timeless von FALL_Fanell (ehemals : "untiming") ================================================================================ Erinnerungsfetzen ( die zweite ) -------------------------------- Erinnerungsfetzen ( die zweite ) Das kann nur noch entweder ein völlig kranker Traum oder ein ganz makaberer Scherz sein. Ich sitze hier, mit angezogenen, die Arme darum geschlungenen, Beinen auf einem der Plastiksitze, wie sie in dem großen Flur dauernd auftauchen. Wo die Besucher sitzen können, bis sie zu den Patienten hinein gelassen werden. Ich starre jetzt schon seit gut anderthalb Stunden den frisch gewischten Linoleumboden an, als könnte er mir sagen, wie es jetzt weiter gehen soll. Aber natürlich gibt mir das Zeug keinen wirklich hilfreichen Tipp. Ich schweife nur dauernd mit den Gedanken ab. Zum Beispiel, dass es sicher eine tierische Sauerei ist, wenn hier~ jemand den Boden vollblutet. Aus welchem Grund auch immer. Aber es ist schließlich ein Krankenhaus, da kann das vorkommen. Ich habe neben mir rechts und links je eine Krücke liegen. Die einzige Möglichkeit für mich, um vorwärts zu kommen, ohne mich überall festhalten oder kriechen zu müssen. Yûgi hatte mir noch erklärt, was passiert war, nachdem ich erst panisch aus dem Zimmer geflüchtet war. Ja, man, scheiße, ich hatte echt Panik! Ich meine, mir fehlen ja jetzt fast drei Jahre meines Lebens. Ich kann mich echt keinen Deut mehr daran erinnern. Da würde wohl jeder so reagieren. Immerhin scheint ja richtig was passiert zu sein in der Zeit. Hiroto hatte mir noch einen Stapel Karten hingelegt und gemeint, dass es mir sicher besser gehen würde, wenn sie in der Nähe waren. Bis jetzt habe ich sie nicht einmal angesehen, geschweige denn angefasst. Ich kann mich nicht einmal erinnern, solche Karten besessen zu haben. Zumal Hiroto es wirklich ernst gemeint hat mit dem ,besser gehen'. Aber es geht mir nicht~ besser. Weder nach dem kurzen Gespräch vor meinem Zimmer mit Yûgi, nachdem ich geflohen war, noch nachdem mir Hiroto die Karten hingelegt hatte. Die Blumen, die Anzu später noch gebracht hatte, tragen auch nicht wirklich zu meinem Wohlbefinden bei. Ich schließe langsam die Augen, lasse noch einmal alles Revue passieren, weshalb ich eigentlich hier sitze. Denn irgendwie ist mir das gerade auch entfallen. Aber Yûgi hatte es Amnesie genannt - kurzzeitiger Gedächtnisverlust, was normalerweise innerhalb der nächsten paar Stunden aufhört und man dann anfängt, sich wieder zu erinnern, indem man einfach alles erzählt bekommt. Nur ich natürlich nicht. Nicht eines der Erlebnisse, die er aufgezählt hatte, war mir bekannt vorgekommen oder hatte irgendetwas gebracht. Ich bin geflüchtet, weil mir schlecht geworden war. Richtig übel, ich hatte die Hand auf den Mund gepresst gehabt und war, mich überall festhaltend, auf den Flur gestolpert. Durch den großen Blutverlust, wie Yûgi mir erklärte, den ich durch die große Kopfwunde erhalten hatte, war ich dort ohne Halt einfach zusammen gebrochen. Meine Beine hatten mich nicht tragen können. Deshalb hatte ich etwas später von der Krankenschwester auch noch ein paar Termine für eine Rehabilitation bekommen. Das ist das erste Mal, dass ich so etwas brauche. Bisher bin ich immer ohne ausgekommen. Yûgi hatte sich zu mir gebeugt und hatte versucht, mir aufzuhelfen. Ich dachte noch, er würde das nie packen, weil er doch noch zu klein und schmächtig ist. Aber ich wurde eines Besseren belehrt. Er hat wirklich etwas hinzugelernt und hatte mir echt beim Aufstehen helfen können. Doch bevor wir in das Zimmer zurück gegangen waren, hatte ich nur eine Sache klar stellen müssen ... ~ "Mutô-kun?". "Mh~?". "Wir sind Freunde, oder?". "Hn, klar!". "Cool ... ". ~ Er hatte gelächelt, genau wie die anderen beiden. Sie waren froh, dass ich wenigstens das~ noch gewusst hatte. Ich weiß nicht mehr, wie ich plötzlich darauf gekommen war. Aber der Drang danach zu fragen ist einfach heftiger gewesen, als der Drang nach einem Schmerzensschrei, kurz nach dem Aufwachen. Die drei sind dann nicht mehr lange geblieben, weil sie jeweils noch weg mussten. Ob sie arbeiten oder auch studieren, habe ich nicht nachgefragt. Yûgi hatte noch versprochen, mir alles genau zu erzählen, was dafür gesorgt hatte, dass ich hier gelandet war. Denn an der Schulhofprügelei hat es ja nun definitiv nicht gelegen. Trotzdem ist das meine letzte deutliche Erinnerung. Alles andere waren Fetzen, die sich aus dem zusammenstellen, was Yûgi bisher erzählt hatte. Mir ist immer noch schlecht. Hätte ich in den letzten Stunden etwas zu Essen gehabt, würde ich mich jetzt wohl übergeben müssen. Mir dreht sich echt der Magen um bei dem Gedanken, dass ich gerade knapp drei Jahre meines Lebens zwar mitgemacht, aber irgendwie verpasst habe. Drei~ Jahre! Das ist viel! Verdammt viel für jemanden wie mich. Ich weiß ja nicht einmal mehr, mit welcher Note ich die Oberschule abgeschlossen hatte. Dass ich angefangen hatte, zu studieren, heißt zwar, dass es mindestens eine drei gewesen muss, aber ich weiß es nicht mehr! Das macht mich wahnsinnig! Ich hebe ruckartig die Hände an die Schläfen, taste den Verband wieder ab und versuche, mich damit abzulenken, um nicht durchzudrehen. Wenigstens funktioniert es so halbwegs und ich lasse die rechte Hand wieder sinken, öffne die Augen und sehe auf meinen Handrücken. Ich habe ihn inzwischen gewaschen, die Wunde ist mit einem kleinen Pflaster abgedeckt und der Handrücken selbst sauber. Eigentlich hatte die Schwester das machen wollen, aber das bekomme ich auch noch allein hin. Ganz verblödet bin ich noch nicht. Auch wenn ich gerade nicht einmal mehr weiß, wie ich auf die bescheuerte Idee gekommen war, ausgerechnet Jura zu studieren. Ich muss ja echt in geistiger Umnachtung gewesen sein zu dem Zeitpunkt. Wer studiert mit einem höchstens 3,0 Notendurchschnitt bei Oberschulabschluss schon Jura? Langsam hebe ich den Blick wieder, lasse auch die Beine wieder sinken und setze die Füße, an denen ich lediglich Hausschuhe trage, wieder auf dem Boden ab und muss zugeben, dass mir gerade langweilig wird. Ich könnte mir doch mal die Karten ansehen, die Hiroto mir hingelegt hatte und wie von selbst zieht mein Blick zu der Tür meines Zimmers, hinter der sich die Karten befinden. Doch irgendwie will ich das nicht. Sie mir ansehen. Wer weiß schon, welche~ Erinnerungen dann wieder hochkommen würden? Deshalb wende ich den Blick in die entgegen gesetzte Richtung und starre in den Flur hinein. Es ist erstaunlich still im Moment, was kein Wunder ist, denn immerhin sind keine Besucher da und die Patienten sind sicher alle in ihren Zimmern, wo sie Fern sehen, lesen oder sich anders beschäftigen. Nur ich sitze hier draußen und beobachte den grauen Linoleumboden zu meinen Füßen und die hellen Wände um mich herum. Ein ,pling'-artiges Geräusch erregt meine Aufmerksamkeit und lässt mich aufsehen zu dem Fahrstuhl, zu dem das Geräusch passt. Außerdem leuchtet die kleine 3 über der Fahrstuhltür auf, die anzeigt, dass sich der Lift in der dritten Etage befindet. Dort, wo ich auf dem Flur sitze und mich langweile. Was ist also besser, als nachzusehen, wer denn nun doch noch um diese Zeit hier vorbei kommt? Er ist groß. Verdammt groß! Mindesten einen halben Kopf größer als ich und eigentlich bin ich immer der Meinung gewesen, ich wäre nicht gerade klein. Hiroto ist zwar auch knapp größer, aber der Typ, der gerade die Fahrstuhlkabine verlässt, überragt Hiroto locker. Das ist auf jeden Fall spannender, als nur rum zu sitzen. Zumal er mir bekannt vorkommt. Ich hatte ihn schon mal gesehen. Stellt sich nur die Frage : Wo? Das lässt sich leicht klären. Ich muss ihn ja nur fragen. Meine Amnesie sollte Ausrede genug dafür sein, dass ich mich nicht erinnere. Deshalb stütze ich mich auf meine Hände und will ihm hinterher, als er ohne einen Blick in meine Richtung zu werfen, zur Seite abbiegt und in einem Gang verschwindet. Doch genauso schnell, wie ich aufgestanden bin, finde ich mich auch auf dem Linoleumboden wieder, die Hände über den Kopf gestreckt, die Knie leicht eingebeugt. Verdammt. Ich schlage eine Faust auf den Boden und sehe mich hektisch um. Wo sind meine Krücken noch mal? Ohne die komme ich nicht vom Fleck und Kriechen will ich nicht. Nur deshalb bin ich doch dazu überredet worden, Krücken zu benutzen. Ich hätte auch noch einen Rollstuhl haben können, aber ich will wenigstens so tun, als könnte ich noch halbwegs laufen. Ich finde eine Krücke an die Bank gelehnt, die andere liegt auf dem Boden. Offenbar habe ich eine mitgerissen gehabt, als ich eben umgefallen bin. Wie auch immer. Eilig stemme ich mich auf die Füße und greife nach dem Krücken, mit denen ich dann so schnell, wie es geht, dem Jungen hinterher humple. Mir fällt derweil spontan ein, woher ich ihn kenne. Immerhin! Ich hatte also nicht alles~ völlig vergessen. Er geht in meine Klasse ... okay, er ist in meine Klasse mal gegangen. Wenn ich~ den Abschluss hatte, würde er ihn auch haben. Sogar besser als ich. Wenn ich mich recht erinnere, ist er sogar Klassensprecher gewesen, der beste Schüler der Klasse und eigentlich ein ziemlicher Einsiedler. Ich habe ihn nie mit jemand anderen rumhängen sehen. Statt dessen war er, wenn ich ihn gesehen hatte, mit Zetteln und Rotstiften bewaffnet und kontrollierte und schrieb und arbeite und machte und tat. Ich wusste nie genau, was~ er da getan hatte. Wahrscheinlich ist es mir auch immer egal gewesen. Aber im Moment, so muss ich zugeben, interessiert es mich brennend. Er ist einer meiner Klassenkameraden ... gewesen. Verdammt, ist das anstrengend, alles in die Vergangenheit zu schieben. Es ist ja vorbei. Obwohl es für mich wie gestern erscheint. Ich hechte - naya okay, ich stakse - um die Ecke in den Flur, in dem er verschwunden ist und rechne irgendwie fest damit, dass er da irgendwo sitzen würde. In meinem Kopf brennt sich plötzlich ein Bild in mein Blickfeld, wie er etwas entfernt vor mir steht, mit irgendwie verstrubbelten, dunklen Haaren und Angst einflößend, finsterem, eisblauem Blick, der genau auf mich gerichtet ist und trotzdem nicht wirklich mich meint. Abrupt bleibe ich stehen, als ich in den Flur sehen, ihn aber nicht entdecken kann und sofort wende ich meinen Blick hinter mich, als wäre er an mir vorbei gekommen. Doch da ist er auch nicht. Deshalb gehe ich langsam weiter, lauschend, ob ich vielleicht eine Stimme hören kann, die ich ihm zuordnen könnte. Wenn ich ihn schon am Aussehen erkenne, würde mir auch noch einfallen, welche Stimme er gehabt haben muss. Doch ich höre nichts. Bis auf das Staksen meiner Krücken auf dem Boden. Nicht ein Wort, das ich ihm hätte zuordnen können, um nicht zu sagen, ich höre gar nichts! Nicht mal Kindergeschrei, es ist wie ausgestorben hier. Das fällt mir jetzt erst auf. Müsste es nicht wenigstens ein bisschen Geräuschkulisse geben in einem Krankenhaus? Meinwegen auch eine Unterhaltung zwischen Arzt und Krankenschwester über einen unheilbar Kranken. Aber es ist ja gar~ nichts zu hören. Ich muss stehen bleiben und mich ehrfürchtig umsehen, als müsste ich jeden Moment mit einem Massenmörder rechnen. Aber es geschieht nichts. Sogar, als ich zur Seite humple und mich mit dem Rücken gegen die Wand lehne, den Blick eilig hin und her wende - schwer atme und dann stutze. Vor Geistern Angst zu haben, das gebe ich ungefragt zu, damit habe ich auch kein Problem. Das ist immerhin etwas, was man logisch nicht erklären kann. Aber Angst in einem leeren Krankenhaus zu haben ... das ist dann doch schon irgendwie seltsam. Ich atme schwer ein und zucke richtig zusammen, als sich genau neben mir ruckartig eine Tür öffnet und fast gegen mich schlägt. Aber ich hopse aus irgendeinem Reflex heraus sofort zur Seite und weiche somit dem Türblatt aus, das mich sonst sicher gegen die Wand gedrückt hätte. Deshalb nur starre ich doch so schwer atmend darauf, bevor ich den Blick hebe und in ein Gesicht sehe, das offenbar völlig baff ist, mich zu hier sehen. Hey, das ist der Kerl von eben. Dahin war er also so plötzlich verschwunden. Sofort wende ich den Kopf ganz kurz gegen das Schild auf der Tür. Ein Melderaum für Privatpatienten. Nobel! Ich bin schon froh, überhaupt eine Art ärztlicher Behandlung bezahlen zu können. Aber mehr brauche ich ja auch nicht. Ich komme auch so zurecht. Zumal ich inzwischen sogar gelernt habe, ein Bein zu schienen. Wer brauche da noch einen Arzt? Sein Blick, den er auf mich hinab wirft, ist irgendwie ... komisch. Als von drinnen jemand ein ,die Tür bitte schließen' sagt, wendet er den Blick noch einmal ab, zu der Tür hin, die er daraufhin leise schließt und mich wieder ansieht. Irgendwie wirkt er gerade total mit der Situation überfordert. Dabei habe ich ihn bisher immer kalt, abweisend und beherrscht in Erinnerung. Shit! Drei Jahre waren definitiv zu viel! Muss es ausgerechnet diese~ Zeitspanne sein? "Hi! Du warst mal in meiner Klasse, oder? Ich hab da dummerweise gerade Erinnerungsprobleme. Amnesie, Mutô-kun meinte, das geht irgendwann vorbei. Aber ich habe dich noch erkannt. Du siehst zwar irgendwie komisch aus, in dem weißen Anzug, aber was solls. Ich kann mir dich gerade nicht in der Schuluniform vorstellen, aber bestimmt ... ". "Vergiss nicht, zu atmen, Kleinhirn!". Hey! Ich finde, ich bin ziemlich freundlich an die Sache rangegangen. Muss das sein, dass der so giftig antwortet? Aber irgendwie habe ich das Gefühl es ist richtig so, trotzdem verziehe ich beleidigt das Gesicht. Wen wundert es? Ich wurde gerade beleidigt von jemandem, den ich freundlich begrüßt hatte und dem ich nicht mal ... Oh, okay, Warte. Ich habe ihn gedutzt. Er ist immerhin ebenfalls mindestens 18. Älter, ich bin ja nach Yûgis Aussage auch fast 19. Da hätte ich vielleicht mit ,Sie' anfangen sollen. "Hey, ich versuche hier eine halbwegs zivilisierte Konversation anzufangen. Ich finde, ich habe es wenigstens verdient, freundlich abserviert zu werden - auch wenn es nur aufgesetzt ist. Meinetwegen sag mir, dass du ... dass Sie nichts mit mir zu tun haben wollen, aber dann wenigstens höflich!". Memo an Hirn : Seit wann habe ich so eine gewählte Art, mich auszudrücken? Ich dachte immer, ich klinge viel mehr nach Straßenbewohner oder zumindest nach jemandem, der nie eine höhere Schule besucht hat. Hatte ich auch nie. Wie denn? Wann denn? In der Zeit, wenn ich die reguläre geschwänzt hatte? Witzig! Da hab ich mich im GameCenter verlustiert oder einfach nur in irgendeinem Café herum gehangen. Jedenfalls war ich nicht~ in einer Schule! Schon gar nicht in einer für den Gebrauch von höherer Wortwahl. Was interessiert mich meine Wortwahl? Alle haben bis jetzt immer gewusst, was ich sagen will. "Jôno'uchi-san!". Ein Grinsen und was für eins! So eins will ich auch! Die Augenbrauen zusammengezogen, das Gesicht leicht abgesenkt, den schmalen Blick mit glänzenden, blauen Augen durch einen etwas längeren Pony zu mir geworfen. Außerdem kennt er meinen Namen! Irgendwie freut mich das bloß spontan nicht einmal. Jedenfalls nicht in Kombination mit diesem Grinsen, das aussieht, als wolle er mir gleich x Klagen an den Hals hängen. Außerdem kommt er näher, viel~ näher und lehnt sich dann gegen einen Unterarm, den er über meinem Kopf gegen die Wand drückt, die Hand daran zur Faust ballt. Ich selbst bin regelrecht dazu gezwungen, weiterhin an die Wand gelehnt zu bleiben, mich etwas zusammen zu ziehen und zu ihm hinauf zu sehen. Er ist größer als ich, hatte ich das schon erwähnt? "Ich bin es nicht gewohnt, mich auf so üblem Terrain zu bewegen und ganz besonders nicht in Gegenwart solcher Individuen, wie sie mir gerade auf einem nur grob gewischten, nicht einmal beheizten Flur entgegen kommen.". Das Grinsen verstirbt und er setzt einen ziemlich finsteren Blick auf. Entweder, er ist schizophren, oder er sieht das gerade als Spiel an. Man, ich meine das ernst! So ernst, wie ich das mit diesem seltsamen Wortschatz halt meinen kann. In meinem Gossenjapanisch hätte es sicher besser geklungen und mal ganz ehrlich ... ich mag mein Gossenjapanisch eigentlich. Das verleiht meiner Präsenz die richtige Note! "Was du für Problemchen mit deinem Erbsenhirn hast, ist mir etwa so wichtig, wie die Zukunft der Angestellten, die ich rauswerfe, weil sie nicht ordentlich arbeiten!". Ich starre ihn irgendwie perplex an. Das weiß ich nicht nur, das ist sogar meine Absicht. Vielleicht erzählt er mir ja auch noch, was~ für Angestellte er hat, wieso es ihm so zuwider ist, auf mich zu treffen und was seine Angestellten für ihn arbeiten sollen. Vielleicht bekomme ich ja sogar raus, was er selbst arbeitet. Dann wäre ich einen großen Schritt weiter und könnte versuchen, mich an Details zu erinnern, die mir helfen könnten, die dämliche Amnesie loszuwerden. So langsam komme ich mir irgendwie ... dumm vor. Vor allem, weil ich gerade, trotz des Beleidigungsregens, anfange zu kapieren, wieso man mir mal voller Begeisterung den Satz ,Ein bisschen bi schadet nie!' an den Kopf geworfen hatte. Er löst sich ganz langsam von der Wand über meinem Kopf und lässt den Arm sinken. Ich stelle mich schon innerlich darauf ein, noch mehr solches Zeug von ihm zu hören. Er macht jedenfalls nicht den Eindruck, als würde er mit anderen Leuten anders umspringen. Irgendwie traue ich ihm gerade sogar zu, dass er seinen Vater so ordentlich zur Schnecke machen kann und will. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie sein Vater wohl aussehen würde. Ganz zu schweigen von der Mutter. "Ich meine ja nur, dass du mit dieser Einstellung, jemanden zu begrüßen, nicht wirklich Erfolg bei den Frauen haben wirst.". Ich funkle ihn schon irgendwie genervt an, aber sein Blick lässt mich das nicht lange halten. Er sieht mich so perplex an und scheint sogar ein bisschen nach Luft zu japsen, dass ich das Gefühl habe, irgendetwas Falsches gesagt zu haben. Dass er unfreundlich ist, das hatte ich ihm doch eben schon mal gesagt. Wieso ist das auf einmal so ein extremer Tiefschlag, dass er fast aus den Latschen kippt? "Du ... erinnerst dich nicht mehr an deinen Schulabschluss?". "Ne~, im Moment nicht! Mutô-kun meinte nur, dass ich jetzt studiere. Ich bin mal gespannt, wie das wird, wenn ich wieder zur Vorlesung muss.". Er sieht mich immer noch so an, obwohl ich inzwischen anfange, zu grinsen und das halbwegs lustig zu finden. Mal ehrlich, Amnesie hat Vorteile. Ich kann ruhig zu spät kommen, ich weiß immerhin nicht einmal mehr meinen Vorlesungsplan, geschweige denn die Orte, wo die Vorlesungen statt finden. Also soll der~ das bitte auch lustig finden, sonst werde ich nur wieder irre bei der Vorstellung, dass ich gerade drei~ Jahre verpasst hatte! "Das ist gut.". Ich lasse ruckartig die Schultern fallen. Bitte, wie war das? ,gut'? GUT? Ich finde das scheiße! Ich weiß nicht einmal mehr, welche Durchschnittsnote ich habe. Was ist daran bitte GUT? "Deshalb geht es dir auch wieder besser. Vielleicht ist es sogar besser, wenn es so bleibt.". Stopp mal, muss der so viel in Rätseln sprechen? Hallo? Hat er gerade vergessen, dass ich drei Jahre meines Lebens vergessen habe? Es geht mir nicht~ besser! Ganz und gar nicht. Mir ist schlecht, ich hätte mich, wenn ich gekonnt hätte, in den vergangenen anderthalb Stunden ein paar Mal übergeben und der Reinigungsfirma, die die Flure schrubbt, ordentlich Arbeit aufgehalst. Außerdem tut mir alles weh, ich kann nicht richtig laufen und mit meinen Kopf kann man als Basketballkorb benutzen, bei dem Loch, was da drin ist! Mir geht es echt~ schlecht! "Hör mal zu ... du überheblicher, unfreundlicher ... Privatpatient!". Die Tatsache, dass ich ihn wieder duze, ignoriere ich gekonnt und in voller Absicht. Immerhin hat er~ das auch getan. Also nicht bei sich, sondern bei mir. Er hat fast schon vertraut geklungen bei den letzten Worten. Deshalb mache ich mir eher Sorgen um den Ton, den ich gerade anschlage, um ihm zu antworten. Denn ich klinge gereizt und das nicht zu knapp. "Kaiba.". "Mir scheiß-egal, wie du heißt!". He, mein Japanisch nimmt wieder normalere Züge an, das beruhigt irgendwie. Irgendwie auch nicht, denn immerhin habe ich sofort erkannt, dass er mir damit hatte sagen wollen, wie er heißt. Eigentlich ist es eher so, dass solche kurzen Angaben von Kanji mich eher verwirren, als alles andere. Trotzdem habe ich sofort Bescheid gewusst und deshalb werde ich auch spontan ruhiger, nachdem ich darauf geantwortet habe. "Kaiba ... Setô? Nii-sama! Da war ... ". Er verzieht erschrocken das Gesicht, was ich jedoch nur am Rande wahrnehme. Denn irgendetwas brennt sich gerade in meinen Kopf. Ein Bild von ihm, das von eben, wie er mit diesem kalten, abweisenden Blick zu mir rüber starrt, mich aber nicht wirklich ansieht und trotzdem ganz offensichtlich mich meint, aber auch wieder nicht. Ich muss ruckartig die Hände heben, doch eine davon senke ich sofort wieder ab, kann mich sonst nicht auf den Beinen halten und kralle mich so mit einer Hand in den Verband um meinen Kopf, mit der anderen in den Griff der Krücke, auf die ich mich stütze. Es tut weh! Höllisch! Als würde man mir den Kopf in einem Schraubstock einklemmen oder die ganze Zeit darauf einhämmern. Der Schmerz zwingt mich, die Augenlider aufeinander zu pressen, die Augen fest zu verschließen, um nicht darum fürchten zu müssen, dass ich das Gefühl bekomme, dass mein Kopf platzen würde. Obwohl der Schmerz von außen kommt, nicht von innen. Meine Hände verkrampfen sich und ich glaube, mich an etwas erinnern zu können, das mit dem Bild Setô's zusammen hängt, das ich jetzt zweimal gesehen habe. Aber es ist wirklich nur dieses Bild. Festgefahren, als hätte man einen Film gestoppt. Nur das leichte Wehen der dunklen, leicht zottigen Haare kann ich wahrnehmen, dann wiederholt es sich wieder. Immer wieder, immer das gleiche Bild ... und ich zucke zusammen. Mein Kopf fliegt nach oben, meine Augen öffnen sich schlagartig wieder und ich sehe in sein Gesicht, das einen sorgenvollen Ausdruck angenommen hat und nicht aussieht, als sei es gespielt. Nein, das ist ernst. Er hat mich eben noch aufs Übelste beleidigt und jetzt sieht er mich an, als täte ihm das alles Leid. Nicht, dass ich ihm das übel nehme, weder die Beleidigungen, noch diesen Blick, doch auf ihn scheine ich den Eindruck zu machen, als bräuchte ich viel Hilfe. Seine Hände halten mich an meinen Schultern fest und drücken mich leicht gegen die Wand, damit ich nicht umfalle. Sein Atem geht mindestens genauso stockend, wie meiner. Bei mir ist es so, dass ich schlicht und einfach überfordert damit bin, zu versuchen, mich an mehr aus dieser Szene zu erinnern. Aber wieso ist er~ so geschockt? Nur, weil ich gerade fast zusammen gebrochen bin? Nein, da muss noch etwas in den paar Worten gelegen haben, die ich eben noch von mir gegeben hatte. Er sieht mich noch einmal besorgt fragend an und ich muss dem Drang nachgeben aufmunternd lächelnd zu nicken. Er nickt ebenfalls, jedoch noch immer etwas besorgt, bevor er die Hände von meinen Schultern nimmt - langsam, in der Erwartung, ich müsse noch einmal fest gehalten werden. Er atmet erleichtert aus, als ich mich tatsächlich wieder allein auf der einen Krücke halten kann, die ich noch immer fest umklammere. Gleich darauf hebt er die andere auf, die ich hatte fallen lassen, als ich die Hand hatte heben und gegen meinen Kopf legen müssen, um nicht aufzuschreien vor Schmerz. Es tut immer noch weh. Überall, vor allem in meinem Kopf und ich könnte schwören, die Wunde auf meinem Handrücken ist wieder aufgeplatzt. Doch ich greife nur nach der zweiten Krücke, die er mir hinhält und auf die ich mich gleich stütze. Ich nicke noch einmal und forme ein Stimmloses ,arigatô' mit den Lippen, das er ebenfalls mit der einfachen Geste eines Nicken quittiert. Mehr nicht, keiner sagt etwas, doch er hebt eine Hand und hält sie mir gegen die Wange, als wolle er mich beruhigen und ich muss zugeben, es hilft. Das Erste, was heute kommt, was mir wirklich hilft damit klar zu kommen. Den Schmerzen, den fehlenden Erinnerungen und dem irgendwie beklemmenden Gefühl, das sich breit macht, wenn ich mich daran erinnere, dass ich nur mit diesen beiden Krücken halbwegs anständig laufen kann. Es ist, als heile er damit meinen Schmerz, wenn auch nur Zeitweise, als er das Gesicht etwas absenkt und mir einen schwachen, leicht zittrigen und irgendwie um Erlaubnis bittenden Kuss auf die Lippen haucht. Ich kann mich in dem Moment nicht bewegen, nur die Augenlider absenken und den kurzen Augenblick genießen, in dem ich mich heute endlich einmal sicher bin, dass es genau das ist, was ich brauche, um doch für ein paar Augenblick mich zu beruhigen, um die Schmerzen verebben zu lassen. *** ~ TBC ~ *** Setô ist ... schizophren ... *drop* Sorry ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)