Anime Evolution: Nami von Ace_Kaiser (Vierte Staffel) ================================================================================ Kapitel 2: Farbe bekennen ------------------------- Prolog: Torum Acati starrte mit brennenden Augen auf das Hologramm des Arogad-Turms. Deutlich sah er die hoch aufwehenden Rauchwolken, die vom starken Schutzschirm gestoppt und zu den Seiten abgedrängt wurden. „So beginnt es also“, murmelte er zu sich selbst. „Egal was geschieht, wir müssen jetzt handeln“, sagte Meister Tevell zu ihm. Die uralte und doch so junge Frau war ernst. Was sie nun befehlen musste, tat ihr weh, auf dem Grund ihrer Seele weh. Aber sie war nicht irgendeinem Turm verpflichtet, nicht einmal allen neun Türmen der großen Familien. Nein, vielmehr bildeten für sie alle Bürger des Imperiums einen großen, gemeinsamen Turm, für den sie zu sorgen hatte. Und wenn das bedeutete, ein paar wenige zu opfern, um das Große Ganze zu erhalten, dann würde sie es tun. Und sie tat es. „Begam Acati. Wir warten nicht auf den nächsten Schritt. Selbst wenn um den Daness-Turm die Hölle losbricht – wir greifen an.“ „Meisterin Tevell.“ Der alte Soldat schenkte der Herrin des Ordens ein sardonisches Lächeln. „Es scheint mir als würdest du Akira Otomo unterschätzen. Er ist für eine mächtige Überraschung gut.“ „Mächtig genug?“, fragte sie mit tonloser Stimme. „Wir werden sehen.“ Torum Acati deaktivierte das Hologramm vom brennenden Turm. Dann aktivierte er seinen persönlichen Funk. „Hier spricht Admiral Acati! Ich spreche hiermit Fall Blau aus! Alle Truppen haben sofort nach Plan Ogam Aufstellung zu nehmen! Ausführung in fünf Minuten! Ich selbst nehme an der Attacke an vorderster Linie Teil! Admiral Acati Ende!“ Dutzende Bestätigungen trafen ein, die aber von Acatis Stab vorgefiltert wurden, sodass sein Adjutant schließlich meldete: „Bestätigung von allen dreihundertsieben Schiffen und neunzehn Bataillonen.“ Acati sah zu Meisterin Tevell herüber. „Wir sind bereit.“ „Du willst wirklich an vorderster Front kämpfen, Torum?“ „Ich muss. Falls sie den Turm sprengen, muss ich soviel wie möglich sehen, soviel wie möglich lernen. Kriege ich Ritter des Ordens?“ „Eine Hundertschaft Begams steht für dich bereit, Torum. Viel Glück und lass dich nicht töten, mein Sohn.“ Acati lachte leise auf. „Ich habe es nicht vor, Meisterin Tevell. Diese Zeiten sind viel zu interessant geworden, um sie freiwillig zu verlassen.“ Fast unhörbar fügte er hinzu: „Enttäusch mich nicht, Akira.“ 1. „Was war das?“, fragte Yohko verstört, während sie versuchte, ihre Beine in Richtung Schwerkraft zu bugsieren. Das war relativ schwierig, weil sie im Moment nicht wusste, was oben und was unten war. „Kannft du biffe die Füfe auff meinem Mund nehm´, Yohffo? Danfe.“ „Ich tu was ich kann, Joan, aber im Moment ist hier einiges durcheinander.“ „Oh, mein Kopf. Was ist überhaupt passiert?“, klang Yoshis Stimme auf. „Der Boden wurde erschüttert… Wir wurden herumgeschleudert wie Spielzeug… Die Beleuchtung ist ausgefallen… Es gibt keinen Alarm… Es deutet alles auf einen relativ erfolgreichen Angriff hin“, meldete sich Aria zu Wort. „Wieso relativ erfolgreich?“ „Nun, wir leben noch, oder, Yoshi?“ „Argument.“ Yohko gelang es endlich zuerst auf den Fußboden und dann auf die Beine zu kommen. Sie orientierte sich im Dunkeln so gut es ging und ergriff das erste Paar Hände in Reichweite. „Kannst du stehen, Joan?“ „Weiß nicht. Probieren wir es. Ist es schlimm, dass das Licht aus ist? Ich meine, immerhin ist dies hier der Arogad-Turm.“ „Es gibt nicht viele Bereiche, in denen man künstliches Licht im Turm braucht. Ein ausgeklügeltes und über die Jahrtausende optimiertes System aus Spiegeln und Bautricks sorgt dafür, dass selbst das Sternenlicht ausreicht, damit man sich zumindest orientieren kann. Leider gilt das nicht für den Schacht eines Expresslifts.“ Mühsam kam nun auch Aria Segeste auf die Beine. Dabei half sie Yoshi hoch. „Hier ist ne Delle in der Wand. War das dein Kopf, Yoshi?“ „Durchaus möglich. Mir dröhnt nämlich der Schädel. Und was machen wir jetzt?“ „Helen ist nicht mehr da, oder? Das Licht ist ausgefallen, der Turm wurde erschüttert, es gibt keinen Alarm, das deutet alles darauf hin, dass wir sehr schwer getroffen wurden. Das bedeutet leider auch, dass wir in der Priorität ganz unten stehen. Rettungsteams werden sich um die Fahrstuhlschächte als Letztes kümmern. Zuerst werden sie versuchen, zu den Zerstörungen durch den Angriff durchzukommen.“ Frustriert ließ sich Aria gegen die nächste Wand sinken. „Das heißt, wir werden hier eine lange Zeit festsitzen.“ „Und falls es einen zweiten Angriff gibt, haben wir keinerlei Chance, ihn zu überleben, oder?“ Yoshis Stimme troff vor Ärger und unterdrückter Wut. „Wenn Mutter ausgefallen ist, ist sie dann tot?“, fragte Yohko mit Panik in der Stimme. „Ich meine, wenn hier alles ausgefallen ist…“ „Sie hat ein redundantes Lebenserhaltungssystem an ihrem Tank, Yohko-chan, keine Sorge. Der Biotank müsste schon direkt zerstört werden, damit ihr etwas passieren kann.“ „Was ist mit Akira und Megumi? Wurde der Daness-Turm auch angegriffen?“ Joans Stimme klang panisch. „Können wir denn überhaupt nichts tun?“ „Stimmt. Wie es wohl den anderen geht. Von denen haben wir schon lange nichts mehr gehört. Wenn O-nii-chan auch angegriffen wurde, wenn Megumi und die anderen…“ Yohko verstummte angstvoll. „Ich will hier raus…“ „Oookay, ich habe genug gehört. Geh da mal weg, Aria.“ „Hä? Was hast du vor, Yoshi?“ Die Hände des KI-Meisters verwandelten sich in hell strahlende Lichtquellen, die grell in den Augen der Eingeschlossenen brannten. Seine Finger gruben sich zentimetertief in das Metall der Fahrstuhlkabine. Dann gab es einen Ruck und die eigentlichen Schiebetüren öffneten sich. Sie protestierten und knirschten, aber gegen die Kraftentfaltung des KI-Meisters konnten sie nichts aufwenden. Als die Tür halb offen war, beendete Yoshi seine Aktion. „Die Türen haben sich verformt und verkeilt. Größer kann ich es nur machen wenn ich sie aus ihren Verankerungen reiße.“ Er klopfte gegen die Wand, die sich hinter der Doppeltür offenbart hatte. „Joan.“ „Endlich gibt es mal wieder was zu tun!“ Sie trat neben Yoshi und befühlte die Wand. „Zu zweit?“ „Ja. Wir brauchen mindestens einen Meter mal einen Meter. Auf drei.“ „Einverstanden.“ „Eins, zwei, drei!“ Beide holten weit aus und ballten die Rechte zu Fäusten. Dann droschen sie gemeinsam auf die Wand ein. Einmal, zweimal, dreimal. Beim vierten Mal brachen die ersten Stücke aus der Wand und fielen auf der anderen Seite zu Boden. Beim fünften Mal war die Lücke groß genug, damit jemand hindurch kriechen konnte. Wortlos ging Yoshi in die Hocke, verschränkte beide Hände ineinander und bot Joan somit einen festen Tritt an. „Es gibt ja noch Gentlemen auf dieser Welt“, flötete sie, trat in Yoshis Hände und kletterte so bequem durch das Loch. Es folgten ein Überraschungslaut und ein Schmerzensschrei. „Joan, bist du in Ordnung?“, rief Yohko bestürzt. „Mir geht es gut. Aber den Fußboden solltet ihr jetzt mal sehen. Autsch. Das war ein Sturz. Hier geht es locker drei Meter runter. Wartet, ich stelle mich so, dass ich euch auffangen kann.“ „Gut. Ich schicke dir jetzt die Nächste.“ Yoshi deutete auf Yohko. „Du.“ „Seit wann gibst du mir eigentlich Befehle?“, brummte sie trotzig. „Na, dann warte mal ab, bis wir verheiratet sind. Da wird es noch schlimmer, mein Schatz.“ „Oh, ich wusste gar nicht, dass du so schlecht geträumt hast“, erwiderte Yohko schnippisch und trat auf Yoshis Hände. Sie kletterte durch das Loch und ließ sich auf der anderen Seite von Joan herab helfen. „Jetzt du, Aria.“ „Warum nicht du, hm?“ „Weil ich ein Dickschädel bin und du nicht. Und jetzt mach schon.“ Mit einer Mischung aus Ärger und Belustigung benutzte sie Yoshis Hände als Steigbügel und verschwand ebenfalls durch das Loch. „Kannst kommen, Yoshi.“ „Okay, macht mir Platz. Nicht, dass es mir nicht gefallen würde, von Frauen auf Händen getragen zu werden. Aber ich dürfte zu schwer für euch sein.“ „Ähemm“, machte Joan. „Okay, außer für Miss Cyborg. Ich komme dann.“ Yoshi kletterte ebenfalls durch das Loch und ließ sich auf der anderen Seite der Wand herab. „Wäre die Situation nicht so ernst, würde ich diesen Augenblick wirklich genießen“, scherzte er, als Joan und die anderen nach ihm griffen und halfen, ihn langsam zu Boden zu bringen. „Ja, davon kannst du noch im hohen Alter zehren“, erwiderte Joan schnippisch. „So viele Männer werden von mir nicht auf Händen getragen.“ „Oder von mir“, meldete sich Aria zu Wort. „Hey, Mädchen, ihr versucht mir doch nicht etwa den Freund auszuspannen?“, scherzte Yohko. „Nicht, dass er es nicht wert wäre.“ „Danke“, brummte Yoshi belustig, als er wieder mit beiden Beinen auf dem Boden stand. Hier war das Licht besser. Die Halle, in der sie gelandet waren, war relativ gut durchleuchtet. Das war immerhin ein Anfang. „Wo sind wir hier?“ „Relativ nahe an der Turmspitze, keine dreihundert Meter unter ihr. Hier fangen die privaten Gemächer des Rates an. Wenn diese Halle geräumt wurde bedeutet das, dass man annimmt, dass die Spitze einsturzgefährdet ist. Nur die Rettungskräfte arbeiten sich weiter nach oben vor. Das bedeutet für uns, dass wir ebenfalls evakuieren müssen. Wir müssen mindestens noch einhundert Meter tiefer. Dort sind die Turmstrukturen stabil genug, um sogar den Einsturz der Turmspitze auszuhalten.“ „Hinunter? Aber wir müssen hinauf! Ich meine, der Rat ist da oben! Und Uropa und Oma sind da oben!“ Yohko sah verzweifelt in die Runde. „Wir können doch nicht…“ „Doch, wir können! Und wir müssen sogar! Der Turm wurde hart getroffen, aber die Rettungsmannschaften sind bereits auf dem Weg! Unser Platz aber ist tiefer, in einer der Notfall-Zentralen. Ich glaube nicht, dass es mit diesem Angriff getan ist, und wir Krieger sollten dann dort sein, wo wir etwas nützen und den Rettungsteams die Zeit und die Gelegenheit erkaufen können, ihren Job zu tun!“ Wütend atmete Aria ein und aus. Sie hatte den Monolog geführt ohne Luft zu holen. „Aber Oma…“ „Yohko.“ „Ich meine doch nur, dass…“ „Yohko.“ „Yoshi ist KI-Meister und…“ „Yohko.“ „Ihr seid fies! Ich mache mir doch nur Sorgen! Wir wissen doch noch überhaupt nicht was passiert ist. Wir wissen nicht einmal wie es weitergehen wird!“ „Und genau deshalb gehen wir runter auf die sicheren Etagen. Okay?“ „Okay.“ Bedrückt sah Yohko zu Boden. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. „Okay.“ „Gut. Dann lasst uns gehen.“ „Okay.“ Yoshi legte den Arm um die Schultern seiner Freundin und drückte sie an sich. „Du musst dir keine Sorgen um deine Oma machen. Eridia ist eine KI-Meisterin, hinter der ich mich verstecken kann. Ich, und alle anderen so genannten KI-Experten auf der AURORA. Da müsste schon jemand eine Atombombe auf sie abwerfen, um sie in Gefahr zu bringen. Und dein Urgroßvater Oren ist bei ihr.“ Dankbar lehnte sich die junge Otomo für einen Moment an ihn an. „Danke, Yoshi. Du tust mir so gut.“ „Wirklich? Dann können wir jetzt vielleicht mal über die Sache sprechen, die wir neulich…“, begann Yoshi und kramte in den Taschen seiner UEMF-Uniform nach dem Kästchen. Yohko löste sich von ihm und lief vor. „Keine Müdigkeit vorschützen! Wir müssen in die Notfall-Zentrale! Als Arogad habe ich da Verantwortung zu tragen! Los, los, los! Yoshi, nicht trödeln!“ „Vom Gong gerettet. Aber ewig gelingt dir das nicht“, erwiderte Yoshi schmunzelnd und folgte den Frauen, während die Schachtel wieder in seine Jackentasche glitt. ** „Den Sternengöttern sei Dank, Ihr seid unversehrt, Lady Jarah!“ „Nicht so förmlich, Kendran“, erwiderte Yohko, um ihre Erleichterung zu überspielen. Die Notfallzentrale hatte eine separate Stromversorgung, war sehr gut besetzt, und mit Kendran Taral wurde sie von einem Elite angeführt. „Wir sind Cousins, schon vergessen?“ Kendral verzog das Gesicht wie unter Schmerzen. „Nicht im Moment, Lady Jarah Arogad. Nicht im Moment.“ „Gib mir einen Überblick“, verlangte Yohko. „Der Turm wurde mit Atomwaffen bombardiert.“ „WAS?“ Erschrocken sah sie den Taral an, dann zu Yoshi herüber, der von einem Moment zum anderen bleich wie weißer Marmor war. „Die Schirme haben gehalten und wurden später mit den Schirmen der übrigen Türme zusammengeschaltet. Leider wurden dadurch einige der Vorstädte, die nicht unter dem Gigantschirm lagen, von kontaminiertem Staub radioaktiv verseucht. Es gibt Bestrebungen, den Grad der Verseuchung festzustellen und die Bewohner der Vorstädte vorerst unter den Schirm zu evakuieren. Arogad beteiligt sich nicht daran.“ „Aber wieso nicht? Und was ist überhaupt los, wenn der Schirm gehalten hat?“ „Es liegt am Angreifer. In der Turmspitze sind mehrere Schutzschirmgeneratoren hoch gegangen, als die Belastung ihren Höhepunkt erreichte. Daher die Explosionen. Der Stromausfall im Rest des Turms deutet auf Sabotage hin. Jarah, wir können gerade nicht raus und den anderen Häusern in den kontaminierten Gebieten helfen, weil in der Hausflotte alles drunter und drüber läuft. Es war ein Daness-Kreuzer, der auf uns gefeuert hat, und…“ „Und Akira ist drüben bei den Daness“, stellte Aria fest. „Als mächtiger, unübersehbarer Schutzschild.“ „Damit bist du die höchstrangige Hausangehörige, solange wir nicht wissen, wie es in der Turmspitze beim Rat aussieht und Akira in der Hand der Daness ist. Wir arbeiten daran, eine Verbindung zur Flotte zu kriegen, aber im Moment sammelt sie sich. Es deutet alles auf einen Vergeltungsangriff auf Haus Daness hin.“ „Vergeltungsangriff? Aber Akira ist im Turm der Daness! Megumi ist im Turm der Daness! Sogar Gina ist da, die kann nun wirklich nichts dafür!“ „Das ist noch nicht alles. Die Ratstruppen sammeln sich. Sie haben jetzt bereits genügend Stärke erreicht, um uns und Daness sowohl im Raum als auch am Boden auszuradieren.“ Kendran seufzte verzweifelt. „Zusammen mit der Sabotage bedeutet das, wir stehen bis zum Kinn im größten Desaster unserer Geschichte.“ „Herr, wir haben jetzt eine Verbindung zum Oberkommandierenden unserer Flotte! Es ist Ihr Onkel Gorda Taral!“ Der Hausoffizier fuhr herum. „Stellen Sie mich sofort durch! Informieren Sie ihn, dass Lady Jarah Arogad in Sicherheit ist und wir nichts überstürzen dürfen! Außerdem ist noch nicht sicher, dass die Sicherheit von Meister Aris im Daness-Turm gefährdet ist!“ „Ruhig, mein Junge. Das haben wir alles schon hinter uns“, klang der knarrende Bass von Gorda auf. „Wir sind mittlerweile bei ganz anderen Sorgen. Aber es ist gut zu wissen, dass Jarah wohlauf ist. Kannst du sie zu dir bitten? Ich muss ihr eine wichtige Frage stellen.“ „Ich bin hier, Onkel Gorda.“ „Oh, Jarah, es tut gut deine Stimme zu hören. Weißt du, ich befinde mich gerade in der Klemme. Eigentlich müsste ich deinen Bruder befreien, und ich habe auch die Einsatzkommandos bereit für diesen Einsatz. Aber er hat es mir verboten. Normalerweise würde ich annehmen, dass er gezwungen wird eine solche Anweisung zu geben, aber… Er hat gesagt, der Turm der Daness gehört jetzt ihm.“ „Bitte?“ „Als Preis für die Verlobung mit Solia Daness.“ „Was?“ Yoshi riss die Augen auf. „Akira hat Megumi einen Antrag gemacht?“ „Und als Brautpreis hat er die Erde verschenkt. Meine Frage ist, ist das absoluter Schwachsinn oder glaubwürdig?“ Die vier Freunde tauschten lange Blicke. „Bei Akira ist das möglich.“ „Dieser Kerl. Verschenkt einen ganzen Planeten, nur um einem Mädchen zu imponieren“, murmelte Yoshi grinsend. „Ob das auch bei anderen Frauen klappt?“ „Bei mir würde es das“, warf Aria ein. „Kommen wir zum Kern der Frage zurück“, mahnte der Admiral. „Spricht Aris die Wahrheit oder wird er gezwungen, so einen… hanebüchenen Quatsch zu erzählen?“ „Wie ich schon sagte, bei Akira ist alles möglich. Er…“ Yohkos Augen leuchteten auf. „Dieser Spitzbube. Dieser Mistkerl! Dieser verdammte Gott. Onkel Gorda, du kannst seinen Worten vorbehaltlos trauen. Akira Otomo hat gerade zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Megumi ist seine Freundin und er vertraut ihr völlig. Die Erde zu verschenken ist für ihn also nicht mehr als ein Lippenbekenntnis.“ „Das klingt logisch“, kommentierte Yoshi. „Die Erde bleibt so oder so in der Familie.“ Leiser fügte er hinzu, damit die Arogads in der Zentrale es nicht hören konnten: „Abgesehen davon, dass er die Erde ohnehin nicht verschenken oder erobern kann wie er es will.“ Joan warf ihm einen belustigten Blick zu. Aria reagierte mit Unverständnis. „Laut unseren Gesetzen ist er aber Eigentümer der Erde. Und er hat gerade eine ganze Welt für einen Turm und ein Mädchen getauscht. Ich meine, Hey, Megumi ist eine ganze Welt wert, aber wisst ihr was das für einen Papierkrieg bedeutet?“ Ein lauter Seufzer erklang. „Ich werde meine Flotte in Bereitschaft halten, bis Meister Aris Arogad den Turm der Daness lebend verlassen hat, nur für den Fall der Fälle. Auf dein Wort vertrauend, Jarah, erkenne ich ihn und sein Wort als Führer des Hauses an. Aber du sagst mir, sobald etwas mit ihm nicht stimmt.“ „Verstanden, Onkel Gorda.“ „Ach, eine Frage habe ich da noch. Jarah, warum hast du deinen Bruder einen Spitzbuben, einen Mistkerl und einen Gott genannt? Ich frage nur interessehalber.“ Yohko unterdrückte ein auflachen. „Das ist schnell erklärt. Er ist ein Spitzbube, weil er diese Situation ausgenutzt hat. Die Chancen, dass seine Freundin seine Freundin bleibt, da sie Teil des Hauses Daness ist, waren etwas gering. Jetzt ist sie seine Verlobte. Ein Mistkerl ist er, weil er zwei Häuser benutzt wie es ihm passt, um seine Wünsche durchzusetzen. Und ein Gott ist er, weil er auch noch damit durchkommt. Onkel Gorda, du weißt was es bedeutet, wenn wirklich die Ehe zwischen meinem Bruder und Lady Solia Kalis zustande kommt?“ Der alte Taral japste in plötzlicher Erkenntnis laut auf. Dann war Stille. „Onkel Gorda?“ „Kapitän Levian Dorreg hier. Der Admiral hat sich so erschrocken, dass er beim rückwärts gehen über einen Sessel gestolpert ist. Lady Jarah, was haben Sie ihm erzählt? Er murmelt die ganze Zeit, dass ein neuer Turm gebaut werden muss.“ „Ja“, murmelte Joan leise, „das dürfte in etwa die Wahrheit sein.“ „Falls wir alle die nächsten Minuten überleben!“, warf Kendris hastig ein. „Die Ratstruppen greifen an! Strukturlücken in Gigantschirm werden geschaltet und die Bodentruppen sind in Bewegung!“ Alarm heulte durch die Zentrale. Na, wenigstens das funktionierte wieder. Tonlos wandte sich der Taral zu seiner Cousine um. „Lady Jarah, die Ratstruppen haben soeben das Feuer eröffnet.“ 2. Der Stab arbeitete nur mit halber Besetzung. Nach dem Ende des Angriffs der Core-Truppen hatte Makoto sie in die Betten geschickt und eine Notmannschaft zusammengerufen. Er brauchte seine Leute fit für den Moment, wenn es von vorne losging. Und das würde es. Wieder und wieder. Nachdenklich faltete er die Hände vor seinem Gesicht zusammen. Dass sie keine Verbindung mit der AURORA errichten konnten gefiel ihm nicht. Selbst wenn sie keine Relais aussetzen konnte, das Gigantschiff musste spätestens im Alpha Centauri-System in Reichweite eines Kommunikationswurmlochs sein. Von der Erde verlautete auch nichts in dieser Richtung, außer dass Eikichi versprochen hatte, der AURORA einen Kampfverband entgegen zu schicken, um die stark reduzierte Verteidigung auszugleichen. Tja, die besten und stärksten Schiffe hatte Makoto hier behalten. Damals war es allen taktisch klug erschienen, so stark wie möglich im Kanto-System präsent zu sein. Seine Schwester Sakura hatte hart kalkuliert und soviel Feuerkraft zurückgelassen wie sie nur entbehren konnte. Makoto fragte sich, ob ihr diese Entscheidung vielleicht schon zum Verhängnis geworden war. Doch er schob den Gedanken beiseite. Es gab nichts in diesem Universum, was Sakura Ino besiegen konnte. Oder auch nur aufhalten. Er sah auf und betrachtete das Hologramm vor sich. Es projizierte einen Bericht für ihn, untermalt mit graphisch aufbereiteten optischen Aufzeichnungen über das Blockadegeschwader. Die sechs Long Range Area Observer mit ihren Resonanztorpedos hatten sehr gute Arbeit geleistet. Auf ihr Konto gingen mindestens dreißig vernichtete Banges des Cores, als diese durch das Resonatorfeld geflogen waren. Anschließend waren die meisten auf Lorania abgestürzt. Das Resonatorfeld wirkte also auch auf die Core-Truppen. Ob es auf jeden Soldaten des Core wirkte musste die Zukunft zeigen, aber der Ansatz war interessant. Makoto schüttelte sich kurz bei dem Gedanken, warum das so war: Die Core-Banges verwendeten menschliche Komponenten als Pilotenersatz. Dieser Ersatz – wie immer er aussah, und das wollte er eigentlich gar nicht so genau wissen – emittierte KI und konnte durch das Resonatorfeld manipuliert werden. Das war eine wichtige Erkenntnis, auch wenn sie davon ausgehen durften, dass die Core-Truppen nicht wieder auf die Resonator-Torpedos hereinfallen würden. Also mussten sie die Resonatoren zum Core bringen. Für einen Moment kämpfte Makoto mit einem Hustenanfall, als er sich bewusst wurde, dass er in Gedanken mit einer Massenvernichtungswaffe hantierte, die in den falschen Händen hunderttausenden, ja, Millionen Menschen den Tod bringen konnte. Andererseits war es genau diese von kronosischen Ingenieuren entwickelte Waffe, die in diesem Moment über eine Million Anelph quasi in der Zeit eingefroren hatte, damit sie die Migration auf der AURORA mitmachen konnten. Hätten sie gewusst, hätten sie alle gewusst, wie die Dinge sich entwickeln würden, wie schnell sie hier die Hausherren werden würden, hätten sie vielleicht weniger überstürzt gehandelt. Hätten die Anelph des Komitees nicht gezwungen, von heute auf morgen ihre Heimat zu verlassen und alle Brücken hinter sich abzubrechen. Für viele würde diese Art des Abschieds sicherlich einiges erleichtern. Aber es gab sicherlich auch Anelph, denen das Herz gebrochen worden war. Zudem bezweifelte Makoto, dass der Verkehr zwischen Erde und Lorania jemals intensiv genug sein würde, um einer großen Anzahl von Menschen den Transfer zwischen den Systemen zu gestatten. Oder auch nur bezahlbar zu machen. Selbst mit der Standverbindung zur Erde – für ihn waren Wurmlöcher und die Verbindung über die Mikrowurmlöcher ein Buch mit sieben Siegeln, und hoffentlich versuchte niemals jemand, ihn mit dieser Materie vertrauter zu machen – wurden Familien auseinander gerissen. Und Schicksale auf ewig geteilt. Aber er hätte lügen müssen wenn er gesagt hätte, er würde Trauer empfinden. Es war eher Aufregung. Für ihn gab es nur ein Zuhause, die Erde, ob er Naguad war oder nicht. Auch für die Anelph gab es sicherlich nur eine Heimat. Aber in was für ein Abenteuer brachen sie auf. In was für ein Abenteuer war er selbst aufgebrochen. Bei all der Gewalt, bei all den Toten, bei all den Unwägbarkeiten, was für ein Abenteuer! Das größte Abenteuer, in dem die Menschheit je gesteckt hatte! Und in einem Punkt war er sich sicher. Er, der kleine Japaner mit den dunkelrot gefärbten Haaren, würde als Verteidiger Loranias in den Geschichtsbüchern erwähnt werden. Vielleicht errichtete man ihm zu Ehren sogar eine Statue. Oder benannte wenigstens eine Schule nach ihm. Hm, eine Mädchenschule wäre doch ganz nett und… Immerhin war sein Faible zu Frauenkleidern, von seiner Schwester anerzogen, allgemein bekannt. „General?“ Makoto sah auf. Er hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass er den Rang eines Generals angenommen hatte. Genauer gesagt hatte er sich dazu während der Schlacht um Lorania entschieden, um die Befehlsstruktur zwischen sich und Kei ein für allemal klar zu stellen, immerhin hatte der junge Japaner mit dem Rang eines Konteradmirals den zweithöchsten Rang in der UEMF-Raumflotte. Tatsächlich aktive Konteradmiräle gab es nur acht, und vier von ihnen dienten im UEMF-Stab oder in der Verwaltung. Das gleiche galt für die Generäle. Außer ihm und Akira gab es zehn weitere, von ihnen waren fünf in Stab und Verwaltung tätig, nur der Rest kommandierte direkt Kampftruppen. „Hitomi?“ „General“, sagte sie und betonte den Rang auffallend ernst, „wir empfangen einen Notruf.“ Sie sah zu ihm herüber. Und für einen Moment war sich Makoto nicht mehr sicher, ob diese junge Offizierin der UEMF wirklich jemals Megumis Klassenkameradin gewesen war, damals vor fünftausend Jahren auf der Fushida Oberstufe, oder ob das alles nur ein vager Traum war, und sie schon immer Soldat gewesen war. Okay, drei Jahre. Aber sie waren so weit entfernt, so weit entfernt. So viel war passiert. „Details“, verlangte Makoto konzentriert. „Es ist die AROGAD, Sir. Der Bakesch, der unter dem Kommando von Admiral Rogan Arogad steht, dem Anführer der ehemaligen Vergeltungsflotte.“ „WAS?“ Ohne ein weiteres Wort zu sagen detachierte Makoto an seinem Arbeitspult elf Schiffe, unter ihnen die BISMARCK und die SUNDER, um den Orbit um Lorania zu verlassen und sich mit der AROGAD zu treffen, noch bevor er den Notruf gehört hatte. Für die Besatzungen der elf Schiffe würde jetzt gerade die Hölle losbrechen. Würde der Alarm aufgellen, ihre bisherigen Tätigkeiten abwürgen und sie auf Station rufen. Dies war keine Übung. „Wortlaut!“, verlangte Makoto. „Wir haben sogar Bildfunk.“ „Durchstellen.“ Das Hologramm vor ihm wechselte und bildete nun die Zentrale der AROGAD ab. Leicht umdekoriert. Oder wie man es nennen konnte, wenn Rauchwolken durch die großzügige Zentrale trieben, Brände im Hintergrund schwelten und ein reichlich lädierter Rogan in die Aufnahmeoptik sah. „AROGAD an alle verbündeten Einheiten! AROGAD an alle verbündeten Einheiten! Wir werden angegriffen, ich wiederhole, wir werden angegriffen! Unser Gegner ist das aus zehn Schiffen bestehende Kontingent des Hauses Logobodoro! Sie haben ohne Vorwarnung das Feuer eröffnet und die KIVA und die SURGON versenkt! Die AROGAD wurde schwer getroffen! Drei weitere Schiffe der Flotte, ein Daness und zwei Elwenfelt wurden ebenfalls versenkt oder zumindest schwerstens beschädigt! Das Kontingent der Logobodoro verzögert in diesem Moment mit Höchstwerten, während es das Feuer mit Distanzwaffen aufrechterhält!“ „Ist eine direkte Verbindung zur AROGAD möglich?“ „Steht in zehn Sekunden, General. Die Verzerrung durch die Distanz ist minimal.“ „Admiral Arogad, hier spricht General Ino. Antworten Sie!“ „Rogan Arogad hier. Tut gut deine Stimme zu hören, Makoto Taral Ino.“ Das Hologramm flackerte und zeigte die Zentrale in einem noch schlimmeren Zustand als zuvor. Rogan war sichtlich verletzt, ein Sanitäter legte ihm einen Verband auf einer stark blutenden Kopfwunde an, nachdem er vergeblich versucht hatte zu nähen. „Ich habe zwei Bakesch-Schlachtschiffe und drei Kreuzer verloren. Ich weiß nicht warum diese Bastarde angegriffen haben, aber diesen feigen Angriff von hinten werde ich ihnen heimzahlen, und wenn es das Letzte ist, was ich in meinem Leben tue! Makoto, Ihr Terraner habt doch diese Standverbindung mit der brandneuen Wurmlochtechnologie zur Erde, oder?“ „Wir haben auch eine Standleitung nach Naguad Prime.“ „Das ist gut. Das ist sehr gut. Das Haus muss sofort informiert werden! Ein solcher Verrat der Logodoboro muss geahndet werden! Vor allem müssen wir jetzt sehr vorsichtig sein, denn die Logo-Babies sind alleine zu schwach um sich wirklich mit uns anzulegen, geschweige denn mit Elwenfelt und Daness. Sie müssen ein oder mehrere Häuser in der Hinterhand haben. Diesen Angriff zu erkennen und ihm zuvor zu kommen ist unsere Pflicht. Der Rat muss es wissen, Makoto! Er muss!“ „Ich stimme dir zu, Rogan Arogad.“ Er nickte in Richtung Hitomis, die sich sofort an die Arbeit machte. Die Standleitung versorgte Kanto-System und Nag-System permanent mit Daten, aber um Details zu erfragen oder weiterzugeben war immer noch der direkte Anruf die beste Methode. „Das wird jetzt einen Moment dauern. Ich habe elf Schiffe los geschickt. Sie werden bei den Bergungsarbeiten helfen. Schafft es die AROGAD alleine in eine Werft?“ Der Admiral des Hauses sah ihn verzweifelt an. „Nein“, sagte er tonlos. „Und es kann auch sein, dass ich das Flaggschiff des Hauses aufgeben muss.“ Er atmete aus und stützte sich schwer auf der Konsole vor sich ab. „Dass ein Arogad einmal ein Flaggschiff verlieren würde… Und dass ich dieser Arogad sein würde… Manchmal kommt eben alles auf einmal. Aber bevor ich meine Mannschaft in einem aussichtslosen Kampf gegen die Flammen schicke, evakuiere ich lieber.“ „Noch ist es nicht aussichtslos“, sagte Makoto mit Nachdruck. „Ich instruiere Konteradmiral Takahara. Er wird Löschmannschaften, medizinisches Personal und einen Teil unserer Slayer bereithalten, um bei den Rettungsarbeiten zu helfen. Er wird in dreißig Minuten auf eurer Höhe sein.“ „Er wird an uns vorbeischießen wie eine Kanonenkugel“, murmelte Rogan ernst. Makoto lächelte wissend. „Schon mal was von AO gehört? Die Slayer sind AO-Meister erster Güte. Mit ihnen übersteht das Schiff das radikalste Bremsmanöver, dass jemals ein Bakesch gewagt hat.“ Die beiden Männer wechselten einen langen Blick. „Der Rest der Flotte?“ „Versucht die Logo-Babies zu stellen und zu stoppen.“ „Ein guter Plan, Makoto Taral Ino. Ich werde mit dem Evakuierungsbefehl so lange wie möglich warten.“ „Gut. Wir können einen Bakesch mehr sehr gut gebrauchen. General Ino Ende.“ „Wir sehen uns auf Lorania, mein Junge.“ In der Stimme des Älteren schwang unverhüllter Stolz. Stolz auf ihn, einen Bluthund. Und anscheinend fähigen Krisenmanager. „Ich brauche eine Direktverbindung zu Kei, Hitomi. Die Slayer müssen das unmögliche möglich machen.“ „Jawohl, Sir.“ „Wo sind die Logodoboro-Schiffe?“ Hiroko Shiratori meldete: „Bremsmanöver abgeschlossen. Alle zehn Schiffe gehen auf Gegenkurs. Wenn ich alles hoch rechne hat nur die SUNDER mit Hilfe der Slayer eine Chance sie noch einzuholen.“ Hiroko war eine Klassenkameradin von Akane Kurosawa gewesen, erinnerte sich Makoto. Und sie war eine der ersten gewesen, die sich für die damalige Mars-Mission freiwillig gemeldet hatte. In diesen Tagen war sie Karriere-Offizierin mit Hochschulabschluss und einem sehr früh erreichten Majorsrang. Wenn sie so weitermachte, würde es bei den Generälen bald sehr voll werden. Erwartungsvoll sah sie ihn an. Die Entscheidung war klar. Entweder die SUNDER zur Rettung der havarierten Naguad-Schiffe schicken oder sie den Logodoboros hinterher laufen lassen. Ruhm und Ehre oder Menschenleben? „Wir bleiben beim bisherigen Plan. Die BISMARCK übernimmt das Kommando, sobald die SUNDER die Formation verlässt. Ziel ist es, die Flotte einzuholen. Aber wenn wir uns vergewissern können, dass sie das System verlässt, ist es auch nicht schlecht getan.“ Shiratori nickte, und wie es Makoto schien, zufrieden mit seiner Entscheidung. „Aye, Sir.“ Der kleine Mann schmunzelte. Niemals würde er Menschenleben für obskure Dinge wie Ruhm oder Macht zurückstellen. Vor allem nicht, wenn die Feuerkraft der Logodoboro-Flotte die Feuerkraft der sie verfolgenden SUNDER derart eindeutig übertraf und die Verfolgung ohnehin für ad absurdum erklärte. „Der Rest bleibt wachsam“, mahnte Makoto in die Runde. „Wenn dies ein Ablenkungsmanöver war, dann ein verdammt teures. Aber ich will meine Sterne abgeben, wenn ich darauf reinfalle, weil alle nur noch in eine Richtung sehen. Verstanden?“ „Verstanden!“ In der Zentrale brach erneut Hektik aus. Für einen Moment war Makoto zufrieden. So zufrieden, wie er nur sein konnte. Hitomi meldete sich erneut. „Standleitung nach Naguad Prime steht und… Moment, was? Der Turm der Arogad wurde bombardiert? WAS?“ Erschüttert sprang Makoto auf. Akira! 3. Weit, weit entfernt von Makoto und seinen Sorgen stand ein junges Mädchen auf einer grünen Wiese. Genauer gesagt stand sie auf einem grünen, sonnenbeschienenen Hügel und sah auf eine grüne, mit exotischen Blumen übersähten Wiese hinab. Die Sonne leuchtete sanft und orange vom Himmel und liebkoste ihre braune Haut, spielte mit Lichtreflexen in ihren grünlich braunen Haaren und strich wärmend über ihre vollen, roten Lippen. Das Mädchen sah mit seinen grauen Augen auf die Ebene hinab. Sie war erfüllt mit Menschen. Menschen jedes Alters, jeder Hautfarbe und beider Geschlechter. Kinder ebenso wie Alte. Die Menschen trugen weiße, wallende Gewänder wie das Mädchen und wanderten nach Lust und Laune über die Wiese. Wann immer zwei oder mehr den Wunsch verspürten, ließen sie sich nieder und redeten über dies und über jenes. Das Mädchen versuchte die Menschen zu zählen, aber sie scheiterte erneut. Bei fünftausend gab sie auf, denn die Menschen wimmelten zu sehr durcheinander. Außerdem hatte sie nicht einmal ein Drittel der Wiese abgezählt. „Dies ist also das Paradies“, murmelte es leise. Da trat eine große, stolze Frau neben sie. Hoch gewachsen, schlank, in ein schwarzes Gewand gehüllt, dessen Kapuze nur ihr blasses, edel geschnittenes Gesicht aussparte. Ihr Blick war stolz, hart, und das Lächeln erreichte ihre Augen nicht, als sie antwortete: „Dies ist das Paradies der Daima.“ Sie wandte sich um und deutete auf die andere Seite des Hügels. Auch dort lustwandelten Menschen, diskutierten oder erfreuten sich einfach an den Blumen. „Und dies ist das Paradies der Daina.“ „Wo ist der Unterschied zwischen ihnen?“, fragte das Mädchen. „Es gibt keinen Unterschied.“ „Aber warum haben sie dann unterschiedliche Namen?“ „Weil sie es so wollen.“ Das verwirrte das Mädchen. „Aber wenn es keinen Unterschied gibt, wie trennen sie sich voneinander?“ „Indem sie sich selbst Daima und Daina nennen“, antwortete die Frau im schwarzen Gewand. „So wie sie es schon immer getan haben. Damals, als das erste Reich noch existierte. Vor dem alles vernichtenden Krieg.“ „Warum gab es den alles vernichtenden Krieg?“, fragte das Mädchen, fürchtete sich aber vor der Antwort. „Es gab den alles vernichtenden Krieg, weil die Daima dazu in der Lage waren. Und es gab den Krieg, weil die Daina ihn nicht verhindern konnten.“ „Was ist Krieg?“, hakte es nach. „Krieg ist etwas Wundervolles und doch furchtbares. Krieg ist sterben und geboren werden. Krieg ist Entsetzen und entzücken. Krieg verändert und bewahrt.“ „Ist Krieg wichtig?“ „Krieg ist wichtig und unwichtig. Krieg ist Motor als auch Hemmschuh. Krieg ist Faszination und Eintönigkeit.“ „Was ist Krieg?“, fragte es erneut. „Nun, Prinzessin, um eine Antwort zu bekommen muß man selbst einen Krieg erlebt haben. Oder einen angeführt haben. Aber es ist eine Erfahrung, die dich verändert. Du wirst nie wieder sein was du warst.“ „Aber alles ist doch Veränderung. Alles ist in Bewegung und alles ist neu und doch wieder alt. Wird vergessen, wieder entdeckt und erneut vergessen. Warum sollte ich mich dann nicht auch verändern?“ „Weil das jetzt, was du gerade bist, sich vor dem was du dann sein wirst vielleicht fürchten wird. Ablehnen wird. Oder es sogar töten will.“ „Wie schrecklich“, hauchte das Mädchen. „Ich glaube, ich mag Krieg nicht.“ „Das ist eine weise Entscheidung“, antwortete die schwarz gekleidete Frau und wandte sich um. „Aber ich will mich verändern. Wenn es sein muß, mit Hilfe eines Krieges.“ „Das ist keine weise Entscheidung, aber sehr mutig. Du weißt, dass wir einen Krieg führen werden.“ „Ja, man hat es mir erzählt. Wir führen Krieg um die Daima vor sich selbst zu retten.“ „Nein. Wir führen Krieg, um die Daima zu vernichten.“ „Vernichten? Aber das ist doch so sinnlos! Was vergangen ist kann nicht wiederhergestellt werden, so wie das erste Reich!“ Die schwarz gekleidete Frau wandte sich erneut um und beugte sich ein klein wenig herab, damit sie mit dem Mädchen auf Augenhöhe war. „Das ist Krieg. Und wir führen ihn nur aus einem Grund. Damit die Daina uns nicht vernichten. Das können wir nur verhindern, indem wir die Daima auslöschen. Wirst du sie auslöschen?“ „Aber sind die Daima nicht das selbe wie die Daima hier vor uns? Die im Paradies lustwandeln und sich ihres Lebens freuen?“ „Du musst sie nicht alle auslöschen. Nur so viele, dass sie eine lange Zeit keinen Krieg mehr führen können. Den Rest kannst du ins Paradies führen. An einen Ort von vollkommener Glückseligkeit. Für die Daima und die Daina.“ „Ich mag Krieg nicht“, schloss das junge Mädchen. „Aber ich werde einen führen. Denn ich will leben, ebenso wie die Daima.“ „Dann ist es beschlossen, Prinzessin.“ Hoheitsvoll wandte sich die Frau um und ging den Hügel in Richtung der Daina herab. Das Mädchen folgte ihr dabei auf dem Fuß, und mit jedem Schritt, den sie tat, veränderte sich ihr schlichtes weißes Gewand und färbte sich schwarz. Der Krieg hatte begonnen. ** „Verdammt, Roger, Sie sehen übel aus.“ Kommodore Roger Mildred, Kommandeur der TICONDEROGA, sah auf Eikichi Otomo herab. Seine Uniform war schmutzig, um nicht zu sagen an manchen Stellen verkohlt. Von seinen Haaren und Augenbrauen war nicht mehr besonders viel übrig und die Zentrale hinter ihm wirkte wie ein Trümmerfeld. „Es geht mir gut, Eikichi. Abgesehen von den neuesten kosmetischen Veränderungen.“ „Kosmetische Veränderungen“, sagte Eikichi Otomo barsch. „Sehr komisch. Wie steht es um Ihre Crew?“ „Ich hatte mehrere Tote während der Schlacht, dreißig befinden sich noch im Lazarettbereich, sieben sind kritisch. Aber ich habe die drei Raider erledigt. Ohne die MAIHAMA und die KAMI hätte ich es aber nicht geschafft. Dann wäre ich jetzt wirklich Fischfutter.“ „Und Sie bringen alle drei Schiffe nach Hause. Es war also eine gute Idee, einmal die Plutobahn abzufliegen.“ „Das war es sicherlich, Eikichi“, antwortete der Kommodore, einer der erfahrensten Raumfahrer der Erde. „Ich habe nur nicht damit gerechnet, jemals so etwas aufzuscheuchen. Wäre die Fläche nicht zu riesig würde ich ja sagen, wir sollten im gesamten Sonnensystem Sonden aussetzen, um den Eintritt fremder Schiffe in unserem System sofort zu registrieren. Aber von der Jupiterbahn bis zur Oortschen Wolke ist das unbegrenzt möglich und die Reichweite der Sonden ist limitiert. Wie schnell können wir dreizehn Milliarden Sonden herstellen? Nur um die wichtigsten Regionen zu überwachen, natürlich.“ „Ihr Humor ist wie immer herzerfrischend, Roger“, erwiderte Eikichi ernst. „Sind die MAIHAMA und die KAMI auch schwer beschädigt?“ „Ich brauche für alle drei Schiffe Platz in den Werften. Wobei es meine TICONDEROGA am schwersten erwischt hat.“ „Machen Sie das mit der Werftleitung aus, Roger. Jetzt kommen Sie erstmal rein. Dann müssen wir uns um ein neues Problem kümmern. Der Feind ist jetzt direkt vor unserer Haustür.“ „Ich korrigiere, Eikichi. Er hat einen Fuß in der Tür und wir haben sie nicht richtig zugeknallt.“ „Wäre die Lage nicht so ernst würde ich lachen. Otomo Ende.“ Der Kommodore nickte und deaktivierte die Verbindung. „Verdammt. Wir müssen die Patrouillen des Systems selbst erhöhen. Wir brauchen mehr Schiffe. Viel mehr Schiffe. Und wir brauchen erfahrene Mannschaften.“ „Sir. Vor ein paar Tagen haben sich vier Fregatten freiwillig gemeldet. Erfahrene Mannschaften, die derzeit unterfordert sind und zu gerne ein wenig unternehmen würden. Es handelt sich um vier Fregatten der November-Klasse und…“ „Die anderen vier Schiffe von Commander Shawn Winslow, hm?“ Eikichi Otomo schmunzelte. „Erteilen Sie ihnen Marschbefehl.“ „Aye, Commander.“ Eikichi erhob sich, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und marschierte in der Zentrale auf und ab. „Es drohen verdammt interessante Zeiten zu werden. Und ich bin nicht sicher, ob wir sie überleben können.“ „Sir, Meldung über die Standleitung nach Naguad Prime. Der Turm der Arogad brennt nach Angriff mit atomaren Waffen!“ Der groß gewachsene Executive Commander der Erdverteidigung stoppte. „Würden Sie das bitte wiederholen?“ „Die Meldung besagt: Nach Beschuss mit atomaren Waffen brennt der Turm der Arogad. Über das Schicksal des Rates und der Bürger ist nichts bekannt. Ebenso wenig über den Verbleib von General Otomo und Colonel Uno. Scheiße. Verdammte Scheiße, wenn Sie mich fragen, Sir. Ein Daness-Schiff hat den Angriff ausgeführt und drüben bei den Naguad geht jetzt alles drunter und drüber.“ „Krisenschaltung in mein Büro! Holographische Projektionen! Sofort! Verteiler eins Alpha!“ „Eins Alpha, Sir? Sofort. Aber dazu muss ich ein paar Admiräle und Staatschefs aus den Betten werfen.“ „Wollten Sie das nicht schon immer, Captain?“ „Sie können meine Gedanken lesen, Executive Commander.“ Zwanzig Minuten später stand die Konferenz. Teilnehmer waren über vierzig Personen, die meisten davon Angehörige der UEMF. Fast alle waren per Hologramm vertreten. „Aber Sie sagten doch, dass wir damit sicher wären!“, blaffte der amerikanische Präsident. „Ich habe diesem hanebüchenen Plan nur zugestimmt, weil Sie gesagt haben, dass die Erde als Eigentum von Blue Lightning – ja, ich habe nicht vergessen wer Akira Otomo ist und was er alles für uns alle getan hat – sicher sein wird. Und was ist nun?“ „Mr. President. Die Erde ist immer noch sicher. Nach Naguad-Recht ist und bleibt Akira alleiniger Eigentümer. Aber der Angriff auf den Turm der Arogad erfolgte von einem Daness-Schiff. Sprich, die beiden größten Häuser stehen an der Schwelle zu einem Bürgerkrieg. Und Sie wissen alle mittlerweile, dass Megumi Uno eine Daness ist.“ „Was Sie uns beizeiten näher erklären wollten“, warf der deutsche Kanzler ein. „Ich meine persönlich, nicht mit diesen Dossiers über Naguad, die vor vierhundert Jahren die Erde infiltriert haben und so. Wissen Sie eigentlich, dass wir vierhundert Jahre Geschichte umschreiben müssen? Nein, eigentlich müssen wir alles umschreiben, denn mit den Daimon haben wir ja Zeitzeugen, die wir detailliert befragen können.“ „Kommt Zeit, kommt Gelegenheit, Herr Bundeskanzler. Aber uns stellt sich neben dem Bürgerkrieg eine andere Frage: Wenn Daness und Arogad einen Bürgerkrieg beginnen, welche Seite nehmen wir ein? Ich meine, formell gehören wir Arogad an. Aber die Verdienste von Megumi Uno wiegen schwer, sehr schwer. Um nicht zu sagen mehr als die von Akira. Auch wenn sie nie die Abschusszahlen Akiras erreicht hat.“ „Sie fordern uns zur Rebellion gegen Haus Arogad auf?“ „Ich fordere Sie auf genau nachzudenken, welche Position wir in diesem Bürgerkrieg beziehen sollen. Ich glaube wir dürften es sehr schwer haben der Welt zu erklären, warum Megumi Uno, Lady Death, plötzlich zu einer Gegnerin geworden ist.“ „Falls sie eine Gegnerin sein will.“ Eikichi senkte den Blick. Er dachte daran, wie einsam Megumi aufgewachsen war, nachdem beide Eltern in der Schlacht um Tokio getötet worden waren. Danach hatte sie nicht viel gehabt. Nur noch Yohko, Sakura, Makoto und Akira. Später war Yohko auf dem Mars geblieben und Makoto und Akira hatten sich aus dem Krieg zurückgezogen, ihr die schwere Bürde hinterlassen, für die Menschheit zu kämpfen. „Wenn sich Megumi Uno dafür entschließt, gegen den Turm Arogad zu sein, werden wir ihr das nicht übel nehmen. Sie hat soviel für uns getan, so unendlich viel. Wir alle stehen bis zum Hals in ihrer Schuld. Solange ich Executive Commander bin, feuert nicht ein einziges Schiff und nicht ein einziger Mecha auf sie.“ Bestätigendes Gemurmel der anderen Konferenzteilnehmer erklang. „Wir gehen da mit Ihnen konform, Eikichi. Wir werden einen Weg finden, uns aus diesem Bürgerkrieg raus zu halten.“ Der U.S.-Präsident nickte schwer. „Notfalls hätte ich keine Einwände, wenn wir uns als Arogad dem Haus Daness ergeben.“ Wieder wurde zustimmend gemurmelt. Es entstand etwas Aufregung, als Otomos Adjutant in den Konferenzsaal trat. Die Konferenz war als Top Secret klassifiziert worden, die Leitungen, mit denen die meisten Teilnehmer per Hologramm teilnahmen waren so sicher wie es die Spitzentechniker der UEMF hinbekamen. Wenn nun ein kleiner Captain mitten hinein marschierte, musste er Nachrichten haben, die sie alle betrafen. Und die Teilnehmer wurden nicht enttäuscht. „Executive Commander, wir haben soeben eine neue Meldung hereinbekommen. Ihr Sohn hat gerade die Erde verschenkt.“ „WAS?“ Aufgeregtes Raunen der anderen Konferenzteilnehmer machte es unmöglich, weiter zu sprechen. Als sich die mächtigsten Frauen und Männer der Erde beruhigt hatten, fragte Eikichi: „Warum hat Akira eine ganze Welt verschenkt, Captain?“ „Nun, wenn meine Informationen korrekt sind, hat er ihn gegen eine Verlobung und den Turm der Daness eingetauscht. Oder um es mit den Worten meines Naguad-Kollegen zu sagen: Die Arogads haben jetzt nichts mehr zum angreifen. Das ganze Nag-System applaudiert der Finesse von Aris Arogad, Sir.“ Eikichi seufzte zum Steine erweichen. Auch wenn es ihre dringlichsten Probleme löste, es schuf tausende neue. „Und an wen hat Akira unsere Heimatwelt verschenkt, Captain?“ „Nun, wenn meine Informationen richtig sind ging die Erde im Tausch für ein Eheversprechen und den Daness-Turm an… Colonel Megumi Uno.“ „Kein Wunder, dass sie ihm die Ehe versprochen hat. Wer kriegt schon einen ganzen Planeten zur Verlobung?“, scherzte der Bundeskanzler und erntete Gelächter von seinen Kollegen. „Dieser Bengel“, ächzte Eikichi und massierte seine Schläfen. Er grinste. „Dieses Genie.“ „Das löst unsere Probleme nicht“, mahnte der Präsident der U.S.A. „Nein, Mr. President. Aber es verhindert eine ganze Reihe anderer Probleme, bevor sie akut werden können. Wenn Akira die nächsten Stunden überlebt, sinkt die Wahrscheinlichkeit für einen Bürgerkrieg zwischen den Häusern enorm.“ Eikichi rieb sich die Schläfen. „Hoffentlich.“ *** An einem anderen Ort auf der Erde wurden in diesem Moment finstere Ränke geschmiedet. Wer erwartet hatte, dass die düsteren Geschäfte in einem finsteren Keller stattfanden, wurde bitter enttäuscht. Man traf sich nicht nur mitten in Manhattan, New York City, nein, man benutzte auch den lichtdurchfluteten Konferenzraum im Penthouse eines achtzigstöckigen Geschäftsgebäudes. Die meisten der Konferenzteilnehmer waren per Hologramm vertreten, die Kommunikation erfolgte über Leitungen, deren Sicherheit denen der UEMF in nichts nachstand, eigentlich sogar übertraf. Hätten die Spezialisten der Weltverteidigung davon gewusst, vielen hätte es die Nachtruhe geraubt. Nun, noch mehr als ohnehin schon. Angeführt wurde die Konferenz von einem hoch gewachsenen, breitschultrigen Mann mit schulterlangem weißem Haar. Seine dunkelbraunen Augen funkelten belustigt in seinem sonnengebräunten Gesicht. Anwesend waren zwanzig Personen, davon dreizehn als Hologramm. Viele von ihnen waren ebenfalls weißhaarig und dunkeläugig. Sämtliche Schattierungen von dunklem grün bis zu kohlrabenschwarz waren vertreten. Die Zahl an Männern und Frauen glich sich beinahe aus, mit leichtem Überhang für die Männer. Auf dem Tisch lief gerade ein holographischer Film. Und was er den erstaunten Teilnehmern zeigte, raubte allen den Atem. „Das ist die Lage“, sagte der Vorsitzende ernst. „Der Turm der Arogad wurde bombardiert, und das von einem Daness-Schlachtschiff. Es steht außer Frage, dass es keine Daness waren, die diesen Angriff befohlen, ja, gewollt haben. Ein weiteres Haus hat hier seine Finger im Spiel. Ein Haus, das sich erstens Chancen ausrechnet, von einem Bürgerkrieg zwischen den beiden größten Häusern zu profitieren und zweitens nicht damit rechnet, von Daness oder Arogad abgestraft oder sogar vernichtet zu werden.“ „Legat Scott“, meldete sich eine der Frauen mit weißen Haaren zu Wort. Ohne Zweifel trug sie das Elwenfelt-Genom, aber sie kaschierte es mit einer Wasserstoffblondierung. „Legat, das sind sehr interessante Informationen. Aber was nützen sie uns? Planen Sie etwa, sich mit diesem Haus zu verbünden?“ „Nun, Legatin Francine, eine Koalition mit einem anderen Haus als den Elwenfelt dürfte uns schwer fallen, vor allem nachdem die Erde rechtmäßig dem Haus Arogad zugesprochen wurde. Im Prinzip ist unsere Versammlung nun nicht nur in den Augen der UEMF eine illegale, ja terroristische Vereinigung, sondern auch für das Imperium der Naguad. Wir müssen unseren eigenen Vorteil aus dieser Situation ziehen, und das werden wir auch.“ Der Legat der Kronosier senkte den Kopf und sandte einen düsteren Blick über den Tisch. „Würden wir das nicht tun, dann hätten wir uns die Fortsetzung der UEMF-Infiltration sparen können. Wir hätten es mit der Vernichtung des Legatshauses belassen können, uns entweder ergeben oder in unsere Tarnidentitäten flüchten können, um fortan abseits der Weltpolitik zu leben. Wir hätten es uns ersparen können, die Grey Zone auf der AURORA zu gründen. Und wir hätten es uns sparen können, die Position der Erde zu verraten.“ Leises Gemurmel klang auf. Gordon Scott hob mahnend beide Hände. „Wir haben es nicht getan. Stattdessen haben wir die AURORA infiltriert. Stattdessen haben wir die Position der Erde verraten. Stattdessen betreiben wir weiterhin die Machtübernahme der Erde durch das Legat. Wir lassen uns nicht abschieben und auch nicht beiseite drücken. Nein, wir ziehen unseren Vorteil aus dieser Situation.“ „Und wie wollen wir einen Vorteil aus dieser Situation ziehen, wenn wir uns nicht mit dem geheimnisvollen Terror-Haus der Naguad verbünden?“, fragte einer der Männer ohne Gift. „Nun, Cedric, das ist einfach erklärt. Als Akira Otomo über uns kam und den Mars eroberte, vernichtete er unsere Heimatbasis. Und nicht nur das, er nahm auch die meisten Legaten gefangen. Die einzigen Legaten in Freiheit sind Lady Jeanette Francine, meine Wenigkeit und wie wir seit einiger Zeit wissen, Legat Henry William Taylor. Ein Großteil unserer Besitztümer, das Gros unseres Agentennetzwerks, die Mehrzahl der Stützpunkte, ja die meisten Truppen und Waffensysteme hat Otomo uns genommen. Sowohl auf dem Mars als auch auf der Erde. Schlimmer noch, er hat die Herzen unserer Leute erobert und es fast unmöglich gemacht, sie wieder für unsere Sache zu gewinnen.“ Der Legat grinste wölfisch. „Nun, fast zumindest.“ Scott sah zur Seite. „Mother.“ Neben dem Legaten entstand das Hologramm einer schlanken Frau mit langem schwarzem Haar. Sie war kaukasischer Abstammung, hatte ein schmales, freundliches Gesicht und einen starren, ernsten Blick. „Legat?“ „Mother ist der Host unserer Supercomputer“, stellte Scott zufrieden fest. „Erzählen Sie uns bitte etwas Neues, mein lieber Gordon“, rief einer der anderen Männer ohne Gift. Sein starker deutscher Akzent verriet ihn als Europäer. „Nun, Direkter Mühlheimer, das ist eine interessante Idee. Ich habe tatsächlich etwas Neues zu erzählen. Wie alle Anwesenden wissen, erging vom Core Sekunden vor seiner Vernichtung der Befehl zur Dezentralisierung. Das heißt, alle Einrichtungen auf der Erde wurden aufgefordert, sämtliche Aktivitäten einzustellen. Dennoch entdeckte die UEMF mit Hilfe der erbeuteten Unterlagen vom Mars hunderte und löste sie auf.“ Scott breitete die Arme aus als wolle er die Anwesenden umarmen. „Meine Brüder und Schwestern. Was ihr alle hier seht, ist das, was die UEMF trotz aller Anstrengungen nicht gefunden hat. Die besten, gewieftesten und mächtigsten Anführer wie unseren Geheimdienstchef Doktor Rüdiger Mühlheimer, unsere wissenschaftlicher Direktorin Doktor Francine und andere Anführer und Experten. Was ihr aber nicht wisst – verständlicherweise, weil dies seit dem Fall des Mars unser erstes Treffen in einem solchen Rahmen ist – wie viel dem Legat wirklich verblieben ist. Wie viel Macht wir immer noch haben!“ Er wandte sich zur Seite. „Mother.“ „Ja, Legat.“ Das Hologramm wechselte und stellte nun die Erde dar. Die Erdkugel rotierte leicht, und auf ihrer Oberfläche erschienen rote Punkte. Neben den Punkten öffneten sich kleine Datenfenster, die kurz die wichtigsten Fakten zu den roten Punkten aufführten. Die Punkte standen synonym für Stützpunkte. Die Anwesenden keuchten erschrocken auf, als sich ganze Länder rot verfärbten. „Was ihr hier seht, meine Brüder und Schwestern, ist alles was die UEMF nicht gefunden hat. Und was bis zu diesem Moment inaktiv war. Was ihr seht, sind dreihundertsiebenundvierzig Supercomputer mit neunzehntausend Menschen als Operatoren, siebenundzwanzig befestigte und ausgebaute, voll bemannte Stützpunkte, sieben geheime Werften, in denen wir Korvetten und Fregatten produzieren, und letztendlich dreihundertvierundzwanzig Geheimdienstzentralen. All das ist weltweit verteilt. Mother?“ „Dem Legat unterstehen in diesem Moment siebzehn Fregatten, achtundzwanzig Korvetten, vierhundertzehn Daishi Alpha, dreihundert Daishi Beta, zweihundertachtzig Daishi Gamma, achtundvierzig Daishi Delta und fünf Daishi Epsilon. Wir reden hier ausschließlich über aktive Maschinen mit Piloten, Ersatzpiloten und Wartungspersonal, Hangar und Kapazitäten für die Wartung und Reparatur. Dazu kommen dreißigtausend konventionell ausgebildete Truppen auf unseren Stützpunkten, die direkt dem Legat unterstellt sind. In dieser Rechnung nicht enthalten sind die Truppen unserer Verbündeten, die dankenswerterweise von der UEMF mit Daishi-Mechas aufgerüstet wurden. All das untersteht ab sofort dem Legat.“ „Wie haben Sie all das die Jahre über verbergen können?“, rief einer der Kronosier. „Wie konnten Sie soviel Macht bewahren?“ „Sie verstehen nicht ganz, mein lieber Andrejew. Das ist nicht meine Macht. Es ist unsere Macht.“ Scotts Blick ging wieder über die Anwesenden. „Genauer gesagt, meine Brüder und Schwestern, seid ihr ab sofort der neue Legat. Zusammen erobern wir die Erde und setzen unsere Ideale durch.“ Er ballte die Hände zu Fäusten, hob sie wütend an. „Zehntausende getreuer Gefolgsmänner haben sich drei Jahre lang verborgen, immer der Gefahr ausgesetzt, von den United Earth Defense Force-Truppen aufgebracht zu werden! Und heute sind sie bereit um dort weiter zu machen wo wir damals aufgehört haben! Es ist unser Recht… Nein, es ist unsere Pflicht, diese Treue und Aufopferung nicht zu verschwenden! Wir müssen und wir werden siegen! Die UEMF hat eine Schlacht gewonnen, als sie den Mars erobert hat, aber wir gewinnen den Krieg!“ „Erster Legat Scott“, sprach der deutsche Geheimdienstchef das Offensichtliche aus und unterstrich Gordon Scotts Führungsanspruch, bevor er ausgesprochen wurde, „damit verfügen wir über eine beachtliche Macht. Aber sie reicht nicht aus, um die UEMF zu besiegen, geschweige denn ihnen stand zu halten. Wir brauchen noch viel mehr Macht. Viel mehr Verbündete.“ Scott lächelte abfällig. „Eikichi Otomo spielt uns in diesem Punkt in die Hände. Jahrelang hat er Japan bevorzugt behandelt, hat seinen Sohn als Anführer vieler wichtiger Missionen eingesetzt und seine Freunde in hohe militärische Ränge befördert. Die Hekatoncheiren, die Flotte, sie alle sind durchsetzt mit der Clique des Akira Otomo. Ja, ich weiß was einige einwenden wollen. Namen wir Takahara, Futabe, Ataka oder Uno sind nicht nur Begriffe, weil wir sie dem Namen Otomo zuordnen, sondern weil sie sich selbst einen Namen gemacht haben. Dennoch gibt es weltweit, auch in den Regierungen der Länder, die mit der UEMF kooperieren, Unzufriedene, die diesen Japan-Chauvinismus gerne beenden würden. Ihr Stolz zwingt sie dazu. Und ihre Ruhmessucht will an der Spitze die Namen von Männern und Frauen sehen, die aus ihren Ländern kommen. Genau dort setzen wir schon seit Jahren an. Und unsere Arbeit wird schon bald Früchte tragen.“ „Erster Legat“, meldete sich Francine zu Wort, „wird das reichen? Verbündete können ebenso schnell wieder zu Gegnern werden, wenn wir uns mit den falschen Leuten abgeben. Keiner von ihnen versteht die Ideale des Legats. Keiner von ihnen hat sich vom Core freikämpfen müssen, hat das Chaos gesehen, welches das Legat erst ordnen konnte, nachdem es die Entscheidungsgewalt erlangt hat. Wir haben den Wahnsinn gesehen und ihm getrotzt. Sie haben es nicht. Sie verstehen uns nicht und das werden sie auch nie. Werden diese Bündnisse halten? Werden sie uns die Macht geben, die wir brauchen?“ „Es ist merkwürdig, dass Sie von Macht sprechen, meine liebe Zweite Legatin“, schmunzelte Scott. In diesem Moment hatte er seine Stellvertreterin ernannt. Er sah zur Seite. „Mother?“ Das Hologramm der schwarzhaarigen Europäerin neigte den Kopf zur Seite. „Sie können jetzt eintreten, Torah-sama.“ Scotts Fäuste öffneten sich wieder als die große Tür aufging. Ein mittelgroßer, schlanker Mann trat ein. Er trug einen unauffälligen schwarzen Geschäftsanzug und hatte sein schwarzes Haar modisch kurz schneiden lassen. Man sah ihm den Asiaten an, genauer gesagt den Japaner. Einige Mitglieder des neuen Legats keuchten erschrocken auf, als sie den Mann erkannten. Andere hatten zumindest Bilder von ihm gesehen und wirkten irritiert. „Willkommen, mein guter Juichiro Torah. Genauer gesagt willkommen, Dritter Legat, Torah.“ „Wahnsinn! Wir wissen, dass Torah gestorben ist! Wir wissen, dass die Slayer ihn getötet haben!“ Mühlheimer legte seinem Tischnachbarn beruhigend eine Hand auf die Schulter. „In der Tat, Torah wurde von den Slayern vernichtet. Was Sie aber nicht wissen ist folgendes. Juichiro Torah ist kein Mensch.“ „Wollen Sie etwa sagen, dass er ebenfalls von dieser verdammten Naguad-Brut ist? Ein verdammter Verräter?“ „Nein, Legat Palischenkow. Und ja“, schloss Scott hoch zufrieden und bedeutete dem Magier, am Tisch Platz zu nehmen. „Unser Freund Torah, der Dritte Legat ist kein Mensch, aber er ist auch kein Naguad. Er ist aber das, was… Nun, ich will es einen Unzufriedenen nennen. Unzufrieden mit den Taten und der Politik seiner Führung. Einen Rebellen, Freigeist und Reformer, der leider der bourgoisen Übermacht nichts entgegen zu setzen hatte und genau wie wir aus dem Untergrund hatte handeln müssen. Es gibt nur einen einzigen Grund, warum Legat Torah heute noch lebt. Obwohl er auf dem Mars hätte sterben müssen. Obwohl kein Mensch und kein Magier den Angriff der Slayer überlebt haben kann.“ Scott lächelte den schwarzhaarigen Japaner an. „Bitte. Sie haben die Ehre, mein Freund.“ Juichiro Torah erhob sich und lächelte in die Runde. „Es stimmt. Ich hätte eigentlich sterben müssen. Aber ich bin kein Mensch und ich bin kein Naguad. Ich bin kein Anelph und erst Recht kein Iovar. Vom sterben, vom wirklichen sterben war ich in diesem Kampf sehr weit entfernt. Ich habe lange gebraucht, um mich wieder zu erholen, und es war sehr schwer für mich. Aber letztendlich habe ich es geschafft.“ Der Magier grinste und erhob sich. Er setzte beide Hände auf dem Konferenztisch ab, doch noch auf dem Weg auf die Tischplatte veränderten sie sich. Sie verbreiterten sich, die Finger schrumpften, ein goldorangener Pelz entstand. Fürchterlich lange, schwarze Krallen schlugen in die Beschichtung des Tischs. „Wwwweilll ich eiiiiin Daiiiiimooonnn binnnnnn!“ Entsetzensschreie wurden laut, einige der frisch gebackenen Legaten sprangen vom Tisch weg. Nur Mühlheimer, Mother und Scott zeigten keine Regung. Der Magier Juichiro hatte sich vor ihrer aller Augen in einen Tiger verwandelt. In einen aufrecht stehenden, Anzug tragenden Tiger. Seine Katzenaugen funkelten amüsiert in die Runde und die Nasenhaare zitterten belustigt, als er die Schnauze bleckte und die anderen Legaten beim Anblick seines Raubtiergebisses erneut zurück wichen. „Heißt das“, fragte Scott sachlich, „wir können bald wieder mit der Unterstützung von Youmas rechnen, Dritter Legat?“ Der Tiger wandte sich ihm zu und verbeugte sich knapp. „Jjjjawoooohlll, Errrrsterrrr Llllllegaaat.“ Scott setzte sich wieder und faltete die Hände unter dem Kinn ineinander. Auch die anderen Legaten kehrten vorsichtig zum Tisch zurück. „Hat noch irgendjemand Fragen, meine Brüder und Schwestern?“ Der Erste Legat grinste diabolisch. Es konnte ohne Weiteres mit dem Blick und der geöffneten Schnauze des Tigers mithalten. 4. Es begann mit Beschuss. Ohne erkennbaren Übergang, ohne Manöver begannen die Schiffe des Rates auf ihre Ziele zu feuern. Erst nachdem sie die ersten Salven abgefeuert hatten, begannen die Kriegsschiffe Jagd auf ihre Beute zu machen. Zugleich feuerten Artillerieeinheiten auf den Turm, zerstörten die großen Tore des Turms, bestrichen die Plattformen auf den oberen Etagen, welche normalerweise Gleitern zum landen oder Banges zum starten dienten. Erkannte Geschützstellungen wurden bombardiert und neu erwachende Stellungen schnell unter Feuer genommen. Über fünfzig Banges, für den Nahkampf konfiguriert, führten die erste Attacke an. Sie schossen auf den Turm zu, entlarvten dabei weitere, bisher getarnte Abwehrstellungen. Ein Teil wurde abgeschossen, die anderen kamen bis zum Turm selbst durch. Das drei Kilometer hohe und hier an der Basis achthundert Meter starke Gebilde war eine Stadt für sich. Eine Stadt, in der man auf vielen Etagen bequem mit einem Banges passieren konnte. Unter dem Turm, in seinen Gewölben wussten die Angreifer eine stetig besetzte Kaserne für Banges und ihre Piloten in der Stärke eines Bataillons, also vierzig Maschinen. Nun waren die Angreifer auf dem Weg den Turm hinab. Danach kamen Panzereinheiten und Infanterie. Hubschrauber und Schweber stiegen auf, um die höheren Etagen angreifen zu können. Wenige Minuten nach dem ersten Schuss waren die ersten Etagen unter Kontrolle der Ratstruppen und ein sehr zufriedener Torum Acati arbeitete sich zu Fuß, aber an der Spitze von zwei Dutzend AO-Meistern, den Turm hinauf. Die meisten Naguad die ihnen begegneten waren Zivilisten oder vollkommen überforderte gemeine Soldaten. Torum bedauerte es, ihnen eine ungewöhnlich diskreditierende Behandlung nicht ersparen zu können. Aber bei einem so schweren Vergehen wie dem Verrat am Imperium konnte Torum nur versprechen, die Naguad so gut es ihm möglich war zu behandeln, während er gleichzeitig unnachgiebig niemanden entkommen ließ. Vereinzelt wurden ihm Gefechte gemeldet, aber noch musste er keine AO-Meister einsetzen. Nachdem er die halbe Strecke in das Penthouse geschafft hatte – acht Minuten nach Angriffsbeginn und nachdem er die fünfte von seinen per Schwebern angreifenden Truppen eroberten Etagen erreicht hatte, meldete sein Adjutant einen Anruf aus dem Orbit. „Admiral Acati.“ „Admiral Longuene, Sir. Die Lage im Orbit ist unter Kontrolle. Die meisten Schiffe haben sich ergeben oder wurden vernichtet. Aber leider musste ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass einige der großen Kriegsschiffe wie die TARNUB, die GODENSK und die VARTAUM gegen umgebaute Frachter ausgetauscht wurden.“ „Nonsens. Wir wissen, dass diese Schiffe gebaut wurden.“ „Richtig. Deshalb sagte ich auch nicht vorgetäuscht, sondern ausgetauscht. Ich muss annehmen, dass das Haus drei Schlachtkreuzer der Bakesch-Klasse irgendwo im Imperium versteckt hält. Und wer weiß wie viele Kriegsschiffe, die in den Marken Dienst tun sollen, ebenfalls nur umgebaute Frachter sind.“ „Admiral. Was Sie mir da sagen impliziert folgendes: Das Haus baut mehrere große, kampfstarke Kampfschiffe und tauscht sie anschließend gegen umgebaute Frachter aus, die genau diese Schiffe simulieren sollen. Anschließend verschwinden die richtigen Schiffe. Das Haus versucht nicht, diese Schiffe umzubenennen, um seine Flotte größer erscheinen zu lassen. Es lässt die Kampfschiffe tatsächlich untertauchen.“ „Genau das will ich damit sagen, Admiral Acati.“ „Haben wir eine Ahnung, wo die Schiffe sein können? Haben wir eine Ahnung, wie viele Schiffe es sein können?“ „Nein, haben wir nicht. Und ich befürchte, das wird nicht die letzte Überraschung sein, die uns bevor steht.“ „Ich habe es befürchtet. Acati aus.“ Plötzlich hatte es der Begam Erster Klasse furchtbar eilig, die Turmspitze zu erreichen. „Admiral. Die Banges-Truppen melden Kämpfe mit der Banges-Kaserne auf der untersten Ebene, aber keine Spuren einer Selbstzerstörungseinrichtung.“ „Na wenigstens etwas“, brummte Acati gehetzt. „Allerdings enthebt uns das nicht von der Möglichkeit, dass die Konstrukteure ein paar Sollbruchstellen integriert haben, die den ganzen Kasten schon bei Minimalbeschuss in sich zusammenfallen lassen. Weiter! Weiter!“ ** Die Finte funktionierte! Ich glaubte vor Glück und Zufriedenheit überzuschäumen! Es würde keinen Racheangriff auf den Turm der Daness geben! Ich spürte nicht einmal, wie ich erleichtert in den Knien einbrach! „Nachricht aus dem Arogad-Turm! Jarah Arogad wurde gerettet, die Energieversorgung fährt wieder hoch. Erste Teams nähern sich der Turmspitze! Arogad-Kampfraumer verlassen Angriffsposition! Wir kriegen ein Bild von einem Regierungshubschrauber, der die Turmspitze anfliegt!“, rief Vern Attori, der Protokollchef, aufgeregt. Sostre Kalis kam zu mir herüber, griff unter meine Achseln und stellte mich wieder auf die Beine. Mitne Daness, der Vorsitzende des Haus-Rates, nickte Attori zu. Über uns entstand ein Hologramm im riesigen Büro Mitnes. Es zeigte den zerstörten Turm der Arogads. Meiner Familie. Die obersten beiden Stockwerke hatten Büros beinhaltet, vor allem aber das Büro meines Urgroßvaters Oren Arogad. Sie waren in sich zusammen gefallen und mit ihnen drei weitere Stockwerke. Franlin, mein Adjutant aus der Nebenfamilie Litov, informierte mich leise darüber, dass die Konstrukteure des Turms manche Stockwerke als Dämpfer geplant und gebaut hatten. Sie sollten die abstürzenden Stockwerke in genau so einem Unfall auffangen und verhindern, dass die kinetische Energie die Stahl- und Betonmassen komplett in sich zusammen stürzen lässt. Es war ein wenig wie mit dem zwei Tonnen schweren Auto, das einen Abhang herabrollte. Bremste man es ab, kaum dass es sich in Bewegung gesetzt hatte, konnte ein einzelner Mensch es aufhalten. War es aber erst einmal in Fahrt geraten, dann entwickelten die zwei Tonnen Stahl einen solchen Bewegungsmoment, um fünf oder sogar zehn Menschen zu überrollen. Genau das war beim Bau der Türme berücksichtigt worden. Die Kamera zoomte heran. Fünf Stockwerke. Darunter die Büros des Haus-Rates. Noch vor vier Wochen wäre es mir egal gewesen, die interne Struktur der Naguad war mir nicht in dem Maße bekannt, in dem sie es heute war. Und meine eigene Rolle in diesem Spiel hatte nicht existiert. Noch nicht existiert. Nun aber vermisste ich meinen Urgroßvater, meine Oma, meine Schwester und einige meiner besten Freunde in diesem Turm. Eri und Oren mussten zudem unter diesen Trümmern liegen. Ich weigerte mich einfach anzunehmen, dass dies für Yoshi, Aria und Joan auch der Fall sein konnte. Nein, sicherlich waren sie mit Yohko zusammen, die laut der letzten Nachricht aus dem Turm gerettet wurde. Sicher waren sie alle nicht in unmittelbarer Gefahr. Verdammt, ich hasste meine Situation wirklich! Was hätte ich nicht alles dafür gegeben, um den Daness-Turm verlassen zu können, um selbst bei den Aufräumarbeiten zu helfen! Meine Verwandten selbst zu retten! Nun, nicht alles, und gewiss nicht den Waffenstillstand, den ich mit meiner Anwesenheit im Turm der Daness erzwang. Es gab wirklich Momente in meinem Leben, in denen ich mich selbst zu hassen begann. Der Hubschrauber ging näher heran und zu meinem Entsetzen sah ich dabei zu, wie sich tonnenschwere Fragmente des Turms in Bewegung setzten und über den Rand des Turms in die Tiefe fielen. Da der Turm konisch war, bedeutete dies, dass die Fragmente irgendwann mit dem Turm kollidieren würden. Was wiederum die Schäden erhöhte. Hatte diese Geschichte denn kein Ende? Außerdem, falls jemand unter den Trümmern gefangen war, gerettet von einem temporär entstandenen Hohlraum, wurde er zerquetscht, wenn die Trümmer in Bewegung gerieten? Verdammt, verdammt. Und die Retter der Arogad waren immer noch nicht oben angekommen. „Gibt es Nachrichten aus den Vorstädten?“, fragte ich ernst. „Wie weit sind die Evakuierungsbemühungen der Häuser Koromando und Grandanaar?“ „Uns ist noch nichts weiter bekannt. Aber das Haus hat die Krisenstabschefin, Aerin Jorr, damit beauftragt, die Hilfeleistung der Arogad zu koordinieren und ein eigenes Team aufzustellen, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, Meister Arogad“, informierte mich Franlin leise. „Auch die Bemühungen von Daness und den anderen Häusern laufen an, wenngleich sich Daness etwas zurückhält. Immerhin hat Arogad von der Truppenstärke gesehen ein gefährliches Übergewicht in der Hauptstadt.“ „Verstehe“, murmelte ich. Soviel also dazu, dass ich mich selbst einbringen konnte. Entweder in den Aufräumarbeiten im Turm der Familie oder bei der Evakuierung der Familienlosen in den kontaminierten Vorstädten. Ich sah herüber zu Megumi, die mit Gina auf einer Couch saß und mit brennenden Augen das Hologramm verfolgte. Sie hatte ein sehr inniges Verhältnis mit Eri aufgebaut, hatte ich mir sagen lassen. Sie war genau wie ich im Ungewissen. Sie war… Noch immer besser dran als Gina, eine ganz normale junge Frau, die ursprünglich ein kleines Restaurant auf der AURORA betrieben hatte, bevor sich herausgestellt hatte, dass die Kronosier ihr die Seele einer ihrer Agenten regelrecht implantiert hatten, um mich zu töten. Nun, das hatte nicht besonders gut geklappt, mittlerweile verstand ich mich mit der Attentäterin sogar recht gut. Und die zwei begannen sich für die Zeit einzurichten, die sie den Körper von Gina noch teilen mussten. Wenn nicht… Ja, wenn nicht noch eine dritte Seele hinzugekommen wäre. Wenn Torum Acati nicht Ai Yamagata getötet hätte. Ich wusste nicht wie es möglich war, wie es passiert war, aber der sterbende Leib von Ai-chan war von Gina umarmt worden und ihre Seele – oder ihr KI – war auf Gina Casoli übergegangen. Unwillkürlich fragte ich mich, ob es in ihrem Kopf nicht manchmal etwas eng wurde. Dann sah ich zu Henry herüber, meinem besten, ärgsten, treusten und verschlagensten Feind. Ich wusste, dass Ai ihn liebte. Ich wusste auch, dass die Agentin ein Faible für mich hatte. Und es musste doch mit dem Teufel zugehen, wenn Gina nicht tüchtig in Mamoru Hatake verknallt war… Ich korrigierte mich selbst. In ihrem Kopf musste sich eine Kakophonie jenseits allen Vorstellbaren abspielen. „Habe ich was im Gesicht?“, fragte der ehemalige Legat mit den Elwenfelt-Genen und wischte sich mit einem Taschentuch die Wangen ab. Ich winkte ab und dachte an Ai. Was, wenn Ai nun die Kontrolle über das Konglomerat gewann und zu Henry ging und… Die Situation war sehr verfahren. Nicht zuletzt deshalb, weil Henry William Taylor nun in meinen Diensten stand. Ihm gegenüber hatte ich gebeichtet, Ai-chan nicht beschützt zu haben. Er würde mehr als irritiert sein, wenn er die neueste Version erfuhr. Der kreischende Alarm riss mich aus meinen Gedanken. Der Rhythmus war mir neu, ich hatte ihn noch nie gehört. „Eindringlingsalarm?“, fragte ich Sostre, der immer noch neben mir stand. Der Cousin von Megumi versuchte zu lächeln, aber sein Gesicht verzog sich nachdenklich. „Nein, das ist schlimmer, Aris. Viel schlimmer!“ ** Plötzlich hatte es der Begam eilig. Wirklich eilig. Torum Acati überzeugte sich davon, dass die Aufnahmegeräte an seinem Körper funktionierten und alle gesammelten Daten sofort weitergaben und rief hastig Befehle an seine Soldaten und AO-Meister, bevor er sich konzentrierte, sein AO sammelte und mit Gewalt durch die nächste Decke brach. Und durch die übernächste. Und die darauf. Und eine vierte. Und danach die fünfte. Nach zwanzig Zwischendecken, viele von ihnen verstärkt, um bei einem Unfall als interne Stützen zu dienen, hatte Torum seine Leute, sogar die AO-Meister und die Ritter des Ordens weit hinter sich gelassen. Weit, weit hinter sich. Und somit machte er sehr deutlich, was der Unterschied zwischen einem Mitglied des Rates, einem persönlichen Vertrauten von Meisterin Tevell, und einem normalen Mitglied war. Ein AO-Meister des Ordens war einem normalen Soldaten der Naguad so weit überlegen wie ein Banges, aber Acati übertraf diesen AO-Meister noch einmal erheblich. Man konnte ihn in diesem Zusammenhang ohne weiteres als Fregatte bezeichnen. Brutal brach sich der Begam Erster Klasse seinen Weg durch die Decken. Das bedeutete Raubbau an seinen Kräften und er würde einen hohen Preis dafür bezahlen müssen, aber in diesem Moment, in diesem einen Moment diente er nur der Wahrheit. Und er wusste, er würde sich sehr beeilen müssen, um sie noch zu erleben. Es waren nur noch siebzehn Zwischendecks, die er überwinden musste, um bis in die Turmspitze zu kommen. Kurz spielte er mit dem Gedanken, den Turm zu verlassen und die Spitze von außen zu attackieren. Aber er sah in der Attacke durch den Boden eine größere Chance. Mit einem Angriff von außen rechneten die Herren des Turms bestimmt, mit einem AO-Meister, der sich brutal durch die Decken brach vielleicht nicht. Und er musste, es sehen, musste es, unbedingt! Er musste, musste, musste, mit eigenen Augen erleben, was ihn auf der obersten Ebene, dem Büro des Vorsitzenden des Hausrates erwartete. Schwer atmend lehnte er sich gegen die nächste Wand. Die Anstrengung kostete ihren Preis, und selbst er war weder allmächtig noch unsterblich. Er war verflucht und von der Abstammung her anders als die Naguad und trug seine Geburt wie ein Brandmal mit sich herum, aber er diente verdammt noch mal allen Daima auf dieser Welt! Er hatte sich dazu entschlossen, sie zu beschützen, selbst wenn sie ihn verachteten und schmähten! Und kein winziger Schwächeanfall würde ihn daran hindern, seinen Weg fortzusetzen! Nichts hielt ihn auf! Nicht ihn! Nicht den halben Dämon Torum Acati! „Admiral! Wir sind ja da!“, rief eine aufgeregte Stimme neben ihm. Kuali Taral, eine Begam Zweiter Klasse, kam mit weiteren neunzehn AO-Meistern durch das Loch geschossen, welches Torum brachial geschaffen hatte. „Sie wollen nach oben, richtig? Wir bahnen Ihnen den Weg, Admiral!“ Die junge AO-Meisterin, die ihrem Turm Arogad schon lange abgeschworen hatte, um für alle Naguad da sein zu können, lächelte ihm ermutigend zu. Dann instruierte sie ihre Begleiter. Vier von ihnen konzentrierten ihr AO, durchbrachen die Decke. Dort nahmen vier neue Meister Aufstellung und erschufen einen weiteren Durchbruch. Nach dem fünften Durchbruch war wieder die erste Gruppe an der Reihe, und so ging es weiter, fünfzehn Zwischendecken, bis sich die Männer und Frauen nur noch schwankend auf den Beinen halten konnten. Dies war der Augenblick für Torum Acati, Taral und die anderen daran zu hindern, ihren Einsatz fortzusetzen. „Es ist gut. Es ist gut. Ich habe mich erholt. Die letzten beiden Decks kann ich wieder alleine durchbrechen.“ Acati warf einen Blick auf seinen Zeitmesser. Seit Aktionsbeginn waren erst zwanzig Minuten vergangen und er stand schon fast in der Spitze des Turms. Das Überraschungsmoment musste noch immer auf seiner Seite sein. „Sie haben gute Arbeit geleistet! Sie alle!“, sagte Acati nicht ohne Stolz zu den AO-Meistern. „Danke, Admiral“, ließ sich Jemm Granadaar vernehmen. „Aber ist Ihnen eines aufgefallen? Seit zehn Durchbrüchen haben wir keinen einzigen Naguad mehr gesehen.“ „Stimmt. Seit der letzten verstärkten Decke haben wir niemanden gesehen. Und die Böden sind mit Staub bedeckt. Viel Staub.“ „Vielleicht ist es besser, wenn ihr euch auf ein tieferes Deck zurückzieht“, murmelte Acati. „Ich bin mir sicher, es ist besser.“ Die AO-Meister sahen auf. Und registrierten, das der Admiral einen Befehl gegeben hatte. Nacheinander sprangen sie in das von ihnen getriebene Loch und suchten die tieferen Stockwerke auf. Torum Acati hingegen durchbrach die vorletzte Decke. Oben angekommen sah er sich kurz um. Tatsächlich, auch hier war eine dicke Staubschicht zu sehen. Und die Büros wirkten seltsam leblos, unbenutzt. Ihm schwante übles. Er konzentrierte sein AO, sprang und brach durch die letzte Decke. Nun stand er inmitten des Bürokomplexes des Hausrates. Zumindest hätte hier der Bürokomplex des Hausrates sein müssen. Aber stattdessen sah er nur… Biotanks. Dutzende, hunderte Biotanks, dicht an dich gepackt. Es war ein kleines Wunder, dass er bei seinem brachialen Eindringen nicht ein Dutzend oder mehr beschädigt hatte. Alle Tanks waren besetzt und die Insassen unverkennbar Angehörige des Hauses. Pechschwarze Haare, rubinrote Augen, die leblos zu ihm herüber starrten und zu fragen schienen: Warum bist du nicht früher gekommen, Torum Acati? Die Haut der Tankinsassen war schneeweiß, ein deutliches Zeichen für das Haus Logodoboro. Torum sah sich aufmerksam um, vergewisserte sich, dass seine Aufnahmegeräte liefen und machte sich auf die Suche nach dem Ratsvorsitzenden des Hauses, Girona Logodoboro. Die Tanks waren bestens gewartet, die Insassen lebten. Viele starrten ihn an, während er zwischen ihnen hindurch schritt und suchte. Sie waren bei Bewusstsein und Acati fragte sich unwillkürlich, wie lange schon. Vielleicht schon Jahre, Jahrzehnte? Ihm schauderte bei diesem Gedanken. Ein Biocomputer, hier mitten im Herzen des Imperiums? Das war Verrat. Das war schlicht und einfach Verrat an den Naguad. Er hatte Recht gehabt, einfach Recht gehabt. Aber er fand nicht das Haupt dieser Verschwörung, konnte der Schlange nicht den Kopf abschlagen. Wo war Girona? Wo waren die anderen Mitglieder des Rates? „Du bist zu früh, Begam Erster Klasse, Torum Acati“, erklang eine freundliche Frauenstimme hinter ihm. Der Admiral wirbelte herum. „Was ist hier los? Wo ist der Rat?“ Die Besitzerin der Stimme, das Hologramm einer perfekt stilisierten Logobodoro-Frau, glitt auf ihn zu. „Die Räte sind in den Tanks neunzehn bis einundvierzig. Eingesperrt, wenn du es genau wissen willst.“ „Eingesperrt? Was ist mit Girona? Was mit seiner Familie?“ „Vor dem Angriff ausgeflogen. Sie haben Naguad Prime schon vor Wochen verlassen und dürften im Protektorat der Familie angekommen sein. Hier sind nur noch die Elemente des Supercomputers, der Rat… Und ich. Weißt du, wir sollten hier bleiben, um den Bürgerkrieg zwischen Arogad und Daness zu fördern, zum Wohle des Hauses.“ „Interessant. Warum erzählst du mir das alles? Weil du glaubst, es wird mir nichts mehr nützen?“ „Normalerweise würde es dir nichts mehr nützen, Torum Acati, denn ich habe Befehl, die oberen Stockwerke mit einer atomaren Granate zu sprengen, wenn wir entdeckt werden. Nicht einmal deine Natur als Sohn einer Daimon würde dich vor der Urgewalt einer Nuklearexplosion retten.“ „Du sagst würde. Was hindert dich?“ Das Hologramm strich sich durch das holographische Haar. „Ich will nicht sterben. Deshalb habe ich den Sprengsatz deaktiviert. Und die meisten Logodoboro in den Tanks wollen ebenfalls nicht sterben. Nicht für das Bündnis mit der Core-Allianz. Hast du was dagegen, wenn wir überlaufen, Admiral?“ „Also doch ein Bündnis mit dem Core“, stellte Acati wütend fest. „Ja, schon seit Jahrhunderten. Logodoboro litt schon immer daran, dass es seine Rolle als Anführer der Migration in der neuen Heimat nicht fortsetzen konnte. Depression und Machthunger sind unstillbare Komponenten, die oft zur Katastrophe führen, verstehst du? Selbst du, der unbestechliche, ewig treue Acati, verstehst du?“ Der Admiral nickte zögernd. „Ich bin Naguad genug, um es zu verstehen.“ Acati wandte sich ab und gab eine Anzahl Befehle. Als er sich wieder dem Hologramm zuwandte sagte er: „Den Bewohnern des Turms wird nichts geschehen. Wir schonen die Soldaten wo wir können. Und unsere Medo-Teams sind bereits auf dem Weg hier hoch.“ „Könnt ihr mich zuerst befreien? Es hat lange genug gedauert, mich zum Administrator des Systems aufzuschwingen, es zu infiltrieren und die Sicherheitssysteme auszuschalten. Viel zu lange. Ich sehne mich nach einem weichen Bett.“ „Sicher können wir das.“ „Du bist misstrauisch. Das ist eine gute Eigenschaft, Torum Acati. Aber du wirst schon bald merken, dass du nichts zu befürchten hast. Komm, ich zeige dir meinen Tank.“ Neugierig, aber wachsam folgte der Admiral dem Hologramm. Er blieb schließlich vor einem uralten Logodoboro stehen, dessen Haare fast schon ausgefallen waren. Dennoch lächelte der Mann in seinem Schlaf. „Wenn ich deinen Körper so sehe, muß ich sagen, du hast einen netten Avatar.“ „Was stehst du da hinten rum? Dies hier ist mein Körper, Torum Acati!“ Das Hologramm deutete auf einen anderen Tank, in dem eine schlafende Frau schwebte. Sie sah exakt so aus wie das Hologramm und nicht einen Tag älter als einhundert. Entsetzt sah Acati zum Hologramm herüber. „Du bist… Du kannst nicht…“ „Doch, ich bin und ich kann. Ich bin Agrial Logodoboro, die Gründerin dieses Hauses, die Anführerin des Exodus und Begründerin der Räte-Regierung. Und dies ist mein Ruheplatz, seit zweitausend Jahren!“ „Du hast dich gut gehalten“, murmelte Acati beeindruckt. „Danke. Das hört eine Frau wirklich immer wieder gerne.“ Der holographische Avatar errötete und sah beschämt zur Seite. 4. Als Lady Death von Überschlagblitzen überzogen wurde, als der riesige Hawk in die Knie ging und vornüber gesackt verharrte, wusste ich, dass die entspannte Situation viel zu schön gewesen war. Es hatte ja nicht gut gehen können. Einfach nicht gut gehen können. Megumi wollte zu ihrem Mecha eilen, besann sich aber eines Besseren und zog Gina hinter sich her in Deckung eines Sofas. Die wenigen anwesenden Sicherheitskräfte des Turms verteilten sich in Schusspositionen vor den Fahrstuhlschächten. Ich selbst versuchte noch zu Megumi zu kommen, wurde aber von Sostre und Henry daran gehindert und ebenfalls hinter ein Sofa gezogen. „Die Garnituren sind mit Stahlplatten ausgekleidet“, informierte mich der Daness. „Für den Fall eines Angriffs, eines Putsches oder was auch immer dienen sie den Verteidigern als Bastionen.“ „Schießscharten habt ihr wohl nicht eingebaut, oder?“ „Wir werden es bei der nächsten Generation Möbel anmerken“, erwiderte Sostre mit einem dünnen Lächeln. „Immerhin ist das hier mittlerweile deine Immobilie, nicht, Aris?“ „Anscheinend“, erwiderte ich und versuchte Megumi zu entdecken. Dann gingen die Fahrstuhltüren auf. Ein erleichtertes Raunen ging durch die Reihen der Verteidiger, als es Daness-Sicherheitsleute waren, die den Raum betraten und absicherten. Doch mir fiel auf, dass sie einen Verteidigungskordon um den Fahrstuhlschacht einnahmen. Beide Fahrstühle fuhren wieder in die Tiefe und ich wusste, dass diese Daness garantiert nicht meine Freunde waren. Und ich war nicht der einzige der so dachte. Auch Mitne Daness behielt den Kopf unten. Was vielleicht das Sicherste war, solange wir nicht wussten, was hier geschah. Wieder sah ich zu Lady Death zurück. Unser Trumpf war effektvoll ausgeschaltet worden. Als die Türen erneut aufgingen, spuckten sie einen weiteren Schwall Uniformierter in den Haus-Farben gelb und weiß aus. Und zwischen ihnen kamen zwei Mitglieder des Haus-Rates sowie ein uralter Mann, der sich auf einem alten, knorrigen Stock stützte. In der Hand hielt er ein Buch. Ein Papierbuch im durch und durch vernetzten Daness-Turm? „Verdammt! Die Räte Logen Daness und Metras Kalis, sowie Markub Tanel, der Vorsteher des Hauses!“ „Vorsteher?“ Sostre grinste mich schief an. „So eine Art Hüter des Stammbaums. Nur leider mit erheblicher Machtfülle ausgestattet. Ich glaube, er hat was gegen deine Verlobung mit Solia, Aris.“ „Und er hat Waffen“, stellte ich zähneknirschend fest. „Wo ist Aris Arogad, das Halbblut?“, rief der Alte mit überraschend kräftiger Stimme. Ich antwortete nicht. Warum auch? Wenn ich meine Position verriet, geriet ich nur noch mehr in einen Nachteil. „Wann kommt unsere Verstärkung, Sostre?“, raunte ich. „Verstärkung? Wir brauchen doch keine Verstärkung“, erwiderte der Daness ebenso leise. Auf ein Zeichen des alten Mannes eröffneten die Wachen das Feuer. Unsere eigenen Wächter sprinteten in Sicherheit, während wir uns noch etwas tiefer duckten. Damit waren die Fronten geklärt. „Aris Arogad, Halbblut aus dem Fleisch der Naguad und der Menschen! Warum versteckst du dich?“ „Weil du auf mich schießen lässt, du alter Sack!“, zischte ich leise. „Das habe ich gehört!“ Wieder wurde gefeuert, und zu meinem Entsetzen sah ich, wie die Rückwand vom meinem Stück der Garnitur rot aufleuchtete. Scheiße, meine Deckung begann zu schmelzen. „Ich frage erneut: Wo bist du, Aris Arogad?“ Ich erhob mich. Wenn dieser alte Irre weiterhin wild in der Gegend herum schoss traf er womöglich noch Megumi oder einen der anderen. Gina. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn Gina getroffen worden wäre. „Ich bin hier. Was wollen Sie, Ehrenwerter Vorsitzender?“ „Schmeicheleien nützen dir nun auch nichts, Arogad!“ Der alte Mann klopfte auf sein Buch. Der alte Mann fixierte mich, aber ich hielt seinem Blick stand. Wenngleich ich bereit war, sofort wieder hinter die Stahlplatten zu verschwinden, sollte das nötig werden. Nun, die Angreifer trugen Projektilwaffen und Laserwaffen, und ich hoffte, dass weder die Projektile selbststeuernd waren, noch sich die Laser durch die Panzerplatten nagen konnten. „Es ist eine Schande“, sagte der alte Mann zähneknirschend. Er schlug das Buch auf und blätterte darin. „Syrien Kalis, Sohn einer guten Familie, eines ehrenwerten Seitenzweigs, der uns schon immer gute Soldaten, gute Verwalter und auch schon Admiräle geschenkt hat. Und Meia Daness aus der Hauptlinie, Tochter von Mitne, dazu bestimmt, dem Haus einst einen würdigen Rat zu gebären und den Erhalt der Familie zu sichern. Aus ihnen entstand Solia Kalis. Soldatin, Kriegerin, Heldin einer fernen Welt namens Erde. Du, Halbblut, teils Arogad, teils Mensch, willst diese Frau heiraten? Diesen Turm übernehmen und ihr die Erde schenken?“ Der alte Mann senkte den Blick. „Es sei dir vergeben. Nimm deine Gefolgsleute und verlasse den Turm, Halbblut.“ Ich konnte nicht so recht sagen, aber der alte Mann ging mir mächtig auf die Nerven. „Und wenn ich mich weigere?“ „Du kannst auch gerne noch hier bleiben, bis du die Sinnlosigkeit deines Tuns einsiehst“, antwortete der Alte ungerührt. Er zog einen langen roten Stift aus seiner Jacke und machte gerade Striche in seinem Buch. „Verdammt“, klang Sostres Stimme neben mir auf. „Was ist passiert?“ „Er streicht uns aus dem Hausbuch. Drei… Vier. Fünf, sechs… Er hat mindestens sechs Personen raus gestrichen. Die Frage nur, ob er uns aus der Familie gebannt hat oder tot sehen will. Aber wie man es dreht und wendet, dein Deal mit dem Rat ist damit fast gestorben, Aris.“ „Der Deal, der diesen verdammten Turm und das Haus Daness retten sollte“, zischte ich zu Sostre in seiner Deckung herab. „Und einen Bürgerkrieg verhindern sollte.“ „Erzähl das nicht mir, sag es dem alten Knacker da drüben“, erwiderte Sostre gereizt. Der Alte verstaute den Stift wieder und sah auf. „Syrien Kalis! Meia Daness! Mitne Daness! Jeter Kalis! Lyda Daness! Solia Kalis! Ihr seid aus dem Buch gestrichen!“ Sein Blick ging über die Möbel. „Sostre, komm.“ Ich sah hinab, wechselte einen langen Blick mit dem jungen Daness. Der grinste schief als er antwortete: „Um mit den blumigen Worten der Erdenmenschen zu sprechen: Du kannst mich mal, alter Sack!“ Ich musste prusten, biss mir beinahe in die Faust, um mir das Lachen zu verkneifen. Aber der Vorsteher reagierte nicht so wie ich erwartet hatte. „Du setzt die Schande fort, die deine Vorfahren über dieses Haus bringen wollten, als sie einer Verbindung mit einem Arogad zugestimmt haben.“ Er ergriff wieder den Stift und klappte das Buch erneut auf. „Sostre Daness. Du bist aus dem Buch gestrichen.“ Er sah seine beiden Begleiter Logen und Metras an, die nun nickten. Markub Tarnel sah in meine Richtung. „Geh in deinen Turm zurück, Arogad-Halbblut. Hier gibt es für dich nichts mehr zu gewinnen.“ „Ich weigere mich“, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Nun gut. Commander, töten Sie alle anwesenden Daness, aber achten Sie darauf, dass das Halbblut und seine Gefolgsleute überleben.“ „Denkst du, so leicht lassen wir uns abschlachten? Solia, dein Hawk!“, rief Sostre. Megumi reagierte sofort, sie sprang auf und lief auf Lady Death zu. Markub Tarnel lächelte düster und hielt einen schwarzen Gegenstand hoch. „Ich habe mit dieser Entwicklung gerechnet. Deshalb habe ich dafür gesorgt, dass ich den Banges jederzeit ausschalten kann.“ „Komisch“, erwiderte Sostre, „damit habe wiederum ich gerechnet und dafür gesorgt, dass der Hawk trotzdem funktioniert!“ Urplötzlich erwachte Lady Death zum Leben, öffnete ihre Cockpitluke und ließ Megumi ein. Danach richtete der Mecha sich zur vollen Größe auf. „Ich bin nicht umsonst seit fünfzehn Jahren Erbe des Hausvorsitzes und lebe immer noch – bei solchen Verwandten“, erklärte Sostre grinsend. Sicherheitshalber ging ich in Deckung, nur für den Fall, dass die Haustruppen den Kampf mit einem voll bewaffneten Mecha wagten. „Ich glaube, wir sollten das Buch leicht korrigieren, oder?“ „Du darfst es halten, ich nehme den Radiergummi.“ „Einverstanden.“ „Also“, hörte ich Megumis verstärkte Stimme über die Lautsprecher von Lady Death, „wer will zuerst?“ Epilog: Der Regierungshubschrauber näherte sich weiter dem Dach, während weitere Brocken abrutschten und in die Tiefe fielen. Gerade löste sich ein besonders großer Brocken und stürzte hinab. Dann geriet eine ganze Partie ins Rutschen, es gab einen Lichtblitz, und der Pilot hatte alle Mühe, um nicht von fort geschleuderten Trümmerstücken getroffen zu werden. „Das war knapp“, keuchte er erleichtert. Sein Co-Pilot indes starrte entsetzt aus der Cockpitscheibe. Der Pilot folgte dem Blick und erstarrte. Die Trümmer waren zum größten Teil fort, und inmitten der nun freien Oberfläche stand eine schlanke, schwarzhaarige Frau. Sie war von einem Kordon aus Licht umgeben, ja sie schien geradezu zu brennen. In weitem Umfeld um sie brannte die Luft im goldenen Licht. Neben ihr lagen fünf Naguad auf dem Boden, man konnte nicht erkennen, ob sie verletzt waren. Ein letztes Mal geriet ein großes Trümmerfeld ins Rutschen, und während es über den Rand kippte, fiel der abgetrennte Unterarm eines Naguad auf den Hubschrauber zu, prallte gegen die Panzerung und fiel dann haltlos in die Tiefe. „Wir brauchen sofort Medizinisches Personal auf der obersten Ebene! Sofort!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)