit zwei Wochen wieder im Orbit um die Erde, nachdem sie einen Abstecher zum Mars gemacht hatten, um die eins Komma drei Millionen Anelph nach ihrem Erwachen zu den anderen Anelph zu bringen. Nach den ersten Feiern und dem Abstecher zum kleinen Bruder der Erde hatten weitere Wartungsarbeiten angestanden, für die jeder Mann und jede Frau gebraucht wurden. Selbst die Hekatoncheiren-Piloten unter Colonel Daisuke Honda waren herangezogen worden. Das heißt, sie hatten sich aufgedrängt. Es war ein langer Achtzehn Stunden-Tag für sie, aber mit jedem Tag konnte man die Fortschritte sehen, die das riesige, aus einem Planetoiden erbaute Schiff machte. Das tiefe Loch war verschwunden, welches Akira zusammen mit Acati gerissen hatte. Die riesigen Plattformen verschwanden nach und nach, während sich die wiedererwachten Anelph entschieden hatten, entweder auf der Erde oder auf dem Mars zu leben – wobei letzterer durch die Ausdehnung der grünen Zone immer lebenswerter wurde. Die in Martian City und Umgebung künstlich angehobene Schwerkraft entsprach in etwa der Lorania-Norm, was sicherlich dazu beitrug, den Mars attraktiv zu machen. Dass über der grünen Insel auf dem roten Planeten ein eigenes Plattform-System entstand, mochte bei der Entscheidung hilfreich gewesen sein. Die ohnehin etwas dünne und fragile Atmosphäre würde nicht mehr so aufgewühlt werden, wie es zurzeit bei jedem Start und jeder Landung der Fall war; die künstliche Indoktrination der Mars-Atmosphäre mit Treibhausgasen und Ozon tat ihren Teil, um den kleinen Bruder der Erde in ein zweites Paradies zu verwandeln. Die Kronosier hatten gut geplant und sehr gut gearbeitet, das musste Sakura neidlos anerkennen. Allerdings hatten sich gut zehntausend Anelph für die Erde entschieden, und ein kleines Kontingent von achthundert und ein paar Zerkrümelten wollte tatsächlich bei nächster Gelegenheit ins Kanto-System zurückkehren. Sakura konnte sie verstehen. Die Troja-Mission war ein voller, absoluter Erfolg gewesen, hatte weit mehr erreicht als allen Planern möglich erschienen war - bei allem Optimismus nicht. Und nun mussten sie alle auf die veränderten Gegebenheiten reagieren. Die junge Frau gähnte herzhaft, während sie sich aus ihrer Uniform schälte. Volladmiral. Wer hätte das jemals gedacht? Sie selbst am allerwenigsten, selbst nicht, als sie die GRAF SPEE im Orbit um den Mars in die alles entscheidende Schlacht geführt hatte. „Störe ich?“, klang eine altvertraute Stimme hinter ihr auf. Sakura wandte sich langsam um. Für eine winzige Sekunde hatte in ihr die Hoffnung gekeimt, die Stimme würde Akira gehören. Aber das war unmöglich, selbst für ihn. Stattdessen stand Thomas in der Tür. Auf seinen Schultern blinkten die Sterne eines Majors, und am Kragen glänzten die Abzeichen eines Titanen. Nach den Hekatoncheiren die wichtigste Elite-Truppe der Menschheit. Sakura machte sich zwei Dinge bewusst. Erstens stand sie in ihrem Raum und trug nicht mehr als ihren Dienstrock und einen BH, und zweitens hatte Thomas all das aus nächster Nähe gesehen, berührt und oft genug liebkost. Dieser Mann war ihr ehemaliger Liebhaber. „Was machst du denn hier?“ Betreten sah er zu Boden. „Darf ich reinkommen?“ „Natürlich.“ Sniper schloss die Tür hinter sich. „Hm, in diesem Haus werden Erinnerungen wach. Ich sehe es noch gut vor mir, beinahe wäre ich hier ein Teil der großen Familie um dich geworden. Gibt es einen besonderen Grund, warum du hier auf der Erde schläfst und nicht in der AURORA?“ „Dieser Ort braucht mal wieder etwas Leben“, erwiderte sie weit schroffer als beabsichtigt. „Ich habe den alten Kasten auch vermisst.“ „Ach so.“ Nachdenklich ließ der deutsche Elite-Pilot seinen Blick über die Einrichtung streifen. Nichts hatte sich verändert. Die Tür hatte sogar seinen alten Prioritätscode akzeptiert. Und an der Wand hing immer noch dieses Joan Reilley-Poster von ihrer No Sorrow-Tour. „Du bist anders geworden“, warf der Pilot ihr vor. „Natürlich. Wer sich nicht verändert ist so gut wie tot. Stillstand bedeutet Verderbnis. Nur Veränderung bringt den Fortschritt.“ „Das meinte ich nicht. Du bist anders geworden. Während unserer Zeit zusammen, da… Als wir den Mars angegriffen hatten… Selbst danach noch… Sakura, wie hatte es so weit kommen können? Wir haben uns geliebt.“ „Möchtest du etwas trinken?“, fragte sie, während der Rock fiel und einem bequemen Yukata wich. „Die UEMF hat eine Ordonnanz abgestellt, welche die Reserven in der Küche immer auf dem aktuellen Stand hält.“ „Bier wäre nett.“ „Also zwei Bier.“ Die junge Frau verließ ihren Raum und kam kurz darauf mit zwei geöffneten Flaschen zurück. „Um auf deine Fragen zu antworten. Ich dachte immer, du hast dich verändert. Ich dachte immer, du kommst nicht damit klar, dass ich deine Vorgesetzte bin. Oder damit, dass ich dir meilenweit voraus bin. Sieh mich an, ich bin Volladmiral. Du bist nur…“ „Nur Major. Richtig. Ja, das mag einer der Gründe sein. Wir Mecha-Piloten gelten als rechthaberisch, Besitz ergreifend und schnell beleidigt. Das würde dazu passen, dass der eigene Partner nicht ranghöher sein sollte.“ Thomas trank einen Schluck und fügte hinzu: „Das war ein Scherz, Sakura.“ Sie setzte sich auf ihr Bett. „Sicher?“ „Halb und halb.“ „Hm. Du hast mich nicht auf der Troja-Mission begleitet, Thomas.“ „Du hast mich nicht gefragt.“ „Ach, hängt es daran? Ich hätte dich fragen sollen?“ „Zu dem Zeitpunkt waren wir bereits über ein Jahr auseinander. Natürlich hättest du mich fragen müssen. Immerhin war ich zu dem Zeitpunkt schon Offizier der Titanen und hätte Otomo-sama gebraucht, um die Einheiten wechseln zu können.“ Er deutete auf seine Abzeichen. „Die Dinger trage ich seitdem.“ Sakura zog die Augenbrauen zusammen. „So?“ „Auch wenn ich nicht dein Talent habe. Auch wenn ich nicht wie ein Komet aufgestiegen bin. Für einen Mann von zweiundzwanzig habe ich eine beeindruckende Karriere hinter mir und sicherlich auch vor mir. Meine Beförderung zum Lieutenant Colonel steht bevor, und ich kriege mein eigenes Titanen-Regiment. Wir bauen zwei Schwester-Regimenter aus. Eines wird das Plattformen-System auf dem Mars schützen, das andere wird als Elite-Einheit auf den Patrouillenschiffen der Zweiten Flotte dienen. Ich übernehme selbstverständlich das zweite neue Regiment.“ „Du bist ein guter Mann und ein guter Offizier. Du wirst hervorragende Arbeit leisten, Thomas.“ „Ich weiß. Aber ich frage mich… Ich frage mich seit all dieser Zeit eines. Warum sind wir auseinander gebrochen? Können wir es wieder kitten? Lohnt es sich, um dich zu kämpfen? Erlaubst du mir es überhaupt? Und wenn all das nichts nützt, können wir wenigstens Freunde bleiben?“ „Akira“, stellte Sakura fest und Sniper nickte. „Akira.“ „Seine Verletzung.“ „Ja. Er verlor sein Auge und du hast dich verschlossen. Warum, Sakura? Warum?“ „Weil du du bist. Und ich dir alles Glück dieser Welt wünsche. Und nicht den Kummer, mit mir zusammen sein zu müssen.“ „Was hat das mit Akira zu tun?“ „Akira ist meiner, Thomas.“ „Deiner? Dass du von deinem Cousin besessen bist, weiß ich, aber dass es solche Züge annimmt…“ „Thomas, ich bin eine Naguad.“ Der Major zuckte zusammen. „Was?“ „Ich bin eine Naguad. Genauer gesagt fünfzig Prozent Arogad und fünfzig Prozent Fioran. Wobei ich mich eher dem Haus Arogad zuordne.“ „Ich verstehe nicht.“ „Das zu erklären dürfte länger dauern. Vielleicht werde ich das irgendwann machen. Aber du solltest eines verstehen. Meine Familie innerhalb der Arogad war schon immer dafür da, um die Familie von Akira zu beschützen. Seit er geboren wurde, bin ich für Akiras Schutz zuständig. Ich muss jederzeit bereit sein, um für ihn zu sterben. Das ist meine Aufgabe und mein erster Lebenszweck. Als er verletzt wurde, habe ich das nicht verhindern können.“ Ihre Hände krampften sich um die Bierflasche zusammen. „Das ist genau so, als hätte ich ihm die Säure selbst ins Gesicht geschüttet.“ „Sakura, ich… Ist das überhaupt dein richtiger Name?“ „Ja.“ Sie lächelte schüchtern und entkrampfte ihre Hände. „Sakura Taral, zu deinen Diensten, Major.“ „Aha. Akira ist deiner. Dein Schutzbefohlener, richtig? Er wurde verletzt und du hast beschlossen, dass du dich seinem Schutz widmen musst, oder?“ „Nein. Ich habe festgestellt, dass du Akira nicht so sehr liebst wie ich. Ich habe es schon gesagt, Akira ist meine Aufgabe und mein Lebenszweck. Aber es ist nicht deine Aufgabe. Thomas, du wirst ihn niemals so sehr lieben wie ich. Du bist nicht zusammen mit ihm aufgewachsen. Ich habe ihn im Arm gehalten, als er noch in der Wiege lag. Ich habe seine ersten aufgeschlagenen Knie verarztet. Ich war immer da und immer um ihn. Ich liebe ihn so sehr, dass es schon schmerzt. Er ist mein absoluter Mittelpunkt. Ich habe gemerkt, dass du nicht so empfindest, wie denn auch? Deshalb war es richtig, dich gehen zu lassen. Du musst deinen eigenen Mittelpunkt finden, Thomas. Es wäre egoistisch von mir gewesen, dich einfach mitzureißen. Dort wo du jetzt bist, dort bist du am richtigen Ort. Du kannst dich frei entfalten und du wirst es sehr weit bringen.“ „Vielleicht has du Recht. Aber eine Frage habe ich doch. Wenn du ihn so sehr liebst, warum lässt du ihn dann mit Megumi Uno zusammen sein? Ihr beide seid nicht blutsverwandt, und nur ein Mensch ohne Sinnesorgane würde nicht merken, wie sehr er dich auch liebt. Warum also? Es wäre so viel leichter für mich zu verstehen, wenn Akira mein Rivale wäre und ich verloren hätte. Aber das stimmt nicht, oder?“ Sakura lächelte nachsichtig. „Du kannst es nicht wissen, Thomas. Ich liebe Megumi mindestens ebenso sehr wie ihn. Ich bin mit ihr ebenso aufgewachsen wie mit Akira. Wir drei, Yohko und Makoto haben die Kindheit zusammen verbracht und ich würde für jeden einzelnen sofort mein Leben lassen. Egal welche Konstellationen sich in unseren Leben ergeben, ich fühle mich sehr zufrieden wenn Akira und Megumi glücklich sind. Meine Liebe ist von einer Form, die körperliche Nähe sicherlich nicht ausschließt. Aber richtig glücklich kann ich erst werden, wenn ich die anderen auch ein wenig piesacken und quälen darf. Das passt nicht in eine Beziehung, oder?“ Thomas lachte. Er erinnerte sich an diverse Gelegenheiten, bei denen Sakura versucht hatte, ihren Cousin an ihrem Busen zu ersticken. Einmal sogar vor der versammelten Admiralität. „Es ist eine schwache Ausrede“, tadelte er. „Nein, es ist die Wahrheit. In der Liebe gibt es keine Rationalität. Nur die Wahrheit.“ „Heißt das, ich muss erst für Akira sterben, bevor wir uns wieder lieben dürfen?“ „Mindestens dreimal“, bestätigte Sakura trocken. Die beiden wechselten einen amüsierten Blick aus. „Ich werde dich immer lieben.“ „Und genau das ist der Fehler, Thomas.“ „Ich weiß.“ Der große Mann trank sein Bier aus. „Aber sei vorsichtig. Wenn du jemals eine Beziehung haben willst, musst du dir einen ranzüchten, der Akira so sehr verehrt wie du, sonst passiert das gleiche wieder. Und er darf kein Problem damit haben, dass du seine Vorgesetzte bist.“ „Interessant.“ Sie erhob sich, ging auf den Deutschen zu. Sanft schloss sie ihn in die Arme. „Ich will nur, dass du glücklich wirst, Sakura“, hauchte er. „Ich will, dass du auch glücklich wirst, Thomas.“ Sie tauschten eine Umarmung und einen Kuss aus, der all das verhieß, was sie verbunden hatte – und es beendete. „Freunde?“, fragte Thomas, als er die Frau wieder aus seiner Umarmung ließ. „Freunde.“ Die beiden nickten einander zu, dann wandte sich der Major ab. Und mit jedem Schritt durch den Gang verließ er nicht nur das Zimmer, nicht nur das Haus, sondern auch das Leben der Frau, die er geliebt hatte. Unschlüssig hielt Sakura die halb geleerte Bierflasche in der Hand. An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken. Zu viel war geschehen, zu viel war gesagt worden. Und das große Haus war so erschreckend leer. Und solange Akiras Manga-Sammlung noch auf der AURORA war, würde Doitsu nicht umziehen. „Kriege ich auch eins?“, erklang die amüsierte Stimme vom Eingang ihrer Tür. Sakura zuckte erschrocken zusammen und widerstand dem Verlangen, eine KI-Rüstung zu erschaffen. Sie sah auf. „Tetsu.“ „Entschuldige, dass ich dich während deiner Schlafphase überfalle. Aber ich dachte mir, dass du dir vielleicht immer noch Vorwürfe machst, und das will ich nicht. Ich habe die Korvette kommandiert, weil ich dich beschützen wollte, Sakura. Dafür ist mir kein Preis zu hoch und… Ich war der beste Mann für diese Mission. Kei war nicht verfügbar, falls du dich erinnerst.“ „Und dafür kommst du mitten in der Nacht her?“, tadelte Sakura lächelnd. „Ich bin seit achtzehn Stunden wieder im Orbit der Erde. Du hast meinen Bericht seit Wochen auf deinem Schreibtisch. Aber wir beide haben noch nicht darüber gesprochen.“ Die Miene des ehemaligen Motorradgangleaders wurde ein einziges Fragezeichen. „Aber mal etwas anderes. Ich bin Thomas in der Tür begegnet. Warum hat er mir mehr Glück als er es hatte gewünscht?“ „Das ist eine lange Geschichte“, seufzte sie und setzte sich wieder aufs Bett. Tetsus Miene veränderte sich erneut. Sie wurde verzweifelt. „Nicht, dass ich sie hören will. Verdammt, Sakura, ich bin nur ein kleiner Gangster, der zufällig das Kommando über die LOS ANGELES erhalten hat, um den Mars anzugreifen. Zufälligerweise war ich gut darin und habe so etwas wie meinen Platz gefunden. Deshalb bin ich trotzdem ein Kleingauner, auch wenn aus der LOS ANGELES mittlerweile die AURORA geworden ist. Was ich sagen will ist, dass ich es doch sehe. Du hast dir Sorgen um mich gemacht, nachdem ich die AURORA für die Aufklärungsmission verlassen habe. Aber das musst du nicht. Dreck kommt von Dreck und geht zurück zu Dreck. Wäre ich bei der Mission gestorben, hätte es wenigstens etwas Gutes gehabt. Etwas, worauf du hättest stolz sein können.“ „Ich wäre verzweifelt und traurig gewesen“, warf sie ein. „Aber um Himmels Willen, wieso denn? Das war meine Aufgabe, ich habe sie angenommen und so gut wie ich konnte erfüllt. Um mich zu trauern ist so sinnvoll wie Akira in einen Hangar voller Hawks zu sperren und zu hoffen, er wird friedlich meditieren, anstatt in einen der Mechas zu steigen.“ Sakura kicherte leise. „Drastischer Vergleich.“ Sie erhob sich, ließ Tetsu Genda stehen wo er war und kam mit einem Bier zurück. „Hier.“ Der junge Kommodore nahm die Flasche dankbar entgegen. „Weißt du, Tetsu, in mir ist etwas zerrissen. Tief in mir drin. Als ich dachte, du wärst tot, oder so gut wie tot, da habe ich mich so schlimm gefühlt wie damals als ich glauben musste, die Naguad hätten Akira tödlich vergiftet. Wie konntest du mir das nur antun, Tetsu? Wie konntest du mich so zittern und bangen lassen? Ich habe erst hier auf der Erde erfahren, dass du noch lebst. Oh, am liebsten würde ich dich verprügeln. Nein, noch besser, ich würde am liebsten Akira erzählen, dass sich einer meiner Offiziere als Dreck bezeichnet. Und dann würde ich dich mit ihm allein lassen.“ „Das wäre mein sicherer Tod“, erwiderte Tetsu ruhig. „Er schätzt mich höher ein als ich bin und er würde mich zwingen, diese Sicht zu übernehmen. Ich bin nicht so groß, so prachtvoll, so begabt. Ich bin nur ich.“ „Nein, du bist so groß. Du bist so prachtvoll. Du bist ein Genie. Es musste nur der richtige Druck kommen, du musstest nur die richtige Entscheidung treffen, um zu werden, was du nun bist. Viele Menschen aus unserem Umfeld sind weithin strahlende Leuchtfeuer. Nur haben Megumi und Akira sie alle noch überschienen. Da kannst du natürlich nicht erkennen, wie hell du selbst schon strahlst, Tetsu.“ „Du übertreibst“, erwiderte der Kommodore. „Nein.“ „Aber ich…“ „Weißt du, ich habe gerade Thomas die Abfuhr seines Lebens erteilt. Ich habe also gerade keine gute Laune. Und dann kommst du her und lästerst über meinen Freund. Das ist wirklich nicht sehr nett von dir.“ „Ü-über deinen Freund? Habe ich das? Es tut mir Leid, wenn… Über wen habe ich denn gesprochen?“, fragte der Japaner verdutzt. „Dummkopf.“ Sie umarmte den großen Mann und ließ ihren Kopf auf seine Brust sinken. „Danke, Tetsu. Danke, dass du meinem Befehl gehorcht hast. Danke, dass du wiedergekommen bist.“ „Mo-moment mal, Sakura. Du meinst doch nicht etwa mich? Ich meine, mich?“ „Du hast keine Chance. Kapituliere lieber gleich.“ „Bedingungslos.“ Langsam schloss Tetsu seine Arme um Sakura. 4. Kommodore Smith sah von seinem Logenplatz auf der BISMARCK dabei zu, wie sich die wichtigsten Schiffe der terranischen Flotte um die KON und die SUNDER gruppierten. Zehn terranische Schiffe würden nach Terra zurückkehren, sein Schiff war selbstverständlich dabei. Und natürlich war bereits eine Abordnung der ersten Flotte mit dem dritten Bakesch der Exil-Anelph unterwegs, um sie zu ersetzen. Sie wollten Akira Otomos Leib zurückbringen, nachdem das KI aus ihm gestohlen worden war, oder wie einer seiner gläubigen katholischen Offiziere gesagt hatte: Seine Seele. Der Blick von Roger ging durch die Zentrale, seine Zentrale. Seit sie das Schiff wieder zu ARTEMIS hinaufgeschafft hatten, seit es repariert und voll ausgerüstet worden war, war er ihr Kapitän gewesen. Die BISMARCK war sein Stolz, aber Akira Otomo war seine Ehre. Deshalb hatte er nicht gezögert, als er den Marschbefehl für seinen Kreuzer zur AURORA bekommen hatte, zusammen mit der Option, den Befehl abzulehnen. Er hatte jedem einzelnen Besatzungsmitglied freigestellt, das Schiff zu verlassen. „Natürlich, Akira Otomo hat dieses Schiff versenkt. Akira Otomo hat es verflucht. Und nun bricht dieses Schiff auf, um Akira Otomo zu begleiten. Und wenn es das Schicksal dieses Schiffes ist, in dieser Mission versenkt zu werden, wenn es meine Aufgabe ist, für die Einsatzgruppe zu sterben, dann werde ich das mit Freuden tun. Wenn das unser Fluch ist, dann hoffe ich nur, dass wir so viele Gegner wie möglich mitnehmen, wenn sich das eisige Vakuum über uns schließt. Denn dann und nur dann können wir Akira Otomo wenigstens einen Teil dessen zurückzahlen, was die Erde, was der Mars, was die Menschheit ihm schuldet.“ Ihr Schwesterschiff HINDENBURG hatte den Marschbefehl abgelehnt, aber sein Schiff nicht. Und aus seiner Mannschaft hatte niemand abgemustert. Er war stolz auf seine Leute. Und nun sah er sich um. Was hatten sie nicht alles erlebt. Sie hatten die TAUMOD aufgebracht, waren vor einem kollabierenden Stern geflohen, in Kanto-System in eine Patrouille geraten, hatten Lorania angegriffen, erobert und verteidigt. Dieses Schiff zu heben, es zu reparieren war so unendlich richtig gewesen. Die AURORA zu begleiten war die beste Entscheidung gewesen, die Roger jemals getroffen hatte. Und ihr Weg war noch lange nicht am Ende. Wenn dieses Schiff verflucht war, dann würde der Flug nicht zuschlagen, solange sie Akira Otomo folgten. Das glaubte Roger Smith mit Inbrunst. Ihr Schicksal würde es sein, in ferner Zukunft für die Menschheit ihre Leben zu lassen, oder dieses prächtige Schiff einst als Museum enden zu sehen. Aber es würde mit Akiras Schicksal verknüpft sein, das schwor sich der jüngste Kommandeur eines Seeschiffes, der jüngste Kommandeur einer raumtauglichen Fregatte, der jüngste Kommandeur eines Schlachtkreuzers. Dies war ihre Aufgabe. „Signal ans Flaggschiff. BISMARCK ist bereit für den Formationsflug.“ „Aye, Sir. Signal von der SUNDER. Willkommen im Team.“ „Kei wird pathetisch, je älter er wird“, stellte Roger grinsend fest. „Aye, Sir.“ „Moment, Signalmaat, das haben Sie doch nicht auch übermittelt?“ „Signal von der SUNDER. Werde erstmal erwachsen, du alter Gauner.“ Für einen Moment wusste Roger Smith nicht, ob er lachen oder weinen sollte. „Man muss ihn einfach lieben.“ „Aye, Sir!“ „Eins O, erschießen Sie den Signalmaat, wenn er noch etwas übermittelt, ohne dass ich das Signal dazu gebe.“ „Verstanden, Sir.“ „Antwort von der SUNDER“, gab der Unteroffizier stoisch bekannt. „Schmeicheleien bringen nichts bei mir.“ „Gut, dass er Kommandeur der Flotte ist. Jeder andere Offizier hätte uns schon getadelt, dass wir nicht ernsthaft genug sind.“ Die Brückenbesatzung lachte leise. Roger sah zum Signalmaat herüber. „Nun senden Sie es schon.“ „Aye, Sir.“ Epilog: Als ich die Augen aufschlug, stand ich auf einem grünen Hügel, auf dem hunderte blaue und rote Blumen wuchsen. Über mir wölbte sich ein tiefblauer Himmel, der so dunkel war, dass er beinahe wie tiefschwarze Nacht wirkte. Eine rosafarben Sonne sandte ihr Licht herab und wärmte die Erde. Ich sah an mir herab und bemerkte, das ich eine lose weiße Hose und eine schmucklose weiße Jacke trug. An meinem linken Ärmel zupfte ein kleiner Junge, der mir merkwürdig vertraut war. „Laysan“, stellte ich fest und der kleine Junge nickte. Ängstlich klammerte er sich an meinem Arm fest. Ich musste lächeln und nahm den kleinen Mann auf den Arm. „Ich habe Angst, Akira“, sagte er mit weinerlicher Stimme. „Ich bin ja bei dir.“ Ich ließ seinen Blick schweifen. Rund um den Hügel gab es Menschen. Sie trugen ebenfalls schlichte weiße Kleidung. Entweder standen, saßen oder spazierten sie in kleinen Gruppen und diskutierten, oder sie wanderten alleine durch die Blumenwiese. „Wo sind wir hier, Laysan?“ „Ihr seid im Paradies“, erklang hinter ihnen eine Stimme auf. Ich wandte mich um. Noch vor wenigen Sekunden war diese Stelle leer gewesen, das wusste ich genau. Dennoch standen dort nun zwei Frauen. Die Ältere von undefinierbarem Alter war schlank und groß und trug ein schwarzes, enges Kleid mit einer schwarzen Kapuze, die ebenfalls eng anlag und nur ihr Gesicht aussparte. Sie stand einen halben Schritt hinter der anderen Person und machte damit deutlich, wie die Rangfolge gestaffelt war. Vor ihr stand ein junges Mädchen. Sie trug ebenfalls ein schwarzes Kleid, aber es war knapp und kurz. Ihr Faltenrock endete eine Handbreit über den Knien und das ärmellose Oberteil mit dem tiefen Ausschnitt bewies, dass sie weit älter war als die offenen, fröhlichen und kindlichen Augen vermuten ließen. Wirkte sie auf den ersten Blick wie zwölf, war sie bei einem zweiten, genaueren Blick ebenso alt wie ich. Und wenn ich in die Augen sah, tief in die Augen sah, dann war sie älter, unendlich viel älter. Ich erschauderte. „Das Paradies?“ „Euer neues Zuhause, Aris und Laysan. Das Paradies der Daima.“ Das Mädchen deutete nach rechts. „Und das Paradies der Daina.“ Sie deutete nach links. Das Mädchen räusperte sich und fügte hinzu: „Willkommen, ihr zwei.“ „Wo ist dieses Paradies? Und wer seid ihr zwei?“ Die große Frau sagte: „Sie ist die Herrin des Paradies, und als diese wirst du sie achten und behandeln, Arogad.“ „Nun sag doch nicht so etwas, Kiali. Lass die beiden doch erst einmal ankommen, bevor du sie im Paradies mit Regeln erschlägst“, tadelte das Mädchen. „Ich bin die Verwalterin des Paradieses. Willst du mir einen Namen geben, Akira?“ „Herrin, das ist…“ „Hast du keinen Namen?“, fragte ich ernst. „Gib mir einen Namen. Ich werde daran erkennen, wer du bist.“ Ich überlegte. Die kurzen schwarzen Haare, das kecke Lächeln, ich hätte lügen müssen wenn ich behauptet hätte, ich hätte sie nicht von Anfang an gemocht. „Laysan, hast du einen Vorschlag?“ „Aris.“ „Aber ich heiße doch schon Aris.“ „Können nicht viele Menschen den gleichen Namen haben?“, fragte der kleine Naguad unschuldig. Ich dachte an meine Urgroßmutter auf Iotan, die vielleicht immer noch lebte, an meinen Großonkel aus dem Haus Taral und an meinen Naguad-Namen. Das war eine kleine Inflation, wenn ich dem Mädchen den gleichen Namen gab. „Nein, Aris ist der Name für einen Krieger.“ „Aris“, murmelte sie. „Aris bedeutet Frieden. Ein guter Name.“ Ich runzelte die Stirn. „In meiner Heimat bedeutet er Krieg.“ „Ein Konflikt. Wie interessant. Wie wirst du mich nennen, Akira? Aris wie Krieg oder Aris wie Frieden?“ Ich dachte nach. „Dir steht Aris wie Frieden besser.“ Sie nickte erfreut. „Also Aris.“ Wer war ich schon, dass ich der Herrin des Paradieses widersprach? „Wann lässt du mich wieder gehen?“, fragte ich geradeheraus. „Du wirst nie wieder gehen“, sagte sie, und es klang hocherfreut. Ja, sie lächelte, nein, sie strahlte bei diesen Worten. Sie schien sich sehr über mich zu freuen. In diesem Moment versank das Paradies vor mir. Das Spiel begann. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)